Nicht telefonieren darf nichts kosten

Mobilfunkanbieter dürfen bei einem monatlichen Paketpreis den Kunden nicht zusätzlich zur Kasse bitten, wenn dieser nicht telefoniert oder keine SMS schreibt. Genau diese „Nichtnutzungsgebühr“ von monatlich 4,95 Euro hatte die Firma mobilcom-debitel über Jahre verlangt, wenn Kunden mehr als drei Monate ihr Handy nicht nutzten. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein erklärte diese Praxis jetzt für rechtswidrig.

Moblilcom-debitel muss 419.000 Euro an den Bundeshaushalt abführen. Das ist der Betrag, den die Firma nach Berechnung des Gerichts zu Unrecht von den Kunden kassiert hat. Mobilcom-debitel scheiterte mit dem Versuch, fiktive Kosten gegenzurechnen. Das hält das Gericht für unzulässig.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte die gesetzlich möglich „Gewinnabschöpfung“ angestoßen, weil mobilcom-debitel auch nach einer Abmahnung im Jahr 2011 die Gebühren 13 Monate weiter berechnete. Die Verbraucherzentrale betrachtet das Urteil als großen Erfolg. Unternehmen werde deutlich gemacht, dass erhebliche Rechtsverstöße sich nicht lohnen. Gleichwohl wäre es nach Auffassung der Verbraucherschützer besser, wenn das erstrittene Geld nicht in den Staatshaushalt, sondern an die betroffenen Kunden zurückfließt.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband unterstützt deshalb eine EU-Initiative für einen „New Deal“ bei Verbraucherrechten. Dieser soll Verbandsklagen ermöglichen, mit denen eine Gewinnabschöpfung zu Gunsten der Geschädigten möglich wird.

Link zum Urteil

Ein Strafbefehl, zu dem man nicht nein sagen kann

Der polnische Führerschein meines Mandanten stammte nicht aus Polen. Sondern aus einer Fälscherwerkstatt in Mazedonien. Jedenfalls kamen jene Leute von dort, die meinem Mandanten erzählten, ihre Führerscheine sind so super, dass er durch jede Kontrolle kommt. Das sei doch 3.000 Euro wert.

Nun ja, bei so herausragender Dokumentenqualität muss der Mandant nächtens an einen besonderes qualifizierten Polizisten geraten sein. Nach drei Minuten hörte er nämlich schon den Tatvorwurf: Fahren ohne Fahrerlaubnis, Gebrauchmachen von einer gefälschten Urkunde.

Letztlich erging gegen den Mandanten ein Strafbefehl. Er wollte eigentlich Einspruch einlegen und es auf eine Verhandlung ankommen lassen. Irgendwie schien er immer noch unter dem Eindruck dessen zu stehen, was ihm die Fahrerlaubnisdealer erzählt haben. Absolut wasserdichte Sache und so.

Ich konnte dem Mandanten den Einspruch aber ausreden. Ein Detail war ihm nämlich nicht aufgefallen. Der Richter hat vergessen, die an sich fällige Sperre für die Neu- bzw. Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis anzuordnen (§ 69a StGB). Üblicherweise gibt es in solchen Fällen eine Sperre zwischen 9 und 12 Monaten, gerne auch mal etwas mehr. Doch genau die steht nicht im Strafbefehl. Der Einspruch wäre geradezu eine Sünde, denn dann würde der Strafbefehl erst mal verpuffen – und der Richter könnte nachbessern und die Sperre noch verhängen.

Es wird ohnehin für den Mandanten schwer, wenn er das Straßenverkehrsamt überzeugen möchte, ihm seine erste echte Fahrerlaubnis auszustellen. Dass das Gericht laut Urteil eine Sperre nicht für nötig hielt, kann da als Argument jedenfalls nicht schaden.

Ohne Kopie keine Unterschrift

Wenn Zeugen bei der Polizei oder gar vor dem Staatsanwalt aussagen sollen, gibt es mitunter gute Gründe, einen Anwalt mitzunehmen. Deshalb bin ich öfter auch als Zeugenbeistand tätig. Das ist mittlerweile eine gesetzlich geregelte Sache. Zumindest als Zeugenbeistand erschienene Rechtsanwälte kann man praktisch nicht mehr vor die Tür setzen, auch wenn der Zeuge sich aus Sicht der Vernehmungsbeamten natürlich dann leider weniger effektiv heißmangeln lässt.

