Virtualdub: Vorschnelle Entwarnung?

Von RA Dominik Boecker

Das MarkenBlog berichtet im Beitrag „VIRTUALDUB – jüngere Marke vs. älteren Softwaretitel“ von Abmahnungen aus der am 16.01.2006 angemeldeten und am 31.05.2006 eingetragenen Wortmarke VIRTUALDUB.

Rollt hier die nächste große Abmahnwelle?

Golem liefert die Bewertung zweier Rechtsanwälte. Im Ergebnis sollen die Juristen Entwarnung geben, weil Computerprogramme dem Werktitelschutz des § 5 MarkenG unterfallen können und es „ein seit Jahren bekanntes freies Programm zum Aufnehmen und Bearbeiten von Videos“ identischen Namens gebe. Dieses prioritätsbessere Recht könne der der neu eingetragenen Marke auf Grund der Gleichwertigkeit der Kennzeichenrechte (Marke, geschäftliche Bezeichnung, Werktitel etc.) entgegengehalten werden.

Mir stellt sich dagegen die Frage, wem eigentlich der möglicherweise rettende Werktitelschutz zusteht. Der Fachkommentar Ingerl/Rohnke wird in der Abmahnung jedenfalls unzutreffend zitiert. Richtig wäre der Verweis auf § 5 Randnummer 97:

Wird ein Werk nur von einem oder einer kleinen Zahl von Autoren geschaffen, wird in der Regel diesen Autoren das Recht zustehen. Handelt es sich um ein Werk, das im Zusammenwirken vieler Beteiligter unter einheitlicher Leitung entsteht, werden die Titelrechte häufig dem Inhaber dieser Leitungsmacht zustehen, zum Beispiel dem Zeitschriftenverlag, der Filmproduktionsfirma oder dem Softwarehaus.

Die bekannte GPL-Software ‚VirtualDub‘ scheint ein Projekt alleine von Avery Lee zu sein.

Was ergibt sich daraus für die Abwehr der Abmahnung? Kann jeder Abgemahnte die Einrede aufgrund fremden Gegenrechts erfolgreich erheben?

Dazu ein weiteres Zitat aus dem Kommentar Ingerl/Rohnke:

Der wegen Markenverletzung in Anspruch genommene Verletzer kann dem Kläger ältere Rechte anderer Inhaber grundsätzlich nicht entgegenhalten, denn diese entfalten ihre Vorrangwirkung nur zugunsten ihrer Inhaber, wie auch die Regelung der Klagebefugnis in § 55 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG verdeutlicht (§ 14 Randnummer 26).

Avery Lee scheint der einzige Programmierer der Software zu sein, also stehen die Werktitelrechte ihm alleine zu; ein Dritter kann sich ohne seine Gestattung gerade nicht auf diese Rechte berufen.

Was tun? Ein denkbarer Weg wäre, dass Avery Lee es gestattet, sein Werktitelrecht zur Verlinkung seiner Webseiten und seines Programmes zu benutzen. Ein Problem ist hierbei sicher die Vielzahl der Leute, denen die Benutzung gestattet werden müsste. Ob das so geht, wäre genauer zu prüfen und letztlich vom Gericht zu entscheiden.

Ein Widerspruchsverfahren nach § 42 MarkenG wäre – obwohl sich die Marke noch innerhalb der dreimonatigen Widerspruchsfrist befindet – wohl nicht erfolgreich, weil nur aus bestimmten älteren Rechten widersprochen werden darf (§ 42 Abs. 2 Nrn 1 bis 3 MarkenG).

Ein Weg wäre ein Nichtigkeitsverfahren nach § 50 MarkenG unter Berufung auf eine bösgläubige Anmeldung. Dieser Weg würde am Ende Sicherheit schaffen, weil die Marke aus dem Register gelöscht wird. Die bösgläubige Anmeldung erscheint mir beweisbar sein.

Die Konstellation ist also für die Betroffenen leider nicht so einfach und so risikolos, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Gerichte sind an die Markeneintragung auch im Falle einer bösgläubigen Eintragung gebunden. Man erinnere sich nur an die diversen „Explorer“-Verfahren, die viele Leute eine Stange Geld gekostet haben. Ich kann mir auch jetzt (bedauerlicherweise) vorstellen, dass Virtualdub eine Menge Geld von Personen kosten wird, die lediglich die Homepage von Avery Lee verlinkt haben.

So einfach kann also nicht Entwarnung gegeben werden.

Dominik Boecker ist Rechtsanwalt in Köln.