EHEC-Warnung war berechtigt

Im Jahr 2011 sorgte der EHEC-Erreger für gedämpfte Freude beim Essen. Zahlreiche Menschen waren in ganz Deutschland schwer erkrankt. Es gab sogar Todesfälle. Längere Zeit wurde über die Ursachen der schweren Durchfallerkrankung gerätselt. Nun musste das Landgericht Braunschweig die Altlasten des Falles aufarbeiten.

Ein Hersteller von Sprossen hatte den Staat auf Schadensersatz in Höhe von einer Million Euro verklagt, weil er durch die EHEC-Warnung des Bundesamtes für Verbraucherschutz riesige Umsatzausfälle erlitten habe. Die Behörde hatte damals ausdrücklich vor den Sprossen gewarnt, obwohl nach Auffassung der Firma gar keine ausreichenden Beweise vorlagen.

Laut den Richtern muss aber der Zusammenhang zwischen Produkt und Erkrankung nicht hundertprozentig feststehen. Es genüge eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Je höher die erkennbaren Risiken seien, desto eher dürfe auch gewarnt werden. Das Bundesamt habe diese Entscheidung korrekt getroffen.

Ob die Sprossen tatsächlich die (alleinige) Ursache für die Epedemie waren, ist bis heute umstritten. (Aktenzeichen 7 O 372/12).

Wo war die PIN?

Wenn mit einer Originalbankkarte und korrekter PIN unberechtigt Geld abgehoben wird, spricht dies nach Auffassung des Amtsgerichts München für grobe Fährlässigkeit des Bankkunden. Deshalb bleibt der Kontoinhaber auf allen Kosten sitzen.

Einer 76-Jährigen war in einem spanischen Supermarkt ihre Sparcard einer Münchner Bank gestohlen worden. Mit dem gesamten Geldbeutel. Obwohl die Frau über ihre Tochter die Karte sehr schnell sperren ließ, wurde damit kurz zuvor Geld an einem Automaten abgehoben. Insgesamt 2000 Euro, in sechs Einzelsummen.

Die Frau behauptete, sie habe die PIN nur im Kopf gehabt. Dem glaubte das Amtsgericht München nicht und ging davon aus, dass die Frau ihre Geheimzahl irgendwo notiert hatte. Die Bank hatte nach Auffassung des Richters nämlich glaubhaft belegen können, spätestens seit dem Jahr 2000 ein sicheres System zu nutzen, bei dem Unbefugte die PIN nicht auslesen können (Aktenzeichen 121 C 10360/12).

Von hinten lesen

Es waren drei prallvolle Aktenordner, welche die Staatsanwaltschaft Stuttgart in mein Büro liefern ließ. Vom Mandanten wusste ich, es geht um ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs. Der Mandant, geschlagen mit einem Allerweltsnamen, hatte davon vor knapp drei Wochen erfahren. Da flatterte ihm ein Anhörungsbogen der Polizei ins Haus.

Der Umfang der Akte war etwas überraschend für das, was der Mandant wohl in einem Telefonat von der Polizei erfahren hatte. Aber na ja, ich vereinbare in den allermeisten Fällen ein Stundenhonorar. Und Einarbeitungszeit ist auch Arbeitszeit. Zwei, zweieinhalb Stunden hätte ich für eine gründliche Durchsicht der Unterlagen auf jeden Fall gebraucht.

Allerdings habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, auch die allerdickste Akte erst mal von hinten zu lesen. Wenigstens einige Seiten. Gerade bei längerdauernden Geschichten kommt es immer mal wieder vor, dass Dinge sich zerschlagen. Oder neue Gesichtspunkte dazukommen.

Das lohnte sich in diesem Fall besonders. Der Staatsanwalt hatte ganz hinten in der Akte vermerkt:

Es liegt eine Namensverwechslung vor. Der eigentlich Verdächtige mit gleichem Namen wohnt in derselben Straße, aber unter der Hausnummer 83.

Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO.

Damit war die Sache schon zu Ende. Die Rechnung fiel erfreulich niedrig aus – aus Sicht des Mandanten.

