Ein Fall nimmt Fahrt auf – vorübergehend

Viele Strafprozesse dauern lange. Aber dann gibt es noch welche, die irgendwie zeitlich völlig außer Kontrolle geraten. Wo sich so lange rein gar nichts tut, dass dir als Anwalt der Name auf der Akte erst mal nichts sagt, wenn du die Unterlagen aus irgendeinem Grund dann doch mal wieder auf den Tisch bekommst. Und eins will ich sagen: Ich habe eigentlich ein gutes Langzeitgedächtnis, wenn es um meine Fälle geht.

In so einer Sache, die über etliche Jahre still ruhte wie ein See, überschlagen sich jetzt allerdings die Ereignisse. Und zwar, nachdem das Gericht vor einiger Zeit dann doch mal etliche Verhandlungstermine für Januar und Februar blocken ließ. Für den noch gar nicht so sicheren Fall, dass positiv über die Zulassung der Anklage (aus dem Jahr 2012) entschieden wird. Was allerdings auch noch nicht passiert ist.

Tja, dann nun folgendes: Der Anwalt der Nebenklägerin teilt mit, dass er an Krebs erkrankt ist und das Mandat deshalb nicht fortführen kann. Seine Mandantin teilt mit, dass sie auch krank ist und nach so langer Zeit eigentlich auch nicht mehr aussagen möchte. Letzteres dürfte die Sache für die Anklage nicht leichter machen, denn der Nebenklägerin steht ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, weil sie mit den Angeklagten eng verwandt ist.

Und dann taucht jetzt auch noch ein Gutachten aus einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht au. Darin äußert der Gutachter Zweifel daran, ob mein ebenfalls gesundheitlich angeschlagener Mandant verhandlungs- und/oder schuldfähig ist. Das muss ich alles aber erst mal mit ihm besprechen. Schnellschüsse hinsichtlich eines ärztlichen Gutachtens in diesem Prozess mache ich jedenfalls nicht mit.

Ich habe schon jetzt das ziemlich sichere Gefühl, dass das mit den Verhandlungstagen im Januar und Februar nun nichts mehr wird. Auf der einen Seite freut man sich als Anwalt natürlich auch etwas über unverhoffte Bürotage. Auf der anderen Seite tut es mir schon jetzt um die Sachen leid, die sich nun ebenfalls verzögern, weil ich anderen Gerichten die Termine nicht anbieten konnte.

Früher oder später kommt die Sache dann ja auch wieder auf den Tisch. Es sei denn natürlich, das Gericht folgt meiner schon öfter geäußerten Auffassung, dass die Anklage von vornherein so verkorkst war, dass sie gar nicht zugelassen werden kann. Darüber hätte ich dann doch gerne Gewissheit, bevor ich noch mal so viele Termine blocke.

Schreckliche Haft im Schwabenland

Mein Mandant saß schon sieben Monate in Untersuchungshaft, als sein Fall vor dem Schöffengericht verhandelt wurde. Heraus kam eine Strafe von gut 30 Monaten. Da lag es nach dem Urteil, gegen das nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat, ja nahe, erst mal über die Aufhebung des Haftbefehls nachzudenken. Oder zumindest über eine Außervollzugsetzung. Immerhin hatte die Untersuchungshaft ja schon ein vorrangiges Ziel erreicht: die Durchführung der Hauptverhandlung zu sichern.

Ich argumentierte damit, dass mein Mandant durchaus eine Haftentlassung nach zwei Dritteln der späteren Strafe erwarten kann. Selbst wenn sich in Berufung und Revision nichts an dem Urteil ändern sollte, blieben rund 20 Monate. Davon sind dann noch sieben Monate abzuziehen, die der Angeklagte bereits als Untersuchungshaft „verbüßt“ hat. Bleiben also 13 Monate. Das ist nach meiner bescheidenen Erfahrung nun eher kein Zeitraum, wegen dem sich ein junger Mann unter 30 Jahren, der noch etwas Verstand beisammen hat, dauerhaft auf die Flucht begeben sollte (zumal der Angeklagte noch nie das Weite gesucht hat).

