Wem gehört das Tellergeld?

Wem gehört das „Tellergeld“, das Besucher öffentlicher Toiletten hinterlassen? Der Servicekraft oder der Reinigungsfirma, für die sie tätig ist? Über diese Frage muss das Arbeitsgericht Gelsenkirchen entscheiden. Dabei geht es nicht um Peanuts…

Bis zu 300 Euro täglich sollen am Arbeitsplatz der Klägerin im Centro Oberhausen zusammengekommen sein. Vor Weihnachten sollen sogar bis zu 8.000 Euro am Tag im Teller geklingelt haben. Die „Toilettenfrau“, berichtet etwa der WDR, ging dabei stets leer aus. Das Tellergeld strich komplett die Firma ein, die den Reinigungsauftrag hat.

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen hat sich vorläufig auf die Seite der Mitarbeiterin geschlagen. Es erließ ein Grundurteil, wonach der Arbeitgeber Auskunft über die erzielten Einnahmen geben muss.

Allerdings klingt der Fall für mich nicht so, als dürfe die Frau am Ende alles behalten. Sie sagt nämlich selbst, sie habe eigentlich nur den Teller bewacht (und, ganz wichtig, durch ihre Anwesenheit die Zahlungsmoral der Toilettenbesucher verbessert). Die Reinigung selbst habe dagegen der Putzdienst erledigt.

Da wird ihr das Gericht kaum das komplette Trinkgeld zusprechen – aber womöglich einen fairen Anteil. Bleibt dann die Frage, wer den Rest bekommt. Die Kollegen von der Putzkolonne? Die Reinigungsfirma möchte gar nichts abgeben. Sie stellt sich auf den Standpunkt, die Kunden entrichteten ein „freiwilliges Nutzungsentgelt“. Besucher gingen nicht davon aus, das Tellergeld komme der Frontfrau oder gar den sonstigenn Reinigungskräften zu Gute.

Ein echt bescheidener Tag

In Hildesheim ist ein 28-Jähriger über drei Stunden von einem Kioskbesitzer gefangengehalten worden. Eigentlich wollte der Mann sich in dem Kiosk nur was zu essen kaufen…

Auf der Durchfahrt in Hildesheim vergnügte sich der 28-Jährige erst in einer Spielothek. Dann ging er in einen benachbarten Kiosk, um sich Cola und Schokoldade zu kaufen. Der Kioskbesitzer hielt den Kunden für das Mitglied einer Diebesbande, die vor kurzem seinen Laden ausgeräumt hatte.

Einziges Kriterium für den 44-jährigen Kioskbesitzer war laut der Polizei, dass der Kunde schwarzer Hautfarbe ist. Gemeinsam mit einem 23-jährigen Bekannten, der gerade im Kiosk war, „verhaftete“ er den Kunden. Sie banden dem 28-Jährigen die Hände hinter dem Rücken zusammen, und zwar mit dem eigenen Schal. Dann eskortierten sie den Mann in einen Nebenraum und setzten ihn auf den Boden.

Nun verlangte der Kioskbetreiber vom Gefesselten, einen seiner vermeintlichen „Komplizen“ anzurufen und diesen mit der Diebesbeute zum Kiosk zu locken. Nach geraumer Zeit gelang es dem gefesselten Mann, einen Anruf zu fingieren. Er wählte die Handynummer eines Bekannten, der in Hamburg wohnt. Diesem schilderte er die Lage, und zwar in für den Kioskbesitzer unverständlichem Französisch. Der Angerufene informierte die Polizei.

Trotz vager Ortsbeschreibung war die Polizei schnell am richtigen Platz. Kurz bevor die Beamten sich Zugang zu dem Laden verschafften, hatte der Kioskbesitzer noch die Fesseln seines Opfers gelöst. Wie sich herausstellte, hatten er und sein Helfer das Opfer auch fotografiert und Videoaufnahmen von ihm gemacht.

Die Polizei stellte fest, dass der Kioskbesucher, der in Belgien wohnt, eher zufällig in Hildesheim war. Er ist bisher nicht Erscheinung getreten, und mit den behaupteten Diebstählen hatte er offensichtlich nichts zu tun.