Am Ballermann

Vom Ballermann wenig bekleidet in die Printausgabe der Bild – dieser Weg ist offensichtlich kürzer als man denkt. Jedenfalls fand sich eine Mallorca-Urlauberin in dem Blatt wieder, obwohl sie sich doch eigentlich nur im Bikini sonnen wollte. Mit ihr auf dem Foto waren ein bekannter Fußballer, eine Mülltonne und die Strandliege der Frau. Die Mülltonne deswegen, weil Bild den prominenten Urlauber abgelichtet hatte, als er geradezu vorbildlich seinen Abfall entsorgte.

In dem Bericht ging es allerdings gar nicht um ökologisches Verhalten. Sondern darum, dass der Sportler am Tag eins nach der Mülltonne am Ballermann ausgeraubt worden sein soll. Wie auch immer, die Urlauberin fühlte sich bloßgestellt, zumal die Bild auch noch was von „pikanter Begleitung“ gefaselt hatte, obwohl die Urlauberin den Fußballer gar nicht kennt. Sie verklagte deshalb die Zeitung. Vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe bekam sie nun Recht.

Auch wer (fast) nur Beiwerk in einem Foto ist, hat nach Auffassung der Richter Persönlichkeitsrechte. In Alltagssituationen dürfe man sich unbeobachtet fühlen und müsse nicht damit rechnen, ungefragt in eine Boulevardzeitung gehievt zu werden. Das gelte jedenfalls so lange, wie dem Verlag jeder sachliche Grund fehle, das Bild zu veröffentlichen. Ein öffentliches Interesse an dem Foto konnten die Richter nicht einmal ansatzweise erkennen.

Allerdings wurde die Bildzeitung nur zur Unterlassung verurteilt. Schmerzensgeld lehnte das Gericht ab. Dazu sei der Verstoß nicht schwer genug (Aktenzeichen 6 U 55/13).

Hauptsache, gute Fotos

Die Einnahmen aus Radarfallen sind in vielen städtischen Haushalten fest eingeplant. Das ist kein Geheimnis. Da kann es durchaus erforderlich sein, die „Trefferquote“ etwas zu erhöhen. Sicher nicht nur in Mainz, aber da bestätigte sich sich das Gewinnstreben einer Kommune nun auf peinliche Weise.

Im Stadtteil Gonsenheim erspähte ein Autofahrer nicht nur eine mobile Tempomessung. Sondern auch, dass die Warnbake im Ausstrahlungswinkel des Messgeräts verhängt war. Und zwar mit einem schwarzen Tuch.

Wie die Stadt Mainz mittlerweile bestätigte, hatten ihre Mitarbeiter von der städtischen Tempoüberwachung die Warnbake verhängt. Grund: So gibt es bei Messungen weniger Reflexionen, die Zahl der verwertbaren Fotos steigt. Und das dürfte wichtig sein, denn die Mainzer Einnahmen aus Tempomessungen sind rückläufig.

Immerhin gibt sich die Stadt selbstkritisch. „Wir messen die Geschwindigkeit, um Gefahren zu reduzieren, und produzieren eine neue Gefahr“, räumte der Pressesprecher gegenüber der Allgemeinen Zeitung Mainz ein. Das gehe natürlich nicht.

Sollte die unverhüllte Warnbake tatsächlich die Blitzerfotos verhageln, werde man wohl eine neue Messstelle suchen müssen.

Abstieg auf der Karriereleiter

Gleich zwei Schritte auf der Karriereleiter macht ein Beamter aus Rheinland-Pfalz – und zwar zurück. Der Mann hatte bei seinen Dienstzeiten gemogelt.

Der Beamte unterließ an vielen Werktagen die „Gehen“-Buchung an der Zeiterfassung, wenn er das Dienstgebäude verließ. Zurück ins Haus konnte er mit seinem persönlichen ID-Chip gelangen. Erst wenn er nach längerer Abwesenheit wieder zurückkam, holte er die „Gehen“-Buchung nach. Dadurch sparte er eine Menge Arbeitszeit.

Heraus kam alles, weil die Zutrittszeiten zum Gebäude mit den erfassten Abwesenheitszeiten verglichen wurden. An mindestens 170 Arbeitstagen hatte der Mann die Masche angewendet. Deshalb musste er sich vor der Disziplanarkammer des Verwaltungsgerichts Trier verantworten.