Aber in der Juristerei kann man halt jedes Argument auch in sein Gegenteil verkehren. Das durfte ich jetzt in dem Beschluss lesen, mit dem das Oberlandesgericht Stuttgart eine Außervollzugsetzung endgültig ablehnte. Darin heißt es:

Gerade aufgrund des belastenden Eindrucks der bislang verbüßten mehrmonatigen Untersuchungshaft ist ausgehend von der noch drohenden Strafvollstreckung überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Angeklagte … dem weiteren Verfahren entziehen wird.

Aha, die mehrmonatige Untersuchungshaft in Baden-Württemberg ist also so „belastend“, dass nicht zu erwarten ist, ein Angeklagter werde nach Rechtskraft seines Urteils die Zähne zusammenbeißen und seine überschaubare Reststrafe absitzen, damit er danach einen Neuanfang machen kann.

Wie schief das Argument ist, sieht man einer einfachen Kontrollerwägung: Der Mandant hat an sich gute Aussichten auf einen Platz im offenen Vollzug. Er könnte also noch heute sein Rechtsmittel zurücknehmen, dann würde sein Urteil rechtskräftig. Er käme voraussichtlich ruckzuck in den offenen Vollzug. Um dann von dort aus ebenso „wahrscheinlich“ wie gemütlich abzuhauen – jedenfalls wenn es nach den Vorstellungen des Oberlandesgerichts Stuttgart geht.

Illusorische Restwerte

Autofahrer müssen sich im Schadensfall nicht auf illusorische Restwertangebote des Geschädigten bzw. von dessen Versicherung einlassen. Einem Autofahrer waren von einem „Verwerter“ 1.612,00 € angeboten worden. Der Unfallgutachter hatte den Restwert anhand von Angeboten aber nur auf maximal 400,00 € geschätzt.

Obwohl „sofortige Barzahlung“ angeboten wurde, musste sich der Autobesitzer nicht auf das Angebot einlassen, urteilt das Amtsgericht Ludwigsburg. Der Sachverständige habe eindeutig und nachvollziehbar festgestellt, dass „für den Schrott“ ein Preis von mehr als 400,00 € total unrealistisch sei.

Zudem trat der Aufkäufer wohl auch nur als „Vermittler“ auf. Abgeholt hätten das Fahrzeug wahrscheinlich Dritte. Vor diesem Hintergrund, so das Gericht, seien unlautere Motive nicht auszuschließen. Womöglich komme es dem Aufkäufer nur auf Fahrzeugpapiere, Servicescheckhefte und sonstige Dokumente an. Für solche Unterlagen gebe es einen internationalen Schwarmarkt. Der Geschädigte durfte also skeptisch sein (Aktenzeichen 6 C 567/17).

„Sachwalter einer gesetzestreuen Verwaltung“

Auch eine Bewährungsstrafe von (lediglich) sieben Monaten rechtfertigt den Rauswurf eines Beamten – wenn er wegen Besitzes und Verbreitung kinderpornografischer Schriften verurteilt worden ist. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Weimar entschieden.

Das Strafgericht hatte festgestellt, dass der Verwaltungsinspektor auf der Festplatte seines privaten PC unter anderem 61 Bilddateien mit kinderpornografischem Inhalt gespeichert hatte. Zudem hätten sich auch auf seinem Laptop, seinen Mobiltelefonen und anderen Speichermedien kinderpornografische Dateien befunden; diese habe der Mann auch teilweise über Tauschprogramme im Internet verbreitet.

Das außerdienstliche Verhalten wertet das Gericht als eine Pflichtverletzung, die in besonderem Maße geeignet sei, das Vertrauen in das Ansehen des Beamtentums zu beeinträchtigen. Der Beamte sei „Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung“. Im Lichte dessen sei sein Fehlverhalten als so besonders verwerflich anzusehen, dass er aus dem Dienst zu entfernen ist.

