Die Sache mit der Frist

Vorhin rief mich die Richterin eines kleines Amtsgerichts in Nordrhein-Westfalen an. Sie konnte sich, das war deutlich zu hören, einen gewissen Triumph in der Stimme nicht versagen. „Ich habe hier die Begründung Ihrer Sprungrevision vorliegen“, sagte sie. „Aber Sie haben leider die Begründungsfrist nicht eingehalten.“

Auch wenn in der Verhandlung für den Mandanten am Ende nur eine Geldstrafe statt des zunächst in Aussicht gestellten Knastaufenthalts rausgekommen war, bist du als Anwalt da natürlich wie vom Blitz getroffen. Eine Frist verpennen, das sollte definitiv nicht vorkommen.

Mein Schock währte allerdings nicht sonderlich lange. Denn mir fiel ein, dass ich den Mandanten ja gemeinsam mit einem Anwaltskollegen verteidigt hatte. Mir war das Urteil am Mittwoch der betreffenden Woche zugestellt worden. Der Kollege hatte es aber erst zwei Tage später, am Freitag, erhalten.

Die Richterin hatte aber nur geschaut, an welchem Tag ich das Urteil bekommen habe. Ab diesem Datum rechnete sie einen Monat weiter, denn so lange währt die Frist zur Begründung der Revision. Auf den ersten Blick war ich also wirklich zwei Tage zu spät. Allerdings gibt es in § 37 StPO für den Fall der „Mehrfachzustellung“ eine Regel:

Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung.

Wird das Urteil also an zwei Verteidiger zugestellt, beginnt die Uhr erst zu laufen, wenn beide Urteile eingetroffen sind. Das heißt, nur die spätere Zustellung zählt. Mit der Folge, dass der Anwalt, der das Urteil vor seinem Kollegen bekommen hat, halt faktisch etwas mehr als den erwähnten Monat Zeit für die Begründung hat. Es gibt also bei mehreren Zustellungen nicht unterschiedliche Begründugsfristen, sondern für alle Beteiligten zählt nur die Zeit ab der letzten Zustellung.

Die – eher noch junge – Amtsrichterin kannte die Vorschrift offenbar nicht, wie ich am Blätterrascheln hörte. Aber ich habe alles daran gesetzt, mir im Gespräch keinerlei Triumph anmerken zu lassen. Höchstens ein bisschen Freude, dass hier im Büro doch nichts schiefgelaufen zu sein scheint.