Die Richter ließen Gnade vor Recht walten. An sich, entschieden sie, rechtfertige so ein planmäßiges Vorgehen die fristlose Entlassung aus dem Beamtendienst. Erschwerend komme hinzu, dass der Mitarbeiter die Abteilung für Organisation leitete und das Zeiterfassungssystem mit auf die Beine gestellt hat.

Zu Gute hielten die Richter dem Beamten, dass er eine schwerkranke Frau hat und kurz vor der Pensionierung steht. Vor diesem Hintergrund sei es gerade noch vertretbar, die Laufbahn des Betroffenen nur um zwei Amtsstufen nach unten zu korrigieren (Aktenzeichen 3 K 1802/13.TR).

Schwarzfahrer-Police

Interessante Idee aus Schweden: In Stockholm gründen Schwarzfahrer eine Interessengemeinschaft. Wer erwischt wird, dessen Strafe wird aus einem gemeinsamen Fonds bezahlt. Das Ganze ist nicht nur als eine „Versicherung“ gedacht, sondern auch als Protest gegen den Umstand, dass der öffentliche Nahverkehr überhaupt kostenpflichtig ist.

Spiegel online stellt die Aktion ausführlich vor. Da stellt sich natürlich die Frage, ob so eine Schwarzfahrer-Police auch bei uns denkbar ist.

Größtes Hindernis wäre in Deutschland der Umstand, dass Schwarzfahren eine Straftat ist. Der gesetzliche Tatbestand hört auf den schönen Namen Erschleichen von Leistungen. Schon deshalb, fürchte ich, würde so eine Solidargemeinschaft bereits bei dem Versuch scheitern, sich über eine lose „Wir helfen uns gegenseitig“-Abrede hinaus zu konsolidieren.

Egal, ob Verein, GmbH oder sonst was, das Registergericht würde den Laden schon gar nicht als nicht eintragungsfähig einstufen, da er auf die Begehung oder zumindest Unterstützung von Straftaten gerichtet ist. Da lauert an jeder Ecke die zivilrechtliche Sittenwidrigkeit und damit die Unwirksamkeit jeder Vereinbarung.

Selbst wenn man das mit dem erhöhten Beförderungsentgelt noch in den Griff bekäme, den strafrechtlichen Ärger mit Staatsanwalt und Richter kann man hierzulande kaum auf andere abwälzen. Im Vorstrafenregister steht man am Ende immer noch selbst.

Schwer enttäuscht

Vor anderthalb Wochen klingelte es bei Herrn M. Es war nicht der Postbote. Sondern der Gerichtsvollzieher. Dieser eröffnete Herrn M., er möge doch bitte seine Schulden bezahlen. Knapp 9.000 Euro seien aufgelaufen, wie eine schriftliche Forderungsaufstellung mit langen Zahlenkolonnen bestätigte.

Zuerst glaubte Herr M. an einen Irrtum. Vor allem, als er den Namen des Gläubiges hörte. Eine Krankenkasse. Mit der habe er tatsächlich mal im Clinch gelegen, erzählte Herr M. dem Gerichtsvollzieher. Aber die Sache sei doch längst zu Ende. Er habe vor Gericht gewonnen. Oder, na ja, zumindest müsse der Prozess noch laufen. Denn er habe schon lange nichts mehr von seinem Anwalt gehört.

Ob es den Anwalt überhaupt noch gibt? Herr M. wusste nur, der Jurist sei schon recht betagt gewesen.

Für Herrn M. war die Sache schnell sonnenklar. Der Anwalt hatte seine Sache an die Wand gefahren. Entweder durch Nichtstun. Oder, weil er nicht korrekt vor Gericht argumentiert hat.

Das wiederum sollten nur wir im Auftrag von Herrn M. eruieren, denn der Vollstreckungstitel war zweifellos rechtskräftig. Natürlich helfen wir gerne. Wenn wir das entsprechende Honorar erhalten.

Aber das wollte Herr nicht. Auf keinen Fall. Never. „Ich bin so enttäuscht von euch Anwälten“, sagte er. „Ich bezahle nur noch, wenn die Sache erledigt ist und ich ohne Verlust rausgegangen bin.“

Wenige Minuten später haben wir Herrn M. freundlich verabschiedet. Er war etwas erstaunt. Aber auch gewiss, dass er entgegenkommendere Anwälte findet als uns. Welche, die so eine Sache ohne jede Anzahlung „mit Freude“ anpacken, wie es Herr M. ausdrückte.

