Ankläger, Richter, Vollstrecker

Rechtsanwalt Thomas Stadler setzt sich in einem Artikel mit der Frage auseinander, wie Drohnenangriffe juristisch zu bewerten sind:

Diejenigen, die Opfer eines Drohnenangriffs werden, gleichgültig ob Terroristen, Zivilisten oder nicht selten sogar Kinder, haben nie einen (fairen) Prozess bekommen. Sie wurden von Geheimdiensten in einem intransparenten und rechtsstaatswidrigen Verfahren als Terroristen ermittelt. Nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten haben die USA also 3.000 Unschuldige getötet. Es ist nämlich von vornherein nicht statthaft zwischen (mutmaßlichen) Terroristen und Unbeteiligten zu differenzieren. Wenn man die Unschuldsvermutung ernst nimmt, haben ausnahmslos alle Getöteten als unschuldig zu gelten.

Hier geht es zum extrem lesenswerten Beitrag. Auch die Kommentare sind interessant.

Widerstand ist Pflicht – für den Staatsanwalt

Werden einer Staatsanwaltschaft Beweismittel vorenthalten, weil die Behörde einen „Kaufpreis“ nicht zahlen will, ist dies keine strafbare Erpressung. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld wirft dem 53-jährigen Angeklagten aus Bielefeld Beihilfe zu versuchter Erpresssung vor. Der frühere Rechtsanwalt soll versucht haben, dem Staatsanwalt 80 Aktenordner voller Beweismittel zu verkaufen. Dabei handelt es sich um Unterlagen einer Bielefelder Firma, die in den sogenannten PET-Skandal verwickelt war.

Der Angeklagte soll sich im Auftrag eines Unternehmers, der unter falschem Namen auftrat, an die Staatsanwaltschaft gewandt haben. Anschließend führte er ein Verkaufsgespräch über die Unterlagen. Dabei legte er “Proben” aus den Papieren vor. Die Staatsanwaltschaft besorgte sich die Unterlagen dann aber auf anderem Weg. Sie hatte nämlich herausgefunden, wer der Unternehmer ist. Unter dem Druck möglicher Untersuchungshaft gab der Mann die Ordner freiwillig heraus.  

Über die Methoden der Staatsanwaltschaft hatte das Oberlandesgericht Hamm nicht zu befinden. Jedoch bleibt auch der frühere Rechtsanwalt, der die Papiere verschachern wollte, zunächst straflos. Es fehlt nach Auffassung der Richter nämlich an der Drohung mit einem empfindlichen Übel, ohne die eine Erpressung nicht möglich ist.

Von einem Staatsanwalt sei  zu erwarten, dass er grundsätzlich nicht auf so ein Ansinnen eingeht.Die  Strafprozessordnung regele nämlich, wie Beweismittel aufzufinden und sicherzustellen seien. Der Ankauf gegen Bares sei kein gesetzlich vorgesehener Weg. Deswegen sei ein Staatsanwalt mit einem Kaufangebot auch nicht zu erpressen. Dabei müsse, so die Richter, hingenommen werden, dass die Staatsanwaltschaft möglicherweise nicht an die Beweismittel kommt und deswegen öffentlichem Druck ausgesetzt ist.

Allerdings muss die Vorinstanz jetzt in einem neuen Verfahren prüfen, ob der Angeklagte sich vielleicht wegen Begünstigung strafbar gemacht hat (Urteil vom 21.05.2013, Aktenzeichen 3 RVs 20/13).

Gras wiegt bei uns der Praktikant

Die NSA hat ja kürzlich die Vorwahl von Washington mit der von Ägypten verwechselt. Mit der Folge, dass – eindeutig illegal – tausende Anschlüsse von US-Amerikanern abgehört wurden. Auf Sorgfalt sollte man also bei Behördenapparaten nicht unbedingt zählen- wie natürlich im überall im Leben.

Dass es gewisse Arbeitsstandards offensichtlich nicht gibt oder sie zumindest nicht beachtet werden, habe ich aktuell in einem anderen Fall erlebt. Dieser spielt freilich nicht in der Welt großen weiten Welt der Schlapphüte, sondern auf einem ganz normalen Polizeirevier.

