Agenten mit Komplexen

Bis zu 300 Millionen Euro will der Bundesnachrichtendienst investieren. Um Menschen zu belauschen – auf Twitter, Facebook, Flickr. Aber auch Blogs und Foren sollen „in Echtzeit“ überwacht werden. Die Pläne sind Teil einer sogenannten „Strategischen Iniative Technik“ (SIT), berichten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR nach einer gemeinsamen Recherche.

Alles halb so wild, könnte man sagen. Der Bundesnachrichtendienst ist ja „nur“ fürs Ausland zuständig. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis stellt sich natürlich die Frage, wie im Web 2.7 oder bei welchem Build auch immer wir uns gerade befinden, zwischen „ausländischer“ und „deutscher“ Kommunikation überhaupt unterschieden werden kann. Die Sprache ist ja nun eher weiches Kriterium.

Wie es letztlich läuft, hat der BND schon bei seiner Mailkontrolle erklärt. Genauer gesgt: nach beharrlichem Bohren eingeräumt. Wird eine „.de“-Domain genutzt, ist das Inland. Wird etwa eine „.com“-Domain genutzt, ist das Ausland. (Schönen Gruß an alle G-Mail-Nutzer.) Es ist also schon abzusehen: Es wird niemand sicher sein vor den langen Ohren des BND.

Unabhängig von technischen Details und offenkundiger Inkaufnahme von Rechtsverletzungen regt mich eines auf. Seine finanziellen Forderungen begründet der BND laut dem Bericht nämlich mit offensichtlichen Minderwertigkeitskomplexen. Die Kollegen aus Amerika und England seien ja schon viel weiter beim Bespitzeln von 99,99 Prozent unbescholtener Bürger, soll es heißen. Werde nicht digital aufgerüstet, drohe der BND sogar weiter zurückzufallen. Hinter die Italiener! Und sogar die Spanier!

Auf einen naheliegenden Gedanken scheint niemand zu kommen. Dass es vielleicht besser wäre, eben nicht jeden Wahnsinn mitzumachen. Das könnte sogar zu einem tollen Alleinstellungsmerkmal führen. Freiheitsrechten etwa, die nicht nur auf dem Papier stehen. Am Ende wären dann noch die Italiener und Spanier neidisch.

Kollege Dealer

In Braunschweig haben Drogenfahnder einen 30-Jährigen angehalten. Er hatte 40 Gramm Marihuana dabei. Bis dahin war der Einsatz Routine. Das änderte sich, als der mutmaßliche Drogenhändler den Kollegen seinen Dienstausweis zeigte und sich ebenfalls als Polizist vorstellte. Der Ausweis war echt – nur den dienstlichen Grund nahmen die Fahnder ihrem Kollegen nicht ab.

Zu Recht, wie sich herausstellte. Im Keller seines Hauses ging der junge Beamte nämlich einem Nebenjob nach. Rund 60 Hanf-Pflanzen hat er nach Angaben der Polizei dort gehegt.

Erfahrung mit Drogen hat der Polizist durchaus. Er arbeitete nach Informationen der Braunschweiger Zeitung bis vor sechs Jahren selbst im örtlichen Drogenkommissariat. Zuletzt war er allerdings bei einem Mobilen Einsatzkommando. Deshalb habe sich schnell herausgestellt, dass er keineswegs undercover unterwegs war.

Gegen den Beamten wird jetzt ermittelt. Er musste zwar nicht in Untersuchungshaft, ist aber vorläufig vom Dienst suspendiert.

Die Braunschweiger Polizei hatte über die Festnahme eine Pressemeldung herausgegeben. Darin erwähnte sie aber nicht, dass es sich bei dem Verdächtigen um einen Polizisten handelt. Dies sei erst auf ausdrückliche Nachfrage eingeräumt worden, heißt es bei der Braunschweiger Zeitung.