Wegen der dreistündigen Aktion droht dem Kioskbesitzer und seinem Helfer nun juristischer Ärger, unter anderem wegen Freiheitsberaubung. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft.

Fast ein schönes Gefühl

Das Informationsfreiheitsgesetz wurde geschaffen, um dem Bürger ein wichtiges Gefühl zu geben: dass der Staat für ihn arbeitet, er diese Arbeit hinterfragen darf und nur wirklich geheime Unterlagen geheim zu bleiben haben.

Dieses schöne Gefühl wird allerdings getrübt durch das unverkennbare Bestreben mancher Behörden, dem interessierten Bürger die Luft rauszulassen. Sei es durch Weigerung, sich an das Gesetz zu halten. Durch aberwitzige Gebühren für die Antwort. Oder durch ein Vorgehen, das man in einem Wort umschreiben kann: Rechtsmissbrauch.

Letztere Taktik fährt aktuell das Bundesinnenministerium gegenüber der Plattform fragdenstaat.de. Es raffte sich zwar dazu auf, einen unter Berufung auf die Informationsfreiheit herausverlangten Text an den Gründer des Whistleblower-Netzwerks zu schicken, weil juristische Gegenwehr in der Sache wohl aussichtslos erschien. Allerdings forderte das Ministerium die neugierigen Quälgeister auf, ihre Erkenntnisse strikt für sich zu behalten. Der Innenminister untersagte vorsorglich eine Veröffentlichung – unter Berufung auf das Urheberrecht.

Wenn man das schon hört, ahnt man gleich: Da passt was nicht zusammen. Haben die Beamten des Ministeriums während ihrer Kaffeepausen womöglich die Harry-Potter-Reihe um einen weiteren Band erweitert, weshalb die Veröffentlichung ihres Werks durch fragdenstaat.de nun die absehbare Sanierung des Staatshaushalts gefährdet?

So ist es natürlich nicht. Es handelt sich um einen Vermerk der Hausjuristen. Der eignet sich schon vom staubtrockenen Diktus her eher nicht als Bestseller. Dafür besitzt er politische Sprengkraft. Die Verfasser warnen ihre Vorgesetzten im Amt nämlich davor, für die anstehende Europawahl eine 3 % – Hürde einzuführen.

Diese Hürde betrachten sie als ebenso verfassungswidrig wie die bislang geltende 5 % – Hürde. An den Ratschlag hat sich allerdings keiner gehalten. Der Bundestag führte kürzlich die 3 % – Hürde für Europawahlen ein.

Man hat also die Rechtsauffassung der Fachleute in den Wind geschlagen. Das ist nicht verboten, soll aber wohl nicht an die große Glocke gehängt werden. Das wiederum scherte fragdenstaat.de eher weniger. Das Rechtsgutachten ging auf Bitten der Whistleblower bei fragdenstaat.de online, und postwendend trudelte eine Abmahnung von der Bonner Haus- und Hofkanzlei der Bundesregierung ein.

Doch weder nobles Briefpapier noch eine Kostenforderung von 887,00 Euro für die anwaltliche Mühewaltung zwingt fragdenstaat.de bislang in die Knie. Ganz im Gegenteil, der hinter der Webseite stehende gemeinnützige Verein schießt argumentativ scharf zurück – und trifft durchaus ins Schwarze.

Die Antwort der fragdenstaat-Anwälte listet die Schwachpunkte des staatlichen Pochens auf das Urheberrecht penibel auf:

– fehlende Schöpfungshöhe des Vermerks;

– Tagesaktualität des Ereignisses und das allgemeine Informationsbedürfnis schränken das Urheberecht ein;

– fehlende Widerrechtlichkeit der Veröffentlichung (Vorrang der Meinungsfreiheit).

Pikant am Rande: Die Anwälte des Bundes sind womöglich schon an den Formalien gescheitert. Jedenfalls müssen sie sich vorhalten lassen, sie hätten bei Formulierung der Abmahnung nicht die ziemlich neue Gesetzeslage bei Abmahnungen im Bereich des Urheberrechts beachtet.

