Öh, ja.

Jeder hat Anspruch auf seinen gesetzlichen Richter. Dieser Richter muss von vornherein feststehen. Das regeln Geschäftsverteilungspläne. Diese Pläne können geändert werden, wenn es Probleme gibt, die aufgelaufenen und neu hereinkommenden Fälle zu bewältigen. Oder wenn eine Abteilung des Gerichts zu wenig zu tun hat. Was aber eher selten vorkommt. So eine Änderung muss nachvollziehbar sein, sonst könnte ein Angeklagter rügen, vom falschen Gericht verarztet zu werden.

Eben lese ich folgende Begründung für eine Änderung der Geschäftsverteilung:

Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts wird aus Anlass der Beurlaubung von Vors. Richter am Landgericht Dr. R., der Überlastung der 7. großen Strafkammer sowie der fortbestehenden Überlastung der 10. großen Strafkammer und der 14. großen Strafkammer, der planmäßigen Anstellung von Richter Dr. N – bisher Landgericht X – bei dem Landgericht, des bevorstehenden Abschlusses der Hauptverhandlung in dem Strafverfahren gegen K. sowie des geänderten Dienstleistungsauftrags für Richter S. … geändert.

Der Nutzwert so einer Begründung ist für den Außenstehenden eher gering. Die Anlässe sind genannt, aber mit keinem Wort wird erklärt, was wie zusammenhängt und warum nun gerade die Änderung erforderlich sein soll. Die Änderung sieht übrigens wie folgt aus:

Die 32. kleine Strafkammer übernimmt von den am 31. August 2010 (Geschäftsende) bei der 23. kleinen Strafkammer anhängigen, noch nicht erledigten Strafverfahren die drittälteste Sache, die sechstälteste Sache, die neuntälteste Sache, die zwölftälteste Sache und so weiter, wobei die Verteilung getrennt erfolgt für Berufungen, mit denen ein Urteil des Strafrichters angefochten wird, und solchen, mit denen ein Urteil des Schöffengerichts oder des erweiterten Schöffengerichts angefochten wird.

Öh, ja. Der Gesetzgeber wusste offensichtlich, warum er den Angeklagten verpflichtet, Fehler in der Geschäftsverteilung zu Beginn der Hauptverhandlung zu rügen. Unterlässt der Angeklagte dies, kann er später nicht mehr geltend machen, ihm sei der gesetzliche Richter vorenthalten worden.

Unabhängig davon kann ein Blick in den Geschäftsverteilungsplan sowieso nie schaden, wenn man mit der vorgesehenen Kammer nicht einverstanden ist. Früher musste man dafür meist ins Vorzimmer des Präsidenten und sich die betreffenden Aktenordner raussuchen lassen. Heute ist es oft leichter. Viele Gerichte haben die Geschäftsverteilungspläne online gestellt.

Nichts sagen, gehen

Die Sendung „Tatort Internet“, von Bild inzwischen zur Doku des Jahres geadelt, hinterlässt auch im wirklichen Leben Spuren. Möglicherweise ist gestern der erste „Täter“, der vor laufender Kamera gestellt wurde, geoutet worden. Jedenfalls kursieren Name und Adresse einer realen Person nun im Internet.

Dazu netzpolitik.org:

Gestern, noch während, bzw. kurz nach der Ausstrahlung der zweiten Folge der 10-teiligen Reihe ist es dann passiert. Bei Twitter und in einschlägigen Foren wurden erste Hinweise auf die Identität eines der Beschuldigten gepostet. Bis zum Klarnamen inkl. Postanschrift waren es zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei Mausklicks. Inzwischen liefert der passende Suchbegriff das entsprechende Topergebnis bei Google.

Ein kurzer Abgleich mit dem “Täterprofil” bei Bild-Online, wo sich die bereits die Sendungsbeschreibung liest, als sei die Phantasie mit dem Autor durchgegangen, macht das Bild für Hobbyermittler stimmig: Das muss das Schwein sein!

Es handelt sich bei den Betroffenen um Personen, denen keine Straftat nachzuweisen sein dürfte (auch wenn die Macher der Sendung das gern ändern würden). Wie letzte Woche zu lesen war, hat die Polizei bisher in keinem der Fälle einen Anfangsverdacht gesehen und Ermittlungen dementsprechend abgelehnt.