Möge er viel Erfolg haben.

Jesus spricht mit mir …

… nicht. Die amerikanischen Psychiatrie-Professorin Helen Schucman soll da mehr Glück gehabt haben. Behauptete sie jedenfalls. In aktiven Wachträumen, erzählte sie, sei ihr Jesus Christus erschienen. Und er habe ihr viele Zeilen Text eingeflüstert. An diesen Informationen ließ Schucman die Welt teilhaben, in Form ihres bereits in den Siebzigern erschienen Buches „A Course of Miracles“.

Neuere göttliche Botschaften via Schucman gibt es nicht. Sie ist verstorben und fällt deshalb derzeit als göttliches Medium aus. Aber natürlich wird ihr Buch weiter verbreitet – unter anderem durch einen deutschen Verlag.

Allerdings soll dieser Verlag irdische Regeln missachtet haben – das Urheberrecht. Das Copyright für „A Course of Miracles“ reklamiert nämlich eine amerikanische Stiftung für sich, die Schucmann beerbt hat. Behauptet die Stiftung.

Allerdings behauptet die Stiftung nicht, auch Jesus Christus unter Vertrag zu haben, was Fragen aufwirft. Der verklagte deutsche Verlag brach die Bedenken auf folgenden Einwand herunter: Schucman sei doch nur eine „Schreibkraft“ gewesen, die ein Diktat aufnimmt.

Deshalb musste jetzt das Oberlandesgericht ganz ernsthaft die Frage beantworten, wer eigentlich juristisch als „Urheber“ göttlicher Eingebungen gilt.

Die Richter bewältigen ihre Aufgabe ganz ohne höhere Inspiration. Sie schöpfen das Ergebnis unaufgeregt aus deutschen Paragrafen. Nach denen, sagen sie, entsteht Copyright durch einen „schöpferischen Realakt“, einen tatsächlichen Schaffensvorgang. Dabei spiele der geistige Zustand des Werkschaffenden gar keine Rolle. Dementsprechend sei anerkannt, dass auch Geistesgesörte, Hypnotisierte und in Trance befindliche Personen dichten, komponieren, malen und bildhauern können.

Dass Schucman selbst behauptete, die Texte kämen von Jesus, spiele deshalb juristisch keine Rolle. Noch ist das letzte Wort allerdings nicht gesprochen. Der deutsche Verlag hat Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Und wer weiß schon, ob ganz am Ende nicht noch vor einer viel höheren Instanz abgerechnet wird (Aktenzeichen 11 U 62/13).

Welche Aussage macht Musik?

Bei einer Neonazi-Demonstration in München wurde die Paulchen-Panther-Melodie gespielt. Mit diesen Tönen war auch ein Video des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) unterlegt, dem zehn Morde zur Last gelegt werden. Das Oberlandesgericht München musste jetzt prüfen, ob sich der Veranstalter wegen Billigung von Straftaten zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Das Oberlandesgericht verneinte dies, wie zuvor auch schon das Amtsgericht München. Wie die Augsburger Allgemeine berichtet, war das Gericht der Meinung, die vorliegenden Beweise reichten nicht aus.

Man dürfe die Melodie nicht isoliert betrachten, befand das Gericht. Eine maßgebliche Rolle spielte wohl, dass der angeklagte Versammlungsleiter sich in einer Rede ausdrücklich von den Morden distanziert hatte. Damit sah sich das Gericht außerstande, der Melodie alleine die Bedeutung beizumessen, wie es die Anklage getan hatte.

Haben auch Richter geschummelt?

In Niedersachsen soll ein amtierender Richter im großen Stil Prüfungsaufgaben für das Zweite Juristische Staatsexamen verkauft haben. Der Fall sorgte für Aufsehen. Da stellt sich die Frage: Wie gehen die Behörden mit so einem Skandal um?

Es sieht so aus, als hätte sich das niedersächsische Justizministerium für die Offensive entschieden. Sage und schreibe 84 Sonderprüfer wurden abgestellt. Sie durchforsten derzeit alle Klausuren, die Prüflinge seit 2011 in Niedersachsen geschrieben haben. Es handelt sich um die Arbeiten von 2.000 angehenden Volljuristen.