Bei einem Mandanten wurde Marihuana im Auto gefunden. Es handelte sich um zwei Tüten mit 19,8 und 11,8 Gramm. Außerdem um eine Brotdose, die 48,8 Gramm enthalten haben soll. So steht es zumindest an mehreren Stellen im Polizeibericht.

Im Labor des Landeskriminalamtes, wo die Drogen zur Untersuchung ankamen, wurde aber eine ganz andere Menge festgehalten. Die Gewichtsangaben für eine Tüte und die Brotdose stimmen immerhin leidlich überein. Die größere Tüte soll aber nicht 19,8 Gramm, sondern 48,8 Gramm enthalten haben.

Der Staatsanwalt sah das natürlich auch und fragte nach, wie das Gras bei der Polizei gewogen wurde. Er bekam von einem Polizeioberkommissar folgende Antwort, die nun auch mir zugänglich gemacht wurde:

Die unterschiedlichen Angaben zur Grammzahl in der Tüte “1” sind aus meiner Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Die Tüten mit Marihuana wurden von einem Praktikanten gewogen, welcher in diesem Zeitraum bei uns sein Praktikum absolvierte.

Gut, man kann Arbeit natürlich delegieren. Auch auf Praktikanten. Interessant ist allerdings folgendes:

Ich habe den Inhalt der Tüten nicht mehr nachgewogen, die Werte sind folglich … nicht durch einen zweiten Beamten überprüft worden.

Aha, der Praktikant bearbeitet wichtige Beweismittel also in eigener Regie, eine Kontrolle findet nicht statt. Das scheint dem Kommissar so selbstverständlich, dass er noch nicht mal in seiner “Korrektur” gegenüber dem Staatsanwalt eine zutreffende Aussage hinbekommt. Die Werte sind nicht nur nicht durch einen zweiten Beamten überprüft worden, wie er schreibt. Sie sind durch gar keinen Beamten überprüft worden, denn der Praktikant war kein Beamter.

Aber alles kein Problem für den Kommissar:

Meiner Meinung nach kann es sich bei der Abweichung bei der Tüte “1” (19,8 Gramm statt 48,06 Gramm nur um einen Messfehler bzw. einen Übertragungsfehler handeln.

Aha, also ein Fehler des Praktikanten. Die Möglichkeit, dass der Praktikant richtig gewogen hat, danach aber andere Mengen auf dem Weg ins Labor zusammengeschusselt oder gar vertauscht wurden, ist natürlich völlig abwegig. Obwohl es von der Wache bis zum Labor noch einige weitere Bearbeitungsschritte gab.

Zum Beispiel ging das Marihuana über den Schreibtisch eines weiteren Sachbearbeiters und durch mindestens zwei Poststellen. Schon merkwürdig, dass gerade dem zweiten Kriminalisten, der vermutlich schon urlange Zeit mit Betäubungsmitteln hantiert, nicht aufgefallen sein, dass er es heute mit besonders schwerem Dope zu tun hat.

Der Staatsanwalt hat übrigens keine Probleme mit der Qualitätsarbeit bei der Polizei. In seiner Anklageschrift legt er meinem Mandanten selbstverständlich die größere Menge zur Last.

Früherer Beitrag zum gleichen Thema

“Ausländer” erstreitet sich Zugang zu Diskothek

Das Amtsgericht Hannover hat einen Fall alltäglicher Diskriminierung juristisch geahndet. Ein Deutscher, der türkische Wurzeln hat, war von den Türstehern einer Hannoveraner Diskothek abgewiesen worden. Das Amtsgericht Hannover sieht darin einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Während andere Gäste die Diskothek ohne Probleme betreten konnten, wurde der betreffende Gast abgewiesen. Die Richterin hörte sich Zeugen an. Letztlich war sie überzeugt, dass die Türsteher den Besucher nur abwiesen, weil “Ausländer” in der Diskothek unerwünscht seien.

