Sind wir nicht alle Dealer?

Zu den Grundregeln des Journalismus gehört, zwischen Bericht und Meinung zu trennen. Für Polizisten scheint so etwas nicht auf dem Lehrplan zu stehen. Ich zitiere aus einer Strafanzeige:

Bei dem Beschuldigten wurden im Zuge der Ermittlungen 600 Euro Bargeld gefunden in folgender dealgeldtypischer Stückelung:

4 x 100 € – Schein
3 x 50 € – Schein
1 x 20 € – Schein
2 x 10 € – Schein
2 x 5 € – Schein

Bist du auch verdächtig?

Heuschrecken fürs Volk

Eigentlich wollte ich nur ein wenig über Kurt Beck lästern. Was der sich ausgedacht hat, nennt sich, glaube ich, Investmentfonds. Nur ohne Staat. Und vor allem ohne paritätisch besetzte Gremien à la Rundfunkrat, in denen ausrangierte Politiker Kekse mampfen und Heuschrecke fürs Volk spielen.

Ich wollte nur mal gucken, wie viele dieser ominösen Wunderdinger bei meiner Bank gelistet sind. Beim Blick ins Depot stelle ich fest, dass die letzten Leichen aus der Dotcom-Blase plötzlich Zombie spielen. Die gute alte China Online und City Telekom kraxeln am Glockenseil. Und zwar senkrecht nach oben.

Warum, ist mir egal. Für einen schnellen Verkauf reicht es allemal. Meine Zombies sind nun wieder auf dem Markt. Volksfonds, übernehmen Sie.

Der deutsche Hartz IV-Empfänger

Aus einem Polizeiprotokoll:

Vorgeführt wird der deutsche Hartz IV-Empfänger Edgar N. …

Bei so einer Einleitung wundert es mich nicht, dass geradezu um einen Haftbefehl gebettelt wird:

N. wohnt in der elterlichen Wohnung. Weitere soziale Kontakte sind nicht ersichtlich. Er verfügt über keine Arbeitsstelle, führt keine Partnerschaft und hat keine Kinder.

Der Richter fand dagegen, dass auch ein intaktes Verhältnis zu den Eltern den Fluchtanreiz mindern kann. Er ließ N. auf freiem Fuß.

Nicht verwertbar

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Telefonüberwachungen mutmaßlicher Dealer dazu führen, dass auch gegen deren Gesprächspartner Ermittlungsverfahren eingeleitet werden.

Da reicht es schon, dass sich der Verdächtige mit dem Dritten verabredet. Ganz klar: Hier wird ein Drogengeschäft abgewickelt. Die kriminalistische Erfahrung, man kennt das ja.

Gerne wird auch vergessen, dass Telefonüberwachungen als Beweismittel gegen „normale“ Drogenkäufer (geringe Menge, Eigengebrauch) überhaupt nicht als Beweismittel verwertbar sind. Das verbietet nämlich die Strafprozessordnung (§ 100b Absatz 5 in Verbindung mit § 100a Ziff. 4).

Vor mir liegt eine Akte, in der gibt es bislang nichts Belastendes außer Telefonprotokollen. Diese liefern noch nicht einmal den leisesten Beleg für Drogenkäufe meines Mandanten, des mutmaßlichen Abnehmers. Geschweige denn für solche, die eine Verwertung der Protokolle überhaupt erst zulässig machen würden.

Da der abgehörte mutmaßliche Dealer offensichtlich auch zu den Vorwürfen schweigt, sollte das Verfahren nach meiner Meinung eingestellt werden. Ob die Staatsanwaltschaft dieser Anregung folgt? Ich bin gespannt.

Marco W.: Anklage auch in Deutschland möglich

Der in der Türkei inhaftierte 17-jährige Deutsche Marco W. hat seine Darstellung des „Flirts“ mit einer 13-jährigen Britin drastisch geändert. stern.de zitiert ihn so:

In einem Zimmer habe er das Mädchen umarmt. „Sie hat mich geküsst, angefasst, da bin ich zu früh gekommen“, sagte Marco W. Sie habe ihm die Unterhose ausgezogen. Die Vagina des Mädchens habe er nicht berührt. Allerdings meint der Marco W.: „Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte ich mit ihr geschlafen. Sie wollte das auch.“

Was die äußeren Umstände angeht, hat sich Marco W. damit des sexuellen Missbrauchs von Kindern strafbar gemacht. Dabei hilft ihm auch nicht, dass er behauptet, das Mädchen habe ihn angefasst, er sie aber nicht. Denn § 176 Absatz 1 Strafgesetzbuch lässt es genügen, wenn der Täter sexuelle Handlungen des Kindes an sich duldet.

Marco W. könnte also nur retten, dass er tatsächlich davon ausging, das Mädchen sei 15 Jahre alt. Das müsste ihm aber auch ein deutsches Gericht erst einmal glauben.

Völlig unverständlich ist für mich vor diesem Hintergrund die Stellungnahme des Justizministeriums:

Nach Angaben des Bundesjustizministeriums könnte der Schüler im Falle einer Verurteilung seine Strafe nicht in Deutschland absitzen. Nach deutschem Recht seien die Vorwürfe, soweit sie bislang bekannt seien, nicht strafbar, erklärte eine Ministeriumssprecherin.