Letzte Woche hatte ich wieder das Vergnügen. Die Vernehmung meines Mandanten war voll von Ärgernissen. Vor allem deswegen, weil er unter Berufung auf § 55 StPO inhaltlich nichts sagte. Erfolgreich, übrigens. Am Ende des fast dreistündigen Hickhacks, der sich immerhin in einem fünfseitigen Protokoll niederschlug, stand ein Ärgernis, über das ich gerne was sagen möchte.

Der Umstand nämlich, dass Zeugen zwar regelmäßig das erstellte Protokoll lesen und unterschreiben sollen. So emsig wie auf eine Unterschrift gedrungen wird, so ungern wird dem Zeugen aber eine Kopie der Niederschrift zugestanden. „Eine Kopie der Aussage? Da haben Sie keinen Anspruch drauf.“ Die Staatsanwältin freute sich sichtlich, mir das um die Ohren hauen zu können.

Das ist juristisch richtig. Es steht nirgends, dass dem Zeugen eine Kopie des Protokolls zusteht. Es steht aber auch nirgends, dass ihm keine Kopie ausgehändigt werden darf. Ich sage dazu immer, dass niemand im Möbelhaus einen Schrank bestellt, ohne sich eine Kopie des Vertrages geben zu lassen. Aber bei einer Aussage, für deren Wahrheitsgehalt man als Zeuge möglicherweise mit einer Gefängnisstrafe „bürgt“, soll man auf eine Quittung verzichten?

Die Staatsanwältin blieb hart und genoss ihren kleinen Triumph. Als sie den Kuli rüberschnippte, damit mein Mandant – oder vielleicht besser ich – nicht länger nervt, schob ich den Kugelschreiber dezent zurück. Es begann dann eine Diskussion darüber, ob ein Zeuge das Vernehmungsprotokoll unterschreiben muss. Die Staatsanwältin, die offensichtlich selten mit Leuten zu tun hat, die ihre Rechte kennen, behauptete zunächst ersteres. Dann sah sie es ein: Nirgends steht im Gesetz, dass ein Zeuge seine Aussage unterschreiben muss. Es war an mir zu sagen: „Da haben Sie also keinen Anspruch drauf.“

Tja, wir trennten uns dann so. Mein Mandant ohne Kopie der Aussage. Die Staatsanwältin ohne Unterschrift auf ihrem tollen Protokoll. Logischerweise wertet eine fehlende Unterschrift so ein Dokument nicht unbedingt auf. Ich persönlich hätte dem Zeugen lieber seine Kopie gegeben, wenn ich dafür eine Unterschrift kriege.

Also merken, wenn ihr mal das Vergnügen habt als Zeuge befragt zu werden: Ohne Kopie des Protokolls gibt’s keine Unterschrift. Auch wenn euer Gesprächspartner tobt – ihr seid im Recht.

Alltagsgeschäfte

Holt ein Rechtsanwalt seine Post bei einer Postfiliale in der Fußgängerzone, handelt es sich nicht um Lieferverkehr im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Das hat das Oberlandesgericht Köln entschieden.

Der Anwalt war mit seinem Mercedes bei der Postfiliale in der Fußgängerzone vorgefahren, um dort sein Postfach für die Post seiner Anwaltskanzlei zu leeren. Gegen das Bußgeld von 30 Euro hatte er sich mit Hinweis auf das Schild „Lieferverkehr frei“ gewehrt.

Das OLG Köln bestätigte die Auffassung des Amtsgericht Leverkusens, das Holen von Anwaltspost sei kein „Lieferverkehr“. Schon nach dem Wortsinn sei unter Lieferverkehr in erster Linie der Transport von Waren und Gegenständen von und zum Kunden gemeint.

Fußgängerzonen dienten dem Schutz der Fußgänger, die Gelegenheit haben sollen, sich dort unbehindert und unbelästigt von Kraftfahrzeugen aufzuhalten, ohne dass sie dabei erschreckt, gefährdet oder überrascht werden. Deshalb seien nur eng begrenzte Ausnahmen vom Verbot des motorisierten Straßenverkehrs zuzulassen.

