Die rote Linie, irgendwo da hinten

Es ist mir einfach mal eine Erwähnung wert. Die Berichterstattung von Spiegel und Spiegel online über die Prism-Affäre ist großartig. Das gilt nicht nur für Kommentare wie den von Klaus Brinkbäumer im gedruckten Spiegel (“Die USA sind krank”), der jetzt auch online zu lesen ist. Sondern auch für die Serie weiterer Berichte seit Beginn der Enthüllungen. Die Redaktionen bringen die Leser nicht nur in der Sache auf den neuesten Stand. Das tun andere auch. Sie hinterfragen und setzen thematisch eigene Akzente, welche die Dimension der Angelegenheit verdeutlichen.

Ein Beispiel ist der aktuelle Beitrag von Christian Teevs, zu dem ich eigentlich ein paar Worte sagen wollte. Anhand konkreter Beispiele widerlegt der Autor die Prämisse, wonach der Zweck bei uns stets die Mittel heiligt. So lautet ja das Credo der Überwachungs-Apolegeten: Im hehren Kampf gegen Terror und Kriminalität hat das Individuum und insbesondere seine Freiheit zurückzustehen. Anders ausgedrückt: Das Supergrundrecht auf Sicherheit sticht. Stets und ständig. 

Doch auf anderen Gebieten herrscht seltsamerweise nicht so eine rigorose Sicht der Dinge, was den Schutz von Leib, Leben und Gesundheit betrifft. Da sind die Entfaltungsrechte des einzelnen plötzlich nicht hoch genug anzusiedeln, obwohl ihre Verwirklichung andere gefährdet. Teevs erwähnt völlig zu Recht als aussagekräftigstes Beispiel den Straßenverkehr.

Klar ist etwa: Ein strengeres Tempolimit in der Stadt und auf Landstraßen sowie eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen würde die jährliche Zahl der Verkehrstoten deutlich senken. Gleiches gilt für eine Promillegrenze von 0,0. Wir reden hier immerhin über vier- bis fünftausend Menschen pro Jahr, die bei uns unter die Räder kommen.  Eine große Zahl würde noch leben, gäbe es Tempolimit und Alkohlverbot am Steuer. Dennoch werden die tempobedingten Opfer in Kauf genommen, damit der Verkehr mutmaßlich besser rollt und ein Feierabendbier auch für Autofahrer möglich ist.

Wir müssen gar nicht diskutieren, ob die Beweggründe richtig sind, mit denen die Toten akzeptiert werden. Aber es sind die Beweggründe desselben Politikpersonals, das in Sachen innerer Sicherheit die rote Linie nicht mehr erkennen kann, weil sie schon so weit hinter ihm liegt. Und das, obwohl eigentlich jedem klar ist, dass Terroranschläge letztlich nicht mal durch totale Überwachung zu verhindern sind- und die Zahl der tatsächlichen Opfer seit dem 11. September 2001 aber gleichwohl unter zehn liegt.

Noch eine ganze Reihe anderer Beispiele in dem Artikel zeigen, wie verschoben die Maßstäbe im Umgang mit den Freiheits- und Bürgerrechten mittlerweile sind.  Das kann man durchaus mal zur Kenntnis nehmen und die Frage stellen, ob wir wirklich so krank werden wollen, wie es andere schon sind.