Auf die Post darf man sich (nach wie vor) verlassen

Wer fünf Tage vor Fristablauf per Post ein Schreiben ans Gericht schickt, darf davon ausgehen, dass der Brief rechtzeitig eingeht. Weitere Sorgfaltspflichten hat der Absender nicht. Insbesondere muss er nicht irgendwelche “Sicherungsvorkehrungen” treffen, also das Schreiben beispielsweise auch noch per Fax senden. Das stellt der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung klar.

Die Richter wiederholen den wichtigen und seit langem gültigen Grundsatz, dass man sich auf die normale Briefpost verlassen darf. Ein Absender, so das Gericht, könne darauf vertrauen, dass ein werktags zur letzten normalen Leerung eingeworfener Brief am nächsten Tag im Bundesgebiet seinen Empfänger erreicht. Insoweit hatte der Anwalt, der eine Berufungsbegründung per Post schickte, seinen Schriftsatz sogar fünf Tage vor Fristablauf zur Post gegeben.

Besonders an dem Fall ist, dass der Jurist seine sonstigen Schriftsätze immer vorab per Fax geschickt hatte. Das Oberlandesgericht Oldenburg, welches über seinen Wiedereinsetzungsantrag wegen der Fristversäumung entscheiden musste, kreidete ihm an, er habe sich nicht dazu geäußert, warum er die Berufungsbegründung nicht vorab gefaxt habe. Das hält der Bundesgerichtshof jedoch nicht für notwendig:

Aus dem Umstand, dass alle weiteren Schriftsätze per Telefax übersandt wurden, kann nicht auf eine dahingehende ausnahmslose Praxis des Prozessbevollmächtigten geschlossen werden. Auch wenn die Versendung per Telefax kurz vor Fristablauf der einzige Weg zur Fristwahrung sein kann, gibt es bei rechtzeitigem Postversand keinen zwingenden Grund für eine zusätzliche Faxsendung. Aus diesem Grund musste auch nicht erklärt und glaubhaft gemacht werden, warum Frau P. die Faxsendung unterließ.

Von einem Absender dürfe auch nur verlangt werden, dass er nachvollziehbar sagt, wer den Brief wann in welchen Briefkasten eingeworfen hat. Darüber, ob und wie das Schreiben bei der Post oder dem Empfänger verloren gegangen ist, müsse er nicht spekulieren (Beschluss vom 19. Juni 2013, Aktenzeichen V ZB 226/12).

Eine Akte mehr

Der 23. März war, trotz des meteorologisch günstig klingenden Datums, ein bitterkalter Tag mit stattlichen Minusgraden. So manchen stellte das vor Probleme, wollten sie an diesem Tag doch in Köln gegen die rechte Vereinigung “Pro NRW” demonstrieren. Zwar muss man heutzutage noch nicht nackt auf Demonstrationen erscheinen, aber das Gesicht hat grundsätzlich freizubleiben. So will es das gesetzlich verankerte Vermummungsverbot.

Nicht jeder hatte aber Lust und Kraft, sich einen abzufrieren. So auch meine Mandantin. Sie zog während der Demo den  Schal ins Gesicht. Das blieb nicht unbeobachtet. Meine Mandantin erlebte einen martialischen Zugriff, Feststellung der Personalien, und dann kassierte sie eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

Immerhin schrieben die Beamten der Einsatzhundertschaft in die Akten, die Betroffene sei nicht ständig “vermummt” gewesen. Sie habe den Schal nur einige Male hochgezogen. Also nicht gerade das typische Verhalten für jemanden, der im Schutz der Gesichtsanonymität Straftaten begehen will. Dass meine Mandantin sich einfach vor dem Frost schützen wollte, ordneten die Beamten als juristisch irrelevant ein.

Aber es gibt auch andere Polizisten – jene mit gesundem Augenmaß. Der zuständige Sachbearbeiter bei der Kriminalpolizei fragte online die Wetterhistorie ab und vermerkte, mit mindestens minus sieben Grad sei es an dem Tag schon eher schattig gewesen. “Die Angabe der Beschuldigten, sie habe sich nur vor der Kälte schützen wollen, erscheint vor diesem Hintergrund glaubhaft.”