Selbst wenn das Verhalten der gezeigten Männer strafbar wäre, dürften sie nicht geoutet werden, auch nicht durch recht detaillierte Schilderungen ihrer Lebensumstände in den Begleitmaterialien und Pressemitteilungen. Auch für diese Betroffenen gilt die Unschuldsvermutung und sie haben einen Anspruch darauf, nicht öffentlich bloßgestellt zu werden. Nicht mal am Rande einer Gerichtsverhandlung wäre dies zulässig.

Nicht auszudenken, wenn sich die nach jeder Sendung offenbar emsigen Internetdetektive irren. Ein paar falsch zusammengesetzte Informationsbruchstücke, falsche Rückschlüsse – schon ist möglicherweise das Leben eines komplett Unbeteiligten zerstört. Die amerikanische Sendung, an die sich „Tatort Internet“ anlehnt, führte zu mindestens einem Selbstmord.

Bleibt fast nur die Hoffnung, dass die Sendung gescriptet ist, die Bösewichte in Wirklichkeit freiwillig mitspielen und sich ihre Auftritte (zumindest nachträglich) bezahlen lassen. Manche Szenen sprechen fast dafür. Denn es ist schon verwunderlich, mit welch gekünstelter Verblüffung manche Männer sich Männer von Kameras umringen lassen, sich Vorwürfe anhören und dann in den Rechtfertigungsmodus schalten.

Es ist damit zu rechnen, dass „Tatort Internet“ kein singuläres Format bleibt. Andere Sender werden auf dieser vermeintlich investigativen Schiene nachziehen und auch neue Themenbereiche ausmachen.

Da ist es vielleicht keine schlechte Idee, sich einige kurze Verhaltensregeln für den Umgang mit Kamerateams aufzuerlegen, die im Auftrag des Boulevards unterwegs sind. Dazu gehört in erster Linie, schlicht nichts zu sagen und einfach zu gehen. Und zwar in jedem Fall, in dem man Sinn und Zweck der Fernsehpräsenz nicht klar einordnen kann. Solche Fernsehteams haben keinerlei Rechte, das einfache Weggehen (oder das Zuknallen der Tür) zu verhindern. Auch nicht die von RTL 2 gern ins Bild gerückten Bodyguards.

Falls man aus welchen Gründen auch immer nicht wegkommt, sollte man der Aufnahme freundlich widersprechen und den Namen und die Adresse des redaktionell Verantwortlichen verlangen – gern auch in gleichförmiger Wiederholung. Wenn das nicht wirkt und man sich genötigt fühlt, hilft vielleicht noch ein Anruf bei der Polizei.

Letztlich bleibt dann die (vorbeugende) Unterlassungsklage. Sofern die Rechtsabteilung des Senders nicht ohnehin schon auf eine Abmahnung nachgibt. Womit eigentlich zu rechnen ist.

In Erscheinung getreten

Aus einer Strafanzeige der Polizei:

Nach hiesigen Erkenntnissen ist der Beschuldigte 2001 und 2002 wegen Betäubungsmitteldelikten (Handeltreiben) in Erscheinung getreten.

Monate später fordert das Gericht einen Auszug über die Vorstrafen meines Mandanten an:

Das Register enthält keine Eintragung

Tatsächlich gab es mal Ermittlungsverfahren. Eines wurde mangels Tatverdachts eingestellt. Wegen der zweiten Sache wurde mein Mandant vor Gericht freigesprochen. Weder das eine noch das andere hat offenbar dazu geführt, dass die Uraltdaten im Polizeicomputer gelöscht oder zumindest berichtigt wurden.

Mein Mandant sagt, er habe sich in den letzten Jahren schon ein paar Mal gewundert, mit welcher Akribie die Polizei bei allgemeinen Verkehrskontrollen sein Auto untersucht. Jetzt hat er dafür zumindest eine Erklärung.

Auch für Nichtmitglieder abrufbar

Die Betreiberin eines sehr gewissen Forums wirbt auf der Startseite mit rotierenden Profilbildern ihrer Mitglieder. Oder vermeintlicher Mitglieder. Denn ein unbekannter Dritter hatte sich mit einem privaten Foto meines Mandanten angemeldet. Dieses Foto tauchte dann wiederum in der Werbegalerie auf der Startseite auf.

