Lose Scheine in der Lederjacke

Sie nennen sich Finanzermittlungen und sind oft ein Notnagel. Nämlich dann, wenn die Polizei mit dem eigentlichen Tatverdacht bei Drogen- und Vermögensdelikten nicht weiterkommt. Fehlen Beweise für die Täterschaft einer Person, wird auch gern geguckt, wie viel Geld der Verdächtige hat und was er damit macht.

Bei meinem Mandanten gab es keinen greifbaren Beleg dafür, dass er tatsächlich was mit Drogen zu tun hat. Außer dem anonymen Hinweis eines Informanten, dem sogar eilfertig Vertraulichkeit und Anonymität zugesagt wurden. Was normalerweise nichts anderes heißt, als dass es den Zeugen so gar nicht gibt. Oder dass er vor Gericht ohnehin nicht präsentabel wäre, weil man ihn dort schon als notorischen Lügner kennt.

Aber die Finanzermittlungen. Bei der Durchsuchung, die auf eine völlige Durchleuchtung aller Konten meines Mandanten stattfand, wurde Bargeld im Haus gefunden. Bargeld! Bei der Euphorie, mit welcher die zuständige Polizeibeamtin ein paar lose 500-er beschreibt, die sie aus der Lederjacke meines Mandanten zog, liegt die Vermutung nahe, dass sie so was noch nie gesehen hat außer vielleicht im Fernsehen, was natürlich schon per se höchst verdächtig ist.

Dumm nur, dass mein Mandant als Angestellter gut verdient. Auf jeden Fall besser als eine Kommissarin. Fürs Bargeld hatte er auch eine Erklärung. Er verbringe die Wochenenden gern im Wettbüro. Sportwetten seien sein Hobby. Und eigentlich auch so was wie ein Zweitjob. Im letzten Monat habe er bei Wetten rund 4.000 Euro verloren – und im selben Zeitraum bei anderen Wetten 12.000 Euro gewonnen.

Das notierten die Beamten gerne und sahen sozusagen schon den Beweis geführt. Wenige Tage später kam dann aber doch der Gedanke auf, ob man die grottenschlechte Geschichte mit den Wettgewinnen nicht vielleicht doch besser überprüft. Nur zur Sicherheit. Und für den Fall, dass der Staatsanwalt fragt. Quasi als Sargnagel. In der Gewissheit, dass es ja ohnehin nicht stimmt.

Zwei Kriminalbeamte begaben sich also in das Wettbüro, welches mein Mandant als Lieblingslokalität benannt hatte. Dort trafen sie auch einen angestellten Herrn, der es vorzog, nur „Babu“ genannt zu werden. Immerhin war das auch der Name, den mein Mandant erwähnt hatte.

Babu kriegte den Namen meines Mandanten gesagt. Er konnte nichts damit anfangen. Im Angesicht eines „Lichtbilds“ des Beschulkdigten fing er aber an zu strahlen. Der Betreffende sei ein häufiger, guter Kunde. Er verbringe sehr viel Zeit im Wettlokal.

Gerade in den letzten Wochen habe der Kunde sehr viel Geld gewonnen. So um die acht- bis zehntausend Euro. Mindestens. Das Geld sei ihm auch bar ausgezahlt worden, wie das in Wettlokalen üblich ist. Den größten Teil habe der Kunde in 500-Euro-Scheinen erhalten.

Die Begeisterung auf der Rückfahrt ins Präsidium dürfte sich in Grenzen gehalten haben.

Keine Zweifel

Eindrucksvoll an ärztlichen Stellungnahmen aus dem psychiatrischen Bereich sind mitunter nur akademische Titel, Briefkopf und Stempel. In wechselnder Reihenfolge. Beim Bericht, den ich vorhin gelesen habe, stach vor allem die Funktion „Chefärztin“ hervor.

Vom Inhalt her waren die Ausführungen eher ein Beleg dafür, wie distanzlos und kritikunfähig Therapeuten mitunter gegenüber ihren eigenen Patienten sind. Über Seiten schilderte die Ärztin, welch enormen gesundheitlichen Problemen sich ihre gerade mal 16-jährige Patientin schon gegenübersieht.

Zu den schlimmsten gehören akute Wahnvorstellungen. Vor den Augen des Kindes spielen sich unvermittelt apokalyptische Szenen ab, die mal zu Panik, mal zu kaum lösbarer Erstarrung führen. Dazu kommen weitere Krankheitsbilder. Das Mädchen kann nicht zur Schule gehen.