Es sei nicht Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift, Geschäftsleute, Handwerker oder Freiberufler bei der Vornahme von Allerweltsgeschäften zu privilegieren, wie sie ja sogar auch bei Privatpersonen anfallen. Dies sei beim Holen der Anwaltspost der Fall (Aktenzeichen III-1 RBs 113/18).

Polizist, unzufrieden

Das Ermittlungsverfahren drehte sich um Körperverletzung. Angebliche Körperverletzung, möchte ich als Anwalt eines der Beschuldigten sagen.

Der zuständige Polizeibeamte legte viel Herzblut in die Ermittlungen. Er befragte Zeugen, beschlagnahmte den Fahrtenschreiber eines Lkw und malte mehrere Landschafts- und Bewegungsskizzen, wobei diese allerdings wenig mit dem Tatort oder den tatsächlichen Ereignissen zu tun hatten. Sondern mit dem, was sich der Polizist zusammenreimte.

Der Staatsanwalt sah es wohl ähnlich. Er fand einen eleganten Weg aus der Angelegenheit. Der Staatsanwalt entschied sich, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Dafür benötigte er die Zustimmung des Amtsgerichts. Also schrieb er ans Gericht und wies insbesondere darauf hin, dass mein Mandant und die anderen Beschuldigten nicht vorbestraft sind und die Folgen der möglichen Tat nicht so schwer wiegen, dass eine Verfolgung notwendig ist.

Das Verfahren wurde also eingestellt. So weit, so alltäglich. Weniger alltäglich finde ich, dass der Polizeibeamte danach noch mal einen Brief an den Staatsanwalt schrieb und gegen die Verfahrenseinstellung protestierte. Seine Ausführungen sind eher wirr. Vielleicht hätte er besser eine Nacht drüber geschlafen. Seine durchaus emotionalen Worte endeten mit folgendem Appell:

Unter diesen Gesamtumständen bitte ich die Staatsanwaltschaft ebenso höflich wie dringend, die Einstellung des Verfahrens zu überdenken.

Das Prinzip der Gewaltenteilung scheint bei dem Betreffenden noch nicht ganz angekommen zu sein. Ebenso wenig, dass die Polizei in dieser Konstellation auch formal kein wie auch immer geartetes Beschwerderecht hat. Aber aus dieser Geschichte jetzt bitte nicht zu viel schließen. Es dürfte ein Einzelfall sein, denn Vergleichbares habe ich noch nicht erlebt.

Tomaten auf den Augen

In einem Verfahren wegen Landfriedensbruchs wurde gegen etliche Beschuldigte ermittelt. Unter den besonders „aktiven“ Personen auf einem Video, das die Überwachungskamera eines nahegelegenen Lokals aufgenommen hat, ist ein gewisser Herr N.

Irgendwie hatte der zuständige Polizeibeamte, Kommissar J., aber Tomaten auf den Augen. Herr N. hat laut seiner Auswertung des Videos rein gar nichts gemacht, obwohl deutlich zu sehen ist, dass N. unter anderem einen Stuhl auf andere Gäste wirft – und trifft. Bei anderen Beteiligten ist die Beobachtungsgabe des Beamten besser ausgeprägt. Hier werden penibel alle Handlungen aufgeführt, die auf dem Video erkennbar sind.

Die Tomaten waren also nur kurz auf den Augen des Polizisten. Dumm nur, dass die Akte in der Zwischenzeit mal in einem anderen Kommissariat bearbeitet wurde, weil ein Auslandsbezug gegeben war. Dem dortigen Sachbearbeiter wurde offenbar etwas mulmig zumute, denn er fasste seine Erkenntnisse über die Arbeitsweise seines Kollegen J. so zusammen:

Der Beschuldigte N. war durch die aufnehmenden Beamten in das Ursprungsverfahren eingebracht. Der Sachbearbeiter, KHK J., ermittelte aber nicht gegen diese Person und entfernte die Personalien aus dem Vorgang. Der Beschuldigte N. wird nun von hier aus wieder als Beschuldigter in das Verfahren aufgenommen.

Konsequent wäre es dann wohl auch, mal zu hinterfragen, in welchem Verhältnis Kommissar J. zu Herrn N. steht. Und zu überlegen, ob man nicht mal ein Verfahren wegen Strafvereitelung einleitet. Das ist allerdings ist freilich nicht passiert, zumindest bislang nicht.