Das Beamtenrecht sieht die Entfernung aus dem Dienst zwingend ab einer Freiheitsstrafe von einem Jahr vor. Bei niedrigeren Strafen muss der Einzelfall gewichtet werden (Aktenzeichen 6 D 60010/15 Me).

Autofahrer-Pranger vor dem Aus

Das Portal fahrerbewertung.de muss seine Seite künftig so gestalten, dass Fahrerbewertungen nicht mehr von jedermann, sondern nur noch vom Bewerteten einsehbar sind. Die Seite verstößt in der aktuellen Fassung gegen das Datenschutzrecht, so ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster.

Die Datenschutzbeauftragte NRW sieht in der Seit einen Online-Pranger, denn hier würden Autofahrer bzw. KfZ-Halter, die vielleicht noch nicht mal selbst am Steuer saßen, durch anonyme Bewertungen bloßgestellt. Das Portal wandte dagegen ein, die öffentlichen Bewertungen förderten die „Selbstreflexion“ der Autofahrer und trügen so zur Verkehrssicherheit bei.

Das Oberverwaltungsgericht Münster bejaht zunächst, dass es sich auch bei Autokennzeichen um personenbezogene Daten handelt. Grund hierfür ist, dass jedermann sehr leicht herausfinden kann, auf wen ein Auto zugelassen ist. Das geht schon über eine unkomplizierte Halterabfrage, die bei jeder Zulassungsstelle möglich ist.

Somit sei eine Abwägung erforderlich. Hier überwiege das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Kraftfahrzeughalter, weil eine vollständig anonyme Bewertung von in der Regel privat motiviertem Verhalten für eine unbegrenzte Öffentlichkeit einsehbar sei. Dafür gebe es aber keine gewichtigen Interessen der Portalbetreiber und der Portalnutzer. Zur angestrebten Selbstreflexion der Fahrzeuglenker genügt es nach Auffassung des Gerichts, wenn die Halter die Bewertungen selbst abrufen können (Aktenzeichen 16 A 770/17).

Bloß keine Gegenbeweise, bitte

Heute konnte ich mich vor Gericht mal richtig staunen. Über die Prozesstaktik einer Nebenklage. Oder das, was jene dafür hält.

Die Nebenklägerin beschuldigt meinen Mandanten, ihren früheren Ehemann, einer Sexualstraftat. Die Wahrheitsfindung ist in solchen Fällen fast immer mühsam. Vor allem, wenn wie hier, die angebliche Tat schon etliche Jahre zurück liegt und dann auch noch erst Jahre später angezeigt wurde. Da gibt es fast nie objektive Beweismittel. Sondern nur die Aussage der mutmaßlichen Geschädigten. Letztlich stellt sich dem Gericht die schwierige Frage: Sind die Angaben glaubhaft? Oder sind sie es nicht?

Das Gericht und natürlich auch die die Verteidigung müssen in solchen Fällen regelmäßig alles hinterfragen, was sich hinterfragen lässt. Nur so lässt sich feststellen, wie es die mutmaßlich Geschädigte mit der Wahrheit hält. Hier kommen wir dann zum konkreten Fall. Da behauptete die Betroffene doch sehr nachhaltig, sie habe ihrem damaligen Ehemann keinen Grund zur Eifersucht gegeben. Insbesondere habe sie mit einem ehemaligen Jugendfreund Jahre später die alte Affäre nicht wieder belebt.

Der Jugendfreund bestätigte das ebenfalls vor Gericht. Es sei nichts gelaufen. Als Verteidiger ist man dann natürlich froh, wenn man bei der Überprüfung dieser Aussage nicht allzu sehr im Nebel stochern muss. In diesem Fall gibt es einen seeeeeeehr langen Verlauf mit allen SMS, welche die Nebenklägerin und der Jugendfreund austauschten. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen kamen da ein paar tausend Nachrichten zusammen.