Der Mandant war natürlich hoch erfreut, denn der thematische Schwerpunkt des Forums ist nicht unbedingt so gelagert, dass man damit in Verbindung gebracht werden möchte. Die Betreiberin der Seite ficht es allerdings nicht sonderlich an. Mit Urheberrecht und Recht am eigenen Bild muss sie sich nämlich nicht plagen:

Meine Teilnahmebedingungen sind auch für Nichtmitglieder abrufbar. Dort finden Sie alles zur Haftung.

Ein wenig muss der Dame wohl geschwant haben, dass sie mit dem lapidaren Hinweis auf ihre Ausschlussklauseln vielleicht doch nicht weiter kommt. Immerhin muss man ja kein Jurist sein um zu fragen, wieso diese Klauseln auch für jemanden gelten sollten, der sich nie auf der Seite angemeldet hat.

So schreibt die Forenbetreiberein dann auch, sie müsse „mangels Ahnung“ wohl ihren Anwalt fragen, wenn ich mit der Antwort nicht zufrieden sein sollte.

Das kann ich ihr wohl nicht ersparen.

Relativ freiwillig

Massengentests sind bei schweren Straftaten heute durchaus beliebt. Auf dem Papier ist der Test normalerweise „freiwillig“. Wer aber nicht willig ist, wird per Gerichtsbeschluss gefügig gemacht. Immerhin begründet die Weigerung, etwas zu tun, wozu man nicht verpflichtet ist, in den Augen von Richtern, die auch auf ihre Weise willig sind, einen Anfangsverdacht. So ging es einem 57-Jährigen aus Bielefeld, von dem die Neue Westfälische berichtet. Er hatte eine Speichelprobe verweigert, mit der ein Mörder aufgespürt werden sollte und wurde mit Polizeigewalt dazu gezwungen.

Die gesamte Maßnahme war rechtswidrig. Das hat jetzt das Landgericht Bielefeld entschieden. Aus dem Bericht:

Die Tatsache, dass Schöpf in das vom Landeskriminalamt entworfene Täterprofil passt, spielt laut Landgericht keine Rolle. Die Merkmale (männlicher Einzeltäter zwischen 14 und 80 Jahren, Ortskenntnisse) seien so allgemein, dass „damit im Wesentlichen nur weibliche Täter“ ausgeschlossen seien, so das Gericht in seiner Begründung.

Den Anwalt des Betroffenen zitiert die Zeitung so:

Natürlich muss alles getan werden, um den Mord aufzuklären. Doch dabei haben sich alle Behörden an das geltende Gesetz zu halten. Man kann über unbescholtene Bürger nicht einfach hinwegpreschen und ihre Menschenrechte verletzen.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Danke an Peter M. für den Link)

Drogen: Polizisten fordern mehr Spielraum

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterstützt Forderungen von Drogenexperten zur stärkeren Konzentration der Strafverfolgung auf Dealer und Drogenhändler. Nach dem geltenden Recht müssen Polizeibeamte Cannabisbesitz bereits ab dem ersten Gramm strafrechtlich verfolgen, obwohl die entsprechenden Ermittlungsverfahren anschließend reihenweise von der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.

„Das bindet ungeheuere Ressourcen und hindert die Polizei daran, zielgerichtet gegen die Dealer und Hintermänner des Drogenkartells vorzugehen”, sagt. Die GdP fordert, dass die Polizei ebenso wie die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit bekommen muss, selbst zu entscheiden, ob sie den Besitz von Kleinstmengen von Cannabis zur Anzeige bringt. „Das Ziel muss die Eindämmung des Drogenkonsums sein, nicht die Kriminalisierung der meist jugendlichen Drogenkonsumenten”, fordert Richter.

Justizminister Kutschaty begründete auf einer Tagung der GdP zum Thema noch einmal die Pläne der NRW-Landesregierung, den Grenzwert, bis zu dem die Staatsanwaltschaft Verfahren wegen des Besitzes von Cannabis einstellen kann, wieder von 6 auf 10 Gramm heraufzusetzen. Die Einstellung des Verfahrens werde es aber nicht zum Nulltarif geben und nur für Erst- und Zweittäter, betonte Kutschaty.

In Deutschland probiert ein Drittel aller 12- bis 25-Jährigen mindestens einmal im Leben Cannabis. Für viele Jugendliche gehört das Ausprobieren von Cannabis zu einer vorübergehenden Lebenserfahrung. „Diese Lebensrealität vieler Jugendlicher muss der Gesetzgeber zur Kenntnis nehmen”, fordert der nordrhein-westfälische GdP-Vorsitzende. „Wichtiger als die Verfolgung jedes Gramms Cannabis-Besitzes ist die konsequente Verfolgung der Dealer und Profiteure des Drogenhandels und der Ausbau von Hilfsangeboten für Drogenabhängige.”