Während der Therapie sollen sich Hinweise auf sexuellen Missbrauch ergeben haben. Die Ärztin gibt die Schilderungen des Mädchens in indirekter Rede wieder. Ich kann keine Details schreiben, aber die Darstellungen sind so monströs und bizarr, dass einem teilweise der Atem stockt. Das will ja an sich nichts heißen, aber das Mädchen will solche Erfahrungen nicht nur im Familienkreis gemacht haben.

Auch ihr unbekannte männliche, stets maskierte Passanten hätten sie des öfteren einfach angehalten und missbraucht. Das soll teilweise sogar tagsüber auf offener Straße passiert sein. Die Polizei hat, was der Ärztin nicht bekannt war, sich von dem Mädchen angebliche Tatorte zeigen lassen. Ein Ort liegt zum Beispiel offen einsehbar direkt gegenüber von Mehrfamilienhäusern. Urteil der Polizei: praktisch ausgeschlossen, dass ein Täter diesen Platz wählt.

Die Therapeutin geht mit keinem Wort auf diese Dinge ein. Sie schließt ihren Bericht mit der Aussage:

An der Glaubwürdigkeit der Patientin bestehen keine Zweifel.

Traurig an der Sache ist, dass Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter halt mitunter nicht nur wenig Ahnung von Medizin haben, sondern auch wenig Zeit. (Gilt natürlich auch für Rechtsanwälte.) Da liegt es nahe, erst mal nur das „Ergebnis “ zur Kenntnis zu nehmen. Darauf wird dann schon mal ein Haftbefehl gestützt.

So weit kam es in diesem Fall glücklicherweise nicht. Die Chefärztin hat ihre Inkompetenz letztlich doch zu schlecht kaschiert.

Bitte übersenden

Sehe in einer Ermittlungsakte, was ein anderer Verteidiger an seinen (neuen) Mandanten geschrieben hat:

Als Dateianlage erhalten Sie eine auf uns ausgestellte Vollmacht.

Wir bitten Sie, diese zu unterschreiben und ein Exemplar mit einer Kopie Ihres Personalausweises so bald wie möglich an uns zurückzusenden.

Kopie des Personalausweises? Ich weiß ja nicht, was der Kollege für Erfahrungen gemacht hat. Aber bisher hielten sich bei mir die Fälle falscher Identitäten in Grenzen.

Zumindest jene, von denen ich nichts wusste.

Erhalten Sie später

Aus der Anzeige eines gar nicht mal kleinen Reiseveranstalters:

Es gelten die AGB, die Sie nach Buchung erhalten.

Bei der Firma kann man eine Pauschalreise ordern, ohne sich bei späterem Ärger mit lästigem Kleingedruckten rumschlagen zu müsssen. Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen nämlich spätestens bei Vertragsschluss zur Kenntnis genommen werden können. Sonst sind sie nicht wirksam.

Nur die Anzeige sollte man aufheben. Sie könnte den Beweis erleichtern.

Schwerbehindert in der virtuellen Welt

Sollte der Besitz „Besitz“ einer Buchstaben- und Ziffernfolge strafbar sein? Aber ja – wenn es nach dem Bundeskriminalamt geht. Einer der dortigen Kinderporno-Jäger hat nun gefordert, den „Besitz“ von Links auf kinderpornografische Seiten zu kriminalisieren – und zwar als Vorbereitungshandlung (Bericht auf heise online).

Erklärtes Ziel des Beamten ist es unter anderem, die Überprüfbarkeit von Sperrlisten zu erschweren. Außerdem will er Abschreckung betreiben.

Aber um welchen Preis, das ist die Frage.

Als kleiner Einschub ist zu klären, ob der Beamte es tatsächlich so gemeint hat, wie es klingt. Dass nämlich schon der irgendwo abgelegte bzw. notierte Link auf derartige Inhalte strafbar sein soll. Ich vermute ja, denn das Veröffentlichen solcher Links ist in Deutschland bereits strafbar. Darauf weist Thomas Stadler in seinem Blog Internet-Law zutreffend hin. Gleiches gilt nach Auffasssung mancher Gerichte auch, wenn der Betreffende vorsätzlich, das heißt auf der Suche nach Kinderpornografie, selbst die Links anklickt und die Bilder aufruft. Aufs Abspeichern von Bildern oder Filmen soll es schon gar nicht mehr ankommen.