Die Betreibergesellschaft des Etablissements muss dem Kläger 1.000 Euro Schadensersatz zahlen. Außerdem darf der Kläger künftig nicht mehr an der Tür abgewiesen werden, sofern es dafür keine stichhaltigen Gründe gibt, die nichts mit seinem Aussehen oder seiner ethnischen Herkunft zu tun haben (Urteil vom 14. August 2013, Aktenzeichen 462 C 10744/12).

Sie hören von mir

Vor einiger Zeit durfte ich folgenden Dialog führen:

Hallo Herr Vetter, ich bin die Schwester von Frau Meisel.

Hallo Frau Meisel, was kann ich für Sie tun?

Ich wollte Ihnen nur sagen, dass meine Schwester auf keinen Fall möchte, dass Informationen über ihren Fall nach außen dringen. Sie hat ziemliche Angst vor diesem einem Typen, diesen – wie hieß er noch gleich? Es wäre echt eine Katastrophe, wenn…

Frau Meisel, ich kann Sie beruhigen. Ich erzähle grundsätzlich nichts über meine Mandate. Ich darf ja nicht mal sagen, ob Ihre Schwester meine Mandantin ist.

Aber meine Schwester ist Ihre Mandantin, das weiß ich doch. Deshalb rufe ich ja an, damit Sie niemanden was von dem Fall erzählen. Niemanden. Vor allem keinen aus dieser Clique von dem, Sie wissen schon, ich komme jetzt nicht auf den Namen. Wie hieß der noch gleich?

Wie gesagt, von mir erfährt niemand was. Was Sie ja auch daran sehen, dass Sie von mir nichts erfahren.

Wie meinen Sie das denn jetzt? Ich bin die Schwester, ich mache mir doch auch Sorgen. Deshalb rufe ich ja an, weil dieser Kerl, Sie wissen schon, der ist wirklich zu allem fähig, da müssen Sie auf der Hut sein. Haben Sie schon was auf die Anzeige gehört?

Wenn wir jetzt mal rein theoretisch annehmen, dass Ihre Schwester meine Mandantin ist, was ich Ihnen ja schon mal gar nicht sagen kann, dann sollte sie mich selbst anrufen. Oder mir bestätigen, dass ich mit Ihnen sprechen darf. Dann spreche ich auch mit Ihnen. Aber so lange kann ich Ihnen nichts sagen, auch nicht über eine Anzeige.

Das ist jetzt ein Witz, oder? Sie wollen mir nichts sagen, obwohl es um meine Schwester geht? Das ist meine Angehörige.

Aber Sie haben mich doch eingangs darum gebeten, dass ich mit niemanden über einen möglichen Fall Ihrer Schwester spreche. Mit niemanden. Nichts. Jetzt halte ich mich dran, das nennt sich anwaltliche Schweigepflicht, aber dann ist es auch nicht richtig.

Sie sollen doch nur diesem Kerl nichts sagen. Oder sonst jemandem. Mir schon, ich bin die S-c-h-w-e-s-t-e-r. 

Wie gesagt, ich mache genau das, was Sie von mir wünschen. Streng genommen könnten Sie ja auch nur sagen, Sie seien die Schwester.

Wollen Sie sagen, ich lüge? Jetzt fühle mich nicht gut behandelt.

Ich habe einen Vorschlag. Wie wäre es, wenn Ihre Schwester mich selbst anruft? Wenn Sie meine Mandantin ist, was ich ja keinem sagen soll, dann kann sie das doch tun. Wäre das nicht die einfachste Lösung?

Ich wollte Sie doch nur bitten, meine Schwester zu schützen. Und jetzt fertigen Sie mich hier so ab?

Wie gesagt, auch Ihnen gegenüber gilt die Schweigepflicht, so lange ich nicht davon entbunden bin.

Meine Schwester entbindet Sie von der Schweigepflicht.

Kann sein, aber das würde ich dann gern selbst von ihr hören.

Also, wissen Sie was, das muss ich mir jetzt nicht bieten lassen. Mein Mann kennt einen Anwalt, ich glaube, zu dem werden wir mal gehen. Vielleicht ist der etwas zugänglicher, Sie scheint das Schicksal anderer Menschen ja nicht zu interessieren.