Viel Vergnügen

Vor einigen Tagen habe ich eine Pflichtverteidigung übernommen. Der Mandant wollte nicht mehr mit seinem bisherigen Anwalt. Der Anwalt wohl auch nicht mit ihm. Jedenfalls sah der Richter den Vertrauensverlust, der für eine Neuausrichtung der Verteidigung erforderlich ist. So kam ich ins Spiel.

Sonderlich viel weiß ich noch nicht über die Sache. Freundlicherweise übersendet mir jedoch der bisherige Anwalt – mit Einverständnis des Gerichts – schon mal ein PDF der Gerichtsakte. Aus seinem Brief:

Für das weitere Verfahren mit dem Mandanten wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Vergnügen.

Die Botschaft ist angekommen…

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Der Sänger Xavier Naidoo darf nicht als Antisemit bezeichnet werden. Das Landgericht Regensburg untersagte einer Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung entsprechende Behauptungen.

„Er ist Antisemit, das ist strukturell nachweisbar“, soll die Referentin gesagt haben. Die Richterin hielt diesen Vorwurf für nicht ausreichend belegt, wie etwa bei der FAZ nachzulesen ist.

Es geht mir hier gar nicht um die innere Haltung Naidoos, über diese weiß ich zu wenig. Interessant finde ich das Urteil trotzdem, denn es zeigt in schöner Deutlichkeit: Wer Negatives – im Sinne einer Tatsache – über andere behauptet, muss diese Behauptung im Zweifel beweisen. Gelingt dies nicht, ist die Äußerung halt nicht erlaubt.

Gleiches gilt auch im Bereich des Strafrechts, beim sogenannten Ehrenschutz. Man braucht nur § 186 StGB (üble Nachrede) aufmerksam zu lesen:

Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe … Geldstrafe bestraft.

Auch hier hat der Angeklagte das Gericht also im Zweifel zu überzeugen, dass die behauptete Tatsache wahr ist. Wohlgemerkt: Der Angeklagte muss den Beweis erbringen, das Gericht muss den Beweis nicht von Amts wegen suchen. Bleiben Bedenken, gilt hier auch nicht der Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten. Gerade bei Tatsachenbehauptungen („B. ist ein ebay-Betrüger und vorbestraft“, „J. ist ein Pädophiler“) muss man demgemäß stets damit rechnen, nach der Aussage in die Verlegenheit zu kommen, diese auch zu belegen.

Wer das dann nicht kann, kippt hintenüber.

… beendete der Unterzeichner das Telefonat

Aus einer polizeilichen Ermittlungsakte möchte ich heute mal den Vermerk zitieren, den der ermittelnde Polizeibeamte darin hinterlassen hat:

Am 14.04.2018 meldet sich telefonisch eine männliche Person, die vorgibt der Rechtsanwalt Vetter aus Düsseldorf zu sein, beim Unterzeichner. Die Person gibt an, dass er die Mandantschaft von Herrn W. übernommen habe, und man versucht habe, diesen am Vormittag aufzusuchen.

Einschub: In der Tat hatten am Vormittag Polizisten bei meinem Mandanten geklingelt, ihn aber nicht angetroffen. Weiter im Text:

Durch Herstellung eines vertraulichen Gesprächs bittet er darum, ihm den Grund des Erscheinens mitzuteilen. Dieses wird ihm mehrfach mit dem Hinweis auf den üblichen Verfahrensweg, nämlich die Übersendung einer Vollmacht und Beantragung der Akteneinsicht verwehrt. Als der Anrufer nach weiterem rhetorischen Taktieren keine Auskunft über das Verfahren bekommt, verlangt er, dass der Unterzeichner ihm die Telefonnummer seines Vorgesetzten mitteilt.

Dies wird ihm ebenfalls verwehrt und der Unterzeichner beendet daraufhin das Telefonat.

Direkt danach meldet sich die Person erneut und bittet darum, dass man sich wie „erwachsene Menschen“ unterhalten solle. Weitere Versuche, den polizeilichen Erscheinungsgrund zu erfragen, bleiben unbeantwortet und als dieser erneut die Telefonnummer des Vorgesetzten erfragt, wird das Gespräch erneut durch den Unterzeichner beendet.