Bange Tage für TrueCrypt-Nutzer

In vielen Strafverfahren spielt die Software TrueCrypt eine wichtige Rolle. Nämlich als die Speichertechnik, an der Ermittlungsbehörden regelmäßig scheitern. Es sei denn, man verwendet das dann doch etwas simple Passwort „Limonade“, wie es einer meiner Mandanten vor kurzem gemacht hat.

Nun könnte nicht nur eigene Schusseligkeit das Vertrauen in TrueCrypt entwerten. Die Entwickler selbst bezeichnen die Software als „unsicher“. Was es mit der nebulösen Mitteilung auf der offiziellen TrueCrypt-Seite auf sich hat, ist derzeit im einzelnen noch unklar.

Fest steht aber, dass alle älteren Versionen der Software nicht mehr heruntergeladen werden können. Die neueste Version soll lediglich noch dazu taugen, bereits erstellte TrueCrypt-Container zu entschlüsseln.

Rätselhaft ist, wieso auf der TrueCrypt-Seite der Umstieg auf Microsofts Bitlocker empfohlen wird. Microsoft gilt nicht unbedingt als Paradeunternehmen für Datensicherheit. Schon deswegen, weil die Firma in den USA sitzt und außerdem weltweit kommerziell operiert. Microsoft dürfte dementsprechendem Druck von vielen offiziellen Stellen ausgesetzt sein.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Umstiegsempfehlung zu Bitlocker auf den ersten Blick krude. Auf den zweiten Blick kommt aber eine Erklärung in Betracht. Dass die TrueCrypt-Macher nämlich selbst in die Mangel genommen werden.

Hierfür gibt es einen Präzedenzfall. Der E-Mail-Dienst Lavabit, den auch Edward Snowden nutzte, gab ebenfalls plötzlich auf. Später stellte sich heraus, US-Dienste hatten den Lavabit-Macher so zugesetzt, dass diese keine Perspektive mehr sahen. Jedenfalls keine, bei der sie ihre Nutzer nicht betrogen hätten.

Lavabit wurde zunächst zu strengstem Stillschweigen verpflichtet, was in den USA rechtlich möglich ist. Heute gibt es immerhin eine Abschiedsbotschaft, die einiges erklärt. Möglicherweise sind die kryptischen Botschaften auf der TrueCrypt-Seite ähnlichen Umständen geschuldet.

Laut heise online gibt es mittlerweile aber auch Statements aus TrueCrypt-Kreisen, man habe lediglich das Interesse an der Weiterentwicklung der Software verloren. Auch das ist aber bislang nicht belegt.

Wie auch immer, die Verunsicherung ist da. Die große Frage wird sein: Ist TrueCrypt wirklich gehackt? Und wann kommen auch deutsche Behörden in den Besitz funktionsfähiger Türöffner? Für Betroffene, gegen die gerade ermittelt wird, ist das eine neue Situation. Und mit Sicherheit keine angenehme.

Hintergründe auf Zeit Online

Neu bei Google: der Antrag aufs Vergessenwerden

Vor knapp zwei Wochen fällte der Europäische Gerichtshof ein wegweisendes Urteil zu Suchmaschinen. Deren Betreiber, allen voran Google, müssen auch bei inhaltlich korrekten Suchergebnissen Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte nehmen. Nun reagiert Google offiziell – mit einem Online-Löschantrag.

Das Formular ging gestern online. Google will von Antragstellern die genaue URL des Sucherergebnisses wissen. Außerdem muss der Grund angegeben werden, warum der Treffer in den Suchergebnissen „irrelevant, veraltet oder anderweitig unangemessen ist“.

Den Prüfprozess beschreibt Google wie folgt:

Bei der Umsetzung dieser Entscheidung werden wir jede Anfrage individuell prüfen und zwischen den Datenschutzrechten des Einzelnen und dem Recht der Öffentlichkeit auf Auskunft und Informationsweitergabe abwägen. Bei der Bearbeitung Ihres Antrags prüfen wir, ob die Ergebnisse veraltete Informationen über Sie enthalten. Wir untersuchen außerdem, ob ein öffentliches Interesse an den Informationen besteht, zum Beispiel, ob es um finanzielle Betrugsfälle, Berufsvergehen oder Amtsmissbrauch, strafrechtliche Verurteilungen oder das öffentliche Verhalten von Regierungsbeamten geht.

