Zoll jubelt Ahnungslosem Spionagesoftware unter

Vor einiger Zeit hatte ich über fragwürdige Ermittlungsmethoden des Landeskriminalamtes Bayern berichtet (Link zum Beitrag). Die Beamten hatten einen Trojaner auf den Computer eines Geschäftmannes geschmuggelt. Die Spionagesoftware überwachte dessen Online-Aktivitäten durchgehend – unter anderem mit einem Screenshot alle 30 Sekunden.

Die vom Landgericht Landshut teilweise für rechtswidrig erklärte Aktion warf Fragen auf. Unter anderem danach, wie der Trojaner auf den Computer des Beschuldigten kam. Haben sich Beamte heimlich Zutritt zur Wohnung verschafft? Wurde die Software über infizierte Mails aufgespielt? Oder gab es gar eine “Online-Durchsuchung”?

Alles falsch, hat Spiegel online recherchiert. Tatsächlich soll die Polizei den Betroffenen am Münchner Flughafen abgepasst haben. Bei seiner Rückkehr aus Indien sei eine Routinekontrolle mit Hilfe des Zolls fingiert worden. Dabei sei ein Zollbeamter auch kurz mit dem Notebook des Mannes in einen Nebenraum gegangen. Das wirkte wohl wie die übliche Sprengstoffkontrolle, wie sie jeden Tag hunderten von Flugreisenden in ganz Deutschland widerfährt – wenn auch eher beim Abflug.

Sein Notebook habe der Beschuldigte schon nach einigen Minuten wieder bekommen. Allerdings sei in der Zwischenzeit die Spionagesoftware aufgespielt worden, die dann über Monate zum Einsatz kam. Allein 60.000 Fotos fänden sich in der Ermittlungsakte.

Der Verdächtige soll nicht zu dem Personenkreis gehören, für den die Online-Durchsuchung eigentlich gedacht ist. Also mutmaßliche Terroristen oder Schwerverbrecher. Vielmehr gehe es um die Ausfuhr von Medikamenten, welche nach Auffassung der Staatsanwaltschaft illegal sei. Bis heute liege noch nicht mal eine Anklage vor.

Zu großer Sarg oder zu kleines Grab?

Der Osnabrücker Sargstreit hat ein Ende gefunden. Die Stadt zahlt an den Sohn eines Verstorbenen vergleichsweise 500 Euro.

Der Mann hatte geklagt, weil die Grube bei bei der Beerdigung seines Vaters zu klein war. Der Sarg wurde zunächst schräg eingelassen, wobei der Leichnam deutlich hörbar verrutschte. Zu Ende gebracht werden konnte die Beerdigung erst, als die Grube vergrößert worden war.

Der Sohn des Verstorbenen hatte die Hälfte des Sargpreises als Schadensersatz verlangt. Nach seiner Darstellung war der Sarg bei dem missglückten Manöver beschädigt worden. Ein zusätzliches Schmerzensgeld sollte die Stadt zahlen, weil der Leichnam sich für alle Anwesenden deutlich hörbar bewegt hatte. Dies habe zu Schockzuständen geführt.

Wegen des Schmerzensgeldes sah das Gericht keine Aussicht auf Erfolg. Der Kläger nahm diesen Antrag deshalb zurück. Wegen der Sargschäden war die Stadt schließlich bereit, 500 Euro zu zahlen. Sie hatte sich vorher damit verteidigt, die Grube sei nicht zu schmal ausgehoben gewesen. Vielmehr sei der Sarg unüblich hoch gewesen. Hierauf seien die Friedhofsmitarbeiter nicht hingewiesen worden.

Beichtvater

In einem Rechtsstreit hatte die Gegenseite den Hausmeister als Universalzeugen benannt. Er sollte bestätigen, dass sich gewisse Dinge so und nicht anders zugetragen haben. Wir haben den Hausmeister als Zeugen abgelehnt, weil er nur vom “Hörensagen” berichten kann. Zeugen taugen normalerweise nur etwas, wenn sie etwas selbst gesehen oder gehört haben.

Darauf schreibt die andere Seite:

Ein Hausmeister ist nun einmal, was als gerichtsbekannt unterstellt wird, mehr oder weniger der “Beichtvater”, an welchen zu beanstandende Vorgänge in dem von ihm betreuten Anwesen in allererster Linie herangetragen werden.