Im übrigen gebe es ja sogar Videoaufnahmen meiner Mandantin, angefertigt vom Beobachungstrupp. Diese zeigten doch recht deutlich, dass sie es keinesfalls darauf angelegt habe, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Genau diese Absicht muss man aber haben, um gegen das § 17a des Versammlungsgesetzes zu verstoßen.

So sah es dann auch der Staatsanwalt. Er stellte das Verfahren ein. Nicht wegen geringer Schuld, sondern ausdrücklich wegen fehlenden Tatverdachts. Eine Strafakte mehr, die nie hätte angelegt werden müssen.

Geschwollen

In unserem Amtsgericht gibt es, so steht es in einer amtlichen Mitteilung, „Änderungen in den Personen der Pressesprecher“. Wie das?

Ganz einfach. Gemeint ist bloß, dass es personelle Veränderungen gibt. Aber so sind sie, die Bürokraten. Sie sind sprachlich kaum auf der Höhe ihrer Ämter. Speziell offiziell werden sie künstlich, die Grammatik hauen sie oft blind zu Bruch, und das Vokabular will viel zu steil hinauf, irgendwas soll zum Tragen kommen oder zur Durchführung gelangen.

Und so kommt es denn, dass der Herr Amtsgerichtspräsident wissen lässt, es gebe „Änderungen in den Personen“. Och.

Wenn wir das wörtlich nehmen, müssen wir uns dann Sorgen machen? Ist etwa des einen Leber geschwollen, sind bei anderen Nervenstränge geschrumpft?

Sind die Änderungen seelischer Natur? Frisst der Frust so sehr in den Richtern – oder sie gar auf? Müssen wir gar um die Rechtsprechung fürchten? Denn es gibt ja noch, aufgepasst, die Möglichkeit der Mutation, die dauerhafte Wandlung etwa des erworbenen Berufsbilds. Diese „Personen“, also die Richter, sie werden Rechtsanwälte (meist zu deren Entsetzen). Oder Berufszeugen. Oder Politiker.

Herr Präsident, bitte sprechen Sie Klartext! (pbd)

Abschreckend

Da hat sich ein schneidiger Staatsanwalt offenbar einen schönen Textbaustein gebaut. Folgendes lese ich jetzt schon zum wiederholten Mal in einer Berufungsbegründung aus seiner Feder:

Die Strafe kann gleichwohl nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung gebietet. Die Aussetzung der Vollstreckung erscheint für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich und könnte das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen erschüttern. …

Eine Strafaussetzung zur Bewährung bedeutete daher eine verheerende Signalwirkung im Hinblick auf den – auch – abschreckenden Zweck eines Strafprozesses.

Am Ende des ersten Absatzes, wo die Pünktchen stehen, liest man dann einige leidlich fallbezogene Worte, aber stets ist von “überdurchschnittlicher krimineller Energie” die Rede, von “verwerflichem Vorgehen” und “erschütternder Gleichgültigkeit” gegenüber den Opfern.

Immerhin können die Berufungskammern des zuständigen Landgerichts offenbar auch wenig mit den rechtspolitischen Vorstellungen des Staatsanwalts anfangen. In keinem einzigen Fall, in dem ich mit ihm zu tun hatte, war seinem “Hängt-ihn-höher”-Tiraden letztlich Erfolg beschieden.

Aber immerhin trägt er etwas zur abschreckenden Wirkung von Strafprozessen bei. Jedenfalls bei mir. 

Effekthascher

Zuerst sah es ja so aus, als wäre Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit leeren Händen aus den USA zurückgekehrt. Wie sich jetzt herausstellt, hatte er wenigstens eine Lüge im Gepäck.

Von 45 Anschlägen, die durch das Schnüffelprogramm Prism verhindert worden seien, hatte der Politiker der Presse berichtet. Fünf davon seien in Deutschland geplant gewesen. Das klang dramatisch und verfehlte natürlich erst mal seine Wirkung nicht.

