Wer die Wette verliert, muss töten

In der Affäre um Misshandlungen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gelsenkirchen schildert erstmals der Anwalt des Opfers H. Einzelheiten der brutalen Tat. Die beiden beschuldigten Häftlinge spielten im März vorigen Jahres Schnick-Schnack-Schnuck. Sie wetteten um das Leben des dritten Häftlings namens H. …

In der Zelle der JVA Gelsenkirchen ging das so: Bei Schnick und Schnack blieben die Hände geschlossen. Bei Schnuck formten der 25- und der 26-Jährige entweder einen symbolischen Brunnen oder einen Stein, eine Schere, ein Blatt Papier. Der Brunnen schluckt Stein und Schere, wird aber vom Papier geschlagen, weil es ihn abdecken kann. Wer verlor, hatte den Zellengenossen H. zu töten. So war es abgemacht.

Dem 23-Jährigen wurde die Schlinge eines Stromkabels um den Hals gelegt. Das grausame Spiel, dass das Opfer nur zufällig überlebte, löste eine Anklage gegen die beiden Häftlinge vor dem Landgericht Essen aus. Darin ist auch von Nötigung, Verletzungen durch Quälereien und einer versuchten Vergewaltigung die Rede. Jetzt kommt ein Verfahren dazu.

Der Bielefelder Rechtsanwalt Dirk Thenhausen will vom Land für seinen Mandanten H. Schmerzensgeld einklagen: „Er war in der Gemeinschaftszelle rechtswidrig untergebracht! Und dort kurz vor seinem Tod!“ Der Anwalt beruft sich auf den Paragraphen 18 des bundesweit geltenden Strafvollzugsgesetzes. Der erste Satz ist ebenso lapidar wie klar: „Gefangene werden während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen untergebracht.“ Punkt.

Dagegen hat das Justizministerium klar verstoßen, behauptet Anwalt Thenhausen. „Dazu“, so die Ministeriumssprecherin Andrea Bögge, „können wir momentan nichts sagen.“ „Das war rechtswidrig, wie nur irgendwas“, hält der Anwalt dagegen. Er hat für „jede Menge“ Mandaten, wenigstens aber 15, vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen eine einzelne Unterbringung eingeklagt.

„Diese Verfahren“, so bestätigt es Behördensprecher Wolfgang Schmidt, „sind regelmäßig zu Gunsten der antragsstellenden Inhaftierten entschieden worden.“ Und zwar rechtskräftig, weil die Vollzugsbehörden kein Rechtsmittel dagegen eingelegt haben.

Rechtsanwalt Thenhausen ärgert auch, dass offenbar kein JVA-Beamter gemerkt hat, wie sehr H. mehrere Tage lang misshandelt wurde. „Eine solche Angst muss man doch mitbekommen“. Aber erst als ein vierter Häftling einen Beamten auf eine Verletzung bei H. hinwies, wurde reagiert. „Es wurden sofort Maßnahmen ergriffen“, versichert Andrea Bögge aus dem Justizministerium. Welche und wann genau? Diese Antwort bleibt sie schuldig. Die Fachabteilung prüfe den Fall noch immer. (pbd)