Dabei könnten auch Karrieren auf dem Spiel stehen. Immerhin 101 der Geprüften sollen heute als Richter arbeiten. Ihnen würde ein nachgewiesener Betrug wahrscheinlich die Karriere kosten. Aber auch Anwälte sind gefährdet, denn bei einer Aberkennung des Zweiten Staatsexamens fehlt ihnen die formale Qualifikation für ihren Job.

Solche Konsequenzen sind wohl nicht nur Theorie. Denn, so Justizministerin Antje Niewisch Lennartz, bei einer Reihe von Kontrollen hätten sich bereits „Auffälligkeiten“ herausgestellt.

Sollte ein niedersächsischer Richter wegen Betrugs sein Amt verlieren, müssten die von ihm entschiedenen Verfahren nicht neu aufgerollt werden. Die Aberkennung des Amtes würde nicht in die Vergangenheit zurückwirken.

Eine spannende Frage könnte auch sein, ob mögliche Mogel-Anwälte ihren Auftraggebern das Honorar zurückzahlen müssen. Oder gar zu Schadensersatz verpflichtet sind, wenn ein von ihnen betreuter Prozess nicht gut verlaufen ist. Diese Fragen müssten dann – hoffentlich – „echte“ Richter beurteilen.

Im Norden endet die Krawattenpflicht

Der Landtag in Schleswig-Holstein hat alte Zöpfe abgeschnitten. Das Parlament hob – auf Antrag der Piratenpartei – letzte Woche die Kleiderordnung für Rechtsanwälte auf.

Bisher mussten Rechtsanwälte in Schleswig-Holstein vor Gericht ein “weißes Hemd und eine weiße Halsbinde (Quer- oder Langbinder)” tragen. Für Rechtsanwältinnen war eine “weiße Bluse” vorgeschrieben, das Tragen einer “weißen Schleife” war immerhin nur freigestellt.

Das ist nun Vergangenheit. Bunte Krawatten, offene Kragen und farbige Damenkleidung sind ab sofort auch offiziell in Ordnung. Auch eine Form von „Legalize it“, denn so richtig ernst nahm gerade im Norden die alten Vorschriften ohnehin keiner mehr.

Die Auflockerung bedeutet aber kein Ende des Robenzwangs. Diese Pflicht ergibt sich derzeit (wohl noch) aus der Berufsordnung für Rechtsanwälte, die bundesweit gilt. Deren § 20 schreibt Rechtsanwälten eine Robe vor, sofern dies „üblich“ ist.

Die Deutungshoheit über das, was üblich ist, haben die Rechtsanwaltskammern. Die Kammern in den einzelnen Bundesländern halten die Robe nach wie vor für eine verpflichtende Berufstracht (siehe etwa diesen Hinweis der Anwaltskammer Stuttgart). Anwälte müssen sich also darauf einstellen, bei Verstoß gegen die Robenpflicht disziplinarischen Ärger zu bekommen. Lediglich vor den Amtsgerichten gilt eine ausdrückliche Ausnahme von der Robenpflicht, aber auch nur in Zivilsachen.

Damit aufmüpfige Juristen nicht etwa ein Hoodie zur Robe deklarieren, legen übrigens diverse Erlasse genau fest, wie eine Robe auszusehen hat, um als korrektes Amtsgewand durchzugehen. Hier die schleswig-holsteinische Vorschrift für Richter und Staatsanwälte aus dem Jahr 1967:

Das Amtsgewand liegt auf den Schultern und der Brust glatt an und fällt vorn und hinten weit und faltig bis über die Mitte des Unterschenkels herab; es wird vorn durch eine Reihe verdeckter Knöpfe oder durch Haken geschlossen. Der Halsausschnitt ist so, daß er Kragen und Halsbinde sehen läßt, aber Rock und Weste verdeckt. Die Ärmel fallen, nach unten weiter werdend und unten offen, faltig herab. Zur Erleichterung beim Schreiben ist es freigestellt, den rechten Ärmel durch einen innen befestigten, nach unten durchzuknöpfenden Knopf um das Handgelenk zu schließen.