Auch wenn Friedrich in seiner Erklärung offen ließ, welches potenzielle Ausmaß die Anschläge gehabt hätten, so ließ er doch keinen Zweifel daran, dass es sich um reale Bedrohungen gehandelt habe.

Keine drei Tage später klingt das völlig anders: Laut Innenministerium zählen zu den fünf angeblich verhinderten Attentaten auch solche, die teilweise nur aus “Überlegungen” bestanden. So berichtet es die Süddeutsche Zeitung.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Überlegungen sind noch nicht mal Pläne. Und selbst die bergen keine tatsächliche Gefahr für die Bürger dieses Landes. Das gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, wie weitmaschig der Begriff der Verbrechensplanung heutzutage ist.

Möglich wird das insbesondere durch den Schwabbelbegriff der kriminellen Vereinigung. Die Strafvorschriften sind über Jahre aufgeweicht worden, können mittlerweile auf alles und jedes angewandt werden. Man muss es leider sagen: Bei gewissen schweren Delikten geht das schon in den Bereich des Gedankenverbrechens. Kurz gesagt und ohne die Gefahr echter Anschläge verharmlosen zu wollen: Von der großen Klappe bis zum Terrorverdacht ist nicht unbedingt ein weiter Weg.

Aber selbst wenn aus Überlegungen konkrete Pläne erwachsen sollten – eine Totalüberwachung, noch dazu eine outgesourcte, ist und bleibt unverhältnismäßig. Auch deutsche Behörden haben heute schon weitgehende Möglichkeiten zur Verbrechensaufklärung. Den Nachweis, dass ein Terroranschlag nur wegen der Komplettkontrolle des Internetverkehrs verhindert werden konnte, ist bislang nicht erbracht. Dagegen spricht viel dafür, dass echte Terroristen auch dann zu fassen sind, wenn die Kriminalpolizei, insbesondere das massiv aufgerüstete Bundeskriminalamt,  ihre Arbeit vernünftig machen.  

Es ist deshalb schon ein bemerkenswerter Vorgang, wenn ein Innnenminister vermeintliche Fahndungserfolge so aufbauscht, ohne deutlich zu machen, dass sogar schon “Überlegungen” geeignet sein sollen, um die amerikanische Totalüberwachung bei uns zu rechtfertigen. Das ist letztlich Gefahrenabwehr ohne Gefahr. Ein Minister, der im Ernstfall der ruhende Pol sein müsste, sollte jedenfalls nicht zur Garde der Effekthascher gehören.

Der edle Zweck

Eins muss man ihm lassen. Innenminister Hans-Peter Friedrich ist ein Mann der klaren Worte. Er schafft es mit einem Satz, sich klar außerhalb des geltenden Rechts zu positionieren. Und damit meine ich das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, welche die Vereinten Nationen im Jahr 1948 verabschiedet haben. Nichts anderes sagt der Politiker nämlich, wenn er von seiner Amerika-Reise im Kern  verlauten lässt, das amerikanische Spähprogramm Prism gehe schon in Ordnung.

Zunächst hat Friedrich in Washington offenbar immerhin die Bestätigung erhalten, dass wir wohl bis auf weiteres die Informationen von Edward Snowden als richtig betrachten dürfen. Der Ex-Mitarbeiter der NSA hat bislang einige (von wahrscheinlich vielen) Unterlagen veröffentlicht, welche eine amerikanische und britische Komplettüberwachung des Internetverkehrs belegen, die sich zielgerichtet auch gegen die EU-Staaten und insbesondere Deutschland richtet.

Damit sind wir alle direkt betroffen – unsere Mails, Posts, Chats und Gespräche werden gespeichert, gescannt und ausgewertet. Dazu kommen noch Lauschangriffe, die sich zumindest gegen die EU richten; offizielle Vertretungen sollen von der NSA verwanzt worden sein.