Ich glaube, wir haben das Thema jetzt abgehandelt.

Ja, Sie hören von mir. Oder von dem Anwalt. Auf Wiederhören.

Tschüss.

Die Farbe macht den Unterschied

Das Amtsgericht Hamm hat den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschusses abgelehnt, weil der eingereichte Vordruck angeblich nicht die richtige Farbe hat.

Das offizielle Muster des Bundesjustizministeriums schreibt einheitlichen Text vor, ist an diversen Stellen aber auch farblich unterlegt – um dem Antragsteller das Ausfüllen zu erleichtern. Dabei kann das Muster am Bildschirm ausgefüllt werden. Es darf derzeit aber nur schriftlich bei Gericht eingereicht werden.

Das Amtsgericht Hamm bestand bei einem Antragsteller darauf, dass dieser ein Formular einreicht, bei dem der Text mit den richtigen Farben unterlegt ist. Dass damit faktisch nur Leute einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragen können, die über einen Farbdrucker verfügen, störte das Gericht nicht.

Das Landgericht Dortmund gibt sich kundenfreundlicher. Die Richter können unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erkennen, warum die Farbe des Formulars bei der Rechtsfindung helfen sollte. Der Gerichtsmitarbeiter, der das Papier bearbeite, müsse sich jedenfalls nicht an den Farben orientieren. Diese seien nämlich erkennbar eine Ausfüllhilfe, keine Lesehilfe.

Das Amtsgericht Hamm muss also auch Anträge in schwarz-weiß bearbeiten. Hoffentlich ist mittlerweile nicht zu viel Arbeit liegengeblieben…

Link zum Beschluss

Der Fahrgasts dort drüben

Ich wundere mich mitunter über die Dienstfertigkeit meiner Mitmenschen.

Im Bus oder der Straßenbahn wird der Fahrausweis schon gezückt, wenn es nur noch Kontrolleuren riecht. Wobei ich das zumindest für die Düsseldorfer Rheinbahn, mit der ich recht viel fahre, nur bedingt doppeldeutig meine. Für eine perfekte Tarnung muss man als engagierter Mitarbeiter halt auch persönliche Opfer bringen. Vielleicht treffe auch aber immer nur auf die merkwürdigen Gestalten, die es in jeder Belegschaft gibt.

Doch das ist nur Alltag. Heute morgen hatte ich dagegen ein Erlebnis, das mir noch nicht vergönnt war. Ich fuhr mit dem ICE. An meinem Sitzplatz fiel ich, der frühen Stunde geschuldet, sofort ins Schafkoma. Weshalb ich die laut gestellte Frage des Schaffners, ob denn in Düsseldorf noch jemand zugestiegen sei, schlicht nicht hörte. Oder jedenfalls keinen Anlass sah, nach meinem Ticket zu kramen. 

Den Schaffner nahm mich entweder nicht als neuen Fahrgast wahr. Oder er kennt seine Pappenheimer, die Müdigkeit nur vortäuschen. Er ließ mich jedenfalls in Ruhe und ging gleich zur nächsten Reihe im Waggon, wo eine Reisegruppe älterer Herrschaften schon aufgeregt mit ihren Fahrscheinen wedelte.

Von links ertönte die Stimme eines Mannes, der auf dem Einzelplatz schräg gegenüber saß. “Der Fahrgast dort drüben ist an der letzten Station zugestiegen”, meldete er. Mit einem Unterton, der deutlich machte, dass er hier und jetzt einen Schwarzfahrer zur Strecke bringen würde.

Der Zugbegleiter, offensichtlich ein netter Kerl, schaute ebenso entgeistert wie ich. Und die Reisegruppe war sehr interessiert, was denn nun passieren würde Der aufmerksame Mitmensch bekam jedenfalls nicht das, was er sich erhoffte. “Machen Sie sich keine Sorgen”, sagte der Schaffner. “Der Herr ist nicht zugestiegen, er hat vorher nur im Nebenabteil gesessen. Selbstverständlich habe ich mich dort bereits vergewissert, dass der Kunde über einen gültigen Fahrausweis verfügt.”

