Rechtskraft durch die Hintertür

Denken Staatsanwälte darüber nach, dass sie die Wahrnehmung des Rechtsstaates entscheidend prägen? Und zwar nicht nur in medienwirksamen Großverfahren, sondern auch im Alltagsgeschäft? Mit einem Beispiel, bei dem die Botschaft in Richtung des Betroffenen eher negativ besetzt ist, habe ich mich heute beschäftigt.

Die Geschichte ist kurz: Mein Mandant soll mit seinem Lkw einen anderen Lkw angeschrabbt haben. Der angebliche Schaden beträgt um die 2.000 Euro. Nach, wie ich meine, eher schlampigen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Fahrerflucht beantragt. Und “für den Fall, dass der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis”.

Ich habe Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und beantragt, die Fahrerlaubnis nicht vorläufig zu entziehen. Dann müsste die normale Hauptverhandlung abgewartet werden. Aus meiner Begründung ergibt sich auch, warum die Ermittler hier über den Einzelfall hinaus kein sonderlich gutes Bild abgeben. Auszüge:

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis liegen ersichtlich nicht vor.

1. Strafprozessuale Anträge sind bedingungsfeindlich. Die Staatsanwaltschaft stellt den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrlerlaubnis nur für den Fall, dass der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt. Der Antrag ist also an eine Bedingung geknüpft. Er ist somit, streng genommen, unzulässig.

2. § 111a StPO verlangt dringende Gründe, die für eine Entziehung der Fahrerlaubnis sprechen. Dies entspricht dringendem Tatverdacht (Meyer-Goßner, StPO, § 111a Rdnr. 2). Dringender Tatverdacht liegt hier aber nicht vor.

Zwar hat mein Mandant eingeräumt, das Fahrzeug passiert zu haben (Bl. 19). Er hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, eine eventuelle Berührung nicht bemerkt zu haben.

Es gibt keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass mein Mandant eine eventuelle Berührung der Fahrzeuge bemerken musste, was für die gerichtsfeste Annahme des nach § 142 StGB erforderlichen Vorsatzes unverzichtbar ist.

Gegen eine zwingende Wahrnehmung sprechen folgende Umstände:

– Begegnung zweier großer Fahrzeuge (Lkw)

– Dunkelheit (8. Dezember, ca. 18 Uhr)

– starker Schneefall, Schneeglätte

– extrem schlechte Verkehrssituation

Außerdem berichtet das Schadensgutachten von einem lediglich „streifenden Anstoß“ gegen die linke Seitenpartie. Auf den Fotos ist zu erkennen, dass die behaupteten Schäden sehr leicht sind. Die Schadenshöhe ergibt sich lediglich daraus, dass die Berührung sich an mehreren Stellen zugetragen haben soll. Auch diese leichten Schäden sprechen gegen eine zwingende Wahrnehmbarkeit.

Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der taktilen oder akustischen Wahrnehmbarkeit ausreichend ermittelt. Insbesondere sind den Zeugen noch nicht einmal gezielte Fragen dazu gestellt worden, wie dies ansonsten üblich ist.

Überdies wurde der Lkw meines Mandanten nicht in Augenschein genommnen. Dort finden sich tatsächlich keinerlei Spuren, die mit dem angeblichen Ereignis in Einklang zu bringen sind. Auch dies spricht dagegen, dass mein Mandant einen eventuellen Zusammenstoß wahrgenommen haben muss.

Außerdem darf ich für meinen Mandanten mitteilen, dass dieser zum fraglichen Zeitpunkt Musik hörte.

Angesichts dieser Umstände kann wohl kaum von einem dringenden Tatverdacht gesprochen werden. Wenn überhaupt, kann allenfalls ein hinreichender Tatverdacht angenommen werden. Dieser ist für einen Strafbefehl bzw. eine Anklage ausreichend, aber eben nicht für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

3. Überdies erscheint es nicht gerade den Grundsätzen eines fairen Verfahrens verpflichtet, die Ausübung des zulässigen Rechtsbehelfs Einspruch mit einer derartigen „Sanktion“ zu verknüpfen. Hier entsteht beim Beschuldigten der unschöne Eindruck, dass es der Staatsanwaltschaft nicht auf die Fakten ankommt, sondern sie den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrlerlaubnis als Möglichkeit ansieht, in einem nicht gerade schulbuchhaft ausermittelten Fall Rechtskraft zu schaffen.

Dem sollte schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt werden.