Virtuelles MS-Office

Zu Windows Live bin ich gekommen, weil Microsoft mit „Skydrive“ 25 GB Online-Speicherplatz bietet. Das ist deutlich mehr als zum Beispiel Googles Picasa, wo in der Basisversion schon bei 1 GB Schluss ist. Überdies lassen sich auf Skydrive Dateien jeder Art parken. Das ist also die Basis für ein ganz praktisches Archiv (wenn man nicht vergisst, was man wie aus der Hand gibt).

Heute ist mir aufgefallen, dass Windows Live jetzt auch für deutsche Kunden die bereits angekündigte Erweiterung erfahren hat: Die virtuelle Office-Version ist freigeschaltet worden. Es lassen sich Word-, Excel-, Powerpoint- und OneNote-Dateien erstellen und ansehen. Die Programme stehen online nur in abgespeckter Version zur Verfügung. Ich habe mir mal Word angeschaut – viel mehr also die online verfügbaren Funktionen brauche ich als Grafikmuffel ohnehin nicht. Ob das Ganze an Google Docs ranreicht, müsste man allerdings genauer prüfen.

Mir scheint, gerade auch Microsoft-Verweigerer können von dem virtuellen Office profitieren. Denn jeder kommt ja durchaus mal unfreiwillig in die Verlegenheit, dass er Dateien in Office-Formaten nicht nur erhält, sondern sie auch bearbeiten, komplett erstellen oder zumindest zur Kenntnis nehmen muss. Das aufgepeppte Windows Live erspart einem in diesem Fall die Installation irgendwelcher Programme von Microsoft. Und natürlich die damit verbundenen Kosten.

Zoll hört auch Skype-Telefonate mit

Mitte August hatte ich in einem Strafverfahren erfahren, dass der Zoll seit einiger Zeit in der Lage ist, verschlüsselte Internettelefonate abzuhören. Auch solche, die über Skype geführt werden.

Die Bundesregierung hat jetzt auf Anfrage der FDP-Fraktion bestätigt, dass diese Information korrekt ist. Der Zoll nutze ein Programm, das er direkt auf die Systeme der Skype-Nutzer aufspiele, berichtet der Spiegel.

Für die Bundesregierung handelt es sich um einen Fall zulässiger Quellen-Überwachung. Es würden nur laufenden Telekommunikationsvorgänge überwacht. Das kann man allerdings auch anders sehen. Jedenfalls dürften nach der Infiltration des genutzten Computers keine sonderlich großen Hürden bestehen, um das gesamte System auszuspähen.

Wie die Software auf den Computer kommt, scheint die Bundesregierung nicht verraten zu haben.

BKA informiert nur „ausgewählte Journalisten“

Das Bundeskriminalamt präsentiert der Presse heute Fälle, deren Aufklärung nur mit der Vorratsdatenspeicherung möglich gewesen sein soll. Oder angeblich wegen fehlender Vorratsdatenspeicherung gescheitert ist. Genaues weiß man deshalb nicht, weil das Bundeskriminalamt zwischen guter und schlechter Presse unterscheidet – und nur genehme Medien einlädt.

Zeit online beklagt sich jedenfalls auf Twitter darüber, dass nur „ausgewählte Journalisten“ eingeladen worden seien. Die Redaktion gehört offensichtlich nicht dazu – was sie allerdings als Kompliment verstehen darf.

Das Verhalten des Bundeskriminalamtes wirft die Frage auf, ob die gezielte Streuung von Informationen und die Verhinderung des Zugangs interessierter, aber möglicherweise kritischer Pressevertreter sich so gehört.

Das Bundeskriminalamt ist kein Autobauer, Brausehersteller oder Mobilfunkanbieter, für den Pressearbeit in erster Linie Marketing ist (und sein darf). Als Behörde ist das Bundeskriminalamt zu einer fairen Pressearbeit verpflichtet. Dazu gehört nach dem Gesetz, den Medien Auskünfte zu erteilen, also deren Fragen zu beantworten – so lange keine wichtigen Gründe dagegen sprechen. Einen gesetzlichen Anspruch darauf, auf Pressekonferenzen eingeladen zu werden, gibt es nicht. Wohl aber den an sich selbstverständlichen Grundsatz, Presseinformationen fair zu verteilen.