Ob Marco W. vorsätzlich handelte oder nicht, müsste sorgfältig geprüft werden. Dabei kommt es nicht nur darauf an, was der junge Mann sagt. Sondern auch, wie die äußeren Umstände waren. Zum Beispiel, wie alt das Kind wirkte, wie es sich verhalten hat, was mit ihm und seinen Begleitern gesprochen wurde etc. Es ist nicht so selten, dass die Entscheidung hierüber dem Richter vorbehalten bleibt. An anderer Stelle habe ich auch schon darauf hingewiesen, dass Richter regelmäßig sehr skeptisch sind, wenn Beschuldigte die Alterskarte ziehen.

Übrigens müsste die deutsche Staatsanwaltschaft an sich schon jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen Marco W. einleiten. Da der junge Mann Deutscher ist, ist ein von ihm möglicherweise im Ausland begangener Kindesmissbrauch auch in Deutschland strafbar (§ 5 Ziff. 8 b Strafgesetzbuch). Marco W. kann – und muss möglicherweise sogar – wegen der Sache in Deutschland angeklagt und verurteilt werden. Wenn er der Tat hinreichend verdächtig ist.

Maßstab ist für die deutschen Behörden einzig und allein das deutsche Strafrecht. Das heißt, es spielt überhaupt keine Rolle, ob die Tat im anderen Land tatsächlich strafbar ist. Sinn der Regelung ist, pädophile Sextouristen auch dann in Deutschland verfolgen zu können, selbst wenn ihr Verhalten im Zielland nicht oder nicht sonderlich schwer bestraft wird.

Doch keine Millionen für eine Hose

Die Millionen-Dollar-Klage eines amerikanischen Juristen wegen einer verlorenen Hose ist abgewiesen worden. Der zuständige Richter entschied, dass der Kläger nicht beweisen konnte, von der Reinigung die falsche Hose zurückerhalten zu haben, heißt es in diesem Bericht.

Zuletzt hatte der vermeintlich Geschädigte seine Forderung auf bis zu 54 Millionen US-Dollar vorrangig damit begründet, die Inhaber der Reinigung hätten ihre eigene Zusage „Satisfaction Guaranteed“ verletzt, die durch ein Schild im Schaufenster gemacht worden sei.

Früherer Bericht im law blog

(Link gefunden im RA-Blog)

Anwaltsvermeidungsstrategie

Feststellen, dass das, was der Mandat aus dem Vertrag liest, nicht drin steht. Weiter feststellen, dass der Gegner den Vertrag ebenso falsch versteht wie der Mandant. Den Mandanten überzeugen, das Vergleichsangebot des Gegners (2/3 der geforderten Summe) sofort anzunehmen – bevor der auch einen Anwalt fragt.

Was Jungs am liebsten frisieren

Bis zu ein Jahr Haft droht einem 16-Jährigen aus Bornheim-Waldorf, weil er sein Mofa frisiert hatte. Passanten hatten den deutlich zu schnell fahrenden Jugendlichen gesehen und die Polizei informiert.

Die Beamten sahen auf den ersten Blick technische Veränderungen. Bei der gründlichen Überprüfung stellte sich heraus: Das Motorfahrrad war so frisiert, dass es 115 km/h erreichen konnte, statt erlaubter 25. Damit hatte der 16-jährige Eigentümer ein Fahrzeug gefahren, das gar nicht zugelassen war. Und: Für das er gar keine Fahrerlaubnis hatte.

Die Polizei warnt: Die Bremsen, Rahmen, Reifen und andere Fahrzeugteile sind nicht für das Fahren mit hohen Geschwindigkeiten ausgelegt. Ein Mofa ist damit nicht mehr verkehrssicher. Schon geringe technische Veränderungen können zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führen. (pbd)

Früher im law blog: Mofafahnder rüsten auf

Online-Mahnantrag

Die Zeiten, in denen man sich im Schreibwarenladen Vordrucke für Mahnbescheidsanträge holen musste, sind übrigens vorbei. Beim Online-Mahnverfahren gibt es die Möglichkeit, den Antrag auf weißes Papier zu drucken.

Die Daten werden in einen Barcode übertragen. Verschickt werden muss der Antrag aber nach wie vor per Post. Aber schon mal nicht schlecht für Gelegenheitsanwender.

Ein richtiger Online-Mahnantrag ist nur mit elektronischer Signatur und zusätzlicher Justizsoftware möglich.

Service f-ä-l-l-i-g

Eigentlich habe ich mein Auto nur zur Inspektion gebracht, um von dem Pop-up im Display verschont zu werden, wonach der Wagen zur Inspektion muss. Sie haben (hoffentlich) alles inspiziert, 229 Euro kassiert, aber den Bordcomputer nicht ordentlich zurückgesetzt. Schon einige Tage nach der Inspektion erinnert mich das altbekannte Pop-up daran, dass der gerade erledigte Service fällig ist.

