Auch juristisch soll die Sonne scheinen

Während die Menschen sich um die Auswirkungen und Folgen der Atomenergie sorgen und immer mehr auf die Sonnenseite der Stromproduktion setzen, bieten die meisten Hersteller von Photovoltaik-Anlage ihren Kunden fragwürdige Garantieversprechen. Das behauptet Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres erzeugten private Solaranlagen hierzu­lande so viel Strom, wie für die Versorgung aller Haushalte in München und Köln erforderlich ist. Doch das Recht der Käufer solcher Anlagen sieht die Verbraucherzentrale rüde verletzt.

Dabei sieht Müller nicht einmal eine bewusste Täuschung: „Die Umstellung auf Solarenergie ist politisch gewollt. Der Markt bommt. Darin tummeln sich internationale Konzerne. Und die haben sich wohl keine Gedanken über die juristische Situation in Deutschland gemacht“.

Denn die großmundigen Garantiebedingungen gelten offenbar meist pauschal für ganz Europa, halten aber der Kontrolle der Verbraucherschützer hier nicht stand. Fünf der Modul-Branchen-Marktführer sind jetzt wegen ihres Kleingedruckten abgemahnt worden. „Bei den Marktriesen Yingli Green Energy, Trina Solar, Solar World, Bosch Solar und Mitsubishi Electric Europe werden alle Abwicklungskosten auf den Verbraucher abgewälzt”, monieren die Verbraucherschützer.

Die Kosten für die Prüfung durch einen Fachmann vor Ort gehören dazu, die für den Ausbau, Transport und die Prü­fung durch ein Institut hat der Kunde zu tragen, so beschreibt Müller das Ergebnis der Prüfungen und fasst zusammen: "Angesichts der zu erwartenden hohen Kosten hierfür verkommt das Garantieversprechen zur Nullnummer. Immerhin sollen Photovoltaik-Module nach den Versprechungen der Hersteller bis zu 30 Jahren maximalen Ertrag aus der Sonnenenergie einfahren.

Die Verbraucherzentrale will nicht warten, bis es tatsächlich massenhaft zu Garantiefällen kommt. Vielmehr will sie schon jetzt für klare Regeln sorgen, damit der einzelne Käufer, der ja mitunter viel Geld ausgibt, auf die Einhaltung deutscher Verbraucherrechte bauen kann.

Rührig zeigt sich die Verbraucherzentrale insgesamt. Das zeigt ihr Bericht für das vergangene Jahr. Mehr als 1,27 Millionen Mal (ein Plus von 8,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr) suchten Bürgerinnen und Bürger persönlich, schriftlich, tele­fonisch oder bei Veranstaltungen Kontakt, über 4,7 Millionen Internetbe­sucher wurden gezählt und fast 200.000 verkaufte Ratgeber. Die Verbraucherschützer bilanzieren „ein Dauerhoch“. (pbd)

Sharehoster muss das Internet im Auge haben

Sharehoster sind verpflichtet, “gängige Linksammlungen” im Internet zu überprüfen. Sie müssen schauen, ob dort Links zu urheberrechtlich geschützten Inhalten gepostet sind, die auf den Servern des Sharehosters liegen. Das hat das Landgericht Hamburg in einem Eilverfahren zu Gunsten der GEMA entschieden.

Sharehoster bieten durchgehend keinen Katalog oder eine Suchfunktion an. Hiermit wollen sie gerade verhindern, als “Mitstörer” für die Verbreitung von Musik, Filmen und Hörbüchern verantwortlich gemacht zu werden, die Nutzer auf ihren Servern ablegen. Die Information über den “richtigen “ Link finden interessierte User dagegen oft in Foren, Blogs und Suchmaschinen. Diese Angebote werden aber von Dritten betrieben.

Das Landgericht Hamburg zieht aus dieser “Symbiose” nun weitreichende Schlussfolgerungen. Danach muss der Sharehoster tatsächlich diese dritten Seiten darauf überprüfen, ob dort Links zu urheberrechtliche geschützten Inhalten auf seinen Servern veröffentlicht werden. Da er aber keinen Einfluss auf die Veröffentlichungen in den Foren, Blogs und Suchmaschinen hat, muss der Sharehoster in der Konsequenz die bei ihm hinterlegten Inhalte löschen.