Ich kann ja durchaus verstehen, dass Polizeibeamte karg mit Auskünften am Telefon sind. Versuchen darf ich es aber trotzdem, und ich kann sagen, dass in den weitaus meisten Fällen durchaus ein konstruktiver, jedenfalls aber freundlicher Ton bei der Polizei herrscht. Das war hier, vorsichtig ausgedrückt, nicht der Fall.

Was mich verblüfft ist die lockere Selbstgewissheit, mit welcher der Beamte darlegt, wie er einen Kontakt zu seinem Vorgesetzten abgebügelt hat. Ich habe auch nicht nur nach dem Namen des Vorgesetzten und dessen Telefonnummer gefragt. Sondern ich habe den Polizisten auch zwei Mal gebeten, mich doch bitte mit dem Vorgesetzten zu verbinden, damit ich mit diesem über die Angelegenheit sprechen kann. Aber wenn der Polizist stolz ist auf sein Verhalten, bitteschön.

Möchte nicht wissen, wie er mit Beschuldigten umspringt.

Abschiebung trotz Gerichtsbeschluss

Ein Tunesier ist heute aus Deutschland abgeschoben worden, obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Vortag die Abschiebung verboten hatte. Es geht um einen Mann, der im Verdacht steht, als Leibwächter für Osama bin Laden gearbeitet zu haben.

Nach den vorliegenden Informationen hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Donnerstagabend die Abschiebung untersagt. Gleichwohl wurde der Mann heute morgen um ca. 7 Uhr am Düsseldorfer Flughafen in ein Flugzeug nach Tunesien eskortiert. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat erklärt, man habe von dem Beschluss nichts gewusst. Dieser sei erst heute morgen um 8.27 Uhr an das BAMF gefaxt worden.

Mittlerweile gibt es auch eine umfassende Stellungnahme des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zu den zeitlichen Abläufen. Danach hat das Verwaltungsgericht vom Bundesamt ausdrücklich eine Zusage gefordert, dass bis zu einer Entscheidung nicht abgeschoben wird. Dem Gericht sei dann vom Bundesamt geschrieben worden, eine Rückführung für den 12.07., also den Vortag, sei abgesagt. Da eine weitergehende Zusage nicht erfolgte, hat das Verwaltungsgericht dann noch am gleichen Tag bis 19.20 Uhr den 22-seitigen Beschluss ausgearbeitet. Dieser sei allerdings erst heute morgen an das Bundesamt gefaxt worden.

Andererseits ergibt sich aus der Stellungnahme recht deutlich, dass das Bundesamt mit so einem Beschluss zu rechnen hatte. Wieso dann nicht wenigstens noch mal vor einer eventuellen Abschiebung nachgefragt wurde, werden das Land NRW und das BAMF zu erklären haben.

Mich erinnert die Geschichte unangenehm an den Fall des mutmaßlichen Mörders Ali B., den die Bundespolizei ohne Zustimmung des irakischen Staates aus dem Irak nach Deutschland „rückgeführt“ hat. Der über den Einzelfall hinausgehende Kollateralschaden, wenn Behörden anfangen, gerichtliche Entscheidungen zu missachten, kann ganz erheblich sein. Insbesondere sind das alles Sargnägel für die funktionierende Gewaltenteilung und nicht unbedingt Ansporn für den Normalbürger, sich selbst an Recht und Gesetz zu halten.

Nachtrag: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat angeordnet, dass der Betroffene nach Deutschland zurückgebracht werden muss. Die Abschiebung sei „grob rechtswidrig und verletzt grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien“, teilte das Gericht mit.

Vom Leihrad zum Gratisrad – das kann Ärger geben

Leihfahrräder scheinen ein großer Markt zu sein. Hier in Düsseldorf mischt derzeit mobike das Stadtbild auf. Die Leihräder der Firma stehen praktisch an jeder Ecke, können per App entriegelt und genutzt werden. Das Fahrtende ist an jedem beliebigen Ort im Stadtgebiet möglich.