Mit dem Hinweis macht Google klar, das Unternehmen will keinesfalls jedes beanstandete Suchergebnis löschen. Wie streng die nun erforderliche Abwägung ausfällt, kann erst die Zukunft zeigen. Überdies wird jedem unzufriedenen Antragsteller der Rechtsweg offenstehen. Oder zumindest ein neutrales Schiedsverfahren, welches die Bundesregierung ins Spiel gebracht hat.

Um Missbrauch zu vermeiden, verlangt Google die Kopie eines gültigen Ausweises – was beim Personalausweis rechtlich problematisch ist. Wenn man den Antrag für jemanden stellt, muss eine Vollmacht beiliegen. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, lässt Google offen. Schon kurz nach dem Urteil hatte das Unternehmen bestätigt, dass sehr viele Löschanträge eingehen.

Die Hintergründe und Folgen des Urteils habe ich vorgestern in meiner Kolumne für die Webseite der ARAG erläutert.

Lesetipp zum Thema: Big Data: Die Revolution, die unser Leben verändern wird

Nachtrag: Google hat die Anforderungen an den Ausweis entschärft und erläutert, was mit dem Dokument passiert. Nun lautet die Regelung: „Dabei muss es sich nicht unbedingt um ein offizielles staatliches Dokument handeln. Sie können Angaben (wie z.B. Zahlen) in diesem Dokument schwärzen, soweit die übrigen Informationen eine Identifizierung Ihrer Person ermöglichen. Wir verwenden diese Informationen ausschließlich zur Authentifizierung Ihres Antrags und werden dieses Dokument innerhalb eines Monats nach Abschluss der Bearbeitung Ihres Antrags löschen, sofern gesetzlich nichts Anderweitiges geregelt ist.“

Bundespolizei muss drinnen bleiben

Bundespolizisten, die in Bahnhöfen Dienst tun, werden künftig während der Arbeit weniger frische Luft schnappen können. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich ihr Einsatzgebiet wesentlich eingeschränkt. Für Bahnhofsvorplätze, so das Gericht, ist die Bundespolizei nicht zuständig.

Bahnreisende kennen die Doppelstreifen der Bundespolizei, die wie selbstverständlich auch vor und hinter Bahnhöfen patrouillieren und kontrollieren. Nicht selbstverständlich fand das ein Fahrgast in Trier. Dessen Ausweis wollten Bundespolizisten 2011 vor dem Trierer Hauptbahnhof, rechts neben der Treppe, sehen. Dagegen wehrte er sich vor Gericht und bekam nun in letzter Instanz Recht.

Das Aufgabengebiet der Bundespolizei auf Bahnhöfen ist gesetzlich auf „Bahnanlagen des Bundes“ beschränkt. Was eine Bahnanlage ist, definiert die „Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)“. Zum Bahnhof zählen demnach „sonstige Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern“.

Das Bundesverwaltungsgericht legt das eng aus. Es fordert präzise fixierbare Anhaltspunkte, nach denen die Örtlichkeit überwiegend dem Bahnverkehr, nicht aber dem Allgemeinverkehr gewidmet ist. Für den Trierer Bahnhofsvorplatz, der ziemlich gewöhnlich erscheint, bejaht das Gericht den Schwerpunkt auf den „Allgemeinverkehr“.

Vom Namen Bahnhofsvorplatz darf man sich also nicht täuschen lassen, wie das Urteil zeigt. Somit dürften die Befugnisse der Bundespolizei künftig ab dem Vordach enden. Es kann sicher nicht schaden, das zu wissen (Aktenzeichen 6 C 4.13).