Spätestens nach entsprechenden Hinweisen der Rechteinhaber müsse der Anbieter die Linksammlungen überprüfen, befand das Landgericht Hamburg. Das sei ein effektives Mittel, um Rechtsverletzungen von vornherein zu verhindern oder jedenfalls zu unterbinden. Unzumutbar sei die Prüfung nur dann, wenn der finanzielle Aufwand außer Verhältnis zu den Erlösen stünde. Dazu habe der verklagte Sharehoster aber keine überzeugenden Zahlen geliefert.

Wort- und Hashfilter, wie sie der Sharehoster schon jetzt einsetze, seien leicht zu umgehen. Ein neu installiertes Filtersystem überzeugte die Richter nicht.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 2. März 2011, Aktenzeichen 308 O 458/10

Freies Geleit

Mit Auslandszeugen ist das so eine Sache, auch wenn sie in der globalisierten Welt natürlich immer wichtiger werden. Oft haben sie schlicht keine Lust, Ladungen deutscher Gerichte zu befolgen. Manchmal gibt es aber auch handfestere Gründe, der deutschen Justiz die kalte Schulter zu zeigen. Zum Beispiel die Furcht, wegen in Deutschland laufender Ermittlungen am Flughafen oder gar vor dem Gerichtssaal verhaftet zu werden.

Gegen derartige Sorgen lässt sich sogar was machen. Gerichte können Zeugen, die sich im Ausland aufhalten, “freies Geleit” zusichern. Das ist in § 295 Strafprozessordnung gesetzlich ausdrücklich geregelt:

Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen; es kann diese Erteilung an Bedingungen knüpfen. Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist.

Von dieser Möglichkeit machte heute ein Landgericht Gebrauch, als ich die Ladung einer im Ausland lebenden Zeugin beantragte. Gegen die Frau wird zwar ermittelt. Aber es handelt sich eigentlich um eine Sache, bei der man nun nicht unbedingt gleich an Untersuchungshaft denken muss, ja eigentlich gar nicht darf.

Gut möglich also, dass bei dieser Zeugin das mit Brief und Siegel gewährte freie Geleit eine gewisse Fehlvorstellung darüber weckt, was ihr noch in Deutschland blühen könnte. Nach meinem Gefühl hat sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie kommt, damit locker halbiert. Mal sehen, ob ich sie dennoch motivieren kann.

Iserlohn: Polizei fragt Handynummern ab

In der Nacht zum vorletzten Samstag wurde in Lüdenscheid ein 21-Jähriger überfahren. Er starb. Der beteiligte Autofahrer floh von der Unfallstelle. Die Polizei sucht ihn nun mit Hochdruck – und greift dabei zu bemerkenswerten Fahndungsmaßnahmen.

Exakt eine Woche nach dem Unfall sperrte ein Großaufgebot die Straße, an der die Unfallstelle liegt und kontrollierte über mehrere Stunden jedes Fahrzeug, das vorbei kam. Zeitweise stauten sich die Autos auf zwei Kilometer Länge, berichtet Der Westen.

Dass sich die Beamten alle Autos auf Unfallschäden ansahen, ist sicher nachvollziehbar. Auch wenn in erster Linie wohl nach einem “hellen Pkw, vermutlich der Mittelklasse, mit Fließheck, als Kombi oder in Zwischenform mit breiter, dunkler, seitlicher Rammschutzleiste, die sich mit der Stoßstange fortsetzt”, gesucht wird.

Wirklich ungewöhnlich ist aber das, was eine andere Lokalzeitung berichtet.  Danach mussten alle Kontrollierten ihre Handynummern angeben. Die Anschlüsse sollen nun darauf überprüft werden, ob das Handy möglicherweise um die Unfallzeit in eine Funkzelle in der Nähe des Unglücksortes eingeloggt war. Möglicherweise wird auch nach anderen Verbindungsdaten gesucht, die einen Bezug zum Unfall haben können. 