Diese verlangt seit kurzem eine ausdrückliche Belehrung des Abgemahnten, wenn er eine Unterlassungserklärung abgeben soll, die über den eigentlichen Vorwurf hinausgeht. Eine Falle übrigens, in die zuletzt möglicherweise auch die Pornoabmahner im Fall Redtube gestolpert sind.

Fragdenstaat.de ist bereit, die Sache vor Gericht zu klären. Projektleiter Stefan Wehrmeyer:

Der Bundesregierung geht es nicht um Autorenrechte. Sie nutzt das Urheberrecht willkürlich, um die Veröffentlichung von brisanten, staatlichen Dokumenten zu verhindern. Es entsteht der Eindruck, dass die Bundesregierung die Nachvollziehbarkeit politischen Handelns erschweren will.

Rechtsanwalt Ansgar Koreng von der Kanzlei JBB Rechtsanwälte, der fragdenstaat.de juristisch betreut, wird sogar noch deutlicher:

Gerade in politischen Angelegenheiten darf das Urheberrecht nicht zur Zensur missliebiger Veröffentlichungen missbraucht werden.

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Redtube: Dürftige Zeilen vom Gutachter

Die Münchner Patentanwaltskanzlei Diehl & Partner nimmt zu ihrem Gutachten im Fall der Redtube-Abmahnungen Stellung. Wesentlich Neues erbringen die wenigen Zeilen nicht – die wichtigsten Fragen bleiben unbeantwortet.

Besonders auffällig ist an der Stellungnahme zunächst, dass Diehl & Partner sich auf die Aussage zurückzieht:

Nicht Gegenstand des Gutachtens war somit die rechtliche Bewertung, ob eine Wiedergabe von über das Internet bereitgestellten Videodateien auf dem Rechner eines Benutzers gegen Urheberrecht verstößt.

Das ist formal richtig. Über Urheberrecht steht nichts im Gutachten. Allerdings bewertet die Kanzlei in dem Gutachten sehr wohl die Art und Weise, wie die Software arbeitet – und zwar in juristischer Hinsicht. Dort heißt es nämlich:

Die bei den Tests durchgeführten Aktionen beruhen technisch auf üblichen Internettechnologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaigen Gesetzesverstößen erkennen lässt.

Zur Frage, ob die Software gesetzeskonform arbeitet, liegt also sehr wohl eine Expertise vor. Es sei denn, Diehl & Partner möchte die Aussage so verstanden wissen, nur man selbst habe bei dem Test keinerlei illegale Methoden verwendet. Das allerdings wäre eine sehr große Selbstverständlichkeit und etwas selbstverliebt.

Das Statement zur Gesetzeskonformität, so wie ich es nach wie vor verstehe, steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Behauptung, es würden technisch übliche Internettechnologien verwendet. Daran bestehen aber größte Zweifel. Denn bis heute ist nicht ersichtlich, wie die Software ohne den Einsatz illegaler Methoden beim Betrachten eines Internetstreams den Datenverkehr zwischen dem Server und dem Nutzer analysieren können soll.

Diehl & Partner behauptet nun überdies, man habe nur die „Funktionstüchtigkeit“ der Software überprüft. Also nicht, wie diese im Detail funktioniert. Wörtlich:

Nicht Gegenstand des Gutachtens war es weiter, den Quellcode oder die Arbeitsweise der Software „GLADII 1.1.3“ zu analysieren.

Das steht jeodch in einem auffälligen Widerspruch zu der ausdrücklichen Feststellung im Gutachten, es würden nur übliche Internettechnologien verwendet. Bislang haben die Patentanwälte nicht dargelegt, woher sie das denn überhaupt wissen können, wenn sie gar keinen Blick unter die Motorhaube geworfen haben wollen.