Hasso hatte einen schlechten Tag

Vielleicht ist es ganz gut, dass es nicht auf jedem Polizeirevier einen Sprengstoffspürhund gibt. Denn dann würden wir wahrscheinlich öfter mal zu unserem Auto zurückkehren und es komplett verkokelt vorfinden. Ein falscher Alarm kann nämlich hochexplosive Folgen haben, wie jetzt ein aktueller Fall in Mainz zeigt.

Dort übte die Bundespolizei am Hauptbahnhof Nachwuchskräfte in der Gefahrenabwehr. Unter anderem war ein präparierter Sprengstoffkoffer in einem Schließfach versteckt. Vorrangig ging es natürlich um die Absicherung und Evakuierung des Bahnhofes, aber dennoch sollte die Übung realistisch wirken.

So ging es dann doch nicht ohne einen besonder qualifizierten Mitarbeiter, den Sprengstoffspürhund vom Dienst. Der schlug auch an, zur Verblüffung der Eingeweihten allerdings vor einem ganz anderen Schließfach.

Aus der Übung wurde, vielleicht nicht ganz ungelegen, tatsächlich Ernst. Die Kollegen vom Räumdienst walteten schulbuchmäßig ihres Amtes. Doch nach der Sprengung trat eine gewisse Ernüchterung ein. Man hatte den Laptop eines Geschäftsmannes sowie dessen Reiseutensilien in die Luft gejagt. Von Explosivstoffen keine Spur.

Am bewunderungswürdigsten an der skurrilen Sache ist eigentlich die Nonchalance, mit welcher der Polizeisprecher in diesem tagesschau-Bericht die Übung trotzdem verkauft. Nämlich als Riesenerfolg.

Den Reportern hat man dann wohl noch erzählt, der Laptopbesitzer habe keine Chance auf Schadensersatz. Das Problem der tatkräftigen Gefahrenabwehr bei einer Gefahr, die es gar nicht gibt, beschäftigt immer mal wieder die Gerichte. Die Frage ist dann, ob die Diagnose der Lage fehlerfrei war. Ausgerechnet auf die juristische Bewertung derer, die es selbst verbockt haben, sollte man sich da nicht unbedingt verlassen.

Video auf tagesschau.de

Domina: Arbeitsprobe im Gericht

Eine interessante Form der Eigenwerbung betrieb eine ohnehin stadtbekannte Domina im Düsseldorfer Amtsgericht. Wie der Express berichtet, kommandierte sie in einem Zivilverfahren nicht nur ihre eigene Anwältin lautstark herum. Sie fiel auch der Richterin ständig vehement ins Wort.

„Eine Furie“, fasst das Düsseldorfer Boulevardblatt den Auftritt wenig furchtsam zusammen. Dabei hätte das Blatt Grund zur Vorsicht. Immerhin ging es auch im Prozess um Medienrecht. Die Dienstlei(s)terin verlangte von dem großen Bordell, für das sie im Jahre 2012 arbeitete, 15.000 Euro Schadensersatz. Das Etablissment soll unerlaubt mit Bildern von ihr geworben haben.

2.000 Euro, welche ihre eigene Anwältin ins Spiel brachte, lehnte sie brüsk ab. Das sei ja gerade mal ihr Tagessatz, ließ sie ebenso lautstark wie empört wissen. Doch nach einer Beratung, die ebenfalls sehr hitzig gewesen sein soll, zeigte sich die Klägerin dann doch einsichtig. Möglicherweise kannte die Anwältin das Safeword.

Geklagt wird nun auf 2.000 Euro; das Gericht wird später entscheiden.

Nö. Tschö.

Wollen es sich die Ermittlungsbehörden in Sachen NSA einfach machen? Generalbundesanwalt Harald Range ist nach Medienberichten der Auffassung, er könne sowieso nicht herausfinden, ob und in welchem Umfang amerikanische und englische Geheimdienste (illegal) in Deutschland operieren. Angeblich stünden weder Zeugen noch Dokumente zur Verfügung. Deshalb wolle Range nach monatelangen Vorermittlungen gar nicht erst ein förmliches Verfahren einleiten.