Im Bericht wird erwähnt, es gebe für die Maßnahme einen richterlichen Beschluss. Für die erwähnte Aktion scheint mir das kaum denkbar, denn auch ein Richter kann niemanden dazu zwingen, der Polizei die eigene Handynummer zu nennen. Das liegt schon daran, dass niemand mit der Polizei reden muss, sei er nun Zeuge oder Beschuldigter. Eine Auskunftspflicht ist schlicht nicht im Gesetz enthalten. Auch ein Richter kann sie nicht anordnen.

Bleibt also die Möglichkeit, dass der Beschluss die Beschlagnahme eventuell mitgeführter Telefone für den Fall anordnet, dass die Befragten bei der Kontrolle ihre Handynummer(n) nicht angeben. Dann müsste außerdem erlaubt werden, die Handys zu überprüfen und gespeicherte Inhalte – dazu gehört auch die Telefonnummer der SIM-Karte – auszulesen. Eine Maßnahme, die kaum in der Strafprozessordnung zu verorten ist. Die hat nämlich was gegen Stochern im Nebeln und Schüsse ins Blaue.  

Unverhältnismäßig wäre die Aktion ohnehin. Ein Richter kann vielleicht Bürger nicht dazu zwingen, der Polizei auf Zuruf ihre Handynummer zu offenbaren. Er hat aber die Möglichkeit, die Daten der Funkzellen auswerten zu lassen, die sich in der Nähe des Unfallortes befinden. Dann geben die Provider Auskunft darüber, welche Mobiltelefone zur fraglichen Zeit in dem betreffenden Bereich eingebucht waren.

Der Bericht deutet an, die Polizei habe es möglicherweise auf Geodaten abgesehen, die das Handy selbst speichert. Das wäre dann der erste mir bekannte Fall, in dem die deutschen Ermittlungsbehörden aus der Geodatenaffäre ums iPhone praktisch Kapital zu schlagen suchen. Allerdings werden die Geodaten von Apple & Co. ja nicht an die Provider übertragen, so dass die Polizei das Gerät selbst haben müsste und mit der Rufnummer nicht weiterkäme. 

Wie auch immer, mir erschließt sich nicht, wieso die Polizei des Märkischen Kreises bei einer derartigen Großkontrolle eine Woche nach dem Unfall unbedingt an die Rufnummern vorbeikommender Autofahrer kommen will. Und was die in dem Bericht erwähnte Auswertung der Verbindungsdaten bringen soll – außer juristischen Problemen mit Autoinsassen, die sich so was nicht gefallen lassen.

Nachtrag: Die Polizeibehörde des Märkischen Kreises hat mir nun mitgeteilt, dass kein Autofahrer zur Angabe der Telefonnummern gezwungen wurde. Vielmehr seien alle Kontrollierten nach der Handynummer gefragt worden, um ihre spätere “Erreichbarkeit” sicherzustellen. Alle Angaben seien freiwillig erfolgt. 

Fest steht somit, dass die Handynummern der Befragten jedenfalls für die Ermittlungen in diesem Fall gespeichert werden. Somit stehen sie, zumindest theoretisch, auch für Ermittlungen zur Verfügung, die über bloße Nachfragen bei Kontrollierten hinausgehen. Ein Kommentator hat ja bereits darauf hingewiesen, dass durch die Kontrolle jedenfalls nun nicht oder falsch registrierte Prepaid-Handys einer Person zugeordnet werden können, sofern diese in die Kontrolle geriet und ihr Telefon auch am Unfalltag in der Funkzellenauswertung auftaucht.

Wer bei der Kontrolle seine Handynummer angegeben hat, kann nach meiner Einschätzung verlangen, dass die Daten gelöscht werden.

Ermittlungsrichter 1.0

Untersuchungsrichter in Nordrhein-Westfalen sind ohne moderne Technik, und am Personal hapert es auch. Dabei müssen die gut 190 Eilrichter bei den Amtsgerichten schnell und korrekt darüber entscheiden, ob ein Beschuldigter in Untersuchungshaft geschickt, seine Wohnung durchsucht wird oder Blutproben entnommen werden.