Die Nebenklage wusste allerdings nicht, dass wir diese SMS haben. Vor Gericht wollte ich die SMS dann mit der Nebenklägerin besprechen und abklopfen, wie deren Inhalt mit ihrer bisherigen Aussage zusammenpasst. Das gab dann ein – wie ich finde – sehr überraschendes Zeter und Mordio durch die Nebenklägervertreterin. Diese rief gleich Verwertungsverbot (juristisch sehr gewagt, aber was soll’s) und irgendwas mit Persönlichkeitsrechten. Es ging ihr ersichtlich darum, sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren, dass die SMS zum Gegenstand des Verfahrens werden.

Interessant fand ich das deswegen, weil die Nebenklägervertreterin noch nicht mal eine Minute darauf verwendete, sich die SMS überhaupt anzuschauen. An sich sollte man doch erwarten, dass sich auch die Seite einer Hauptbelastungszeugin darüber freut, wenn mal handfeste Belege dafür auftauchen, was da seinerzeit so gesimst worden ist. Wenn’s keinen Sex gab, sind ja auch sicher keine entsprechenden Treffen verabredet worden, und eindeutige Turteleien über viele hundert SMS sollte es auch nicht geben.

Insoweit hatte die Nebenklägerin also gar nichts zu befürchten, wenn wir die SMS auf den Tisch legen. Aber selbst wenn es so wäre – und, unter uns gesagt, natürlich ist es so – bringt Abwiegelei in dieser Situation doch auch nichts mehr. Da hätte es nach meiner Meinung näher gelegen, die Sache ruhig anzugehen, das Material erst mal zur Kenntnis zu nehmen – und dann von Seiten der Nebenklage noch das Beste draus zu machen.

So, finde ich, hat sich durch die halbhysterische Reaktion der Nebenklage nur noch der Eindruck vertieft, dass es mit der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin nicht zum Besten steht. Aber ich bin der Verteidiger, ich will mich darüber nicht beschweren.

Alles richtig, und doch so falsch

Mein Mandant war schon etwas überrascht, als er den Brief eines kleinen Amtsgerichts aus Ostdeutschland las. Die Strafabteilung teilte mit, es sei ein Strafbefehl gegen ihn verhängt worden. 35 Tagessätze. Außerdem drei Monate Fahrverbot. Angeblich hatte sich mein Mandant als Führer eines Lkw unerlaubt von einem Unfallort entfernt.

Die Personendaten im Strafbefehl waren alle korrekt. Sogar der zweite Vorname meines Mandanten war richtig aufgeführt. Geburtsdatum (12.08.1972) und Adresse stimmten ebenfalls.

Mein Mandant hat allerdings gar keinen Lkw-Führerschein. Gut, dass muss ihn nicht daran hindern, trotzdem einen Laster zu lenken. Aber in diesem Punkt war er sich sehr sicher: „Ich habe noch nie einen Lkw gefahren.“ Schon gar nicht jenen der S-Spedition, mit dem in einem Nachbarort der Crash verursacht worden sein soll.

Bei Durchsicht der Gerichtsakte durfte ich dann staunen. Die Polizei hatte sauber gearbeitet. Am Tatvorwurf war wohl was dran. Denn in der Akte fand sich eine schriftliche Stellungnahme des tatsächlichen Fahrers. Der räumte in seinem Brief an die Staatsanwaltschaft ein, dass er an dem Tag den Lkw der S-Spedition gefahren hat. Nur von einem Zusammenstoß habe er nichts gemerkt. Seine persönlichen Daten gab der Autofahrer auch an.