Der Besatz läuft glatt anliegend an dem Halsausschnitt und an der Vorderseite entlang bis zur unteren Kante des Gewandes; er ist um den Hals 16 cm breit und verschmälert sich vorn bis zu 11 cm; am Ärmel hat der Besatz 8 cm Breite. Der Besatz ist bei Richtern und Staatsanwälten aus Samt, bei Urkundsbeamten aus Wollstoff. Bei den Amtsanwälten sowie bei den Referendaren und Beamten des gehobenen Justizdienstes als Vertreter des Staatsanwalts oder des Amtsanwalts und bei den Rechtspflegern ist der Besatz aus Samt; er ist am Halsausschnitt 10 cm breit und verschmälert sich vorn auf 7 cm, der Ärmelbesatz (8 cm) ist aus Wollstoff.

„Beschissene Situation“

Die einen scherzen über ein „Konjunkturpaket für Gerichtsvollzieher“, die anderen fürchten ernsthafte Konsequenzen für ihre Tätigkeit als Anwalt. Letzten Donnerstag habe ich ein Urteil des Anwaltsgerichts Düsseldorf vorgestellt, das ein wichtiges Instrument im Arbeitsalltag eines Anwalts möglicherweise hinfällig macht: die (vereinfachte) Zustellung von Anwalt zu Anwalt.

Rechtsanwalt Christian Franz aus Düsseldorf hat die Entscheidung mit einer Selbstanzeige herbeigeführt. In einem Beitrag für das law blog erklärt er seine Motive und den Hintergrund.

Von Christian Franz, LL.M.

Das Urteil des Anwaltsgerichts Düsseldorf zur fehlenden Berufspflicht zur Mitwirkung bei Zustellungen von Anwalt zu Anwalt geht auf meine „Selbstanzeige“ nach § 123 BRAO zurück, um mich vom Vorwurf einer Berufsrechtspflichtverletzung zu reinigen (so heißt das tatsächlich). Und so bin ich nun frisch geputzt, aber auch ein bisschen schlauer – und mit mir der Rest jedenfalls des Teils der Anwaltschaft, der regelmäßig mit einstweiligen Verfügungen zu tun hat.

Wie es in den Kommentaren zum Beitrag von Herrn Kollegen Vetter schon heißt: „beschissene Situation“ ist noch euphemistisch ausgedrückt. Im konkreten Fall musste binnen weniger Stunden eine Entscheidung getroffen werden, und in welche Richtung man auch blickte: überall Elend. Entweder man bereitete einem Kollegen ein massives Problem – oder seinem eigenen Mandanten, der bei der Verweigerung der erforderlichen aktiven und willentlichen Mitwirkung (bloß in die Hand nehmen reicht nicht) die Aussicht hatte, einer belastenden Unterlassungsverpflichtung zu entgehen und nebenbei noch einen hoch vierstelligen Betrag zu sparen.

Ich habe mich nach sehr sorgfältiger Prüfung gegen die Mitwirkung, also für den Mandanten und gegen die Kollegialität entschieden. Das ist mir nicht leicht gefallen, war aber – insbesondere auch in der Retrospektive – die richtige Entscheidung. Und ich bin ein wenig stolz darauf, binnen dreier Stunden an einem Freitag Nachmittag „entdeckt“ zu haben, was einige Gerichte seit Anfang der 90er Jahre übersehen haben. Denn es kann keinen vernünftigen Zweifel daran geben, dass das Urteil mit Blick auf die fehlende Satzungskompetenz richtig ist.

Das bedeutet aber nicht, dass die Rechtslage auch befriedigend wäre – im Gegenteil.

Wir sind im gewerblichen Rechtsschutz tätig und erleben die Schwierigkeiten bei der Zustellung mit schöner Regelmäßigkeit auch in umgekehrter Richtung. Das ist allerdings ein Problem, das sich nicht auf das Berufsrecht auslagern lässt, sondern (endlich) prozessrechtlich anzugehen wäre. Im Moment ist es so, dass selbst eine Zugangsvereitelung (Klingelschild abmontieren o.ä.) den zustellenden Gläubiger wegen Fristversäumnis in die Bredouille bringt (das ist eine Besonderheit der Vollziehungszustellung). Es ist dringend geboten, die wirksame Vollziehung an einen objektiven Akt zu knüpfen, der außerhalb der Einflusssphäre des Schuldners liegt, also etwa die (bloße) Beauftragung eines Gerichtsvollziehers mit der Zustellung.

