Keine Garantie auf saubere Methoden

Es ist ein zynisches Urteil, das der Bundesgerichtshof heute verkündet hat. Auf der einen Seite stellt das Gericht fest, dass Ermittlungsbehörden “Zufallstreffer” bei DNA-Reihenuntersuchungen nicht verwenden dürfen. Konkret bedeutet dies: Es darf bei Ähnlichkeiten in der DNA nicht danach gesucht werden, ob die Probe vielleicht auf einen (nahen) Verwandten passt – auch wenn dies technisch möglich ist.

Gleichzeitig bestätigt der Bundesgerichtshof aber die Verurteilung eines jungen Mannes zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren. Der Täter selbst hatte gar nicht an dem Reihentest teilgenommen, sondern ein naher Angehöriger. Erst durch die Ähnlichkeit von dessen DNA waren die Behörden dem jungen Mann auf die Spur gekommen. Diese “Ähnlichkeit” hatte die Polizei eigenmächtig für weitere Recherchen genutzt, was nach Auffassung der Richter illegal ist.

Der Bundesgerichtshof sah im konkreten Fall aber keinen Grund, die Verwertung der illegal gewonnenen Beweismittel mit Folgen zu belegen. Die denkwürdige Begründung:

Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten.

Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann.

Mit anderen Worten: Da die Behörden zwar illegal handelten, das aber in gutem Glauben, spielt der Gesetzesverstoß keine Rolle. Die Beweismittel gegen den Verurteilten dürfen in vollem Umfang verwendet werden – so als hätten sich die Ermittler an die Spielregeln gehalten. Dass die Strafverfolger jedenfalls bewusst die Grenzen des Gesetzes – über den Wortlaut hinaus – dehnten, spielt keine Rolle.

Das Urteil ist eine erneute Ermutigung für Beamte, die im Zweifel bis ans juristische Limit gehen – oder sogar darüber hinaus. Denn im Zweifel, so zeigt die Rückendeckung von der Richterbank, führen auch illegale Ermittlungsmethoden zum Erfolg. Der Verdächtige wird verurteilt, obwohl seine Überführung nur möglich war, indem sich die Strafverfolger selbst nicht an Recht und Gesetz hielten.

Es bedarf also auch künftig nur geschickter Ausflüchte, um in solchen Fällen Verfahrensfehler ungeschehen zu machen. “Das haben wir nicht gewusst”, wäre das simpelste Argument. Noch heute berufen sich Polizeibeamte gerne darauf, ihnen sei gar nicht bekannt gewesen, dass im Normalfall nur ein Richter eine Blutprobe anordnen darf. Wie leicht wird es dann sein, dass irgendein Labormitarbeiter die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu DNA-Ähnlichkeiten schlichtweg nicht kennt.

Der Zweck heiligt also weiter die Mittel. Den Betroffenen bleibt nur die bittere Pille, dass die Strafprozessordnung für sie nur auf dem Papier gilt. Sie bekommen – wie heute vom Bundesgerichtshof – zwar schriftlich, dass Ermittler ihre Rechte verletzt haben. Verurteilt werden sie trotzdem, sogar wenn dies ohne den Verfahrensverstoß unmöglich gewesen wäre. So eine Einstellung zu den “Spielregeln” des Strafverfahrens lässt verbindliche Vorgaben zu reinen Empfehlungen erodieren. Das bekommt früher oder später jeder zu spüren, der mit der Polizei zu tun hat. Im schlimmsten Fall kann man sich eben nicht darauf verlassen, dass mit sauberen Methoden gearbeitet wird.   

Hinzu kommt, dass auf gesetzeswidrige Ermittlungen normalerweise keine Sanktionen folgen. Eine Verurteilung wie im Fall Daschner, der einem Tatverdächtigen Folter angedroht hatte, ist die große Aufnahme. Der alltägliche Verfahrensverstoß, der die Rechte eines Beschuldigten wahren soll, ist in der Regel noch nicht mal eine Straftat. Zu verfolgen ist da nichts, zumal am Ende ja doch nur der Ermittlungserfolg gesehen wird. Dienstrechtliche Konsequenzen bleiben da eine reine Illusion.

Unsere obersten Strafrichter sollten sich ein Beispiel am Sport nehmen. Was wäre auf dem Platz los, wenn so gut wie jedes Foul folgenlos bliebe – nur weil der Übeltäter die Grätsche mit einem Torschuss abschließen konnte. Was in so einer simplen Situation jedem Gerichtigkeits- und Ordnungsdenken widerspräche, ist Alltag im deutschen Strafprozessrecht. Dumm nur, dass längt nicht jeder schuldig ist, gegen den ermittelt wird.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Dezember 2012, Aktenzeichen 3 StR 117/12