Und hier wurde es dann offenbar hakelig. Der Mann heißt mit Nachnamen nämlich genau so wie mein Mandant. Nur die Vornamen sind verdreht: Bernd Ulrich heißt der Mandant, Ulrich Bernd der tatsächliche Fahrer. Etwas ähnlich war auch die Adresse, nämlich an der Hauptstraße. Aber in unterschiedlichen Orten, verschiedene Hausnummern. Außerdem hatte der Lkw-Fahrer als Geburtsdatum den 11.06.1957 angegeben.

Ich habe keine Ahnung, wieso der zuständige Staatsanwalt dann einen Strafbefehl gegen meinen Mandanten beantragt hat. Möglicherweise gibt es im Verfahrensregister zu meinem Mandanten einen Eintrag. Der müsste dann aber sehr kritiklos übernommen worden sein. Auch wenn die Datensätze ähnlich aussehen: Wohnort, Hausnummer und Geburtsdatum waren jedenfalls nicht identisch.

Na ja, auch der Richter hat nichts gemerkt und den Strafbefehl abgezeichnet. Wenn mein Mandant jetzt zum Beispiel länger im Urlaub gewesen wäre und deshalb die zweiwöchige Einspruchsfrist versäumt hätte, wäre der Strafbefehl glatt rechtskräftig geworden. Das ist zum Glück nicht passiert. Jetzt winkt ein Freispruch, und am Ende muss immerhin die Staatskasse wenigstens die Kosten tragen.

Bitte bis zum Ende lesen

Wenn zwei von drei jugendlichen Angeklagten einen Verteidiger haben – hat dann der Dritte Anspruch auf einen Pflichtverteidiger? Dieser Dritte ist mein Mandant. Es geht um keine ganz so große Sache, eher so einen ebenso gedankenlosen wie misslungenen Prank à la ApoRed, aber letztlich doch um wichtige Verfahrensrechte.

Im ersten Anlauf sahen weder Staatsanwaltschaft noch das Jugendgericht einen Grund, mich als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Sach- und Rechtslage sei nicht sonderlich schwierig (das ist wohl richtig). Die zu erwartenden Rechtsfolgen erreichten nicht das Jahr Freiheitsstrafe, ab welchem die Beiordnung eines Anwalts erforderlich ist (stimmt auch). Den beiden Angeklagten wurden ebenfalls keine Pflichtverteidiger beigeordnet.

Auch Letzteres stimmt. Aber für die Jungs, die eher aus begüterten Häusern kommen, hatten sich eben Wahlverteidiger gemeldet, welche die Eltern bezahlen. Nun wäre mein Mandant der einzige gewesen, der ohne Verteidiger auf der Anklagebank Platz nehmen muss. Darauf wies ich das Gericht noch mal mit folgender Begründung hin:

Wenn andere Angeklagte sich eines Verteidigers bemühen, ist es einem jungen Mann im Jugendstrafverfahren nicht mehr möglich, sich ausreichend selbst zu verteidigen (Grundsatz des fairen Verfahrens). Ich verweise hierzu nochmals auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24.04.2008 (Aktenzeichen 2 Ss 164/08). Die hier maßgeblichen Erwägungen finden sich am Ende des Beschlusses.

Auf die Frage, ob die Verteidiger den anderen Angeklagten beigeordnet sind oder nicht, kommt es nicht an. Maßgeblich ist lediglich, dass die anderen Angeklagten Verteidiger haben.

Nun besann sich die Jugendrichterin doch anders. Sie ordnete mich bei, unter ausdrücklichem Bezug auf den Grundsatz des fairen Verfahrens. Vielleicht sollte ich künftig deutlicher darauf hinweisen, wo genau sich die interessante Stelle in einem Richterspruch findet…

Amtsgericht setzt Lügendetektor ein

Ein Richter am Amtsgericht Bautzen outet sich als Fan einer sehr umstrittenen Methode der Wahrheitsfindung. In einem Missbrauchsprozess setzt er einen Lügendetektor ein. Zur Verhandlung kam eine Rechtspsychologin und schloss den Angeklagten an den Polygrafen an – mit dessen Einverständnis.