Natürlich kann ein Hausmeister nicht ständig vor Ort sein und damit alle einzelnen Vorgänge direkt mitbekommen. Ihm werden sie aber zugetragen, so dass er zwangsläufig in allererster Linie vom “Hören-Sagen” berichten kann.

Es ist zwar erkennbar das Gegenteil gemeint, aber eigentlich gibt man uns recht. Ist ja auch mal schön.

Annähernd

Ermittlungsbericht wegen eines Sexualdelikts. Es steht Aussage gegen Aussage. Die Tat soll fast zehn Jahre zurückliegen. Es gibt keine objektiven Spuren. Der zuständige Beamte schreibt:

Die Geschädigte leidet unter einer schizophrenen Störung, welche stationär behandelt wird. Derzeit schizoaffektive Störung, zur Zeit manische Episode. Sie steht unter Betreuung.

Anzumerken ist, dass die Geschädigte auch ihren Stiefvater des sexuellen Missbrauchs beschuldigte.

(Einschub: Zu dieser weiteren Beschuldigung gegen den Stiefvater, der nicht der jetzige Beschuldigte ist, gibt es ein Gutachten in der Akte. Danach waren die Vorwürfe gegen den Stiefvater Teil der wahnhaften Symptomatik im Rahmen einer akuten psychotischen Episode. Es liege “keine Glaubwürdigkeit vor”. Einschub Ende.)

Die vernehmende Kriminalbeamtin schätzt die Geschädigte als glaubwürdig ein. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen dürfte sich die Tat annähernd so ereignet haben, wie sie von der Geschädigten dargestellt wird.

Finde den Fehler.

Überfallartig

Gleich nach der Frage: Bin ich überhaupt zuständig? katalogisiert ein pflichtbewusster Polizeibeamter den neu hereingekommenen Fall für die Kriminalstatistik. Auf der ersten Seite einer Ermittlungsakte lese ich soeben zum Beispiel:

Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung – im bes. schw. Fall überfallartig durch Einzeltäter.

Das ist auch der Text, den ein Staatsanwalt oder Richter als erstes zur Kenntnis nimmt, wenn ihm die Unterlagen auf den Tisch kommen. Natürlich lässt man sich als Profi von so was überhaupt nicht beeindrucken, sondern beginnt unbeeinflusst und neutral zu lesen, um sich am Ende anhand der zusammengetragenen Fakten ein objektives Bild zu machen.

Natürlich.

Pflichtenheft für Filesharing-Richter

Das Landgericht Köln ist bei Abmahnanwälten sehr beliebt. Die dort tätigen Richter hatten in der Vergangenheit kein Problem, so gut wie jeden Antrag in Sachen Filesharing durchzuwinken. Vieltausendfach verdonnerte das Landgericht Köln Provider (meist den Platzhirsch Telekom) dazu, die Namen von Anschlussinhabern rauszugeben, die über ihren Internetanschluss geschützte Filme oder Musik getauscht haben sollen. Das alles geschah erkennbar per Textbaustein. Juristische Bedenken wurden stets mit den gleichen Floskeln abgebügelt. Doch so langsam tut sich was in den Massen-Auskunftsverfahren, die Grundlage für alle Filesharing-Abmahnungen sind. Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Köln, bremst bereits zum wiederholten Mal den “Arbeits”eifer des Landgerichts Köln.

Erst vor kurzem hatte das Oberlandesgericht Köln ein Ablaufdatum für Musik und Filme festgelegt. Bei Stücken, die älter als sechs Monate sind, betrachten die Richter die “Abverkaufsphase” regelmäßig als beendet. Bei Material jenseits des Ablaufdatums könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass ein Filesharer “gewerbsmäßig” handelt. Ohne gewerbsmäßiges Handeln dürfen die Anschlussdaten aber gar nicht herausgegeben werden; es soll nämlich, so die ursprünglich hehre und von den Gerichten beharrlich ignorierte Wunschvorstellung des Gesetzgebers, nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden.

Nun meldet sich das Oberlandesgericht Köln erneut zu Wort. Diesmal geht es um schlampig aufbereitete, in sich widersprüchliche Anträge, die das Landgericht dennoch abgesegnet hat. Konkret geht es darum, dass die Abmahnanwälte dieselbe IP-Adresse mehrfach für unterschiedliche Tage aufführten. Das verwunderte den Abgemahnten, denn nach seiner Kenntnis praktiziert sein Provider das System der “Zwangstrennung”. Dabei wird der Anschluss mindestens alle 24 Stunden vom Netz getrennt und bei neuer Einwahl eine andere IP-Adresse vergeben.