Insgesamt macht die Stellungnahme deutlich, dass die Kanzlei kritiklos die Testvorgaben des Auftraggebers umgesetzt hat. So wird nochmals ausdrücklich klargestellt, man habe nur drei vom Auftraggeber vorgegebene Videodateien überprüft, und das ausschließlich am hauseigenen Internetanschluss. Faktisch bedeutet dies, dass die naheliegende Möglichkeit, der Testaufbau oder die konkret vorgegebenen Dateien seien vom Auftraggeber manipuliert, entweder gar nicht gesehen oder sogar in Kauf genommen wurde.

Dabei hätte der Gutachter allen Grund gehabt, stutzig zu sein. Wie gesagt, der Rest der Welt fragt sich bis heute, wie die Software technisch gestrickt ist, um solche Wunderwerke zu vollbringen. Nur dem Gutachter, einem laut Selbstdarstellung ausgewiesenen Experten, will überhaupt nichts spanisch vorgekommen sein.

Auch ansonsten verschleiert die Stellungnahme mehr, als sie für Klarheit sorgt. Interessanterweise ist nun lediglich davon die Rede, man habe überprüft, ob die Software „Zugriffe“ auf Mediendateien protokolliert, die auf Drittservern hinterlegt sind. Von Zugriffen ist im gesamten Gutachten aber nicht die Rede. Dort geht es nur um Downloads. Das macht einen gewichtigen Unterschied. Denn zugreifen kann man auf eine Internetseite auch, ohne dass die fraglichen Dateien tatsächlich auf den Rechner übertragen werden. Sei es nun als kompletter Download einer eigenständen Datei. Oder eben nur als Stream.

Abschließend beteuert die Anwaltskanzlei, sie habe mit den Abmahnungen selbst nichts zu tun. Auch habe sie das Gutachten erstattet, ohne den genauen Verwendungszweck zu kennen. Der Auftraggeber bestimme allein, wofür er das Gutachten später verwendet. Das ist eigentlich noch der Teil der Stellungnahme, der sich am ehesten glauben lässst.

Im Ergebnis entkräftet das kurze Statement die Kritik an dem Gutachten in keinem Punkt. Es bleibt wohl dabei, dass nur die Auftraggeberin des Gutachtens und vermutlich auch die anderen Protagonisten im Redtube-Fall wissen, wie genau getrickst wurde. Dass es die Wundersoftware wirklich gibt, ist jedenfalls zweifelhafter denn je.

Stellungnahme von Diehl & Partner

Eltern müssen miteinander sprechen

Getrennt lebende Eltern müssen sich zusammenraufen, wenn es um das Wohl ihrer Kinder geht. Dass eine Mutter nicht mehr mit dem Ex spricht, rechtfertigt es nicht, ihr das alleinige Sorgerecht über die Kinder zu übertragen. So eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm.

Im Jahr 2007 hatten sich die Eheleute getrennt. Seitdem lebten die beiden Kinder, 9 und 14 Jahre alt, bei der Mutter. Im Jahr 2012 soll es zu Problemen gekommen sein, weil der Vater ständig Kontrollanrufe bei den Kindern machte. In Folge des Streits redete die Mutter dann nicht mehr mit ihrem Ex-Mann. Sie meinte, es sei besser, wenn sie das alleinige Sorgerecht erhält.

Dem folgte das Oberlandesgericht Hamm nicht. Der Vater habe sein Verhalten eingesehen und gebessert. Dementsprechend müsse auch die Mutter sachlich mit ihm kommunizieren, zumindest wenn es um die Kinder gehe. Deren Wohl stehe an erster Stelle, so das Gerichts. Rücksichtnahme sei beiden Seiten zuzumuten, zumal die Eltern noch nicht einmal über wesentliche Fragen des Sorgesrechts stritten (Aktenzeichen 2 UF 39/13).

Millionen Passwörter in falschen Händen?

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und andere Behörden haben Listen mit rund 16 Millionen Logindaten entdeckt, davon ein großer Teil mit der Endung .de. Bei den Daten handelt es sich möglicherweise um gültige Zugangsdaten für Online-Dienste.

Nach Angaben des BSI enthalten die Listen reihenweise E-Mail-Adressen, zu denen Passwörter notiert sind. Diese Daten werden normalerweise für den Login bei Online-Angeboten genutzt. Für welche Dienste die Informationen passen, weiß das BSI bislang nicht.