Näheres zu dem Fall kann man in der Sächsischen Zeitung nachlesen. Interessant finde ich zunächst die Fotos, welche die Sachverständige mit ihrer Apparatur zeigen. Die Digitalisierung ist bei dieser Expertin offenbar bislang spurenlos geblieben. Und das, obwohl der Polygraf ja eigentlich nur körperliche Befindlichkeiten (Änderungen von Blutdruck, Puls, Hautwiderstand durch Schwitzen, Zittern) in zeitlichen Zusammenhang mit der Aussage einer Person bringt.

Ich sage es mal ganz offen: Der altertümliche Kasten, der da zu sehen ist, würde mich als Verteidiger schon ins Schwitzen bringen, lange bevor mein Mandant an das Gerät angeschlossen ist. Uraltes Equipment – ich gehe vom äußeren Anschein aus –
ist gerade bei medizinischen Sachverständigen für mich immer ein Warnsignal. Dafür dass jemand – auch aufgrund seines Expertentums – einem Wissensstand verhaftet sein könnte, der einfach nicht mehr up to date ist.

Dazu kommen rechtliche Bedenken. Der Bundesgerichtshof hat Lügendetektoren über Jahrzehnte hinweg für unzulässig gehalten. Der Polygraf mache den Angeklagten zum bloßen Objekt des Verfahrens. Das Gerät verschaffe (vermeintlichen) Einblick in die Seelenlage eines Menschen. Denn es antworte nicht nur der Mensch, sondern auch das Unbewusste in Form körperlicher Reaktionen. Das sei mit der Menschenwürde nicht vereinbar.

Daran hat sich im Kern auch nichts geändert, auch wenn der Bundesgerichtshof nun wohl nicht mehr davon ausgeht, dass ein freiwilliger Test durch den Angeklagten völlig undenkbar ist. Nur das im aktuellen Fall wieder auftauchende Bautzener Amtsgericht und das Oberlandesgericht Dresden haben Lügendetektoren ausdrücklich bislang für zulässig erachtet; das OLG Dresden in einem Sorgerechtsverfahren.

Der Bautzner Richter steht also ziemlich alleine da mit seiner Idee, der Wahrheit auch durch den Polygrafen auf die Spur zu kommen. Im Ergebnis finde ich die Skepsis der Justiz richtig. In der Wikipedia kann man nämlich sehr anschaulich nachlesen, wo die Reise ansonsten hingehen würde:

Der Berliner Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes arbeitet an einem Lügendetektor, der „unfehlbar und unabhängig von subjektiven Einschätzungen“ sein soll. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Entwicklung eines „Hirnscanners“, eines „Neuronalen Lügendetektors“ ist, dass ein Gehirn vorher erlebte Situationen als „neuronale Spiegelbilder“ speichere, sie wiedererkennt und das deutlich macht, auch wenn der Mensch das Wissen darum zu verbergen trachte: die Hirnaktivität einer Person verrate den Probanden.

Angedacht ist: Das Gehirn islamistischer Terroristen werde reagieren, wenn ihnen Bilder von Terrorcamps vorgespielt werden; auf derselben Basis – so die Vorstellung – werde man einer bestimmten Straftat verdächtigte Täter überführen können, wenn man ihnen Bilder von Tatorten vorspiele: Selbst wenn der Täter eine Tatbeteiligung leugnen würde, würde ihn das Wiedererkennen seines Gehirns überführen, wenn unter den vorgespielten Tatortsituationen diejenige dabei ist, die sich auf die ihm zu Recht vorgeworfene Straftat bezieht.

Vielleicht ist angesichts dieser rechtsstaatlich kaum noch erträglichen Perspektive besser, sogar die analogen Blechkästen zugeklappt zu lassen.

Energisch

Herr J. erstattete eine Anzeige. In den Betreff schrieb er wichtig: „wegen falscher Verdächtigung, übler Nachrede und Nötigung“. Ansonsten beschränkte sich sein Brief an die Staatsanwaltschaft auf die Bitte, „die beiliegenden Unterlagen auf Straftatbestände zu überprüfen und die Verantwortlichen energisch zur Rechenschaft zu ziehen“.

