Tempomessung muss nachvollziehbar sein

Der Name „PoliScan Speed“ ist Autofahrern ein Begriff. Das Tempomessgerät der Firma Vitronic hat schon vielen Punkte und Bußgelder beschert – und Fahrverbote natürlich auch. Dabei hält sich der Hersteller ziemlich bedeckt zu der Frage, wie sein Gerät überhaupt funktioniert. Diese fehlende Transparenz sorgt jetzt für eine aufsehenerregende Gerichtsentscheidung.

Das Amtsgericht Aachen hält eine Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan Speed für nicht verwertbar. Damit stemmt sich der Richter auch gegen Oberlandesgerichte, die mit PoliScan Speed bislang wenig Probleme hatten und Bußgelder regelmäßig mit dem Hinweis bestätigten, PoliScan Speed sei ein standardisiertes Messverfahren.

Laut dem Amtsgericht ist es dagegen nicht möglich, die Messergebnisse zu überprüfen. Das liege ganz einfach daran, dass Hersteller Vitronic den Messablauf weitgehend geheim halte – zum Schutz der eigenen Patente und Urheberrechte. Selbst Sachverständige, so der Richter, könnten nicht feststellen, wie Poliscan Speed genau arbeitet, weil sie die Unterlagen nicht einsehen dürfen. Aus dem Urteil:

Es gebe ein erhebliches Informationsdefizit zulasten der Sachverständigen, weshalb das Gerät als eine „Black Box“ beschrieben werden müsse. Aus diesem Grund sei lediglich eine näherungsweise Feststellung der Geschwindigkeit unter Analyse des Messfotos mit Hilfe des sogenannten „Smear-Effekts“ möglich. Hierbei handele es sich nur um eine „Pseudoauswertung“, die mit einer Analyse der Messdaten nichts zu tun habe. Es komme dabei zu Abweichungen von bis zu 15% zu dem auf dem Messfoto angezeigten Wert.

Richtig sei zwar, dass die Phyiskalisch Technische Bundesanstalt (PTB) Poliscan abgenommen habe. Jedoch sei es schon zweifelhaft, ob die PTB tatsächlich jede Geräteentwicklung ausreichend verfolgt, zum Beispiel bei der Software. Unabhängig davon dürfe ein Gericht nicht einfach einem “Prüfsiegel” vertrauen. Vielmehr müsse es stets auch selbst überprüfen können, ob Bußgelder tatsächlich berechtigt sind, schon wegen der durchaus heftigen Folgen von Tempoverstößen:

Es ist zwar leicht einsehbar, dass es für die Herstellerfirmen bequemer ist, den unbefugten Nachbau ihrer Geräte durch Geheimhaltung der technischen Spezifikationen als durch die Führung von Patentprozessen zu verhindern. Andererseits werden aufgrund von Messungen mit „Poliscan Speed“ bundesweit jährlich tausende Fahrverbote verhängt, die gravierende berufliche Folgen für die Betroffenen haben. Aufgrund der heute von den Arbeitnehmern verlangten Mobilität und der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es der Regelfall, dass bereits ein einmonatiges Fahrverbot zum Verlust des Arbeitsplatzes führt. Dieser Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG lässt sich durch Geheimhaltungsinteressen der Herstellerfirmen nicht rechtfertigen

Freuen kann sich zunächst die betroffene Autofahrerin. Sie soll 48 Stundenkilometer zu schnell gefahren sein. Dafür hätte sie eigentlich ein Bußgeld von 170 Euro, zwei Punkte in Flensburg und einen Monat Fahrverbot geben müssen. Die Frau wurde freigesprochen.

Amtsgericht Aachen, Urteil vom 10.  Dezember 12.2012, Aktenzeichen 444 OWi-606 Js 31/12-93/12