Eine große Gefahr kann darin liegen, dass Internetnutzer die Kombination aus E-Mail-Adresse und Passwort für mehrere Angebote nutzen. Die Datendiebe könnten dadurch Zugriff auf gleich mehrere Konten des Kunden erhalten, wenn sie nur lange genug probieren. Das BSI hält es außerdem für möglich, dass betroffene Rechner mit Schadsoftware infiziert wurden.

Das BSI hat eine Sonderseite eingerichtet. Darauf kann jeder prüfen, ob seine E-Mail-Adressen betroffen sind. Die Adresse lautet: https://www.sicherheitstest.bsi.de/ Sofern die E-Mail-Adressen in den Listen stehen, erhalten die Nutzer als Antwort eine Warnmail mit weiteren Hinweisen.

Die Testseite ist derzeit allerdings nicht erreichbar, wie die gesamte Website des BSI. Offenbar ist die Behörde für den Besucheransturm nicht gerüstet, obwohl er ja eigentlich zu erwarten war.

Der überholte Ehrenschutz

Ich bin kein Freund des BILD-Kolumnisten Franz-Josef Wagner. Aber heute wird ihm Unrecht angetan. Und zwar von höchster Stelle. Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, Wagner dürfe die ehemalige bayerische Landrätin Gabriele P. womöglich nicht als „durchgeknallte Person“ bezeichnen. Die Gerichte müssen über P.s Unterlassungsklage neu entscheiden.

Vor dem Oberlandesgericht München, wo die Bild-Zeitung verklagt wurde, war die Sache noch recht eindeutig. Die Politikerin habe keinen Unterlassungsanspruch gegen Wagner, weil seine Bewertung, P. sei eine „durchgeknallte Person“, nicht beleidigend gewesen sei und jedenfalls noch der Meinungsfreiheit unterfalle.

Der Kolumnist äußerte sich im Jahr 2006 in seinem deftigen und – wie bei ihm üblich – wirren Text zu dem Umstand, dass sich Gabriele P. von sich Aufnahmen in Latexhandschuhen hatte fertigen lassen, die später zuerst in der Zeitschrift „Park Avenue“ erschienen.

Das Bundesverfassungsgericht zieht dagegen nun eine Karte, die unserem Land immer wieder für unnötigen juristischen Ärger sorgt. Den Ehrenschutz. In ihrem kurzen Beschluss bejahen die Richter einen weitgehenden Ehrenschutz. Diesen habe das Oberlandesgericht München nicht hinreichend berücksichtigt.

Wagner wird zwar attestiert, er dürfe sich kritische und auch polemisch äußern, die „durchgeknallte Person“ gehe aber zu weit. Wieso das der Fall ist, begründet das Gericht eigentlich nicht. Es bemüht sich eher um Abgrenzung zu einem eigenen anderen Urteil, in dem es die Bezeichnung „durchgeknallter Staatsanwalt“ noch hat durchgehen lassen. Den Unterschied soll nun machen, dass Wagner seinen Text angeblich überlegt zu Papier gebracht hat (was der verbale Schnellschütze Wagner möglicherweise als Ehrkränkung empfinden könnte), während es in dem anderen Fall um eine Spontanäußerung ging.

Nun ja. Ich finde, wir sollten uns eigentlich grundsätzlich nicht so haben. Hier könnten wir durchaus mal was von den USA lernen. Dort kann sich jedermann gerne selbst zum Affen machen, indem er über andere herzieht. Und jeder, der verbal angegangen wird, muss halt grundsätzlich damit leben, dass jemand eine Meinung über ihn äußert, die ihm nicht gefällt.

Überraschenderweise droht den Vereinigten Staaten trotzdem nicht der Untergang, jedenfalls nicht wegen ihrer Liberalität im Äußerungsrecht. Bei uns wird dagegen das Mimosentum gefördert. Das wäre alles nicht so schlimm. Aber der weitreichende Ehrenschutz lädt halt auch zum Missbrauch ein.