Trotz dieser hohen Anforderungen sind die Richter offenbar von den Errungenschaften der Informationstechnologie ausgeschlossen. Sie haben keine dienstlichen Smartphones, noch nicht mal Notebooks mit UMTS-Anschluss. Zumindest diese “Essentials” fordert jetzt der Landesverband des Deutschen Richterbundes (DRB) als Standardausrüstung.

Die Eilrichter müssten ggf. auch auswärts online sein, recherchieren und kommunizieren können, begründete DRB-Sprecher Christan Happe auf dem 2. Amtsrichtertag in Mülheim die Wunschliste. Die Interessenvertretung beklagt auch, dass Untersuchungsrichter kein ausreichendes Hilfspersonal für ihren hektischen Job haben. Happe: „Den Eilrichtern fehlt so gut wie jede personelle Unterstützung bei der Arbeit.”

Es gebe überdies Kollegen, die seien von 9 bis 21 Uhr im Dienst. Hier müsse auch das Thema bezahlte Überstunden besprochen werden. Happe: „Für Bereitschaftsdienste bekommen beispielsweise Ärzte längst einen finanziellen Ausgleich“. (pbd)

Knastbesuch: NRW erlaubt Anwälten Notebook

Ermittlungsakten füllen mitunter Umzugskartons. Beweismittel wie Videos liegen ohnehin nur als Datei vor. Wer als Verteidiger mit seinem inhaftierten Mandanten die Unterlagen durchgehen will, steht vor ziemlichen Hürden. Er kann kistenweise Akten in den Knast schleppen (lassen). Und zu solch absurden Maßnahmen greifen wie Videos ausdrucken. Oder er nimmt einfach sein Notebook mit…

Erstaunlicherweise war es bis vor kurzem in Nordrhein-Westfalen wesentlich unproblematischer, zur Besprechung mit 50 Kilogramm Papier in der Justizvollzugsanstalt aufzulaufen als mit einem Laptop. Elektronische Geräte, noch dazu welche mit Einwahlmöglichkeit ins Internet, waren den Anstaltsleitungen ein Graus – und somit erst mal verboten.

Notebooks im Knast gingen allenfalls, wenn ein Richter dies im Einzelfall genehmigte. Das war immer mit riesigem Begründungaufwand verbunden, und oft genug wurden auch sachlich gerechtfertigte Anträge unter Hinweis auf die “Anstaltssicherheit” abgebügelt. 

Das hat sich nun geändert. Ab sofort dürfen Verteidiger in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich ein Notebook mit in den Knast nehmen und es bei der Besprechung mit dem Mandanten nutzen. Rechtsgrundlage für diese Kehrtwende ist ein Erlass des Justizministers Thomas Kutschaty (4434 IV.172), der das Prozedere überraschend unbürokratisch gestaltet. Vielleicht liegt das daran, dass Kutschaty selbst Rechtsanwalt ist. 

Der Anwalt muss beim Betreten des Gefängnisses lediglich ein Formular unterschreiben, in dem er versichert, auf seinem Computer seien “die für das Mandantengespräch erforderlichen Unterlagen eingespeichert”. Außerdem muss er sich einverstanden erklären, dass der Computer in der hauseigenen Anlage “auf Fremdkörper” durchleuchtet wird. Auf eigenes Risiko, natürlich.

Was ich wirklich gut finde, ist die pragmatische Lösung beim heikelsten Punkt. Die Justiz kann nämlich nicht mehr verlangen, dass der Computer nicht drahtlos online gehen kann, sei es über WLAN oder UMTS. Der Anwalt muss lediglich zusagen, dass er innerhalb der Anstalt keine Internetverbindung herstellen wird.

Damit ist natürlich ein gehöriger Vertrauensvorschuss für Anwälte verbunden. Ich kann nur hoffen, dass gewisse Verteidiger das Sprechzimmer nicht zum Internetcafé für ihre Mandanten umgestalten. Sonst könnte es mit den neu gewonnen Privilegien auch schnell wieder vorüber sein.

