Der mögliche Mitwisser von München

Der Amokläufer von München war möglicherweise nicht ganz so alleine, wie es zunächst den Anschein hatte. Gegen einen 16-jährigen Bekannten des Täters wird ermittelt, unter anderem wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten. Der junge Mann soll den Täter von einem Klinikaufenthalt kennen und mit ihm engen Kontakt gehabt haben. Wahrscheinlich haben sich die beiden direkt vor dem Amoklauf sogar noch am oder in der Nähe des Tatortes getroffen, berichtet etwa die Süddeutsche Zeitung.

Die Staatsanwaltschaft will den Jugendlichen in Haft nehmen. Sie befürchtet Verdunkelungsgefahr, obwohl sich der 16-Jährige wohl zunächst selbst an die Polizei gewandt hatte. Diese aktuellen Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf den weithin unbekannten Tatbestand der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB). Hier deshalb mal eine kurze Übersicht, um was es dabei eigentlich geht.

Die gute Nachricht vorweg: Es gibt keine generelle Anzeigepflicht für geplante Straftaten. Bei den weitaus meisten Delikten droht einem nichts, wenn man trotz Kenntnis von der geplanten Straftat untätig bleibt. Vielmehr gilt die Anzeigepflicht durchweg nur für besonders schwere und meist gemeingefährliche Straftaten. Diese Delikte sind im § 138 StGB in Katalogform aufgeführt. Ich übernehme die Kurzfassung aus der Wikipedia. Danach sind folgende Delikte anzeigepflichtig:

Vorbereitung eines Angriffskrieges
Hochverrat
Landesverrat
Geld- oder Wertpapierfälschung
Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen
eine Straftat gegen die persönliche Freiheit
Krimineller Menschenhandel
Menschenraub
Verschleppung
Erpresserischer Menschenraub
Geiselnahme
Raub oder räuberische Erpressung
eine gemeingefährliche Straftat
Brandstiftung
Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie
Missbrauch ionisierender Strahlen
Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens
Herbeiführen einer Überschwemmung
Gemeingefährliche Vergiftung
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

Kurz gesagt, es wird bei allem ab Raub aufwärts kritisch. Die weitaus meisten Delikte der in Frage kommenden Tatbestände sind gemeingefährlich oder bedrohen die Staatssicherheit. So ist zum Beispiel interessanterweise Geldfälschung eine Straftat, die man bei Kenntnis anzeigen muss. Sexualstraftaten wie schwerer Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung dagegen nicht. Gleiches gilt zum Beispiel für alle Betäubungsmitteldelikte.

Wichtig zu wissen ist, dass Zeugnisverweigerungsrechte die Anzeigepflicht nicht automatisch stechen. Man kann sich also später nicht darauf berufen, dass man zum Beispiel wegen Verwandtschaft, Ehe der Verlöbnis den Täter doch nicht mit einer Aussage belasten muss. Allerdings nimmt das Gesetz teilweise Rücksicht auf solche Näheverhältnisse. Bei Angehörigen gilt die Offenbarungspflicht nach § 139 StGB nur für ganz wenige Delikte, darunter Mord, Völkermord, Menschenraub, Geiselnahmen und Terrorangriffe auf den Luft- oder Seeverkehr.

Nur einer einzigen Personengruppe steht übrigens das Recht zu, selbst bei den schlimmsten Tatplanungen zu schweigen: Seelsorgern. Alles, was jene in dieser Eigenschaft erfahren, müssen sie nicht preisgeben. Da sind Ärzte, Anwälte und Therapeuten schlechter gestellt. Die dürfen ebenfalls nicht „wegsehen“, sofern schwere Straftaten wie Mord, Völkermord etc. geplant werden.

Nicht strafbar machen sich Gehilfen oder Mittäter. Wer also mit dem Täter in irgendeiner Form unter einer Decke steckt, kann nicht noch zusätzlich wegen der Nichtanzeige einer geplanten Straftat belangt werden. Auch das mögliche Opfer einer geplanten Straftat, also der Bedrohte, muss sich nicht offenbaren. Es wäre also nicht zulässsig, das potentielle Opfer eines Mordkompletts zu bestrafen, bloß weil es nicht von sich aus die Ermittlungsbehörden eingeschaltet hat.

Wer sich nicht zu einer Anzeige aufrafft, obwohl er dazu verpflichtet ist, kann auch auf anderem Wege Straffreiheit erlangen. Nämlich indem er die Tat selbst verhindert. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass ein Eingeweihter den Täter selbst (mit Gewalt) im letzten Moment aufhält. Scheitert eine Tat aus anderen Gründen, reicht es auch aus, wenn sich der Betreffende zumindest bemüht hat, den Erfolg noch abzuwenden.

Das größte juristische Problem bei der Bewertung solcher Fälle ist natürlich die Frage, wann man von einer konkret geplanten Tat „glaubhaft“ erfahren hat. Dazu reicht es nämlich nach der Rechtsprechung nicht, wenn man einige Details kennt und ansonsten viel „ahnt“, sondern es bedarf schon genauer Kenntnis. Außerdem gibt es nach hinten eine zeitliche Grenze. Wenn die Tat im Zeitpunkt, in dem man davon erfährt, ohnehin nicht mehr verhindert werden kann, gibt es auch keine Offenbarungspflicht.

Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, kann die Strafe happig ausfallen. Das Gesetz droht Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren an. Wesentlich besser sieht es schon aus, wenn jemand die Anzeige nur „leichtfertig“ unterlassen hat. Dann ist die Freiheitsstrafe maximal ein Jahr.

Selbst wenn es letztlich gar nicht zu einer Tat und womöglich noch nicht einmal zu einem Versuch kommt, ist der mögliche Mitwisser nicht ganz von der Angel. Das Gesetz sieht für diesen Fall nur die Möglichkeit vor, von der Strafe abzusehen. Zwingend vorgeschrieben ist das aber nicht.