Dann wird in Wirklichkeit nicht die Ehre verteidigt, sondern eine Meinungsäußerung wegen ihres Inhalts bekämpft. Dabei spielt die finanzielle Potenz der Beteiligten natürlich immer eine entscheidende Rolle. Wer den Streit um eine Abmahnung nicht durchziehen kann, hält halt lieber vorsorglich die Klappe.

Das ist schlecht in Zeiten, in denen der Einzelne durch das Web erstmals eine hörbare Stimme erhält. Dies unterstützt das Bundesverfassungsgericht, so lange es den Ehrenschutz nicht mal auf ein Mindestmaß zurechtstutzt (1 BvR 194/13).

Sky mahnt unterirdisch ab

Erst Redtube, gestern Autoflirt und nun Sky: Das Abmahngeschäft läuf momentan nicht sonderlich rund – natürlich nur in bedauerlichen Einzelfällen. Nun macht der Bezahlsender Sky wegen unberechtigter Abmahnungen Schlagzeilen. Sky hat eingeräumt, etwa hundert Kneipenbesitzer abgemahnt zu haben, ohne dass es hierfür eine rechtliche Grundlage gibt. Das berichtet etwa Der Spiegel.

In den Abmahnungen, die in jüngster Zeit verschickt worden sein sollen, hielt Sky den Gastwirten vor, sie hätten in ihren Lokalen Live-Spiele der 2. Bundesliga gezeigt – und zwar auf dem Free-TV-Sender Sport 1. Sky behauptete, das sei illegal, weil nur Sky die nötigen Rechte besitze.

Allerdings hat sich da wohl jemand gründlich vertan. Sky schiebt die schuld auf die eigene Rechtsabteilung. Dort habe man die Rechtslage falsch eingeschätzt. Tatsächlich bezeichnet Sky die Abmahnungen nun als gegenstandslos.

Pikantes Detail: Wenn sich Abgemahnte bei Sky meldeten, soll diesen laut Presseberichten ein Preisnachlass bei der Abmahnung angeboten worden sein – wenn sie ein kostenpflichtiges Sky-Abo bestellen. Nun will Sky seinerseits den Betroffenen ein Wiedergutmachungs-Angebot unterbreiten.

Eile mit Weile

Vermerk des Staatsanwalts in einer Wirtschaftsstrafsache:

Gemäß Telefonat mit Ermittlungsrichter R. um 14.30 Uhr kann der Beschluss heute nicht mehr erlassen werden, das er bis spätestens 14.45 Uhr das Gericht verlassen muss.

Am nächsten Mittag, nun mit dem ersehnten Durchsuchungsbeschluss versehen, stellte die Kripo den Server in den Büros des betreffenden Unternehmens sicher.

Viel ließ sich leider nicht mehr ermitteln. Wie das halt so ist, bei nächtlichen Wasserschäden.

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Mieterhöhung: Wer zahlt, stimmt zu

Ein Wohnungsmieter ist nicht verpflichtet, dem Mieterhöhungsverlangen seines Vermieters schriftlich zuzustimmen. Es genügt, wenn er freiwillig die erhöhte Mieter zahlt. Das ergibt sich aus einem Urteil des Amtsgerichts München.

Eine Vermieterin hatte ihre Mieter verklagt, weil diese einer Mieterhöhung nicht schriftlich zustimmen wollten. Die Mieter sollten eine entsprechende Erklärung abgeben – obwohl sie die erhöhte Miete schon monatelang zahlten.

Laut Amtsgericht München kann die Vermieterin die schriftliche Zustimmung nicht verlangen, auch nicht wegen ihres Wunsches nach Rechtssicherheit. Schon eine einmalige, aber jedenfalls eine mehrmalige Zahlung der erhöhten Miete sei eine schlüssige Zustimmung. Zu mehr könnten die Mieter nicht verpflichtet werden.

Das entspricht dem Gesetz. Während der Vermieter die Erhöhung immer schriftlich verlangen muss, ist die Zustimmung zwar erforderlich, aber an keine besondere Form gebunden. Schlüssiges Handeln, insbesondere durch Zahlung des korrekten Betrages, reicht deshalb aus. Auf die Frage, ob das Verlangen überhaupt wirksam war, kam es nach Auffassung des Amtsgerichts München dann gar nicht mehr an (452 C 11426/13).

