Eine Akte mehr

Der 23. März war, trotz des meteorologisch günstig klingenden Datums, ein bitterkalter Tag mit stattlichen Minusgraden. So manchen stellte das vor Probleme, wollten sie an diesem Tag doch in Köln gegen die rechte Vereinigung “Pro NRW” demonstrieren. Zwar muss man heutzutage noch nicht nackt auf Demonstrationen erscheinen, aber das Gesicht hat grundsätzlich freizubleiben. So will es das gesetzlich verankerte Vermummungsverbot.

Nicht jeder hatte aber Lust und Kraft, sich einen abzufrieren. So auch meine Mandantin. Sie zog während der Demo den  Schal ins Gesicht. Das blieb nicht unbeobachtet. Meine Mandantin erlebte einen martialischen Zugriff, Feststellung der Personalien, und dann kassierte sie eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

Immerhin schrieben die Beamten der Einsatzhundertschaft in die Akten, die Betroffene sei nicht ständig “vermummt” gewesen. Sie habe den Schal nur einige Male hochgezogen. Also nicht gerade das typische Verhalten für jemanden, der im Schutz der Gesichtsanonymität Straftaten begehen will. Dass meine Mandantin sich einfach vor dem Frost schützen wollte, ordneten die Beamten als juristisch irrelevant ein.

Aber es gibt auch andere Polizisten – jene mit gesundem Augenmaß. Der zuständige Sachbearbeiter bei der Kriminalpolizei fragte online die Wetterhistorie ab und vermerkte, mit mindestens minus sieben Grad sei es an dem Tag schon eher schattig gewesen. “Die Angabe der Beschuldigten, sie habe sich nur vor der Kälte schützen wollen, erscheint vor diesem Hintergrund glaubhaft.”

Im übrigen gebe es ja sogar Videoaufnahmen meiner Mandantin, angefertigt vom Beobachungstrupp. Diese zeigten doch recht deutlich, dass sie es keinesfalls darauf angelegt habe, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Genau diese Absicht muss man aber haben, um gegen das § 17a des Versammlungsgesetzes zu verstoßen.

So sah es dann auch der Staatsanwalt. Er stellte das Verfahren ein. Nicht wegen geringer Schuld, sondern ausdrücklich wegen fehlenden Tatverdachts. Eine Strafakte mehr, die nie hätte angelegt werden müssen.