Die Unterlagen sind eine krude Mischung aus Mails und Facebook-Screenshots. Insgesamt 127 Seiten. Leider sagt Herr J. nicht, was ihn konkret stört. Bei einer groben Durchsicht konnte ich ebenfalls nicht erkennen, womit mein Mandant, einer der Beschuldigten, sich denn nun strafbar gemacht haben könnte. Es war halt eine Facebook-Diskussion. Aber nun wirklich keine, die ersichtlich aus dem Ruder gelaufen wäre.

In solchen Fällen ist es für einen Beschuldigten sinnvoll, nicht gleich wild mit Stellungnahmen zu kontern. Vielmehr bitte ich den Staatsanwalt gerne unter Hinweis auf § 136 StPO um Mitteilung, welche Tat meinem Mandanten denn nun konkret zur Last gelegt wird. Die Ermittlungsbehörden müssen dem Beschuldigten nämlich sagen, um was es geht. Im schlimmsten Fall kommt dann eine Liste mit Punkten, bei denen der Staatsanwalt einen Anfangsverdacht bejaht. Dann kann sich eine Stellungnahme des Verteidigers auch darauf beschränken – was immerhin schon mal den Geldbeutel des Mandanten schont.

Im günstigsten Fall ist die Frage nach „der Tat“ eine gute Gelegenheit für den Staatsanwalt, den Sack ganz schnell zuzumachen. Indem er das Verfahren mangels Tatverdachts einstellt.

So kam es dann auch in diesem Fall.

Schwammige Angaben

Beim Bußgeldbescheid ist es wie bei einer Anklageschrift. Beide Dokumente sind kein Selbstzweck, sondern haben wichtige Aufgaben. Dazu gehört die sogenannte Umgrenzungsfunktion. Aus dem Bußgeldbescheid muss klar hervorgehen, wem die Tat zur Last gelegt wird und was genau wo zu welcher Zeit vorgefallen sein soll.

Mitunter machen es sich Behörden da etwas zu leicht, wie in einem aktuellen Fall, über den das Amtsgericht Husum verhandelte. Einem Autofahrer wurde ein Tempoverstoß zur Last gelegt. Tatort laut Bußgeldbescheid: die „B199 in der Gemeinde Leck“.

In der Minute, in welcher der Verkehrsverstoß begangen worden sein soll, habe der Autofahrer beim ihm zur Last gelegten Tempo von 123 km/h mehr als zwei Kilometer zurücklegen können, meint das Gericht. Genug Wegstrecke für weitere Tempoüberschreitungen, zumal es da noch ein Ortsschild mit Tempo 50 gibt.

Im Messprotokoll der Polizei war der Kontrollpunkt allerdings näher bezeichnet: “Höhe: Parkplatz ggü. der Straßenmeisterei”. Das ist laut Gericht aber nicht genug, weil sich der Tatort aus dem Bußgeldbescheid selbst ergeben muss und nicht aus sonstigen Unterlagen. Den Beschluss kann man im Verkehrsrecht Blog nachlesen.

Tattoo für 100 Euro wird richtig teuer

Das Amtsgericht München hat eine Tätowiererin verurteilt, einer Kundin Schadensersatz und Schmerzensgeld zu zahlen. Für 100 Euro hatte sich die Kundin folgenden Satz auf den linken Unterarm tätowieren lassen: Je t´aime mon amour, Tu es ma vie, Nous Ensemble Pour Toujours, Liubov ♥ Alexej.

Leider waren die Wörter in unterschiedlicher Strichbreite gestochen, die Linien verwackelt, unscharf und die Abstände zwischen den Buchstaben uneinheitlich. Alles Mängel, die einem professionellen Tätowierer nicht passieren dürfen, stellte ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger fest.