Ich hatte Mühe, die Einleitung zu diesem Beitrag sachlich zu formulieren. Aber jetzt muss es raus:

IST DAS WIRKLICH EUER ERNST, IHR FEIGEN SCHNARCHNASEN?

SIND WIR JETZT ENDGÜLTIG EINE BANANENREPUBLIK?

So, nun weiter im Text. Es mag ja sein, dass sich die angefragten Geheimdienste gegenüber dem Generalbundesanwalt bislang in Schweigen gehüllt haben. Stellen wir uns das praktisch vor. Ranges Mitarbeiter werden wohl im Rahmen der Vorermittlungen eine Mail an ausländische und deutsche Dienste geschrieben haben. Mit der höflichen Frage, ob man nicht der Einfachheit halber zugeben möchte, strafbare geheimdienstliche Agententätigkeit zu begehen oder Beihilfe dazu leisten. Vielleicht sogar garniert mit dem Hinweis, dass ein frühes Geständnis strafmildernd berücksichtigt werden kann.

Trotzdem kam nichts Substanzielles zurück aus den USA und England? Und die deutschen Spione berufen sich gar leutselig darauf, über die Aktivitäten ihrer Kollegen, deren Spitzelsoftware sie ja auch nur zu „Testzwecken“ nutzen dürfen, lediglich „Zeitungswissen“ zu haben? Ja, das ist natürlich überraschend. Aber wenn es so ist, muss man es halt glauben.

Ungefähr so, wie bekanntlich jeder Polizist oder Staatsanwalt auch sonst sofort einknickt, wenn er einen normalen stinknormalen Verdächtigen fragt, ob dieser was mit der Sache zu tun hat. Nö. Tschö. Nichts für ungut. So läuft das ja bekanntlich ständig.

Oder die Sache mit den Zeugenladungen? Mal so ganz schulmäßig jemanden einbestellen. Und ihm die Wahrheitspflicht näherbringen. Oder sogar höflich darauf hinweisen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt. Ordnungshaft zum Beispiel. In der täglichen Praxis von Ermittlern sind das natürlich alles total vernachlässigte Instrumente. Ich kann das aus meiner Praxis als Strafverteidiger bestätigen. Deshalb habe ich ja auch so einen lauen Job.

Oder die Sache mit den Durchsuchungen. Bekanntlich werden ja auch unglaublich viele Wohnungen oder Firmen nicht durchsucht, weil es nur einen eher dürftigen Anfangsverdacht gibt. Siehe zum Beispiel diesen aktuellen Fall.

Warum sollte man es hier nun anders handhaben? Das wäre doch ungerecht. Die Samthandschuhe müssen doch für alle gleich sein. In weiser Voraussicht haben Herr Range und seine Mitarbeiter offensichtlich auch auch einen großen Bogen um das Buch „Der NSA-Komplex“ gemacht, obwohl es einen derzeit von jedem Büchertisch aus anspringt. Alleine da stehen genug gut dokumentierte Fakten drin, die einen ausreichenden Anfangsverdacht ergeben.

Aber wenn der Generalbundesanwalt sich lächerlich machen und – leider – das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz weiter untergraben will, bitteschön. Möglicherweise haben wir ja ohnehin mit nichts anderem gerechnet.

Eine weitere Sicht der Dinge

„Gemein und daneben“

Gemein und daneben – so bewertet Talkmaster Günther Jauch das Medienecho zum „Geständnis“ von Giovanni di Lorenzo. Der Chefredakteur der Zeit und Buchautor („Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“) hatte in Jauchs Sendung freimütig erzählt, er habe – dank seiner doppelten Staatsbürgerschaft – zwei Mal für das Europarlament gewählt.

In einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung kritisiert Jauch den Umgang mit di Lorenzo. Jauch:

Menschen fordern di Lorenzos sofortigen Rücktritt als Chefredakteur, vergleichen ihn mit prominenten Steuerhinterziehern oder plädieren ernsthaft dafür, dass er umgehend ins Gefängnis gehöre. Haben wir die Maßstäbe für Schuld oder Unschuld, für Vorsatz oder Fahrlässigkeit, für Wichtiges oder vergleichsweise Nichtiges völlig verloren?

In einem Punkt hat Günther Jauch völlig recht. Es ist maßlos, Lorenzo nun in den Knast zu wünschen. Aber diese Forderungen resultieren halt auch immer aus der Neigung mancher Redaktionen, die Höchststrafe als reale Drohung zu verkaufen.

Auf Wahlfälschung, wegen der gegen di Lorenzo nun der Staatsanwalt ermittelt, stehen bis zu fünf Jahre Haft. Die Betonung liegt allerdings auf bis. Denn die Höchststrafe ist bei uns nicht die Regelstrafe, sondern die Obergrenze des sogenannten Strafrahmens. Und der fängt bei Wahlbetrug mit „Geldstrafe“ an.

Mit ein bisschen Bauchgefühl und einiger Erfahrung als Strafverteidiger meine ich, di Lorenzo droht mit Sicherheit nicht die ewige juristische Verdammnis, die ihm jetzt von manchem in Aussicht gestellt wird.

Er hat die Sache freimütig selbst erzählt. Er hat die Problematik der Doppelwähler damit vehement ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Er hat sich sich schnell entschuldigt, und die Demokratie ist durch seine doppelte Stimmabgabe sicher nicht in ihren Grundfesten bedroht.

Bei Letzterem muss man bedenken, dass die Doppelwähler keine homogene Gruppe sind. Sie werden ihre zwei oder mehr Stimmen nicht wesentlich anders abgegeben haben als der Rest der Bevölkerung. Das Wahlergebnis dürfte also nur gering verzerrt werden.

Die Lorenzos mögliches Vergehen ist damit ganz eindeutig im unteren Bereich des Strafrahmens angesiedelt. Über eine Freiheitsstrafe braucht man da gar nicht zu diskutieren. Realistisch wäre eine Geldstrafe. Die läge mit Sicherheit noch unter der Eintragungsgrenze von 90 Tagessätzen (= drei Monatseinkommen), bis zu der sich ein Betroffener auch künftig als nicht vorbestraft bezeichnen kann.

Aber nicht mal so weit muss es kommen. In diesem Bereich kommt auch immer eine Einstellung des Verfahren wegen geringer Schuld in Betracht, sofern Staatsanwaltschaft und Gericht kein zwingendes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung erkennen. Wofür es, schon wegen der Ehrlichkeit di Lorenzos, nun gar keine Anhaltspunkte gibt.

Dann würde sich nur die Frage stellen, ob einfach so eingestellt wird, ohne jede Konsequenz. Oder gegen die berühmte Zahlung ans Rote Kreuz.

Das sind die tatsächlichen Perspektiven für den Zeit-Chefredakteur, natürlich neben der kompletten Einstellung seines Verfahrens mangels Tatverdachts. Nämlich dann, wenn die genaue rechtliche Prüfung seine Unschuld ergibt – was ja bei di Lorenzos „Habe ich nicht gewusst“-Argumentation nicht ganz ausgeschlossen ist.

Kümmernisse vom Arbeitsplatz

Nicht jedes Näheverhältnis schadet der Objektivität eines Richters. So reicht es für Befangenheit nicht aus, wenn der zuständige Richter und der Anwalt des Gegners regelmäßig gemeinsame Aufsätze und Fachkommentare verfassen sowie Seminare geben. Das meint das Oberlandesgericht Celle.

Ein Kläger monierte, sein Richter, der Vorsitzende eines Bausenats, sei ständig mit dem Anwalt seines Prozessgegners publizistisch tätig. Außerdem hielten die beiden gemeinsam Fachseminare. Daraus, so das Oberlandesgericht, dürfe der Kläger aber noch nicht auf Voreingenommenheit schließen.

