Der Graubereich

Seit einem guten Jahr gibt es eine neue Vorschrift im Strafgesetzbuch, den § 184i StGB. Er heißt „Sexuelle Belästigung“ und ist maßgeblich ein Resultat der Vorfälle in der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Der Paragraf soll den Graubereich anstößigen Verhaltens schließen, der vom eigentlichen Sexualstrafrecht nicht erfasst wird und wegen dem die Behörden bislang immer zur juristischen Krücke einer „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ greifen mussten. Ich hatte jetzt erstmals mit der Norm zu tun und will erzählen, um was es ging.

Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, er habe im Schwimmbad eine 15-Jährige sexuell belästigt. Die junge Frau sagte aus, sie sei mit ihrem Bruder im Becken gewesen, als es zu einem Kontakt mit meinem Mandanten kam. Dieser sei auf sie zugeschwommen, dann habe er ihr mit dem Daumen an die vorderen Rippen und mit den anderen Fingern an die hinteren Rippen gefasst und zugedrückt. Ich verstehe das so, dass mein Mandant die 15-Jährige gekniffen hat.

Meine Stellungnahme fiel recht kurz aus:

Herr N. bestreitet das ihm zur Last gelegte Verhalten.

Aber selbst wenn man die Aussage der Zeugin als richtig unterstellt, erfüllt das Verhalten meines Mandanten keinen Straftatbestand.

§ 184i StGB ist nicht einschlägig. Voraussetzung einer sexuellen Belästigung ist eine Berührung oder Handlung, die typischerweise eine sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetzt. Es muss ein objektiver Sexualbezug gegeben sein. Mein Mandant hat nach Angaben der Zeugin deren Brust nicht berührt. Das „Kneifen“ in die vorderen und hinteren Rippen hat nicht die erforderliche sexuelle Konnotation, sondern ist lediglich als Ungehörigkeit oder Distanzlosigkeit einzustufen (vgl. Dölling, Duttge u.a., Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage, § 184i StGB).

Hier kommt hinzu, dass die Zeugin nicht auf der Haut berührt worden sein will, sondern lediglich auf ihrem Badeanzug.

Eine Körperverletzung liegt ebenfalls nicht vor. Die Zeugin sagt hierzu selbst: „Wehgetan hat das nicht.“ Das körperliche Wohlbefinden der Zeugin war also allenfalls unerheblich beeinträchtigt.

Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts eingestellt. Allerdings lässt sich auch unschwer erahnen, wie geringfügig anders die Aussage der Zeugin – ganz unabhängig von ihrer Richtigkeit – hätte ausfallen müssen, um die Sache vor den Richter zu bringen.