Ein Dementi der USA hat Friedrich nicht im Gepäck. Deshalb hätte er in Washington auf den Tisch hauen müssen. Das mag nicht seiner sonnigen Art entsprechen, aber die Sachlage hätte es erfordert. Denn alles, was wir derzeit über Prism wissen, lässt sich auf ein beunruhigendes Ergebnis herunterbrechen: Das Programm ist weder mit der deutschen Verfassung, den europäischen Grundrechten und auch nicht den Allgemeinen Menschenrechten vereinbar.

Prism als Aufgabe in einer juristischen Zwischenprüfung wäre der Traum der meisten Jura-Studenten. Die Aufgabe würde die Durchfaller-Rate gegen null drücken. Die schon reichlich gedehnten Schubladen unseres Wertekanons sind nämlich nicht einmal annähernd groß genug, um Prism und Tempora hinein zu sortieren.

Das ist so offensichtlich, dass selbst Friedrich vor der peinlichen Behauptung zurückschreckt, Prism sei legal. Stattdessen flüchtet er in eine Rechtfertigung, die es in sich hat:

Dieser edle Zweck, Menschenleben in Deutschland zu retten, rechtfertigt zumindest, dass wir mit unseren amerikanischen Freunden und Partnern zusammenarbeiten, um zu vermeiden, dass Terroristen, dass Kriminelle in der Lage sind, unseren Bürgern zu schaden.

Es ist anmaßend, wenn sich ein Innenminister herausnimmt, “edle” Zwecke zu definieren. Das ist nicht seine Aufgabe, sondern die des Bundestages und der europäischen Institutionen. Diese stecken – innerhalb der grundrechtlichen Schranken – den Rahmen des Zulässigen ab, und als Korrektiv wirken Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht, der Europäische Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Dass sein “edler” Zweck längst nicht alles rechtfertigt, könnte der Innenminister schon den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Dort wird – notgedrungen gebetsmühlenartig – wiederholt, dass auch große Bedrohungen, ungewiss und vage zumal, die Annullierung des Rechts auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung verbieten. Friedrich könnte auch mal die Argumentation nachlesen, wonach niemand zum Objekt staatlichen Handels degradiert werden darf. Selbst diese, zugegeben sehr große Schublade müsste für Prism noch neu eingefasst werden. 

Der “edle” Zweck, den der Innenminister bemüht, ist ein tödliches Argument. Mit ihm lassen sich ebenso Folter, Präventivhaft, gezielte Tötungen und Kriege rechtfertigen. Auch das wären Mittel, mit denen sich Terroranschläge womöglich verhüten lassen…

Die von Friedrich konkret angeführten, aber nicht näher erläuterten 45 Anschläge, die weltweit angeblich durch die NSA-Überwachung verhindert werden konnten, sollen also etwas rechtfertigen, was an die faktische Außerkraftsetzung unserer Grundrechte heranreicht?

Über Epochen haben Menschen darunter gelitten, dass “gut” und “böse” willkürlich definiert werden konnten – zumeist von den Falschen. Es wäre ein unumkehrbarer Fehler, den nunmehr Verantwortlichen ihre Abkehr von den Grundwerten, die sie in Sonntagsreden doch so gerne feiern, durchgehen zu lassen.

Supergeheime Liste bleibt supergeheim

Die Liste jugendgefährdender Medien bleibt auch weiter “geheim”. Das Verwaltungsgericht Köln lehnte den Antrag eines Rechtsanwalts ab, ihm Einsicht in die nichtöffentlichen Teile der Liste zu geben. Der im Medienrecht tätige Anwalt hatte geltend gemacht, er brauche die Liste für seine berufliche Tätigkeit.

Die Liste jugendgefährdender Medien besteht aus vier Teilen. Zwei Teile sind nichtöffentlich, sie enthalten die nach § 18 JuSchG komplett verbotenen Filme, Musik, Spiele und Literatur.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts besteht ein begründetes Interesse, die Liste unter Verschluss zu halten. Durch die Nicht-Veröffentlichung solle die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geschützt werden. Würden die Daten an den Rechtsanwalt übergeben, bestehe “abstrakt” die Gefahr, dass Kinder oder Jugendlichen Zugang zu diesen Informationen erhielten. Dadurch würde genau der Jugendschutz unterlaufen, um den es mit der Liste gehe.