Vielmehr, so das Gericht, beschränke sich die Kooperation Richter – Anwalt hier auf die „Ausübung der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit“. Das alles diene der „Fachauseinandersetzung“ und damit der „Förderung des Fachwissens auf dem gegenständlichen Fachgebiet“. Würde man jede Zusammenarbeit zwischen Richtern und Rechtsanwälten auf ihren Fachgebieten als möglichen Befangenheitsgrund ansehen, behindere das die „schützenswerte juristische Betätigung“.

Etwas anderes könne allerdings gelten, wenn die Zusammenarbeit zu einem „besonderen persönlichen Näheverhältnis“ führt, etwa einer engen privaten Freundschaft. Denkbar sei auch, dass die Autoren sich – etwa „in der Hochphase einer Manuskriptfertigung“ – so oft träfen, dass sie neben der wissenschaftlichen Arbeit „naturgemäß auch die Kümmernisse vom Arbeitsplatz“ austauschen. Genau dies hatte der abgelehnte Richter jedoch aus Sicht des Oberlandesgerichts glaubwürdig verneint (Aktenzeichen 9 W 43/14).

Whats App braucht deutsche AGB

Whats App hat Allgemeine Geschäftsbedingungen, aber die gibt es nur in englischer Sprache. Das Landgericht Berlin urteilte jetzt, dass deutsche Kunden Anspruch auf AGB in deutscher Sprache haben. Whats App hat sich gegen die Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands nicht gewehrt. Das Landgericht Berlin hat deshalb ein Versäumnisurteil erlassen.

Die Verbraucherschützer bemängelten in ihrer Klage neben den englischen AGB auch das Impressum von Whats App. Auch hier muss das Unternehmen laut Gerichtsurteil nachbessern.

Whats App hat ohnehin Anlass, seine extrem komplizierten englischen AGB mal für lokale Märkte anzupassen. Und vor allem, sie verständlicher zu gestalten. In der letzten Woche gab es hitzige Debatten um einen Passus, wonach Whats App nach Belieben Nachrichten und Fotos seiner Kunden weitergeben oder gar verkaufen kann. Allerdings hat sich mittlerweile herausgestellt, dass sich die fragliche Klausel allenfalls auf das Profilbild und den Nutzerstatus bezieht, die Whats App mit Billigung des Nutzers öffentlich macht.

Whats App kann noch Einspruch gegen das Urteil einlegen.

Selbst schuld

Ballett kenne ich eher als Angelegenheit für grazile Personen. Kein Wunder, dass Ballettstangen möglicherweise nicht alles aushalten. Das musste ein Münchner erfahren, der 125 Kilogramm auf die Waage bringt. Die Ballettstange brach im Tanzkurs unter ihm weg – nun verlangte er vor Gericht Schmerzensgeld von seinem Sportverein.

Der 75-Jährige hatte sich bei einem Ballettlehrgang für Senioren angemeldet. Es ist unbekannt, welche Figur er gerade tanzte, aber die Balletstange spielte eine tragende Rolle. Auf diese hatte er beim Tanz nämlich nicht nur sein rechtes Bein gelegt, sondern auch noch den halben Po.

Für die zuständige Amtsrichterin reichte das schon, um die Klage abzuweisen. Wer bei einer Körperfülle von 125 Kilogramm die Ballettstange „vergleichbar einem Barhocker“ nutze, der zweckentfremde das Sportgerät und verschulde den Unfall ganz allein. Der Mann bleibt deshalb ohne Entschädigung. Er hatte über längerdauernde Schmerzen im Knie geklagt (Aktenzeichen 281 C 11625/13).

Handelsregister: immer wahr, immer klar

Das Transsexuellengesetz ist eine Chance für Menschen, die im falschen Körper geboren wurden, ihre wirkliche sexuelle Identität anzunehmen. Von dieser Möglichkeit machte eine Frau Gebrauch, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Ihre behördlich genehmigte Namensänderung stößt allerdings an behördliche Grenzen. Das Registergericht, weigerte sich, die alten Vornamen der als GmbH-Geschäftsführerin tätigen Frau endgültig zu streichen.