Somit kann der Beamte ja eigentlich nur wollen, was er auch sagt. Dass nämlich schon der bloße „Besitz“ jener für sich selbst unverfänglichen Buchstaben- und Ziffernfolge, die aber auf eine bestimmte Internetseite führt, schon als „Kinderpornografie“ gilt. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten, um Menschen zu kriminalisieren. Man danke nur an Links auf Seiten, die heute harmlose Inhalte zeigen, aber morgen oder in drei Jahren nicht mehr.

Und man denke insbesondere daran, wie einfach es ist, Links auf fremde Computer zu bekommen. Via (Spam-)-E-Mail, Facebook, Twitter oder XING. Und über tausend andere Kanäle. Faktisch liefe das darauf hinaus, dass ängstliche Menschen (oder solche mit Feinden) einen Filter laufen lassen müssen, der jeden Link auf ihrem System sofort shreddert. Was sie zu Schwerbehinderten in der virtuellen Welt machen würde.

Die Vorstellungen des Bundeskriminalamtes klingen mir sehr nach Allmachtsfantasie. Der Beamte würde dies sicher abstreiten. Er will doch nur das Beste. Den Preis dafür muss aber nicht er zahlen, sondern wir.

Hollands Justiz will zur Kasse bitten

Die niederländische Staatsanwaltschaft ist in finanzieller Not und deswegen auf Geld aus. Das berichtet das „NRC Handelsbald“ unter Berufung auf Justizkreise der Niederlande. Demnach gibt es eine Millionenlücke, die mit mehr und höheren Geldbußen gefüllt werden soll. Es dürfte deshalb auch deutsche Autofahrer treffen, die in den Niederlanden unterwegs sind.

Dem Bericht zufolge werden Bußen in Verkehrssachen um fünfzehn Prozent angehoben. Andererseits gibt es aufgrund von Einsparungen und Personalknappheit bei der Staatsanwaltschaft erhebliche Verzögerungen beim Bearbeiten von Strafsachen: „“Von vielen Sachen hört man nie wieder etwas. Die wandern einfach ins Regal“, wird der Rotterdamer Rechtsanwalt Frank van Ardenne zitiert.

Diese Entwicklung wird von nordrhein-westfälischen Staatsanwälten bestätigt, die mit Rechtshilfeersuchen beschäftigt sind. (pbd)

Alltag

Polizei-Prosa ist auch ein Spiegel des Alltags in Deutschland. Ich zitiere aus einer Strafanzeige:

Der BES 02 gab an, dass er mit dem Zeugen K. und dem BES 01 in der Wohnung des BES 01 verweilte und im Laufe des Tages Alkohol konsumiert wurde. Irgendwann haben sich durch verschiedene Wortwechsel der Parteien Spannungen aufgebaut, so dass sich zunächst lautstark verbal gestritten wurde.

Im Laufe des Streits sei der BES 01 ausgerastet und habe dem Zeugen K. mehrfach ins Gesicht und Nacken geschlagen. Der BES 02 teilte mit, dass der BES 01 dann auch ihn geschlagen haben. Da der BES 02 sich nicht weiter zu helfen wusste und sich zur Wehr setzen wollte, nahm er die Bierflasche und schlug mit dieser gegen den Kopf des BES 01. …

Der achtjährige Sohn des BES 01 wurde wegen der starken Alkoholisierung aller Beteiligten zunächst nicht in der Obhut des BES 01 belassen, sondern zu dessen Großvater verbracht.

So oder ähnlich schon tausendmal gelesen.

Begrenzte Freude

Ein neuer Mandant erzählt mir, was ihm auf der Polizeiwache widerfahren ist. Er soll sich zu einem Vorwurf äußern, will das aber nicht ohne Anwalt. Der Polizeibeamte schlägt ihm vor, gleich mit ihm zu einem Anwalt zu fahren und die Vernehmung dort fortzusetzen. Er kenne auch einen Anwalt. Der sitze nur ein paar Straßen weiter.

Wenige Minuten später ist mein Mandant im Streifenwagen, der Polizist kutschiert ihn zu einer Anwaltskanzlei. Während der Fahrt denkt der Beschuldigte allerdings noch mal nach. Er erinnert sich mal gehört zu haben, dass man ohne vorherige Akteneinsicht normalerweise besser schweigt. Ob der Anwalt denn nachher auch Akteneinsicht kriege, will er von dem Polizeibeamten wissen. Nein, lautet die Antwort, Akteneinsicht bekomme der Verteidiger später von der Staatsanwaltschaft. Heute gehe es nur darum, dass mein Mandant sich zur Sache äußert.