Volkszählung: Der Portotrick

Die Fragebögen für die Volkszählung flattern derzeit den Auserwählten ins Haus. Während für den normalen Zensus (Stichprobe) Erhebungsbeauftragte unterwegs sind, werden alle Grundstücks- und Wohnungseigentümer lediglich angeschrieben. Sie sollen auch ausschließlich schriftlich antworten. Aber auch den sonstigen Befragten steht es frei, schriftlich zu antworten. Große Verunsicherung, aber auch Ärger herrschen darüber, wer das Porto für die Rücksendung der Fragebögen übernehmen muss.

Das Gesetz selbst drückt sich verschwurbelt aus.

Die Antwort ist, soweit in einer Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist, für den Empfänger kosten- und portofrei zu erteilen.

Empfänger im Sinne des Gesetzes ist nicht, wie man annehmen könnte, der Befragte. Sondern die Behörde. Das bedeutet: Grundsätzlich muss also der Befragte = Bürger das Porto zahlen. Bei der Dicke der Antwortbögen und der Größe der Umschläge müsste also jeder Teilnehmer am Zensus mindestens 1,45 Euro in Porto investieren.

So weit die Theorie. Die Praxis sieht für die Befragten viel erfreulicher aus. Die Behörden haben die vorgedruckten Antwortbögen nämlich postalisch korrekt als “ANTWORT” gestaltet.

110513a 

Dies bedeutet nach den Bedingungen der Deutschen Post, dass diese verpflichtet ist, auch unfrankierte Antworten an ihre Kunden, hier die Statistikämter, auszuliefern. Diese wiederum müssen die unfrankierten Sendungen annehmen und anstelle des Absenders das normale Porto an die Post zahlen.

Die Methode wurde wahrscheinlich gewählt, um das normalerweise fällige Zusatzporto bei unfrankierten Sendungen zu vermeiden, die nicht als “Antwort” gekennzeichnet sind. Ansonsten wäre es den Behörden ja nur möglich gewesen, die Annahme unfrankierter Sendungen zu verweigern. Mit der Folge, dass den Bürgern die unfrankierten Antwortbögen wieder zurückgeschickt werden. Offenbar wollte man es vermeiden, dann hinter diesen Fragebögen herzulaufen.

Andererseits sehe ich nicht, wer den Bürger davon abhalten können sollte, von der kostenlosen Antwortmöglichkeit im Sinne der Postbedingungen Gebrauch zu machen. Diese Gestaltung haben die Behörden freiwillig und in Kenntnis der Tatsache gewählt, dass der Absender einer postalisch korrekt deklarierten “Antwort” eben auch unfrankiert antworten darf.

Den Statistikämtern ist auch bewusst, dass sie gegen unfrankierte Sendungen nichts machen können. “Die Lücke ist bekannt, wird aber natürlich nicht kommuniziert”, sagte mir heute der Mitarbeiter einer Behörde, der namentlich nicht genannt werden will.

Bei Eingang der Antworten werde schon gar nicht nachgehalten, welcher Bürger kein Porto auf den Umschlag geklebt hat. Dafür gebe es kein Personal. Außerdem würde eine Portoverweigerer-Datei mit den strengen Datenschutzvorschriften für den Zensus kollidieren.

Den Ämtern sei es schon wegen des immensen Verwaltungsaufwandes nicht möglich, portoscheuen Bürgern Rechnungen zu schicken. Bereits die Kosten für die erste Mahnung wären weitaus höher als der Preis einer Briefmarke, die man vom Bürger vielleicht zurückverlangen könnte.

“Außerdem”, so der Beamte, “ist ja ohnehin damit zu rechnen, dass wir bei dieser Sachlage gegen Nachforderungen gerichtete Klagen vor den Verwaltungsgerichten verlieren.”