Damit war das Gespräch beendet. Notgedrungen, denn der Zugbegleiter schritt von dannen. Er hat mich auch für den Rest der laaangen Fahrt nicht nach meinem Fahrausweis gefragt. Der Blockwart stieg wenig aus. Aber nicht, bevor er sich noch mit der Servicekraft angelegt hatte, weil der Kaffee angeblich nur lauwarm war.

LM-AA …

Da werden erst die “Nostalgiekennzeichen” für Autos eingeführt, aber weiter reichen darf der Spaß dann doch nicht. Das Landratsamt im bayerischen Schwandorf übt sich jedenfalls in Politischer Korrektheit. Die Behörde lässt es ab sofort nicht mehr zu, dass Kfz-Haltern ein Autokennzeichen mit der Buchstabenkombination BUL-LE … zugeteilt wird.

Der Gedanke, dass sich bei dieser Kennzeichenkombination, deren erste drei Buchstaben für Burglengenfeld stehen, Polizeibeamte auf den Schlips getreten fühlen könnten, musste sich allerdings erst mal seinen Weg bahnen. Immerhin rund zehn Autofahrern wurde das Kennzeichen bereits genehmigt. So weit, das Kennzeichen wieder einzuziehen, möchten die Beamten jedoch nicht gehen.

Zumal auch gleich durchgesickert ist, dass mindestens ein Polizeibeamter unter den ersten war, die sich erfolgreich für BUL-LE registrieren ließen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass man schon bierernst drauf sein muss, um dem Halter Vorsatz für eine Ehrverletzung zu unterstellen.

Andere Gemeinden sind da durchaus großzügiger. Thematisch im Nahbereich angesiedelt ist sicher “AC-AB …”. Diese Buchstabenfolge wird in Aachen wohl sogar standardmäßig rausgegeben, und von empörten Polizeibeamten ist bislang nichts bekannt.

Ach ja, dann erinnere ich mich auch, dass ich schon öfter mal über Autos mit dem Kennzeichen “S-EX …” geschmunzelt habe. Auch wenn man mit dem Nummernschild freilich auch niemanden beleidigen dürfte.

Aber selbst wenn es um mögliche Ehrverletzungen geht, sind nicht alle Kfz-Stellen von den Schwandorfer Skrupeln geplagt. Der Landkreis Limburg Weilburg vergibt etwa ohne Probleme das Wunschkennzeichen “LM-AA …”

Bericht in der Mittelbayerischen Zeitung

Bedrohlicher Kontext

Auch Journalisten benötigen in Gerichten eine Foto- oder Drehgenehmigung, wenn sie Aufnahmen machen wollen. Jedenfalls bei größeren Verfahren. Vor einem offensichtlichen Missbrauch schützt dies allerdings auch nicht, wie einige Kollegen von mir kürzlich erfahren mussten.

Als sie nach einer Verhandlungspause wieder in den Gerichtssaal kamen, “schoss” ein Fotojournalist sie frontal ab. Offenbar hatte er es auf Porträts abgesehen.Die Bilder sollen sich dann als eine Art Steckbrief in Online-Medien wiedergefunden haben, und zwar in einem relativ unfreundlichen, um nicht zu sagen bedrohlichen Kontext.

Da sich die Anwälte auch konkret belästigt fühlten und offensichtlich kein direkter Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Verfahren selbst erkennbar war, widerrief das Gericht die Drehgenehmigung für den Reporter.

Der wehrte sich auf seine Weise. Via Facebook verkündete der Journalist nicht nur, er habe die Fotoerlaubnis verloren. Er wünschte auch gleich den betroffenen Rechtsanwälten und ihren Mandanten den Tod. Er selbst könne wahrscheinlich nicht an sich halten, wenn er dem einen oder anderen mal wieder begegne. Aber damit würde er der Gesellschaft und dem Steuerzahler ja nur einen Gefallen tun.

