Der falsche Ort

Die Anklagebank ist der falsche Ort, um mit seinem Einkommen zu strunzen. Das sage ich immer Mandanten. Vor allem jenen, die ich im Verdacht habe, ihr Selbstwertgefühl auch etwas aus der Bewunderung zu ziehen, mit der man hierzulande finanzielle Potenz bedenkt.

Der Grund für etwas Zurückhaltung – ich sage nicht Lüge – ist einfach. Geldstrafen sind in Deutschland nämlich nicht Geldstrafen. Während ein Geringverdiener für ein kleines Delikt vielleicht mit 300 Euro davonkommt, kann die gleiche Geschichte einen Begüterten auch locker das Zehnfache kosten. Oder sogar noch mehr.

Die Geldstrafe bemisst sich bei uns nach Tagessätzen. Die Zahl der Tagessätze sagt etwas darüber aus, wie schwer die Sache wiegt. Eine Beleidigung kostet normalerweise 10 bis 30 Tagessätze, eine Körperverletzung 20 bis 60, Fahrerflucht 40 bis 90. Ab 91 Tagessätzen gilt man als “vorbestraft”.

Neben der Zahl der Tagessätze muss der Richter auch über die Höhe entscheiden. Das ist das soziale Element an der Sache. Ein Tagessatz entspricht dem Nettoeinkommen eines Tages. 30 Tagessätze entsprechen also einer Geldstrafe von einem Monatsgehalt.

Im wahrsten Sinne nach hinten los ging der soziale Gedanke bei den Tagessätzen jetzt in Hamburg. Dort wurde ein Autofahrer vor Gericht in einem achttägigen Prozess der Beleidigung überführt. Die weitaus meiste Zeit investierte der Richter aber gar nicht in die Tat. Vielmehr klärte er offenbar akribisch die Einkommensverhältnisse des Angeklagten auf.

Der Angeklagte hatte vor Gericht nur erklärt, er verdiene auskömmlich. Möglicherweise machte sein Luxuswagen, der im Fall eine Rolle spielte, den Richter übermäßig stutzig. Der Richter beschränkte sich nämlich nicht darauf, das Einkommen des Angeklagten zu schätzen. Vielmehr ermittelte er, was der Mann tatsächlich verdient. Dazu darf das Gericht ganz normal Beweis erheben. Zum Beispiel Arbeitgeber und Bankmitarbeiter fragen. Oder sich bei Behörden erkundigen.

Am Ende stand für das Gericht fest, dass es im Verfahren für die wahrscheinlich teuerste Beleidigung in der Hamburger Geschichte langt. Insgesamt 60.000 Euro soll der Angeklagte zahlen. Der Richter hatte einen Tagessatz von 2.000 Euro ermittelt; das monatliche Einkommen des Angeklagten beträgt demnach 60.000 Euro.

Der Fall zeigt jedenfalls, dass nicht nur Prahlerei schädlich sein kann. Sondern auch übertriebene Schweigsamkeit. Wenn der Mann von sich aus ein Einkommen angegeben hätte, das einigermaßen realistisch klang, hätte der Richter wahrscheinlich nicht die große Keule ausgepackt. Und für den Angeklagten wäre es deutlich billiger geworden.

Bericht in der Legal Tribune Online