Das Oberlandesgericht Köln teilt die Bedenken:

Einem Anschlussinhaber wird also jedenfalls nach spätestens 24 Stunden … eine neue IP-Adresse zugewiesen. Dass es sich dabei um dieselbe IP-Adresse handelt, die dem Anschlussinhaber bereits zuvor zugewiesen war, ist angesichts der zufälligen Vergabe von IP-Adressen und der Anzahl zur Verfügung stehender IP-Adressen höchst unwahrscheinlich. … Es ist daher von erheblich höherer Wahrscheinlichkeit, aber jedenfalls zumindest nicht auszuschließen, dass die mehrfache Nennung gleicher IP-Adressen auf einem Fehler bei der Ermittlung, Erfassung oder Übertragung der IP-Adressen beruht.

Die Abmahner haben es sich im entschiedenen Fall allerding auch zu leicht gemacht. Sie reagierten nämlich nicht auf einen Hinweis des Gerichts, dass ihre Angaben lückenhaft sind. Künftig wird man das sicher ernster nehmen und gegebenenfalls nachbessern. Das Signal des Oberlandesgerichts ist aber auch über den konkreten Fall eindeutig: Schlampige, in sich nicht nachvollziehbare Anträge dürfen nicht einfach abgenickt werden.

Deutliche Skepsis äußert das Oberlandesgericht Köln auch in der Frage, ob die Technik der Überwachungsfirmen wirklich so perfekt ist wie immer behauptet. Die eidesstattliche Versicherung eines Verantwortlichen nehmen die Richter gar nicht ernst:

Die ursprünglich vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers … ist hierzu unergiebig. Sie enthält lediglich die pauschale Behauptung, die Software arbeite “sehr zuverlässig”.

Auch ein nachgeschobenes Gutachten überzeugt das Gericht nicht:

Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich zwar, dass die Software grundsätzlich geeignet ist, Rechtsverletzungen zu ermitteln. Ob dabei Falschermittlungen ausgeschlossen sind, ergibt sich aus dem Gutachten jedoch nicht. Das Gutachten beruht auf rein empirischen Ermittlungen, in welchem Umfang die Software überprüft worden ist, ergibt sich aus dem Gutachten aber nicht. Untersuchungen zur Funktionalität der Software sind in dem Gutachten nicht dokumentiert.

Im Ergebnis ist der Beschluss der höheren Instanz ein Pflichtenheft für das Landgericht Köln. Dort wird man künftig genauer hinschauen müssen, ob die eingereichten Anträge wirklich die Auskunft über den Anschlussinhaber rechtfertigen. Die Abmahnanwälte werden einen viel höheren Begründungsaufwand treiben müssen. Zumindest dann, wenn sie nicht riskieren wollen, dass ihnen die nächsthöhere Instanz immer wieder rechtswidriges Vorgehen attestiert.

Zuverlässigkeit, Integrität, Treuebereitschaft

Der geprüfte Rechtskandidat bzw. Diplom-Jurist Karl Theodor zu Guttenberg ist nicht nur Dienstherr vieler tausend Soldaten. Ihm untersteht auch ein stattlicher akademischer Betrieb, in Form der Hochschulen der Bundeswehr. Auch dort wird mitunter der bequeme Weg beschritten, den zu Guttenberg für seine Doktorarbeit wählte. Allerdings herrschen an den Hochschulen der Bundeswehr viel strengere Maßstäbe, als sie zum Beispiel die Bundeskanzlerin für ihre Minister anlegt. Während Plagiatentum im Berliner Kabinett als lässlicher Betriebsunfall hinfort gelächelt wird, drohen Faulpelzen an den Universitäten der Bundeswehr empfindliche Strafen – und diese werden auch von den Gerichten gebilligt.

Ein Soldat fand sich sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht wieder. Er hatte eine Hausarbeit im Fach „Pädagogik“ geschrieben und, wie zu Guttenberg auch, schriftlich versichert, seine Arbeit selbständig verfasst, Quellen und Hilfsmittel angegeben zu haben. Tatsächlich schrieb er weitgehend von einem Studienkollegen ab.

