Kurzer Prozess mit einem sehr alten Mann

Mit einem hochbetagten Mann hat das Landgericht Baden-Baden im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess gemacht. Die Richter verurteilten den zur Tatzeit 94-Jährigen zu 9 Monaten Gefängnis – ohne Bewährung. Dem Angeklagten zwar der zweimalige Missbrauch eines Kindes nachgewiesen worden.

Laut dem Urteil war der Mann schwer krank. Er litt an Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Osteochondrose und den Folgen eines Schlaganfalls. Er konnte sich altersbedingt nur noch mit einem Rollator oder einem Gehstock fortbewegen. Das Landgericht Baden-Baden beschrieb ihn selbst als „hochbetagt“. Hinzu kam, dass der Mann strafrechtlich bisher noch nie aufgefallen war.

Man muss kein studierter Jurist sein, um sich zu fragen, wieso eine Strafkammer am Landgericht nicht eine naheliegende Frage stellt. Nämlich die, ob der Angeklagte möglicherweise schuldunfähig war. Oder ob er zumindest in seiner Schuldfähigkeit eingeschränkt war. Doch genau diese Frage diskutierte das Gericht mit keinem Wort – was jetzt wenig überraschend zu einer Urteilsaufhebung durch den Bundesgerichtshof führt.

Das Alter alleine zwingt auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht dazu, dass die Schulfähigkeit eines Angeklagten grundsätzlich zu hinterfragen ist. Auch dann nicht, wenn der Täter erstmals straffällig wird. Aber so ein hohes Alter und die Vielzahl der Erkrankungen sowie die damit verbundenen Einschränkungen waren in diesem Fall doch deutliche Indizien, die auf „die Möglichkeit einer durch Altersabbau bedingten Enthemmung hindeuten“.

Dem Gericht, das über die Sache jetzt neu entscheiden muss, empfiehlt der Bundesgerichtshof die Einschaltung eines Sachverständigen mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet des Altersabbaus. Und eine weitere Warnung folgt auf dem Fuß: Wenn es überhaupt erneut zu einer Freiheitsstrafe kommt, muss die Bewährungsfrage besonders sorgfältig geprüft werden (Aktenzeichen 4 StR 190/17; RA Detlef Burhoff zum gleichen Thema).