Aber das Urteil ist auch aus anderen Gründen richtig, nicht nur wegen der von mir „entdeckten“ fehlenden Satzungskompetenz: das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach und klipp und klar zum Ausdruck gebracht, dass selbst gesetztes Berufsrecht keine Pflicht begründen kann, gegen die Interessen des eigenen Mandanten zu handeln, wenn eine alternative Handlung zugunsten des Mandanten prozessual zulässig ist, zum Beispiel hier. Und eine prozessuale Pflicht zur Mitwirkung bei Zustellungen gibt es nun einmal nicht.

Die Auswirkungen auf die Praxis werden allerdings trotzdem gering bleiben. Einerseits, weil die Mitwirkung (auch) bei einer Vollziehungszustellung von Anwalt zu Anwalt oft im Interesse des Mandanten liegen wird, wenn nämlich grundsätzlich noch die Zeit für eine Zustellung per Gerichtsvollzieher bliebe. Andererseits, weil sich (hoffentlich spätestens jetzt) herumsprechen wird, dass die verzögerte Absetzung von Urteilen durch das Gericht in Eilsachen den Gläubigeranwalt gar nicht unter Druck setzen kann. Die ZPO hat auch auf diese Situation eine sinnvolle Antwort parat: § 317 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Wir beantragen eine solche Ausfertigung ohne Sachverhalt und Gründe, wenn wir eine Woche nach Verkündung noch nichts gehört haben. So bleiben rund drei Wochen Zeit, um die Verfügung zu vollziehen. Und weil wir das Theater kennen, haben wir meist schon mit Beantragung der Verfügung die erforderlichen Ermittlungen (bis zur Einwohnermeldeamtsanfrage nach dem privaten Wohnsitz eines Geschäftsführers oder Vorstands) in die Wege geleitet.

Was den Ausgang des zugrundeliegenden Verfahrens angeht: dem Gegner ist die Puste ausgegangen – die Verfügung war seine Retourkutsche für seine vorherige Inanspruchnahme und so wichtig war es ihm dann wohl doch nicht. Mein Mitleid hält sich in Grenzen – und der Gegner hat aufgehört, mit Fotos von künstlerisch hochwertigen Grabsteinen unseres Mandanten als eigene Leistungsergebnisse zu werben. Insoweit habe ich ein ruhiges Gewissen.

Was den Kollegen angeht, der die Gegenseite vertrat: auch wenn er (siehe oben) handwerkliche Fehler gemacht haben dürfte, kann man nicht übersehen, dass die Rechtsprechung bislang ziemlich blind an der vor-Bastille-Rechtslage festgehalten und eine Mitwirkungspflicht apodiktisch bejaht hat. Da konnte er schon damit rechnen, dass ich das Empfangsbekenntnis vollziehe.

Andererseits: hätte er mich nicht in die Lage gebracht, wegen der offenkundigen Unmöglichkeit der Zustellung durch Gerichtsvollzieher an einem Freitag Nachmittag eine Entscheidung treffen zu müssen, wäre es zu diesem Urteil gar nicht gekommen.

Und so schreibe ich mir auf die Fahnen, § 14 BORA, wie wir ihn kannten, eigenhändig zu Fall gebracht zu haben. Der Mandant ist zufrieden, den gegnerischen Kollegen rettet die Berufshaftpflichtversicherung und wir haben ein bisschen mehr Rechtssicherheit in dem Sumpf, der das Zustellungsrecht ist. Und ich habe für 300,00 € berufsrechtliche Literatur im Haus, die ich hoffentlich nie mehr brauche.

Christian Franz ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Bötcher Dretzki & Franz in Düsseldorf

Links 929

„Dieses Land wird von Feiglingen und Heuchlern regiert, denen es niemals um die Interessen ihrer eigenen Bürger geht, sondern nur um die Erhaltung und Verfestigung ihrer eigenen Machtposition“

Eine Mahnung für die Kanzlerin

Schulverweigerer machen weiter

Nudeln künftig länger „haltbar“

Original Unverpackt

Wer-kennt-wen: User sauer über Schließung

Den Polizeifunk stets dabei

Todeskandidat will seine Hinrichtung filmen lassen

The Evolution Of Visual Effects