Das Bundesverwaltungsgericht fand für dieses Verhalten unmissverständliche Worte:

Neben der Pflicht zum treuen Dienen kommt im militärischen Bereich der Wahrheitspflicht besondere Bedeutung zu, da eine Armee nicht geführt werden kann, wenn sich die Führung nicht auf die Richtigkeit der abgegebenen dienstlichen Meldungen, Erklärungen und Aussagen verlassen kann. Denn da solche Äußerungen nicht immer überprüft werden können, müssen auf ihrer Grundlage im Frieden und erst recht im Verteidigungsfall unter Umständen Entschlüsse von größter Tragweite gefasst … werden.

Die Konsequenzen der Täuschung sind nach Auffassung der Richter erheblich:

Erfüllt ein Soldat diese Erwartungen nicht, sondern täuscht er aus eigennützigen Beweggründen vorsätzlich seinen Dienstherrn, um ungerechtfertigt einen Vorteil zu erlangen, so stört er das dienstliche
Vertrauensverhältnis nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit, Integrität und Treuebereitschaft.

Wenn ein Soldat gegenüber Vorgesetzten und Dienststellen der
Bundeswehr unwahre Erklärungen abgibt, büßt er hierdurch allgemein seine Glaubwürdigkeit ein.

Mit dem Dienstvergehen war nicht nur das Studium des Offiziers zu Ende. Er wurde auch zum Leutnant degradiert. An den Hochschulen der Bundeswehr hat diese Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2001 gewirkt. Soldaten werden intensiv über die Konsequenzen der Schummelei belehrt. Dennoch werden immer wieder Plagiatoren ertappt und entsprechend bestraft.

Nach den Maßstäben seines eigenen Ladens wäre ein täuschender und tricksender Verteidigungsminister also nicht zu halten. Wie er angesichts dessen als „Dienstherr“ künftig ernsthaft Zuverlässigkeit, Integrität und Treuebereitschaft bei seinen Soldaten einfordern will, ohne dass diese die Augen verdrehen, bleibt sein Geheimnis. Und das jener, die sich auf seine Seite stellen.

(via jurabilis)

Haftstrafe für vorgetäuschte Vergewaltigung

Eine Britin ist zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil sie sich wahrheitswidrig als Opfer einer Vergewaltigung ausgegeben hat. Die 32-Jährige hatte der Polizei gesagt, ein Mann habe sie von der Straße in ein Auto gezerrt, zu einer öffentlichen Toilette gefahren und dort sexuell missbraucht, berichtet The Independent.

Tatsächlich hatte die Frau einen 26-Jährigen kennengelernt, als sie angetrunken auf dem Nachhauseweg war. In dessen Wohnung gab es einvernehmlichen Sex; zum Abschied tauschten beide noch die Telefonnummern aus. Später habe die Frau dann Angst um ihre Ehe bekommen und Passanten erzählt, sie sei von einem Unbekannten vergewaltigt worden.

Den 26-Jährigen verhaftete die Polizei, weil die bei der Frau gefundenene DNA mit seiner übereinstimmte. Die DNA war dem Mann wegen eines „kleineren Vergehens“ entnommen und in einer Datenbank gespeichert worden.

Der Richter begründete die Haftstrafe für die Frau mit der enormen Verschwendung von Polizeiressourcen, die an anderer Stelle gefehlt hätten, und mit der ungeheuren Angst, die der falsch Beschuldigte ausstehen musste.

Muslim muss Alkohol-Anfassverbot belegen

Ein als Ladenhilfe in einem Supermarkt beschäftigter Arbeitnehmer muss mit Arbeitsaufgaben rechnen, die den Umgang mit Alkoholika erfordern. Allerdings kann es religiöse Gründe geben, die ihm den Umgang mit Alkohol unzumutbar machen. Diese Grundsätze hat nun das Bundesarbeitsgericht aufgestellt. Es wies die Klage eines muslimischen Angestellten, der im Supermarkt keinen Alkohol in Regale räumen wollte, an die Vorinstanzen zurück. Diese müssen nun den Sachverhalt näher klären. 