Stattdessen wurden nur die neuen Vornamen eingetragen, die alten aber lediglich als gelöscht markiert. Wer eine Chronologie des Handelsregisters anfordert, was problemlos möglich ist, kriegt also auch noch die alten Vornamen mitgeteilt.

Die Frau empfand das als unzumutbar. Nutzer des Registers würden entweder einen Geschäftsführer-Wechsel annehmen. Oder sie könnten Rückschlüsse auf die Geschlechtsangleichung ziehen, die aber ihre Privatsache sei.

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht akzeptiert die Praxis des Handelsregisters. § 5 Transsexuellengesetz bestimme zwar ausdrücklich, dass die früheren Vornamen nicht ausgeforscht oder offenbart werden dürfen. Doch seien hierfür Fälle ausgenommen, in denen „besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern“.

Die Richter meinen, genau dies sei hier der Fall. Immerhin hätten alle Teilnehmer am Rechtsverkehr ein schutzwürdiges Interesse, dass die Richtigkeit und Vollständigkeit des Handelsregisters stets gewährleistet ist.

Die Argumentation erscheint auf den ersten Blick ziemlich dünn. Immerhin nimmt es das Transsexuellengesetz ja gerade in Kauf, dass die Historie eines Transsexuellen sich rückwirkend ändert; zum Beispiel wird ja auch eine neue Geburtsurkunde ausgegeben. Persönlichkeitsrecht geht hier nun mal vor Rechtssicherheit. Wieso ausgerechnet das Handelsregister hier eine besondere Stellung haben soll, ist die Frage.

Allerdings dürfte das letzte Wort in der Angelegenheit noch nicht gesprochen sein. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen (Aktenzeichen 2 W 25/14).

Krautreporter

Es sind noch einige Tage Zeit, um ein wichtiges Projekt auf die Beine zu stellen. Eines, das eine Alternative zum heutigen Journalismus bieten könnte. Weg vom Eilmeldungsterror, tausendfach recycleten Klickstrecken, suchmaschinenorientierter Schreibe und dem von Nachrichtenagenturen angerührten Nachrichtenbrei. Bei Krautreporter soll alles anders sein – wenn die Nutzer dafür zahlen.

Die Krautreporter sind ein Team gestandener und – soweit ich sie persönlich kenne – durchaus liebenswürdiger Journalisten, die ihre Honorare direkt von den Lesern beziehen wollen. 60 Euro im Jahr soll sich jeder Leser die Krautreporter-Lektüre kosten lassen. Oder freiwillig mehr. Dafür wollen die Krautreporter liefern, was in vielen Redaktionen heute auf der Strecke bleibt: eigene, gut recherchierte Storys.

Die Krautreporter zählen auf ihrer Webseite zehn Gründe auf, warum sie dem Internet gefehlt haben. Nummer 7 hat mir übrigens die Tränen in die Augen getrieben. Auch FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sieht Potenzial:

Das Ereignis dieser Tage ist doch, dass eine Idee wie „Krautreporter“, die aus dem Herzen des Internets kommt, zumindest partiell auf Bezahlinhalte und den Club-Charakter setzt, den die Printmedien seit Jahren diskutieren und nie umsetzen. Was dort über Klick-Journalismus und Google-getriebene Geschichte steht, teile ich zu 100 Prozent. Viele Verlagsleute hatten aber Angst, das Gleiche zu sagen, aus Angst, als altbacken zu gelten. Nun kommt es als Revolution daher. Dafür bin ich richtig dankbar.

15.000 Unterstützer braucht Krautreporter. Mehr als 5.000 Abonnenten haben sich bereits gefunden. Bezahlt werden muss nur, wenn es genug Förderer gibt und Krautreporter im Herbst tatsächlich startet.