DER DEAL UND DAS VERTRAUEN

Können wir uns vor der Verhandlung kurz unterhalten?

Solche Worte aus dem Mund einer Richterin sind ein gutes Signal. Die Verständigung im Strafverfahren, der Deal, rückt näher. In der Tat lässt sich das Gespräch hervorragend an.

Neben der Staatsanwältin sind auch die Schöffen im Saal. Wir gehen alle Vorwürfe durch, streichen den einen oder anderen raus. So kann eine umfangreiche Beweisaufnahme vermieden werden. Wichtig ist doch, was am Ende rauskommt. Darin sind sich alle Beteiligten einig.

Wir feilschen. Wie sich das gehört. Am Ende steht ein vernünftiges Strafmaß. Ein Jahr und vier Monate. Auf Bewährung. Auch die Bewährungsauflagen spricht die Richterin an. „Ich denke, ein Bewährungshelfer kann nicht schaden.“ Die Schöffen nicken. Auch ich bin einverstanden. Das war’s dann, die Verständigung steht.

Aber in diesem Punkt soll ich mich irren.

Die Hauptverhandlung läuft wie zu erwarten. Geständnis, Schluss der Beweisaufnahme. Ich bitte die Richterin, die Verständigung offen zu legen. Und zwar vor den Plädoyers. So wie sich das gehört. Na ja, sagt sie, es läuft natürlich so wie vereinbart. Darauf können Sie sich doch bei uns verlassen.

Ach ja, noch was. Bei den Bewährungsauflagen, den Arbeitsstunden, an wie viel haben Sie denn da so gedacht?

Arbeitsstunden? Als Auflage? Das war doch nicht vereinbart.

Aber, aber, wirft die Staatsanwältin ein. Ihr Mandant muss doch was spüren. Nur mit einer Bewährung geht er hier doch raus ohne spürbare Folgen. Die Richterin gibt sich erstaunt. Es sei doch selbstverständlich, dass es Arbeitsstunden als Auflage gibt.

Selbstverständlich? Ich erlaube mir den Hinweis, dass ich in zehn Jahren als Strafverteidiger keineswegs nur Bewährungsstrafen mitgenommen haben, die gleichzeitig mit Arbeitsstunden oder Geldauflagen verbunden waren. Das kann es schon mal geben. Aber von einer entsprechenden Übung ist mir nichts bekannt.

Darauf der Satz des Tages:

Ich gehe doch nicht davon aus, dass wir bei einer Verständigung jede Kleinigkeit besprechen müssen.

Kleinigkeit? Ruhig, Brauner. Ich ringe etwas mit der Contenance. Seit wann sind denn 200 Arbeitsstunden, diese Zahl wirft die Staatsanwältin in die Runde, eine Kleinigkeit? Außerdem: Die Bewährungsauflagen als solche waren doch ausdrücklich Thema der Verhandlungen. Muss ich etwa fragen, ob neben dem Bewährungshelfer noch an etwas anderes gedacht ist? Soll ich als Verteidiger vielleicht anregen, meinem Mandanten doch bitte noch was aufs Auge zu drücken?

Oder gebietet es die Fairness vielleicht doch, alle Karten auf den Tisch zu legen?

Das Ganze erinnert mich an den Autohändler, der vor Auslieferung des gekauften Vorführwagens die Ledersitze gegen Stoffsitze austauschte. Der hat seinen Prozess verloren. Und, vielleicht schlimmer, das Vertrauen seiner Kunden. Nach der Berichterstattung über den Prozess.

Sicherlich, auch hier lässt sich ein Kompromiss finden. Glücklicherweise legt der Mandant es nicht darauf an, die Sache an diesem Punkt scheitern zu lassen. Macht er halt Arbeitsstunden, aber weit weniger als zunächst gefordert.

Beim Plädoyer der Staatsanwältin wähne ich mich allerdings vollends im falschen Film. Sie beantragt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Wo kommen denn die zusätzlichen zwei Monate her? Ich hoffe mal, dass es behördeninterne Gründe hat. Seht her, ich habe mehr beantragt, das Gericht ist mir leider nicht gefolgt.

Mit einem vielsagenden Seitenblick beschwichtigt mich die Richterin. Keine Sorge, es bleibt bei der Absprache.

Ich muss mir also keine Gedanken machen, was diesen Punkt angeht. Das Urteil bleibt dann auch im Rahmen des Vereinbarten.

Für künftige Verständigungen werde ich nach dieser Erfahrung allerdings zusätzliche Sicherungen einbauen. Eine davon: Offenlegung und Protokollierung der Vereinbarung im Einzelnen. Und zwar bevor der Angeklagte auch nur Pieps sagt.

Wenn der Richter fehlendes Vertrauen moniert, kann ich ihm ja von diesem Erlebnis berichten.