Ganz so unzugänglich sind die Informationen allerdings auch heute nicht. Es kursieren immer wieder leidlich aktuelle Fassungen im Internet  (Urteil vom 4. Juli 2013, Aktenzeichen 13 K 7107/13).

War was?

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich in einem Interview mit der Zeit zu den Überwachungsprogrammen der USA und Englands. Bislang liegt nur der Vorabbericht vor.  Aber schon dieser zeigt, was an Aufklärung erwarten können: wenig, sehr wahrscheinlich sogar nichts. Sehr deutlich wird auch, dass die Kanzlerin an sich gar nichts daran auszusetzen hat, dass alle Bürger dieses Landes mit der Rasenmähermethode überwacht werden. Und dass sie daran auch nichts ändern will.

Die Kanzlerin bedient sich der bekannten Beschwichtigungstaktik. Interessant ist zunächst, dass sie von PRISM & Co. nichts gewusst haben will. Begründung: Für die Koordination der Geheimdienste gebe es einen eigenen Mitarbeiter im Kanzleramt. Das provoziert nun wirklich die Frage: Ist eine Kanzlerin up to date, die sich nicht mal ansatzweise damit zu beschäftigen scheint, was die Geheimdienste so machen – und wie die deutsch-amerikanische Freundschaft mittlerweile konkret ausgestaltet ist?

Schwer vorstellbar, wo doch gerade Frau Merkel als pedantisch und interessiert gilt. Mir drängt sich eine ganz andere Erklärung auf: Die Kanzlerin lügt uns ins Gesicht, wenn sie sich unwissend stellt. Sie bringt sich damit nicht nur, wenn auch wenig elegant, aus der Schusslinie im Falle weiterer Enthüllungen (die kommen werden). Sie bagatellisiert die Angelegenheit auch zu einer Frage der Alltagspolitik. Ziel: das Thema ad acta legen, so weitermachen wie bisher.

Trotz demonstrativer Unkenntnis ahnt die Kanzlerin aber offensichtlich, dass die permanente Überwachung ein Thema ist, das die Bürger nicht kaltlässt. Deshalb weist sie schon mal vorsorglich Vergleiche mit der DDR zurück. Sonderlich einfallsreicht ist es dabei nicht, was die Zeit als Kernaussage Merkels zitiert. Wer die Überwachung bei uns ins Verhältnis zu den Möglichkeiten der Stasi setze, verharmlost nach ihrer Auffassung das ostdeutsche Regime.

Ach ja?

Soll das nun zu einem Sprech- und besser noch zu einem Denkverbot führen? Sich mal wieder auf den Rechtsstaat zurückzuziehen, in dem alles besser ist, ist nicht zielführend. Der Rechtsstaat ist kein Rechtsstaat, weil man ihn so nennt. Sondern weil die Grundrechte der Bürger geachtet und nicht bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden. Dass PRISM und Tempora selbstverständlich die sachliche Frage zulassen, ob solche Überwachungsmöglichkeiten nicht sogar der feuchte Traum der Stasi gewesen wären, liegt auf der Hand. Ebenso übrigens die auch Tatsache, dass Überwacher nicht automatisch unser Bestes wollen.

Wenig überzeugend ist auch die Sonderrolle, die sich Merkel für die USA aus historischen Gründen erbittet. Dankbarkeit ist keine schlechte Sache, Freundschaft ebenso wenig, aber genau so sicher müssen wir nicht akzeptieren, dass die USA und England unser Rechtssystem aushöhlen, indem sie jeden von uns unter staatliche Überwachung stellen. Ohne jede Rechtsschutzmöglichkeit, mutmaßlich überdies mit üppigem Datenzugriff für die deutschen Geheimdienste.