Der Kläger ist gläubiger Moslem. Er war seit 1994 als Mitarbeiter eines großen Warenhauses tätig. Seit dem Jahr 2003 wurde er als "Ladenhilfe" beschäftigt. Im Februar 2008 weigerte er sich, im Getränkebereich zu arbeiten. Er berief sich auf seinen Glauben, der ihm jegliche Mitwirkung bei der Verbreitung von Alkoholika verbiete. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis.

Ob diese Kündigung rechtmäßig war, wollten die obersten Arbeitsrichter nicht entscheiden. Grundsätzlich stehen sie aber auf Seiten des Arbeitnehmers. Gebe es für diesen eine religiöse Pflicht, den Umgang mit Alkohol zu meiden, müsse ihm der Arbeitgeber andere Tätigkeiten zuweisen, sofern ihm dies möglich ist.

Allerdings scheint das Bundesarbeitsgericht gewisse Zweifel zu haben, ob der Kläger als gläubiger Muslim tatsächlich keinen Alkohol in Regale räumen darf. Sie kritisieren nämlich, der Betroffene habe nicht konkret dargelegt, was ihm seine Religion genau verbietet. Der Kläger muss also zunächst darlegen, dass er aus religiösen Gründen Alkohol nicht nur nicht trinken, sondern auch nicht “anfassen” darf.

Sollte das Alkoholverbot belegt werden, komme es darauf an, ob der Arbeitgeber andere Einsatzmöglichkeiten hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 AZR 636/09

Beigeordnet und zugeleitet

Bei der Düsseldorfer Polizei hat sich jemand einen neuen pompösen Textbaustein ausgedacht:

Ihr Antrag auf Akteneinsicht ist hier am (Datum) eingegangen und wird der hier in kriminalpolizeilicher Sachbearbeitung befindlichen Akte beigeordnet und nach vorläufigem Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zugeleitet.

Ich rufe morgen mal an und lass es mir übersetzen.

Die „Kölner Halbe“ als Quell der Ruhe

Nachts ist es bekanntlich kälter als draußen. Ich weiß nicht, ob die Kölner Ordnungspolitiker aus ähnlichen Erknenntnisquellen schöpfen. Kreativ sind sie aber auf jeden Fall. Das belegt eindrucksvoll die neueste Fassung der Kölner Straßenordnung, mit der es ab März ernst wird.

Das bunte, womöglich sogar fahrende Volk auf ihren Straßen scheinen Kölner Politiker, wohl maßgeblich auf Druck der örtlichen Geschäftsleute, schon bisher vorwiegend als störend empfunden zu haben. Jedenfalls bestimmte die Straßenordnung:

Musiker oder Schauspieler müssen den Standort ihrer Darbietungen auf Straßen und Plätzen nach 20 Minuten so verändern, dass ihre Darbietungen am ursprünglichen Standort nicht mehr hörbar sind, mindestens aber 200 Meter weitergehen.

Es ist klar, dass selbst eine hochgerüstete Ordnungstruppe mit der Überwachung Probleme haben dürfte. Da wird es ordentlich Streit darüber gegeben haben, wie lange genau jemand schon seinen Hut oder die Spendendose auf dem Trottoir ausgebreitet hat, was 200 Meter sind und ob Mitarbeiter des Ordnungsamtes besonders feine Ohren haben. Einfache Opfer werden wohl nur Straßenmaler gewesen sein.

Offenkundig hat man mit dieser Vorschrift das mobile Künstlertum nicht ausreichend vergrault. Deshalb ist sie jetzt um folgende Sätze verschärft worden:

Musiker und Schauspieler dürfen nur in den ersten 30 Minuten einer vollen Stunde ihre Darbietungen vorführen. Die zweite Hälfte jeder vollen Stunde ist spielfrei zu halten.

Offiziell wird dies damit begründet, man müsse den Menschen ja auch mal eine Fiedel-, Schrammel- und Trötpause gönnen. Konsequent wäre es dann allerdings auch, die in Köln ja recht ausgeprägte Fortbewegung mit Hilfe von Verbrennungsmotoren in den Minuten 30 bis 59 einer jeden Stunde zu untersagen. Eine entsprechende Initiative ist bislang allerdings nicht bekannt.

Der pfiffige Paragraf erweckt deshalb bei mir den Verdacht, dass er gar nicht die „Kölner Halbe“ als Quell erquickender Ruhe etablieren soll. Vielmehr scheint er mir schlicht dazu zu dienen, das fahrende Volk möglichst in randständige Zonen, also vorrangig zu uns nach Düsseldorf, abzudrängen, weil man dort 100 % länger spielen und entsprechend mehr verdienen kann.