Die Tätowiererin muss nicht nur das Honorar zurückzahlen. Vielmehr muss sie der Kundin auch 1.000 Euro Schmerzensgeld überweisen. Außerdem muss sie alle Folgekosten übernehmen, also insbesondere die Kosten für die Entfernung oder Umgestaltung des Tattoos (Aktenzeichen 132 C 17280/16).

„Keine Pranger im Alltagsleben“

Pranger oder ein Beitrag für mehr Verkehrssicherheit? Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster wird diese Woche über ein Portal verhandelt, auf dem Dritte Noten für Autofahrer vergeben können. Die Nutzer müssen das Kennzeichen eines Pkw eingeben, dann können sie hierzu ihre Anmerkungen hinterlassen.

Die Datenschutzbeauftragte NRW hält so ein Bewertungsportal für unzulässig, deshalb jetzt der Prozess. „Wir wollen generell keine Online-Pranger, bei denen es um das Verhalten im Alltagsleben geht“, erklärte ein Sprecher der Behörde. Deshalb war der Betreiber des Portals verpflichtet worden, die Bewertungen nur noch für den betroffenen Autofahrer bekannt zu machen. Dritte dürfen sie nicht mehr einsehen.

Der Betreiber beruft sich darauf, Kfz-Kennzeichen seien keine personenbezogenen Daten. Das Verwaltungsgericht Köln teilte diese Auffassung jedoch in erster Instanz nicht. Die Berufungsverhandlung soll am Donnerstag stattfinden, berichtet die Legal Tribune Online.

Höchst rätselhaft

Aus dem Braunschweiger Polizeibericht:

Unsanft endete für einen Fahrradfahrer am frühen Freitag Morgen seine Flucht vor einer Polizeikontrolle.

Einer Streifenbesatzung fiel der 23-jährige Mann auf seinem Fahrrad auf, als er unbeleuchtet sehr zügig die Fußgängerzone befuhr. Der Radler missachtete die Haltezeichen der Beamten und beschleunigte stattdessen seine Fahrt.

Ein weiterer Streifenwagen stellte sich auf der Straße Vor der Burg in den Fluchtweg. Der Fahrradfahrer versuchte, an dem stehenden Fahrzeug vorbeizufahren, blieb aber an der Verkleidung der Stoßstange hängen und kam zu Fall. Hierbei zog er sich eine leichte Prellung am Knie zu. Der Streifenwagen sowie das Fahrrad bleiben offensichtlich unbeschädigt

Einen plausiblen Grund für seine Flucht konnte der alkoholisierte junge Mann im Rahmen der Kontrolle nicht nennen.

Angetrunken und ohne Beleuchtung mit dem Fahrrad in einer Fußgängerzone unterwegs. Tja, aber welchen Grund kann der junge Mann denn bloß zur „Flucht“ gehabt haben?

„Sie müssen aussagen.“ Nicht.

In einer Verhandlung vor dem Landgericht sollte eine Zeugin befragt werden. Die Ex-Frau des Angeklagten.

Der Richter belehrte sie so:

Sie sind also vom Angeklagten geschieden? Dann steht Ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Sie müssen heute also aussagen wie jeder andere auch, allerdings können Sie die Antwort auf Fragen verweigern, wenn Sie sich durch die Antwort in den Verdacht einer Straftat bringen würden.

Ich ging gleich von einem Augenblicksversagen des Richters aus. In § 52 StPO steht nämlich für geschiedene Eheleute genau das Gegenteil. Das Zeugnisverweigerungsrecht gilt auch dann, „wenn die Ehe nicht mehr besteht“.

Dankenswerterweise wies der Staatsanwalt sofort auf den kleinen Fauxpas hin. Ich musste mich also nicht unbeliebt machen. Die Frau hätte aber auch so oder so ausgesagt. Ihrem Verflossenen eine reinzuwürgen, darauf war sie ohnehin ganz wild.