Jetzt überlege ich, was nerviger ist. Wegen so einem Scheiß zur Werkstatt fahren. Oder einfach warten, bis der Wagen sowieso zurückgeht. Noch zehn Monate, an sich ist das ja keine Zeit.

Die Täter sind oft selbst noch Kinder

Für Schlagzeilen sorgt der Fall eines 17-jährigen Deutschen, der seit zwei Monaten in der Türkei inhaftiert ist. Er soll im Urlaub einer 13 Jahre alten Britin nähergekommen sein und wird jetzt des sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt.

Wenn es tatsächlich zu sexuellen Handlungen gekommen sein sollte, hätte sich der Jugendliche auch in Deutschland strafbar gemacht (§ 176 Strafgesetzbuch). Es kommt nach unserer Rechtslage nur darauf an, dass das Opfer jünger als 14 Jahre ist. Wie alt der Täter ist, spielt – entgegen zahlreicher Gerüchte – für den Grundtatbestand bei uns keine Rolle. Unter 14-jährige Täter werden nur selbst dadurch geschützt, dass sie noch nicht strafmündig sind. Ist der Täter aber über 14 Jahre alt, macht er sich des sexuellen Missbrauchs strafbar. Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik, zitiert nach Wikipedia, sind in etwa 6 Prozent der erfassten Fälle die Verdächtigen selbst Kinder, insgesamt über 20 Prozent entfallen auf Kinder und Jugendliche.

Sexuelle Handlungen im Sinne des deutschen Gesetzes können auch Küsse und Berührungen sein. Möglicherweise auch Händchenhalten, wenn es sexuell motiviert ist. Maßgeblich ist nach deutschem Recht die „Erheblichkeit“ der sexuellen Handlung. Wie in vielen Bereichen ist die Eingriffsschwelle in den letzten Jahren sicher nicht höher gesetzt worden. Der Rettungsanker, das Opfer habe älter gewirkt oder ein falsches Alter genannt, wird meistens vergeblich ausgeworfen. Gerade bei längeren Kontakten werten Gerichte das regelmäßig als „Schutzbehauptung“ (mitunter nicht zu Unrecht).

Wenn es also zu sexuellen Handlungen gekommen sein sollte, wäre der Jugendliche in Deutschland ebenfalls mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Einige Staatsanwälte würden es sich möglicherweise auch nicht nehmen lassen, ihn erst mal Untersuchungshaft schmecken zu lassen.

Steinbrück: Schäuble handelt vorsätzlich

Auch Finanzminister Peer Steinbrück hat sich am Wochenende zu den neuen Terrorwarnungen des Bundesinnenministers geäußert. Die FAZ berichtet:

Ähnlich äußerte sich Finanzminister Peer Steinbrück auf einer SPD-Veranstaltung in Hannover: „Man sollte nicht ständig Alarmmeldungen abgeben.“ Er ergänzte: „Ich sehe sie skeptisch. Sie sind nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich.“

Mit ihnen solle offenbar eine Qualitätsveränderung der offenen Gesellschaft bewirkt werden, sagte der SPD-Politiker mit Blick auf Datenschutz und Bürgerrechte. Der Charakter der offenen Gesellschaft müsse bewahrt bleiben. Es habe keinen Sinn, die Menschen zu verunsichern. „Die Gesellschaft muss wachsam sein, aber sie muss auch Balance und Augenmaß halten.“

Selbst Terroranschläge, möchte ich ergänzen, wären kein Grund, die offene Gesellschaft aufzugeben. Denn Terrorismus lässt sich nicht dadurch verhindern, dass man die Freiheit abschafft. Die vom Innenminister beschworenen Selbstmordattentäter sind das beste Beispiel dafür.

Außerdem muss man auch die Gefahr sehen, dass sich die Freunde gepflegter Rundum-Kontrolle ihren eigenen, möglicherweise nicht mehr gewaltfreien Widerstand heranzüchten, wie legitim dieser auch immer wäre. Terrorismus hieße er in jedem Fall, zumindest bei denen, welche die Definitionshoheit für sich beanspruchen.

Gut zu lesen, dass man in der SPD der Schäuble-Fraktion anscheinend nicht kampflos weichen will. Und wenn die Sozialdemokraten das tun, obwohl die Umfragewerte im Keller sind, schätzen sie – so denken Politiker nun mal – das Thema Freiheitsrechte vielleicht sogar als wahlkampftauglich ein.

Dass der Mindestlohn allein nicht als Abgrenzungskriterium zur CDU reichen wird, dürfte den Sozialdemokraten jedenfalls klar sein. Die SPD als Notanker der Bürgerrechte? Ein Baustein in diesem Konzept wäre, die Stasi 2.0 erst mal warten zu lassen. Genau das ist Anfang der Woche geschehen, als die SPD mit Schäuble nicht über die Online-Überwachung von Computern sprechen wollte. Spätestens ab Herbst geht es ohnehin nur noch um die Bundestagswahlen im Jahr 2009. Ein akzentuiertes „Bis hierhin und nicht weiter“ fällt dann unendlich leichter.