Freunde des Telefons

Strafverteidigung ist zu einem guten, wahrscheinlich sogar überwiegenden Teil Psychologie. Deshalb habe ich es mir angewöhnt, zu Beginn jeder Sache mit den Beteiligten auf der anderen Seite zu sprechen. Das heißt, ich rufe grundsätzlich Polizeibeamte und Staatsanwälte an. Die meisten Gespräche sind freundlich und informativ – immerhin wird man ja die nächste Zeit miteinander zu tun haben. Nur ganz selten zeigt sich ein Gegenüber als uninteressiert an allem, was nicht auf Papier steht. Aber auch das ist ja eine Information…

So ein Kontakt wirkt nach meinem Eindruck lange fort. Selbst wenn es zu Anfang eines Mandates – und damit regelmäßig vor Akteneinsicht – natürlich nicht allzu viele Details zu besprechen gibt, hat man erst mal eine persönliche Brücke gebaut, über die man später einfacher aufeinander zugehen kann, wenn es denn was zu diskutieren oder zu verhandeln gibt.

Ich habe heute einen Staatsanwalt beim Kaffee gefragt, wie viele Verteidiger es ähnlich halten wie ich. Unter den Fachanwälten für Strafrecht schätzt er die Quote der Telefonfreunde auf 70 %. Anwälte, die eher in anderen Rechtsgebieten tätig sind, meldeten sich dagegen kaum mal am Telefon. Höchstens jeder Fünfte raffe sich dazu auf.

Solche Anrufe von Anwälten nutzen geübte Strafverfolger übrigens auch gerne mal aus. Heute riet mir ein Polizist, mein Mandant solle doch noch heute nachmittag vorbeikommen und reinen Tisch machen. Natürlich ohne vorherige Akteneinsicht. Andere Anwälte machten das auch so, und es sei nie zum Schaden der Mandanten, sagte der Polizist. Er war ein bisschen angesäuert, als ich standhaft ablehnte, meinen Mandanten allein auf Geständnistour zu ihm zu schicken und / oder auf Akteneinsicht zu verzichten.

Auch so ein Gespräch ist letztlich sinnvoll. Man weiß nicht nur, mit wem man es zu tun hat. Sondern man wird auch daran erinnert, dass selbst die ältesten Taschenspielertricks in Ermittlerkreisen nicht aus der Mode kommen.

Oberpingel

Über einen Freispruch freut sich jeder Verteidiger. Aber der juristische Erfolg hat auch Schattenseiten. Er führt in die Klauen von Kostenbeamten, welche die Anwaltsrechnung überprüfen, für die der Staat aufzukommen hat. Unter diesen Staatsdienern gibt es eine stattliche Quote ausgemachter Oberpingel.

So mancher Rechtspfleger blättert etwa mit Vorliebe gemütlich in der Akte und prüft, ob auch jede vom Anwalt angemeldete Kopie erstattungsfähig ist. Da werden dann gern bei Akten mit etlichen hundert Seiten drei, fünf oder acht Kopien moniert. Macht eine theoretische Ersparnis von ein, zwei Euro. Die für dieses glorreiche Ergebnis aufgewendete und vom Steuerzahler bezahlte Arbeitszeit des Beamten dürfte bei einem Faktor 30 aufwärts liegen.

Womit natürlich noch nicht gesagt ist, dass die Kürzung zu recht erfolgt. Sofern man sich als Anwalt nicht geschlagen gibt, bleiben Rechtsmittel, über die am Ende gestandene Richter brüten – und oft dem Anwalt in der Sache auch noch zustimmen. Außer Spesen ist dann rein gar nichts gewesen. 

Anderes Beispiel: Der Rechtspfleger teilte mit Hinweis auf den Google Routenplaner mit, die einfache Strecke von meinem Büro zum Gericht betrage nicht 89 Kilometer. Sondern 87. Für die Abweichung gab es sogar eine Erklärung. Zum Gericht gelangt man gleichermaßen gut über zwei Autobahnabfahrten. Der eine Weg durch die City ist allerdings einen Tick länger, wird aber vom Navi meines Autos als die “günstigste Strecke” angesehen. Ich habe auf die 60 Cent verzichtet und nehme seitdem immer gleich die Streckenangaben von Google. Wenigstens ist an dieser Front nun Ruhe. Anderes ertragen die Nerven auf Dauer nicht.

