„Unwürdig“ für den Anwaltsberuf?

Die Beleidigung eines Ausbilders sowie einer Staatsanwältin, die wegen der Beleidigung ermittelte, sollten einer jungen Volljuristin dauerhaft den Zugang zum Anwaltsberuf verschließen. So zumindest die Auffassung der Anwaltskammer Hamm, der Anwaltsgerichte und des Bundesgerichtshofs. Nun greift das Bundesverfassungsgericht ein und bremst den Eifer, mit dem die Juristin als „unwürdig“ für den Anwaltsberuf eingestuft wurde.

Weil sie von ihrem Ausbilder nur ein „befriedigend“ erhielt, war die damalige Rechtsreferendarin tatsächlich ausgetickt. In einer E-Mail belegte sie den zuständigen Staatsanwalt in einer regelrechten Tirade mit etlichen unschönen Worten. Später äußerte sie in einer weiteren E-Mail Zweifel an der Rechtstreue und den intellektuellen Fähigkeiten der Staatsanwältin, die in ihrem Fall ermittelte. Wegen der Beleidigung des Ausbilders wurde die Frau zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

Die Rechtsanwaltskammer Hamm griff ganz tief in die Kiste ihrer Möglichkeiten, um die Frau nicht in den Kollegenkreis aufnehmen zu müssen. Im Ergebnis sei diese charakterlich ungeeignet, um als Anwältin zu arbeiten. Sie sei als so „unwürdig“ anzusehen, dass sie nicht geeignet sei, den Beruf einer Rechtsanwältin „ordnungsgemäß“ auszuüben.

So einfach geht es nicht, sagt das Verfassungsgericht. Zwar stehe außer Frage, dass die Frau sich falsch verhalten habe und auch Zweifel an ihrer Eignung als Rechtsanwältin durchaus angebracht waren. Allerdings schütze das Grundrecht der Berufsfreiheit auch angehende Rechtsanwälte. Insofern müsse, so das Gericht, sehr genau abgewogen werden, ob ein tatsächliches öffentliches Interesse daran überwiegt, der Juristin den Weg in den Anwaltberuf zu verstellen.

Hier vermisst das Verfassungsgericht eine konkrete Prognose, warum aus dem Fehlverhalten der Frau abzuleiten ist, dass diese auch künftig in einer Art und Weise auftreten könnte, die mit dem Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar und dies die „funktionierende Rechtspflege“ bedroht. Die Berufsfreiheit dürfe nur eingeschränkt werden, wenn ein „besonders wichtiges“ Gemeinschaftsgut bedroht sei. Es klingen deutliche Zweifel an, dass der doch recht überschaubare Sachverhalt tatsächlich zu einer Bedrohung für die Rechtspflege aufgeblasen werden durfte. Letztlich mahnen die Richter auch eine „strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ an.

Der Anwaltsgerichtshof Hamm muss die Sache jetzt neu entscheiden. Mit etwas mehr Augenmaß hätte man sich dort das Debakel offensichtlich ersparen können (Aktenzeichen 1 BvR 1822/16).