Kurzer Flirt mit dem schnellen Geld

Seit Ende letzter Woche machen weitere dubiose Abmahnungen die Runde. Eine Heidelberger Anwaltskanzlei verschickte offenbar ziemlich wahllos Zahlungsaufforderungen über den stolzen Betrag von rund 3.100 Euro. Dabei sollten die Empfänger angeblich widerrechtlich die geschützte Marke „Autoflirt“ genutzt haben.

Dumm nur: Der angebliche Inhaber der Marke, ein Autoflirt e.V., steht gar nicht im Markenregister. Sondern jemand anderes. Außerdem ist aus den Abmahnungen nicht mal ansatzweise ersichtlich, worin die Markenrechtsverletzung überhaupt liegen soll. Alleine die Verwendung des Begriffs Autoflirt reicht ja keineswegs aus. Vielmehr muss die Marke im geschäftlichen Verkehr verwendet worden sein.

Nichts davon scheint vorzuliegen. Die betreffende Anwaltskanzlei schrieb jetzt an Rechtsanwalt Thomas Stadler, der einen Abgemahnten vertritt, sie habe ihr Mandat beendet. Auch an der Abmahnung halte man nicht fest.

Tatsächlich möchte man wohl sogar darauf hinaus, dass das Schreiben gar nicht wirksam ist. Die Abmahnung, zitiert Stadler aus dem Brief, sei „von unserer Kanzlei vor … Absendung nicht vollumfänglich geprüft und auch nicht zur Übersendung autorisiert” worden. Das hält Stadler allerdings ebenfalls für wenig plausibel. Die Abmahnung sei nämlich vom verantwortlichen Rechtsanwalt unterschrieben.

Immerhin dürfte ein Autoflirt damit auch in Zukunft risikolos sein, zumindest in juristischer Hinsicht.

Hintergründe bei heise online

Redtube-Gutachten veröffentlicht

Das Rätselraten um das Sachverständigengutachten im Fall der Pornoabmahnungen hat ein vorläufiges Ende. Heute veröffentlichte die Anwaltskanzlei MMR das Gutachten der Münchner Patentanwaltskanzlei Diehl & Partner. Das Gutachten war Grundlage dafür, dass das Landgericht Köln in vielen tausend Fällen grünes Licht für die Abmahnung von Internetnutzern gegeben hat.

Das Gutachten selbst ist nach meiner Einschätzung völlig untauglich. Insbesondere gibt es keine Auskunft darüber, wie die Abmahner die IP-Adressen der Nutzer ermitteln konnten. Offenbar hat sich die Kanzlei Diehl & Partner damit zufriedengegeben, lediglich drei Clips von Videoplattformen abzurufen.

Dabei handelte es sich, da muss man sich echt festhalten, um Dateien, welche den Patentanwälten vom Auftraggeber als „geeignet“ vorgegeben wurden. Das heißt, tatsächlich wurde nicht mal überprüft, ob der Auftraggeber des Gutachtens die benannten Dateien bzw. den Aurufvorgang manipuliert hat.

Für eine objektive Überprüfung hätten die Sachverständigen jedenfalls selbst nach dem Zufallsprinzip Videos auswählen und gegebenfalls auch die Plattform auswählen müssen, auf der die Clips angeklickt werden. Auswahl gibt es ja genug. Somit ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass die Software tatsächlich korrekt die Datenübertragung von einer Videoplattform zum Nutzer protokollieren kann.

Nach meinem Eindruck wollten sich die Sachverständigen solche Fragen auch nicht stellen. Das Gutachten erschöpft sich über etliche Seiten in Beteuerungen, die Software habe als Ergebnis korrekte Werte gezeigt. Die entscheidende Frage, wie diese Werte technisch zustande gekommen sind, wir mit keinem Wort beantwortet. Tatsächlich wird sie noch nicht einmal gestellt.