Beliebt war bislang auch der Streit um die Aktenversendungspauschale. Wir Anwälte müssen 12 Euro an die Justiz zahlen, wenn uns die Gerichtsakte zugesandt wird. Es war natürlich klar, dass emsige Kostenbeamte sich verwundert die Augen rieben, wenn nach einem Freispruch nicht glatte 12 Euro, sondern 14,28 Euro geltend gemacht wurden.

Der Mehrbetrag ist die Umsatzsteuer. Wer schon mal in eine Umsatzsteuerfibel hineingesehen hat, für den ist der Aufschlag auch nicht verwunderlich. Da der Anwalt die Aktenversendung selbst beantragt und dementprechend die Pauschale auch selbst zahlen muss, handelt es sich schlichtweg nicht um einen durchlaufenden Posten. Nur dieser wäre umsatzsteuerfrei.

Das hinderte Rechtspfleger aber nicht daran, landauf landab bei jeder dieser Pauschalen ein Fass aufzumachen und “durchlaufender Posten” zu schreien. Offensichtlich war es für manche Beamte schlichtweg unvorstellbar, dass jemand mehr erstattet bekommt, als er selbst eingezahlt hat. Hieran änderten auch etliche anderslautende Urteile übergeordneter Richter nichts, die bis auf wenige Ausreißer das System der Umsatzsteuer verstanden haben.

Nun zur guten Nachricht, wenn man Anwalt ist. Beziehungsweise der schlechten für Kostenbeamte. Der Bundesgerichtshof hat als letzte Instanz nun klipp und klar geurteilt, die Umsatzsteuer ist zu erstatten, weil Aktenversendungskosten für den Anwalt kein durchlaufender Posten sind (Urteil vom 6. April 2011).

Wenigstens ein Diskussionspunkt weniger – wenn sich das Urteil in einigen Monaten rumgesprochen hat.

Ebayer haften nicht für Kontomissbrauch

Fingierte Bestellungen, gefakte Auktionen: Der Missbrauch eines ebay-Kontos kann für Betroffene zum Albtraum werden. Doch ein ebay-Mitglied haftet gar nicht ohne weiteres für Schindluder, der mit seinem Account getrieben wird. Selbst die unsorgfältige Aufbewahrung der Logindaten begründet noch keine Schadensersatzpflicht. Das hat der Bundesgerichtshof heute entschieden.

Darum ging es: Auf dem ebay-Konto der Beklagten war im März 2008 eine komplette Gaststätteneinrichtung angeboten worden. Startpreis war ein Euro. Die Auktion wurde einem Tag nach dem Start beendet. Der damalige Höchstbietende, der mit 1.000 Euro im Rennen war, verlangte knapp 33.000 Euro Schadensersatz. Die Beklagte sagte, ihr Mann habe die Auktion ohne ihr Wissen gestartet.

Der Höchstbietende kommt nicht zu seinem Geld. Der Bundesgerichtshof sieht nämlich keinen Grund, von den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs abzuweichen. Danach wird jemand nur dann ohne eigenes Zutun Vertragspartner, wenn er wirksam vertreten wurde. Davon könne keine Rede sein, befanden die Richter. Selbst die Möglichkeit, dass die Logindaten nicht oder nur oberflächlich gesichert waren, begründe keine Haftung des “Vertretenen”, hier der Kontoinhaberin.

Der Kläger berief sich auch erfolglos auf die Geschäftsbedingungen von ebay. Diese sehen gerade vor, dass der Kontoinhaber für alle Aktivitäten haftet, die über seinen Account laufen. Die Klausel sei aber gar nicht anwendbar, befinden die Richter. Sie wirke nämlich nur zwischen ebay und der Kontoinhaberin, aber nicht zwischen dem tatsächlichen Anbieter und dem Höchstbietenden.

Letzteres klingt etwas nebulös. Wie der Bundesgerichtshof genau argumentiert, wird man wohl erst der schriftlichen Urteilsbegründung entnehmen können. Diese liegt, anders als eine Pressemitteilung, aber noch nicht vor.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Mai 2011, Aktenzeichen VIII ZR 289/09

Nominiert

Bis heute war alles geheim, aber heute mittag hat das Grimme Institut in Düsseldorf bekanntgegeben, wer für den Grimme Online Award 2011 nominiert ist. Das law blog ist unter den 25 Kandidaten, welche die Vorstellungsrunde überlebt haben und nun in den Recall kommen.

