Gras wiegt bei uns der Praktikant

Die NSA hat ja kürzlich die Vorwahl von Washington mit der von Ägypten verwechselt. Mit der Folge, dass – eindeutig illegal – tausende Anschlüsse von US-Amerikanern abgehört wurden. Auf Sorgfalt sollte man also bei Behördenapparaten nicht unbedingt zählen- wie natürlich im überall im Leben.

Dass es gewisse Arbeitsstandards offensichtlich nicht gibt oder sie zumindest nicht beachtet werden, habe ich aktuell in einem anderen Fall erlebt. Dieser spielt freilich nicht in der Welt großen weiten Welt der Schlapphüte, sondern auf einem ganz normalen Polizeirevier.

Bei einem Mandanten wurde Marihuana im Auto gefunden. Es handelte sich um zwei Tüten mit 19,8 und 11,8 Gramm. Außerdem um eine Brotdose, die 48,8 Gramm enthalten haben soll. So steht es zumindest an mehreren Stellen im Polizeibericht.

Im Labor des Landeskriminalamtes, wo die Drogen zur Untersuchung ankamen, wurde aber eine ganz andere Menge festgehalten. Die Gewichtsangaben für eine Tüte und die Brotdose stimmen immerhin leidlich überein. Die größere Tüte soll aber nicht 19,8 Gramm, sondern 48,8 Gramm enthalten haben.

Der Staatsanwalt sah das natürlich auch und fragte nach, wie das Gras bei der Polizei gewogen wurde. Er bekam von einem Polizeioberkommissar folgende Antwort, die nun auch mir zugänglich gemacht wurde:

Die unterschiedlichen Angaben zur Grammzahl in der Tüte “1” sind aus meiner Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Die Tüten mit Marihuana wurden von einem Praktikanten gewogen, welcher in diesem Zeitraum bei uns sein Praktikum absolvierte.

Gut, man kann Arbeit natürlich delegieren. Auch auf Praktikanten. Interessant ist allerdings folgendes:

Ich habe den Inhalt der Tüten nicht mehr nachgewogen, die Werte sind folglich … nicht durch einen zweiten Beamten überprüft worden.

Aha, der Praktikant bearbeitet wichtige Beweismittel also in eigener Regie, eine Kontrolle findet nicht statt. Das scheint dem Kommissar so selbstverständlich, dass er noch nicht mal in seiner “Korrektur” gegenüber dem Staatsanwalt eine zutreffende Aussage hinbekommt. Die Werte sind nicht nur nicht durch einen zweiten Beamten überprüft worden, wie er schreibt. Sie sind durch gar keinen Beamten überprüft worden, denn der Praktikant war kein Beamter.

Aber alles kein Problem für den Kommissar:

Meiner Meinung nach kann es sich bei der Abweichung bei der Tüte “1” (19,8 Gramm statt 48,06 Gramm nur um einen Messfehler bzw. einen Übertragungsfehler handeln.

Aha, also ein Fehler des Praktikanten. Die Möglichkeit, dass der Praktikant richtig gewogen hat, danach aber andere Mengen auf dem Weg ins Labor zusammengeschusselt oder gar vertauscht wurden, ist natürlich völlig abwegig. Obwohl es von der Wache bis zum Labor noch einige weitere Bearbeitungsschritte gab.

Zum Beispiel ging das Marihuana über den Schreibtisch eines weiteren Sachbearbeiters und durch mindestens zwei Poststellen. Schon merkwürdig, dass gerade dem zweiten Kriminalisten, der vermutlich schon urlange Zeit mit Betäubungsmitteln hantiert, nicht aufgefallen sein, dass er es heute mit besonders schwerem Dope zu tun hat.

Der Staatsanwalt hat übrigens keine Probleme mit der Qualitätsarbeit bei der Polizei. In seiner Anklageschrift legt er meinem Mandanten selbstverständlich die größere Menge zur Last.

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