Auch wenn das Bundeskriminalamt sich mit seinen Exklusiv-Pressekonferenzen nicht rechtswidrig verhält, sondern juristisch höchsten grenzwertig agiert, muss es sich den Vorwurf gefallen lassen, hier offensichtlich einseitig und mit lobbyistischer Denkweise zu agieren.

Beides passt vielleicht zu Apple, aber nicht zu einer Polizeibehörde.

Bleibt nur der Trost, dass sich das Bundeskriminalamt mit solchen Methoden langfristig wohl mehr schadet als nützt.

Netzpolitik.org zum gleichen Thema

Zu viele ebay-Auktionen machen verdächtig

Der Privatverkäufer auf ebay war zweifellos fleißig. In anderthalb Monaten verkaufte er 182 Mobiltelefone, davon 46 Stück Neuware in Originalverpackung. 22 Mobiltelefone hatte der Mann im fraglichen Zeitraum bei ebay selbst gekauft. Somit war die Herkunft von 160 Geräten ungeklärt – jedenfalls in den Augen der bayerischen Polizei. Die schaut sich regelmäßig auf ebay um und sucht Hinweise auf Straftaten. In diesem Fall störte sie sich daran, dass der Verkäufer kein Gewerbe angemeldet hatte. Überdies verkaufte er gerade die Neuware zu sehr günstigen Preisen.

Was lag näher, als mal bei ihm vorbeizuschauen? Die Polizei sah selbst noch keinen konkreten Verdacht auf eine Straftat. Sie wollte ihre Durchsuchung deshalb auf das Polizeiaufgabengesetz stützen. Nicht nötig, befand ein Ermittlungsrichter am Amtsgericht Nürnberg und haute einen klassischen Durchsuchungsbefehl raus. Tatverdacht: Hehlerei.

Auch das Beschwerdegericht bejahte den Tatverdacht. Angesichts der hohen Anzahl der versteigerten Geräte insgesamt und des hohen Anteils von neuwertigen, originalverpackten Geräten bestehe durchaus der Verdacht, dass die Geräte nicht auf legalem Weg in den Besitz des Verkäufers gelangt seien. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, weil mit der Auffindung von Beweismitteln zu rechnen gewesen sei. Es erscheine zudem von vornherein aussichtslos, die Ersteher der Geräte, die zu dem Beschwerdeführer aufgrund der Anonymität der Plattform regelmäßig keinen weiteren Kontakt hätten und sich allein auf dessen Angaben zu der Ware verlassen müssen, zu deren Herkunft zu befragen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Durchsuchungsbeschluss nun für rechtswidrig erklärt.

Die Entscheidung zeigt zunächst, welch hohen Stellenwert das Gericht der Unverletzlichkeit der Wohnung einräumt:

Art. 13 Abs. 1 GG gewährt einen räumlich geschützten Bereich der Privatsphäre, in dem jedermann das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus.

Die notwendigen Verdachtsmomente vermag das Gericht nicht zu erkennen:

Der Verdacht der Hehlerei (§ 259 StGB) setzt unter anderem den Verdacht voraus, dass die Sache durch einen Diebstahl oder ein anderes Vermögensdelikt erlangt worden ist. Im vorliegenden Fall wird der Tatverdacht allein darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer in kurzer Zeit eine große Anzahl von Mobiltelefonen, von denen einige originalverpackt gewesen sind, über die Internetplattform ebay versteigert und dabei Verkaufserlöse erzielt hat, die in der Regel unter dem Preis der billigsten Anbieter gelegen haben.

Hierbei handelt es sich indes noch nicht um zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Mobiltelefone aus einer gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat stammten. Allein aus der Anzahl der verkauften Mobiltelefone kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf eine Straftat geschlossen werden.

Solche weiteren tatsächlichen Anhaltspunkte werden in den angegriffenen Beschlüssen indes nicht aufgezeigt. Der Hinweis auf die Verkaufserlöse ist eine bloße Behauptung; es hätte zumindest der beispielhaften Gegenüberstellung von erzielten und handelsüblichen Preisen bedurft.

Auch aus dem Auftreten des Beschwerdeführers als Privatperson kann nicht ohne weiteres auf die Verwirklichung des Straftatbestandes der Hehlerei geschlossen werden. Die Annahme des Verdachts der Hehlerei beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen.