Daraufhin sagt der Mandant, dass er sich lieber selbst einen Verteidiger sucht. Das findet der Polizeibeamte weniger lustig, akzeptiert es aber letztlich.

Nichts gegen freundlichen Service. Aber wenn die Polizei mal anfangen sollte, mir Beschuldigte frei Haus zu liefern, würde ich mich darüber ebenso freuen wie über Pflichtverteidigermandate, die mir von Richtern vermittelt werden. Nämlich gar nicht.

Über eine Umschulung würde ich schon eher nachdenken.

Nicht gefragt

Ermittlungsfehler passieren. Schön, wenn man sie so deutlich darlegen kann wie in dieser Verteidigungsschrift:

Sehr geehrte Frau Staatsanwältin,

die Frage, ob mein Mandant das Passwort für die verschlüsselte Hardware herausgeben möchte, braucht nicht beantwortet zu werden.

Seit der Hausdurchsuchung ist über ein Jahr vergangen. Mein Mandant wurde erstmals nach dem Passwort gefragt, als er vor gut zwei Wochen die freigegebene Hardware abholen durfte. Vorher hat sich niemand bei ihm erkundigt, ob er das Passwort herausgeben möchte und wie es lautet.

Nun hat mein Mandant das Passwort vergessen. Das ist auch ganz natürlich, denn es hatte über 50 Stellen.

Aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis ergibt sich kein hinreichender Tatverdacht gegen meinen Mandanten. Ich beantrage deshalb, das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts einzustellen.

„Das überwachte Netz“ in Freiburg

Mit meinem kleinen Vortrag „Das überwachte Netz – Strafverfolgung im Internet“ bin ich am Freitag, 1. Oktober, in Freiburg zu Gast. Im Rahmen des Sommercampus referiere ich in der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Außerdem sagt der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Stefan Ernst etwas zum Thema „IT und Recht – Zwei Welten, zur Zusammenarbeit verdammt?“

Veranstalter des Sommmercampus sind der Lehrstuhl für Kommunikationssysteme und das Centre für Security and Society.

Der Eintritt ist kostenlos, eine Anmeldung nicht erforderlich. Der Sommercampus beginnt um 19 Uhr an der Georges-Köhler-Allee 101, Raum 016.

Willkommen auf der „Liste“

Wie wird man zu einem „Zeugen“ im Fall des vermissten Mirco? Man muss nur in Grefrath und Umgebung mit dem Auto unterwegs sein. Samt und sonders alle an „tatrelevanten Orten“ vorbeikommenden Wagen seien am Freitag von Radarwagen geblitzt worden, berichtet die Polizei.

Die Aktion habe vier Stunden gedauert. Etliche Autofahrer hätten angehalten und die Polizisten angesprochen, weil sie sich keiner Geschwindigkeitsübertretung bewusst gewesen sein. „Alle zeigten sich nach einer kurzen Aufklärung sehr verständnisvoll und zeigten sich erstaunt über den enormen Ermittlungsaufwand der Polizei“, heißt es im Polizeibericht.

Erstaunt wäre ich auch gewesen. Mein Verständnis hätte sich allerdings in Grenzen gehalten.

Die Polizei hofft offensichtlich, dass der Entführer des Jungen öfter die fraglichen Orte abfährt oder halt in der Gegend wohnt. „Mit viel Glück und Zufall ist vielleicht auch der Täter geblitzt worden“, wird ein Polizeibeamter zitiert. Was ja wohl nichts anderes heißt, als dass nun alle festgehaltenen Kfz-Kennzeichen und Insassenfotos durch die Datenbanken gejagt werden in der Hofnung, bei einem der Noch-„Zeugen“ könnten sich Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen ergeben.

Es gibt eine Rechtsgrundlage für die Fotos der Polizei. § 100h Strafprozessordnung erlaubt Bildaufnahmen außerhalb der Wohnung. Aber grundsätzlich nur vom Beschuldigten. Andere Personen, also die beliebig vorbeikommenden Autofahrer, dürfen nur fotografiert werden, „wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger vielversprechend oder wesentlich erschwert wäre“.

Die gesetzlichen Voraussetzungen können durchaus erfüllt sein. Wenn die Polizei nämlich schlichtweg keine anderen Ermittlungsansätze mehr hat. Dafür spricht, dass zeitgleich mit der Fotoaktion Listen in Grefrather Kneipen ausgelegt wurden. In diese Listen sollen sich freiwillig Gäste eintragen, die regelmäßig freitags dort sind oder am 3. September 2010, dem möglichen Tattag, dort waren. Das klingt, so traurig es ist, als würde die Polizei momentan nach dem letzten Strohhalm greifen.

