Frustrierte Richter setzen auf Vitamin B

Gültige Regeln für Strafprozesse werden missachtet, das glauben sechs frustrierte Amtsrichter aus Neuss. Das halbe Dutzend beschwerte sich kürzlich bei Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) darüber, dass ihre Urteile von den Kollegen beim Landgericht Düsseldorf oft geändert werden.

Die Schuld an den – in zweiter Instanz – zu milden Urteilen sieht Amtsrichter Heiner Cöllen in erster Linie bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Deren Ankläger, sagt er, treten bei ihm und seinen Kollegen in Neuss noch forsch auf und fordern die Bestrafung von Angeklagten. Damit sei es in der Berufungsverhandlung aber vorbei. In der wollten müde gewordene Staatsanwälte, zusammen mit dem Landgericht, „nur noch ein schnelles Ende“ erreichen“.

„Angeklagte verlassen beim Landgericht grinsend den Saal“, kritisiert Cöllen die aus seiner Sicht zu lasche Rechtsprechung. Das Gespräch mit der Ministerin im Landtag stand unter der Überschrift „Wo drückt der Schuh in der richterlichen Alltagspraxis?“ Und Cöllen, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Neusser CDU, hatte es nicht ganz uneigennützig eingefädelt.

„Kriminelle kriegen bei uns keine Bewährungsstrafen, bekommen sie aber der zweiten Instanz mit herbeigezogenen Gründen“. Da genüge es plötzlich, dass sie eine neue Freundin haben oder eine Arbeitsstelle in Aussicht. Die Angeklagten stoßen laut Cöllen mit ihrer Berufung auf „willfährige Erfolgsgaranten“. Gemeint ist eine Kumpanei von einerseits Staatsanwalt und Landgericht mit andererseits angeklagten Straftätern.

Dieser harte Tadel sei zwar polemisch, treffe aber die „Schmerzgrenze“. Es zähle nur noch die „schnelle Erledigung“ der Verfahren. Gregor Steinforth, der Chef der Staatsanwaltschaft, verbittet sich solche Vorwürfe: „Staatsanwälte lassen sich bei der Wahrnehmung des Sitzungsdienstes nicht von sachfremden Erwägungen leiten!“ Auch Ulrich Thole, Sprecher des Landgerichts, betonte, es werde nach Recht und Gesetz verhandelt. Cöllen gab sich dennoch zuversichtlich: Die Ministerin habe sich die Beschwerden notiert und wolle ihnen nachgehen. (pbd)