Die Äußerungen der Kanzlerin offenbaren unfreiwillig, wie ernst die Lage ist. Die Frage ist, ob man sich einlullen lässt.

Legal Highs verbleiben in einer Grauzone

“Legal Highs” sind ein großes Geschäft. Vor allem Internetshops bieten Kräutermischungen und synthetische Stoffe an, die eine ähnliche Wirkung wie Marihuana und andere weiche Drogen erzeugen. Die Wirkstoffe stehen allerdings oft (noch) nicht in der amtlichen Drogenliste – deshalb gelten sie nicht als Betäubungsmittel. Trotzdem wurden schon Anbieter von von Legal Highs zu Haftstrafen verurteilt. Ob das rechtmäßig ist, muss jetzt der Europäische Gerichtshof entscheiden.

Die Strafurteile gegen Shopbetreiber beruhen auf einem juristischen Trick. Manche Strafverfolger ordnen Legal Highs als Arzneimittel ein. Der Verkauf wäre ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Auch dafür können Haftstrafen verhängt werden.

Allerdings stößt es schon begrifflich auf Schwierigkeiten, bei Legal Highs von einem Arzneimittel zu sprechen. Denn die Konsumenten wollen sich zwar einen Kick verschaffen, tun dies aber eher auf Kosten ihres Körpers. Das Arzneimittelrecht beschäftigt sich aber nur mit Stoffen, die eine therapeutische Wirkung haben oder zumindest haben sollen.

Den Richtern am Bundesgerichtshof, die nun über das erste Strafurteil gegen eine Shopbetreiber zu entscheiden haben, stellt sich also im Kern eine Frage: Kann man von einem Arzneimittel sprechen, wenn der Konsument sich mit der Einnahme der Substanz nur schadet?

An sich tendiert der Bundesgerichtshof dazu, die Frage zu verneinen. Das erscheint auch sachgerecht, denn ansonsten wäre die Trennung zwischen Betäubungs- und Arzneimitteln nur noch theoretischer Natur mit der etwas absurden Folge, dass dann halt alles, was kein Betäubungsmittel ist, im Zweifel halt als Arzneimittel gelten kann.

Allerdings müssen zunächst europarechtliche Probleme gelöst werden. Das deutsche Arzneimittelrecht beruht in den entscheidenden Punkten mittlerweile auf einer EU-Richtlinie. Für deren Auslegung ist der Bundesgerichtshof nicht zuständig, sondern der Europäische Gerichtshof.

Bis eine Antwort aus Luxemburg eingeht, kann es noch dauern. Bis dahin arbeiten die Anbieter von Legal Highs weiter in einer Grauzone.

Online-Plattformen müssen für Impressum sorgen

Online-Plattformen müssen es gewerblichen Anbietern ermöglichen, auf einfachem Weg ein ordnungsgemäßes Impressum anzuzeigen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte jetzt einen Online-Markt, weil dieser im Anmeldeformular für seine Kunden keine Felder vorgesehen hat, in denen Werbetreibende die gesetzlich notwendigen Angaben machen können.

In dem Rechtsstreit ging es um eine Internetseite, über die vor allem gebrauchte Baumaschinen und Ersatzteile gehandelt werden. Die Verkäufer stellen dabei in Eigenregie ihre Angebote auf der Plattform ein, die dann wie eine Anzeige erscheinen.

Für das Oberlandesgericht steht außer Frage, dass auch die Werbetreibenden selbst der Impressumspflicht unterliegen. Diese seien Anbieter nach dem Telemediengesetz. Die Vorinstanz hatte das noch anders gesehen. Die Werbung sei eher mit Zeitungsanzeigen vergleichbar, für die brauche man auch kein Impressum.