Letztlich stellt sich bei der Blitzaktion die Frage nach der Verhältnimäßigkeit. Ist sie geeignet? Mit dem gleichen gedanklichen Ansatz könnte man auch alle Wohnungen in Grefrath durchsuchen, geht die Polizei doch erklärtermaßen davon aus, dass der Täter aus der Gegend kommt. Aber mit kriminalistischer Erfahrung lässt sich ja alles rechtfertigen. Und sei sie noch so plump wie die gern kolportierte Erkenntnis, Straftäter ziehe es immer wieder an ihre Tatorte zurück.

Juristen fragen aber auch nach der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. Hierbei ist sicher zu berücksichtigen, dass die Maßnahme bei allen jetzt (und vielleicht künftig) fotografierten Autofahrern Ängste auslösen wird. Was passiert mit den Fotos und den abgeglichenen Daten? Welche Umstände reichen aus, um als „Zeuge“ vorgeladen zu werden? Und welche, um eine unangemeldete Hausdurchsuchung zu bekommen? Oder gleich effektvoll am Arbeitsplatz verhaftet zu werden?

Wer als rechtschaffener Bürger die Pressemeldung liest und zur fraglichen Zeit in Grefrath war, muss jedenfalls ein ganz dickes Fell haben, wenn ihn der Gedanke nicht erschaudern lässt, dass er jetzt als potenzieller Täter in Betracht kommt („Mit viel Glück und Zufall ist vielleicht auch der Täter geblitzt worden“). Und dass er jetzt zumindest per EDV gründlich abgeklopft wird.

Die Polizei macht Grefrath damit auch für die nächste Zeit zu einer No-go-Area. Wer möchte sich in diese Stadt begeben, wenn er schlicht und einfach aufgrund dieses Umstandes fotografiert, datenmäßig durchleuchtet und danach mit Namen und Adresse sowie einem passenden Scorewert auf der „Liste“ mit interessanten Namen zu einem möglichen Schwerverbrechens landet? Absichtliches oder versehentliches Upgrade zum Verdächtigen sowie dauerhafte Speicherung in der Fallakte selbstverständlich eingeschlossen.

Es wird interessant sein zu erfahren, zu welchen Maßnahmen die kreativen Ermittler in Grefrath noch gegriffen haben oder es tun. Stichworte: Mobilfunk, Internetnutzung.

Noch interessanter wird sein, wie sie es mit ihren Informationspflichten nach Abschluss der Ermittlungen halten. Die Überwachten und Erfassten müssen nämlich grundsätzlich benachrichtigt werden, damit sie von den Maßnahmen überhaupt erfahren und, sofern sie es möchten, dagegen klagen können.

Loveparade: CDU glaubt nicht an Unschuld der Polizei

Die Polizei hatte ganz klar eine Zuständigkeit bei der Love Parade. Das behauptete gestern Peter Biesenbach, der Rechtsexperte der CDU-Landfraktion unter Berufung auf das Polizeigesetz. Er stellte sich damit gegen die Darstellung des Innenministers Ralf Jäger (SPD), nur der Veranstalter sei verantwortlich gewesen.

Damit verbreite Jäger nur eine „Vernebelungsgeschichte“. Die Frage sei doch, ob die „unkoordinierten“ Absperrungen der Polizei nicht ursächlich mit den Todesfällen in Zusammenhang stehen, sagte Biesenbach. „Viele Besucher konnten sich 30 Minuten lang nicht bewegen, erst nach Auflösung der Sperren begann die Flucht – hat die Polizei diese Gefahrensituation erst geschaffen?“

Dennoch sieht die CDU-Fraktion momentan keine Möglichkeit, mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Katastrophe mit 21 Toten aufzuklären. „Unsere Fragen gingen hauptsächlich an Polizeibeamte; die aber dürfen sich wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Duisburg auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen“, erklärte Biesenbach.

Das Ziel der CDU sei nach wie vor die Aufklärung der Katastrophe. Ein Untersuchungsausschuss sei aber „derzeit nicht tauglich“. Denn das Innenministerium habe der Fraktion zwar Unterlagen überlassen, die aber alle „vertraulich“ gestempelt. In der kommenden Woche berät der Landtag über einen Antrag der Linken zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. (pbd)