Solche Äußerungen muss man natürlich nicht unbedingt ernst nehmen. Allerdings frage ich mich, ob sich der Mann vielleicht gerade beruflich umorientiert. Zumindest sollte er daran denken. Ich würde mich jedenfalls dagegen wehren, wenn so einer im Gerichtsgebäude fotografieren darf.

Respekt lässt sich nicht erzwingen

Es gibt mal wieder einen Vorstoß, Polizisten besonders vor körperlicher Gewalt zu schützen. Hessens Innenminister Boris Rhein und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wollen einen “Schutzparagrafen” einführen. Dieser soll erhöhte Strafdrohungen mit sich bringen.

Der Innenminister beklagt, 2012 seien zehn Prozent mehr Polizisten Opfer von Gewalttaten geworden, 60.294 insgesamt.  Deshalb müssten Angriffe “besondere Konsequenzen” nach sich ziehen. Er und der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, haben eine Ursache dafür ausgemacht: abnehmenden Respekt gegenüber der Polizei.

Ich stelle in Frage, dass man “Respekt” mit den Mitteln des Strafrechts erhöhen kann. Respekt kann man sich verdienen, ihn aber nicht erzwingen. Diskutieren lässt sich allenfalls, ob höhere Strafen einen abschreckenden Effekt haben. Dazu muss man zunächst wissen, dass das Strafgesetzbuch bereits jetzt für Körperverletzung – um die geht es ja in der Masse der Fälle – kein zahnloser Tiger ist.

“Einfache” Körperverletzung wird bereits jetzt mit Geld- oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren geahndet. Auf gefährliche Körperverletzung steht Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten. Angesichts dessen kann man sicher nicht behaupten, Gerichte hätten keinen Spielraum, um Körperverletzung ausreichend zu sanktionieren – und zwar gegenüber jedermann.

Schon heute dürfte es einem Richter schwerfallen, diesen Strafrahmen auszuschöpfen. Irgendwann kommt man nämlich in einen Bereich, in dem die juristische Folge nicht mehr in einem erträglichen Verhältnis zum Anlass steht. Offensichtlich unangemessene Strafen zerstören nämlich einen Respekt, der momentan noch so leidlich existiert. Nämlich den in ein funktionierendes Rechtssystem.

Zudem hat sich schon seit jeher erwiesen, dass höhere Strafen keinen nennenswerten Abschreckungseffekt haben. So ist Ende November 2011 eine Vorschrift verschärft worden, die vorrangig auch Polizeibeamte schützt. “Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” wird seitdem mit maximal drei statt bisher zwei Jahren bestraft. Interessanterweise hat dies den von Minister Rhein beklagten Anstieg von Gewalttaten im Jahr 2012 offensichtlich nicht gestoppt.

Angesichts dessen müssen sich Minister wie GdP fragen lassen, um was es ihnen in Wirklichkeit geht. Wer Polizeigewalt anzeigt, muss schon heute damit rechnen, dass die Gegenanzeige der Polizei quasi automatisch erfolgt. Wenn sie nicht sogar vorbeugend erstattet wird. Je höher das Risiko ist, hier ungerechtfertigt und unverhältnismäßig unter die Räder zu kommen, desto eher werden berechtigte Anzeigen gegen Polizeibeamte im Keim erstickt. Dazu kann ich nur sagen, dass man sich mit Einschüchterung Respekt ganz sicher nicht erhöht.

“Winkeladvokat” muss keine Beleidigung sein

Die allgemeinen Höflichkeitsformen erfordern es nicht, überspitzte Äußerungen von der Meinungsfreiheit auszuschließen. So kann es zum Beispiel gestattet sein, einen Rechtsanwalt als “Winkeladvokaten” zu titulieren. Darin liegt nicht unbedingt eine unzulässige Schmähkritik, befindet das Bundesverfassungsgericht. Es hob Urteile der unteren Instanzen auf, mit denen einem Anwalt verboten worden war, seinen Kollegen künftig als Winkeladvokaten zu titulieren.