Ob das klappt, darf bezweifelt werden. Klaus der Geiger testet schon mal mögliche Verteidigungsstrategien: „Ich habe nur mein Instrument gestimmt“, ist für den Anfang ein brillanter Ansatz, der virtuos den Wortlaut der Vorschrift („Darbietung“) aufgreift. Alles weitere dann demnächst vor dem Kölner Amtsgericht.

NRW will Zwangsouting in Gefängnissen prüfen

Häftlingen in nordrhein-westfälischen Gefängnissen droht die Isolation, wenn sie sich nicht schriftlich zu ihrer HIV-Infektion oder AIDS-Erkrankung bekennen. In der Diskussion zu dieser umstrittenen Regelung rudert Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) jetzt zurück: „Diese Praxis ist nach Jahren 23 Jahren zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen“, sagte Kutschaty gestern im Landtag.

Bislang müssen Häftlinge ihre Krankheit schriftlich offenbaren, wenn sie etwa Kontakt zu Zellennachbarn haben wollen – die wiederum müssen sich schriftlich einverstanden erklären. Diese Verwaltungshaltung samt der Vorschriften werden heftig von der deutschen AIDS-Hilfe kritisiert. Auch die FDP-Fraktion hat zunächst mit einer Anfrage ans Ministerium, kürzlich außerdem mit einem Antrag im Landtag auf dieses „Zwangsouting“ reagiert.

Der Justiziminister verteidigte im Parlament zunächst seine Haltung. Die Inhaftierten seien über Nacht oder beim Kontakt zu Nachbarn „für mehrere Stunden in enger räumlicher Gemeinschaft in verschlossenen Hafträumen untergebracht“. Dabei sei erstens eine ununterbrochene Beaufsichtigung nicht gewährleistet, und zweitens seien Aktivitäten möglich, „die grundsätzlich geeignet sind, Infektionen zu übertragen“.

Als Beispiele nannte Kutschaty Tätowieren und ungeschützte Sexualkontakte. In solchen Fällen habe das Recht infizierter Häftlinge auf „informationelle Selbstbestimmung“ (Datenschutz) klare Grenzen – die etwa der Gesundheitsvorsorge anderer Gefangener.

Dennoch sagt der Justizminister zu, die geltenden Regelungen zu überprüfen. Er kommt damit den Forderungen der AIDS-Hilfe und der FDP-Fraktion entgegen. Beide Seiten behaupten, einzig in Nordrhein-Westfalen werde das „Zwangsouting“ praktiziert. Deswegen will Kutschaty erfragen, wie es andere Bundesländer halten. Nach einer entsprechenden Auswertung sei dann wohl neu zu entscheiden. (pbd)

Früherer Bericht im law blog

Mit der Stromfrequenz auf Verbrecherjagd

Ich sehe täglich genug Akten mit rotem Einband. Spontan hätte ich gesagt, dass mir so ziemlich jede Ermittlungsmethode der Polizei bekannt ist. Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung belehrt mich eines Besseren.

Das Bayerische Landeskriminalamt speichert nach eigenen Angaben seit letztem Jahr rund um die Uhr die „Frequenz“ des europäischen Stromnetzes. Nach Ansicht der Ermittler ergeben die lastbedingten Schwankungen in der Stromversorgung einen „Zeitstempel“.

Dieser Zeitstempel soll sich etwa auch auf Tonspuren von Videoaufnahmen finden, in Form eines normalerweise nicht hörbaren Brummens. Die Momentaufnahme des Frequenzbilds soll also so was sein wie ein Fingerabdruck. Hierdurch lasse sich feststellen, wann eine bestimmte Aufnahme gemacht worden ist. Das geht angeblich sogar dann, wenn eine Videokamera gar nicht am Stromnetz hängt, sondern per Akku betrieben wird. Oft reiche der Ton, der von anderen Elektrogeräten im Raum ausgeht, um die Schwankungen in der Frequenz zu messen.

Die Beamten glauben so an ihre Methode, dass sie eine Datenbank mit der Stromfrequenz aufbauen wollen. Ich glaube erst dran, wenn dieses Beweismittel erstmals im Gerichtssaal Bestand hatte.