So lobt das Gutachten zwar die Fülle der Daten, die sich auf dem Kontrollbildschirm des Rechners ablesen lässt, auf dem die Software mit dem wohlklingenden Namen GLADII 1.1.3 angeblich läuft. Wo und wie diese Daten (zum Beispiel die IP-Adresse des angeblichen Nutzers) von der Software abgegriffen werden, interessierte die Experten ersichtlich nicht.

Zu den technischen Hintergründen verrät das Gutachten also nichts. Deutlich wird dies an der reichlich selbstsicheren Feststellung:

Die bei den Tests durchgeführten Aktionen beruhen technisch auf üblichen Internettechnologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaigen Gesetzesverstößen erkennen lässt.

Dabei rätselte die interessierte Öffentlichkeit schon seit Bekanntwerden der Redtube-Abmahnungen, wie die Software denn tatsächlich auf legalem Weg den Datenverkehr zwischen dem Rechner der Plattform und dem Betrachter des Streams analysieren können soll. Bisher hat sich noch niemand gefunden, der erklären kann, wie dies mit „üblichen“ und vor allem legalen Methoden gelingen soll. Auch das Landgericht Köln hatte in den negativen Beschlüssen (solche gab es auch) entsprechende Zweifel geäußert.

Immerhin erfahren wir in dem Gutachten, der Sachverständige sei promovierter Physiker und seit 18 Jahren Patentanwalt. Der Experte nimmt für sich in Anspruch, er sei

mit den Technologien der Informationsverarbeitung und Informationsübertragung über das Internet in einem Maß vertraut, welches über das für die vorliegende Untersuchung notwendige Maß weit hinausgeht.

Ich vermute, mit dem Satz hat er sich keinen Gefallen getan.

Link zum Gutachten

Erläuterungen der Kanzlei MMR

Fünf Richter entscheiden Streit um 2,45 Euro

Bis zum Bundesgerichtshof und somit durch drei Instanzen hat die Staatskasse einen Rechtsstreit durchgezogen, in dem es um nicht mal drei Euro ging. Zuletzt entschieden nun am Bundesgerichtshof fünf Richter das brisante Problem – zu Lasten der öffentlichen Hand.

Zu dem Verfahren kam es, weil ein Rechtsanwalt die Kosten für sieben Fotokopien abrechnete. Dazu war er berechtigt. Der Streit entzündete sich an der Frage, ob er 50 Cent pro Fotokopie abrechnen darf. Das ist der gesetzliche Tarif, den Anwälte normalerweise für Kopien ansetzen dürfen.

Der Jurist handelte aber formal nicht als Anwalt. Sondern als gerichtlich bestellter Verfahrenspfleger. Der Kostenbeamte am Amtsgericht Kassel hielt nur 15 Cent pro Fotokopie für angemessen. Sein Argument: Mehr koste eine Fotokopie im Copyshop auf keinen Fall.

Der Rechtsstreit, von der Staatskasse durch eine Rechtsbeschwerde bis ganz nach oben eskaliert, drehte sich also tatsächlich um den Differenzbetrag von netto 7 x 35 Cent. Das macht stolze 2,45 Euro. All das hinderte die Richter am Bundesgerichtshof aber nicht, sich der Sache liebevoll anzunehmen und das juristische Problem in einem achtseitigen Beschluss sorgfältig aufzudröseln.

Das Gericht kommt zu einem fast absehbaren Ergebnis. Nämlich dass der Satz von 50 Cent pro Fotokopie im Vergütungsgesetz schon eine sachliche Grundlage hat. Etwa deswegen, weil sich die Fotokopien in einem Anwaltsbüro nicht von alleine machen, Hardware angeschafft und unterhalten werden muss und Verbrauchsmaterialien zu zahlen sind. Damit gebe es eine geeignete Schätzungsgrundlage, von der ohne triftigen Grund nicht abgewichen werden kann.

Der beteiligte Anwalt kann sich jetzt auf die Nachzahlung freuen. Und der Steuerzahler sich die Haare raufen.

Beschluss des Bundesgerichtshofs