Das law blog geht in der der Kategorie Information ins Rennen. Ich freue mich, fast alle “Konkurrenten” persönlich zu kennen und zu schätzen. Das verspricht jedenfalls eine schöne Preisverleihung am 22. Juni in Köln – unabhängig davon, wem die Jury am Ende den Grimme Preis in der Kategorie Information zuerkennt.

Außerdem gibt es noch den Publikumspreis. Für diesen Award kann jeder, der möchte, online abstimmen.

Gericht schaut sich Videos nicht an

Wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter heimlich per Video überwacht, dürfen die Aufnahmen nicht als Beweis verwertet werden. Mit dieser Begründung weigerte sich das Arbeitsgericht Düsseldorf, Aufnahmen eines Brauhauses anzusehen. Mit den Bildern wollte der Arbeitgeber belegen, dass ein Mitarbeiter falsch abgerechnet hat.

Nicht jeder pauschale Verdacht auf Unterschlagung von Getränken durch in einem Brauhaus beschäftigte Arbeitnehmer rechtfertigt eine heimliche Videoüberwachung durch den Arbeitgeber, entschieden die Richter. Erst dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund tatsächlicher, nachprüfbarer Anhaltspunkte seinen Verdacht auf bestimmte Personen sowie eine bestimmte Tat konkretisieren kann, kommt nach umfassender Interessenabwägung eine heimliche Überwachung des Arbeitsplatzes in Betracht.

Diese engen Voraussetzungen konnte das Arbeitsgericht nicht bejahen. Die Videos blieben somit außen vor, und der Arbeitgeber konnte seine Vorwürfe nicht beweisen. Der Arbeitnehmer behält zunächst seinen Arbeitsplatz.

Arbeitsgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 11 Ca 7326/10

“Jetzt hat er sein Pulver verschossen”

Falls der nach einer spektakulären Flucht gefasste Friedrichshafener Taximörder Andrej W. Langeweile hat, kann er ja mal über Zivilprozesse nachdenken. Zum Beispiel gegen seinen Anwalt, den Pflichtverteidiger Klaus F. aus Konstanz.

W.s Anwalt hat sich gegenüber der Schwäbischen Zeitung geäußert. Zitat:

Dass Andrej W. erneut ein solcher Coup gelingt, hält der Anwalt für ausgeschlossen. Die Therapieaussichten seien extrem schlecht. „Er hat so viele Schädigungen und Traumata, dass er eigentlich nicht heilbar ist“, sagt F., und eine Heilung sei Voraussetzung dafür, dass er überhaupt in einen normalen Vollzug kommt. Für den Anwalt ist klar: „Jetzt hat er sein Pulver verschossen.“ Er werde wohl für immer in der geschlossenen Psychiatrie bleiben, das heiße: kein Kontakt nach außen, kein Fernsehen, nur eine Stunde Hofgang am Tag.

Ein Verteidiger, auch der vom Staat bezahlte, hat nur eine simple Aufgabe: Er muss die Interessen seines Mandanten wahren. Den eigenen Klienten öffentlich als geschädigt, traumatisiert und unheilbar darzustellen, gehört nicht dazu. Noch weniger die Aussage, es gebe sowieso keine Chance für den Betroffenen, dieser habe sein Pulver verschossen. Und zwischen den Zeilen quasi eigene, private Befriedigung darüber zu äußern, dass der Betroffene mit “harten” Bedingungen rechnen muss, ist unprofessionell und deutlich mehr als grenzwertig.

Selbst ein Strafverfolger oder Richter, der sich so äußert, müsste sich Fragen nach seiner Unbefangenheit gefallen lassen. Vom Verteidiger hätte ich solche Äußerungen aber für unmöglich gehalten. Bis heute.

Deshalb die Frage:

Geht es für einen Anwalt eigentlich noch geringschätziger, noch pflichtvergessener?

Und ja, es gibt eine Alternative es zur öffentlichen Demontage des eigenen Mandanten. Klappe halten.

It’s as simple as that.