Die Geschichte zeigt, wie der „fürsorgliche Staat“ mittlerweile funktioniert. Nichts an den Verkäufen war illegal. Aber in der Summe sahen die Ermittler Ansätze, um misstrauisch zu sein. Um dieses Misstrauen zu bestätigen, wird dann aber der Fehler begangen: Legales Verhalten, Legales Verhalten und legales Verhalten werden addiert – und in der Summe kommt der Verdacht auf illegales Verhalten raus.

Glücklicherweise streicht das Bundesverfassungsgericht mitunter noch solche Milchmädchenrechnungen mit dem Rotstift durch.

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wenigsten Betroffenen bis nach Karlsruhe gehen. Überdies nimmt das Bundesverfassungsgericht die weitaus meisten Verfassungsbeschwerden auch aus diesem Bereich nicht zur Entscheidung an. Die Richter in Karlsruhe setzen immer noch darauf, dass die von ihnen exemplarisch entschiedenen Fälle nicht nur von den Richtern an der Basis gelesen, sondern auch als Leitfaden verstanden werden.

Meine alltägliche Erfahrung belegt, genau dies ist nicht der Fall. Die „Vorgaben“ aus Karlsruhe werden gerne ignoriert, denn im Zweifel kostet Nachschauen ja nichts. Oder, um ein in letzter Zeit modern gewordenes, aber dennoch zynisches Argument aus Durchsuchungsbeschlüssen zu zitieren:

Die Durchsuchung dient letztlich auch dazu, Beweismittel aufzufinden, welche den Beschuldigten entlasten können.

Robustes Vorgehen fällt auch leicht, denn es drohen ja keinerlei dienstliche Konsequenzen. Und in den allermeisten Fällen kommt man nicht mal zu einem Beweisverwertungsverbot – dem angeblich höherrangigen Strafverfolgungsinteresse des Staates sei Dank.

Wieso sollte man in dieser Konstellation den Grundrechten des Bürgers im Zweifel Vorrang einräumen?

Link zur Entscheidung

„Das ist so, als ob ein Pastor einen Puff hat“

Die Internetseite begrüßt Besucher mit dem Foto einer Automatikwaffe. Die Pistole kreist auf dem Bildschim, zeigt auch schon mal mit der Mündung auf den Betrachter. Beim Inhaber der Webseite können Lang- und Kurzwaffen besichtigt und gekauft werden.

Betreiber der Seite „Verler Waffen Kontor“ ist Ralf E (42). Der Schusswaffenhandel ist nur der Nebenerwerb des Mannes. Hauptberuflich betreut er im Range eines beamteten Justizhauptsekretärs Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne. Die Gefangenen soll er zurück auf den rechtschaffenen Weg bringen, gewaltsame Täter zu friedlichem Verhalten resozialisieren.


Verler Waffen Kontor (Screenshot)

Die beiden Jobs mögen sich optisch widersprechen. Doch ist alles wohl legal. Ralf E., der vom Staat monatlich etwa 2.100 Euro netto bekommt, hat sich vor drei Jahren die Internetseite aufgebaut und das Verler Waffen Kontor eröffnet. Er hat die nötigen Genehmigungen eingeholt. Keine Behörde hat Probleme gemacht.

Da gab es den damaligen Leiter des Gefängnisses, der über den Antrag zu urteilen hatte. Einverstanden. Das Landesjustizvollzugsamt in Wuppertal, inzwischen aufgelöst, gab grünes Licht. Die Industrie- und Handelskammer hat zugestimmt. Der Polizeipräsident Gütersloh (zuständig für Waffenhändler), hat ebenfalls geprüft und keine Probleme gesehen.

„Das war ein normaler Vorgang“, sagt Behördensprecher Karl-Heinz Stehrenberg noch immer, „der Mann ist zuverlässig. Wir haben keine Beanstandungen.“ Die kamen erst vor kurzem – von einem Nachbarn des Justizbeamten.

Die Kunden des Waffenhändlers blockierten die Einfahrt des Nachbarn. Dieser beschwerte sich. Nachdem der Streit publik wurde, zeigt sich Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) zumindest erstaunt über den Nebenjob des Vollzugsbeamten. Der Minister will „eine schnelle Klärung“.

Daran arbeitet Uwe Nelle-Cornelsen gerade. Er leitet seit einem Jahr die JVA Bielefeld. Noch hat er nicht alle Personalakte seiner 430 Mitarbeiter durchkämmt. Im Fall von Ralf E. sieht er zumindest „Probleme“, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat.