Die Plattform müsse zwar die eingestellten Angebote nicht auf Vollständigkeit prüfen, befinden die Richter.  Eine umfassende Kontrollpflicht überspanne die Anforderungen. Jedoch:

Von der Beklagten kann allerdings verlangt werden, dass sie ihre Angebotsmaske Anlage, die derzeit für die streitgegenständlichen Angaben nicht einmal Felder vorsieht, anpasst und beispielsweise so gestaltet, dass die genaue Bezeichnung der gesetzmäßigen Firmierung sowie die streitgegenständlichen Angaben zum Handelsregister im Einzelnen abgefragt werden und im Falle des Freibleibens der Felder eine mit einer Belehrung über die Impressumspflicht versehene Aufforderung zur Überprüfung erscheint.

Es gehe nicht nur um Formvorschriften:

An der Beachtung der Impressumspflicht besteht ein nicht unerhebliches Allgemeininteresse, da der Rechtsverkehr auf diese Weise in die Lage versetzt wird, sich über die Identität eines gewerblichen Anbieters in elektronischen Medien Klarheit zu verschaffen. Angaben wie Identität, Rechtform und Anschrift des Vertragspartners, für deren Verifizierung wiederum die Handelsregisterinformationen nützlich sind, haben bestimmenden Einfluss auf den Vertragsschluss und entlasten zugleich auch die Marktteilnehmer von den Kosten einer eigenen Informationenbeschaffung.

Urteil vom 18. Juni 2013, Aktenzeichen I-20 U 145/12

Mein Punkt wird aufgeblasen

Zu den größten Ärgernissen im Leben eines Autofahrers gehören Punkte in Flensburg. Ich weiß das, weil es in kleineren Bußgeldverfahren fast nie ums Geld geht, sondern nur darum, ob man die Punkte wegbekommt. Meist dadurch, dass man den Richter überzeugt, es bei einer Verwarnung von unter 40 Euro zu belassen, für die es keine Punkte gibt.

Nach knapp 30 Jahren mit reiner Weste hat es mich im Januar 2013 erwischt – ich bin in eine Radarfalle bei Hannover gerauscht und seitdem mit einem Punkt gesegnet. Deshalb interessierte mich an der geplanten Reform der Verkehrssünderkartei besonders, wie die bisherigen Punkte ins neue System umgerechnet werden.

Heute hat der Bundesrat die Punktereform endgültig beschlossen, so dass sie am 1. Mai 2014 in Kraft treten kann. Als Kleinsünder freue ich mich nur verhalten. Denn meine Aussicht, mal die Fahrerlaubnis entzogen zu bekommen, steigt mit einem Schlag um mehr als 100 %.

Das liegt am Umrechnungskurs: Wer etwa 1 bis 3 Punkte hat, bekommt auf dem neuen Konto gleichermaßen einen Punkt. Auch im weiteren Verlauf ist die Tabelle gestaffelt, vier oder fünf Punkte werden beispielsweise ebenfalls bei der Umrechnung gleich behandelt und schrumpfen zu zwei Punkten.

Allerdings ist das mehr ein optischer Effekt. Denn künftig ist schon bei acht Punkten der Führerschein weg. Bisher musste man 18 Punkte sammeln. Mein Risiko, den Führerschein loszuwerden, steigt also mit der Neuregelung um mehr als das Doppelte. Ohne dass ich was dazu beigetragen hätte.

Auch wenn eine Reform natürlich nie ohne Pauschalisierungen geht – sonderlich gerecht erscheint mir das nicht. Im Strafrecht wäre so eine Regelung übrigens nicht denkbar. Da haben wir den Grundsatz, dass die Strafe nicht nachträglich verschärft werden darf. Überdies muss immer das mildeste Gesetz angewendet werden, auch wenn es erst nach der Tat in Kraft getreten ist.

Allerdings gehört die Verkehrssünderkartei nicht zum Strafrecht im engeren Sinn, auch wenn jeder Punkt gemeinhin als Strafe empfunden wird. Wir reden vielmehr übers Verwaltungsrecht, das kennt so ein strenges Rückwirkungsverbot nicht, auch wenn der Gesetzgeber natürlich nicht alles machen darf.  Vielleicht gibt es ja findige Kollegen, die eine Lücke finden – und womöglich für etwas mehr Gerechtigkeit für Kleinsünder wie mich sorgen.