Bloße “Unnötigkeiten” oder “Unhöflichkeiten” reichen nach Auffassung des Gerichts nicht aus, um kritische Äußerungen zu untersagen, auch wenn diese die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzen. Die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik sei erst erreicht, wenn die Kränkung überhaupt nichts mehr mit der Sache zu tun hat und es nur darum geht, den anderen herabzusetzen. Das war im Ausgangsfall jedoch nicht so, denn die Äußerungen fielen in Schreiben an die Rechtsanwaltskammer. In dem Verfahren ging es gerade um die Frage, ob sich die betroffenen Anwälte korrekt verhalten.

Die Vorinstanzen müssen nun neu abwägen, ob die Titulierung als Winkeladvokat wirklich so gravierend ist. Die Verfassungsrichter scheinen eher nicht davon auszugehen. Sie geben unter anderem den ausdrücklichen Hinweis, der angebliche Winkeladvokat sei nur beruflich angesprochen gewesen. Das betreffe nur die Sozialsphäre eines Menschen. Diese genieße  aber nur eingeschränkten Schutz, jedenfalls im Vergleich zu Privat- oder gar Intimsphäre (Beschluss vom 2. Juli 2013, Aktenzeichen 1 BvR 1751/12).

In einer weiteren interessanten Entscheidung hebt das Verfassungsgericht das Urteil gegen Mitarbeiter einer Flüchtlingsorganisation auf. Die Betroffenen waren verurteilt worden, weil sie einer Sachbearbeiterin im Ausländeramt einen öffentlichen „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ verlieh. Dabei kritisierten die Helfer, die Mitarbeiterin habe bewusst Fakten ignoriert, um eine Aufenthaltserlaubnis ablehnen zu können.

Die Behauptungen waren wohl unrichtig, jedoch reicht das nach Auffassung des Gerichts noch nicht, um üble Nachrede oder Verleumdung zu bejahen. Die öffentliche Verwaltung müsse mehr Kritik ertragen als andere. Aus der Begründung:

Es ist zu berücksichtigen, dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört und bei der Abwägung besonders zu berücksichtigen ist.

Die Geldstrafen gegen die Betroffenen wurden deshalb aufgehoben (Beschluss 24. Juli 2013, Aktenzeichen 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13).

Gesetzestreu geht anders

Mein Kollege Thomas Stadler geht einer Frage nach, die in der aktuellen Diskussion um die Abhöraktivitäten des BND leider viel zu selten gestellt wird: Darf der BND überhaupt massenweise Gesprächs- und Verbindungsdaten sammeln?

Aus Sicht der Behörden ist die Antwort sonnenklar: Ja, dürfen wir. So lautet die nun schon dutzendfach wiederholte Rechtfertigung. Unter keinen Umständen darf dabei die Beteuerung fehlen, der Nachrichtendienst halte sich zu 100 Prozent an die Gesetze.

Genau das ist aber mehr als fraglich. Ganz im Gegenteil ist relativ leicht festzustellen, dass die gesetzlichen Grundlagen für die vom BND praktizierte Datenabschöpfung gerade nicht ausreichen. Ernsthaft, so klärt Stadler auf, komme lediglich § 5 G10-Gesetz in Betracht. Denn nur dort findet sich eine Erlaubnis zum Datensammeln, die ungefähr nach dem klingt, was der BND eingestandermaßen so macht.

Dumm nur, dass die Vorschrift sich erkennbar nur auf die Durchforstung von Gesprächsinhalten bezieht. Von Verbindungsdaten, die zudem massenhaft an die NSA durchgereicht worden sein sollen, steht gar nichts im Gesetz.

Selbst wenn man darüber großzügig hinwegsieht, stellt sich laut Stadler noch ein anderes Problem. Laut Gesetz dürfen nämlich keinesfalls Suchbegriffe verwendet werden, die Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen. Das bedeutet: Eine Überwachung nach dem Gießkannenprinzip ist zulässig, nicht jedoch die gezielte Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Sofern der BND allerdings nur Auslandsverbindungen ohne Beteiligung von Deutschen überwacht, gilt diese Einschränkung nicht. Das Problem ist aber die Methode, mit der der BND Deutsche aus der Kontrolle raushalten will. So sollen Rufnummern mit der Vorwahl +49 und E-Mail-Adressen mit der Endung .de angeblich nicht kontrolliert werden.