Aber: Das Verler Waffenkontor sei nun mal genehmigt, Missbrauch nicht ersichtlich. Die juristische Prüfung, lässt der Gefängnisleiter durchblicken, könne schwierig werden. Sollte die Genehmigung widerrufen werden, könnte der Beamte dagegen vor dem Verwaltungsgericht klagen.

Bleibt womöglich nur ein Appell, der von einem kommt, der die Interessen der Beamten vertritt. Klaus Jäkel, der Landeschef des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, sagt es ebenso bedächtig wie streng: „Rechtlich ist das alles tausendprozentig durchleuchtet. Aber die Vollzugsmitarbeiter sind es, die Gefangene auf einen sozialen Weg zurückbringen soll.“ Und dann, Jäkel holt tief Luft, wagt er den moralischen Vergleich: „Das ist so, als ob ein Pastor einen Puff hat.“ (pbd)

Haudrauf in Mannheim

Ich mache den Job schon 15 Jahre. Eigentlich dachte ich, so ziemlich jede merkwürdige Situation in einem Strafverfahren erlebt zu haben. Der Prozess gegen Jörg Kachelmann belehrt mich aber eines Besseren. Das Landgericht Mannheim hat es heute tatsächlich geschafft, einen Gutachter als befangen abzulehnen – weil ihm dessen Standpunkt und Ergebnisse nicht passen.

Die Verteidigung hatte den renommierten Rechtsmediziner Bernd Brinkmann als Gutachter engagiert. Dieser hatte die angeblichen Spuren einer Vergewaltigung als Selbstverletzungen bewertet. Wie Spiegel online berichtet, weiß es das Landgericht Mannheim offenbar besser als der Experte. Der Professor habe nicht berücksichtigt, dass die Spuren auch von Sado-Maso-Sex stammen könnten. Im übrigen überbetone er seinen eigenen Standpunkt.

Es ist schon ein höchst merkwürdiger Vorgang, wenn ein Gericht schlauer ist als ein ausgewiesener Experte – noch bevor dieser in der Hauptverhandlung sein Gutachten erstattet hat. Geradezu extraordinär ist aber ein Gericht, das dem Sachverständigen sogar so weit überlegen ist, dass es ihm Voreingenommenheit nachweisen kann und ihn über die Besorgnis der Befangenheit kurzerhand aus dem Verfahren kickt.

Es kommt gar nicht so selten vor, dass sich Sachverständige in Strafprozessen widersprechen. Das passiert meistens dann, wenn die Verteidigung eigene Sachverständige aufbietet. Das ist ein klarer Vorteil zahlungskräftiger Angeklagter. Das Gericht muss sich dann normalerweise für die eine oder andere Sicht der Dinge entscheiden. Es darf also die Ausführungen des einen Sachverständigen für wissenschaftlicher und zutreffender halten als die des anderen.

Wieso das Landgericht Mannheim aber meint, einen von der Verteidigung aufgebotenen Sachverständigen geradezu abkanzeln zu müssen, indem es ihn nicht mal anhört, sondern rausschmeißt wie einen renitenten Zuschauer, ist für mich nicht nachvollziehbar. Vor allem deshalb nicht, weil ich auch schon mal Gutachten von Bernd Brinkmann gehört habe. Der Mann beherrscht nicht nur sein Fach, er drückt sich auch klar aus.

Das Gericht bestätigt durch seine Entscheidung den Eindruck, dass es sich schon mal grob festgelegt hat und alles tut, um das anvisierte Ziel nicht zu verfehlen. Das ist umso bedrückender, als das Gericht ja auch bislang nicht nur keine gute Figur, sondern sogar schon handfeste Fehler gemacht hat. Vom Oberlandesgericht musste sich die Strafkammer am Landgericht Mannheim attestieren lassen, dass sie Jörg Kachelmann monatelang zu Unrecht eingesperrt und ihn damit wohl endgültig jeder beruflichen Perspektive als Fernsemoderator beraubt hat.

Man kann nur hoffen, dass es die Richter jetzt nicht einfach mal ein paar Leuten zeigen wollen. Ihre Haudrauf-Mentalität, man könnte auch von einer Überbetonung des eigenen Standpunktes sprechen, gegenüber dem Sachverständigen deutet leider genau in diese Richtung.