Dieser “Filter” basiert aber auf jenen Identifizierungsmerkmale, die der BND gerade nicht nutzen darf. Außerdem ist er nicht mehr als ein Feigenblatt. Unzählige Deutsche haben E-Mail-Accounts mit “.com”-Kennung, etwa bei G-Mail. Und Internettelefonie, die an keine “Vorwahl” gebunden ist, soll ja auch nicht mehr ganz so exotisch sein. Die angeblichen Sicherungen sind also nicht nur von der Methode her unzulässig. Sie sind auch ungeeignet, um den erstrebten Schutz deutscher Staatsbürger zu erreichen.

Zu Recht kommt Thomas Stadler deshalb zum Ergebnis, dass § 5 G10-Gesetz die Aktivitäten des BND nicht abdeckt, schon gar nicht, wenn es um Verbindungsdaten geht.

Auch das BND-Gesetz selbst enthält übrigens Regelungen, die man der Bundesregierung mal vorhalten könnte. In § 6 steht zum Beispiel, dass der BND Datenspeicher nur anlegen darf, wenn das Bundeskanzleramt die Datei ausdrücklich genehmigt hat. Das BND-Gesetz wurde extra um diesen “Dateivorbehalt” ergänzt, damit Alleingänge der Geheimdienste künftig schwerer werden.

Auch der Datenaustausch mit den USA steht unter diesem Vorbehalt. Das passt nicht so recht zu der Ahnungslosigkeit, welche die Bundesregierung gerade in den Anfängen der Affäre demonstrativ zur Schau gestellt hat.

Artikel von Thomas Stadler

Zutiefst gedemütigt

Wenn ein Gefangener außerhalb der Haftanstalt unter ständiger Beobachtung durch Justizpersonal steht, kann eine körperliche Untersuchung bei seiner Rückkehr ins Gefängnis unverhältnismäßig sein. Das stellt das Bundesverfassungsgericht in einem aktuellen Beschluss klar.

Ein Gefangener hatte einen Termin vor der Vollstreckungskammer des Landgerichts. Auf dem Transport, im Gericht und auf der Rückfahrt wurde er durchgehend von mindestens zwei Justizbediensteten überwacht, auch während des Gerichtstermins. Außerdem war er – mit Ausnahme seines Aufenthalts im Dienstzimmer der zuständigen Richterin – stets gefesselt.

Dennoch zwang ihn die Haftanstalt bei der Rückkehr, sich komplett auszuziehen. Selbst seine Körperöffnungen wurden in Augenschein genommen. Weder für das Landgericht noch für das Oberlandesgericht war das mit einem Problem verbunden. Sie bestätigten der Anstalt, sauber gehandelt zu haben. Schon die abstrakte Gefahr, dass ein Gefangener Gegenstände in den Knast schmuggele, genüge für so eine harsche Kontrolle.

Der Betroffene machte geltend, die Untersuchung, insbesondere im Analbereich, habe ihn zutiefst gedemütigt und seine Menschenwürde verletzt. Andere Gefangene seien vor ähnlichen Gerichtsterminen zurückgeschreckt und hätten auf ihr Anwesenheitsrecht verzichtet, nachdem sie von der Untersuchung erfahren haben.

Das Bundesverfassungsgericht stellte sich auf die Seite des Gefangenen. Wenn ein Häftling überhaupt keine Möglichkeit habe, Gegenstände zu schmuggeln, müssten die Verantwortlichen zumindest sehr sorgfältig abwägen, ob sachliche Gründe eine Untersuchung bei Rückkehr erfordern. Die Erklärung “Das machen wir immer so” zieht für die Verfassungsrichter in diesem Fall nicht.

Sie gaben die Sache zur erneuten Entscheidung zurück (Beschluss vom 10. Juli 2013, 2 BvR 2815/11).