Damit hat mobike einen großen Vorteil zu anderen Anbietern wie Call-a-Bike. Deren Räder sind nämlich stationsgebunden, und von den Stationen gibt es gar nicht mal so viele. Wenn man seinen Start- noch Zielort nur mit zusätzlichem Fußmarsch erreicht, ist das Angebot für mich eher reizlos. Auch wenn ich ein eigenes Fahrrad habe, habe ich mich mal bei mobike angemeldet und bin auch schon ein paar Mal damit geradelt. Das System ist simpel, die Bikes mit ihren Vollgummireifen und geringer Höhe tierisch unbequem und behäbig. Aber wenn die Alternative eine stickige Straßenbahn ist, reicht es für die Kurzstrecke allemal.

Ob man Sharing-Unternehmen seine persönlichen Daten anvertraut, ist Geschmackssache. Klar sollte sein, dass Ausleihzeiten und Fahrtstrecken penibel dokumentiert werden. Das macht die eigenen Wege nicht nur nachträglich überprüfbar (zum Beispiel durch die Polizei), sondern die generierten Daten sind garantiert ein lukrativer Zweitmarkt für die Firmen. Mobike zum Beispiel nutzt die Daten schon selbst nicht nur für Abrechnungszwecke. Vielmehr wird jeder Nutzer anhand seines Miet-, Fahr- und Rückgabeverhaltens gescored. Pflegeleichte und emsige Nutzer erhält Rabatte, andere, deren Räder verschwinden oder beschädigt werden, müssen am Ende bis zu 100 Euro für eine 20-minütige Nutzung zahlen. Das Ganze erinnert stark an das Sozialkredit-System, das gerade in China flächendeckend eingeführt wird.

Was mich eigentlich auf das Thema bringt: Ein anderer Anbieter, der an mehreren Orten jeweils hunderte Fahrräder ins Stadtbild gekippt hat, ist mutmaßlich pleite. Die Firma Obike (Sitz in Singapur) soll Insolvenz angemeldet haben. Für die Berliner Behörden ist das Unternehmen nicht erreichbar (Bericht im Tagesspiegel). Die App scheint nicht mehr zu funktionieren; die Räder sind also nutzlos.

Das wiederum bringt findige Aktivisten auf Ideen, etwa die Initiative LibreBike. Der Name ist an sich selbsterklärend. Nutzer sollen die nun „herrenlosen“ Räder befreien. Sozusagen ein erster Schritt zu einem kostenlosen Bikesharing-System. Für die Befreiung der Räder gibt es auf der Seite von LibreBike eine sehr detaillierte Anleitung.

Man könnte allerdings auch von einem Aufruf zu Straftaten sprechen.

Denn aus gutem Grund verliert die Infoseite kein näheres Wort über die juristischen Aspekte. Herrenlos habe ich im letzten Absatz nicht ohne Grund in Anführungszeichen gesetzt. Denn selbst im Fall einer Insolvenz des Anbieters ist es natürlich keinesfalls so, dass man sich die Bikes jetzt unter den Nagel reißen kann. Sie haben nach wie vor einen Eigentümer, im Zweifel wird es nach wie vor der bisherige sein. Ein Insolvenzverfahren ändert insoweit nichts.

Die Manipulation am Radschloss inklusive Entfernung des Solarpanels ist eine strafbare Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Und selbst wenn man ein von anderen befreites LibreBike nur für eine kleine Fahrt nutzen will, sollte man vorsichtig sein. Nicht nur der unbefugte Gebrauch eines Kraftfahrzeuges ist strafbar. Sondern auch der unbefugte Gebrauch eines Fahrrades (§ 248b StGB). Wer also auf einem bereits geknackten Leihfahrrad angetroffen wird, riskiert ganz eindeutig ein Strafverfahren. Da hilft dann auch die Ausrede nichts, dass man das Rad gar nicht behalten wollte. Denn auf diesen Willen kommt es gar nicht an.

Wenn man sich ein Leihfahrrad dann auch noch dauerhaft in den Keller stellt, wäre es ohnehin ein Diebstahl (§ 242 StGB). Aber das sagt einem ja fast schon der gesunde Menschenverstand.

„Spontan-Urlaub“ kann Arbeitsplatz kosten

Ein spontaner Urlaub kann den Arbeitsplatz kosten. Klingt für mich jetzt wenig überraschend, aber genau zu diesem Thema musste das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ein Urteil fällen.

Eine Controllerin hatte an einem Mittwoch ihr berufsbegleitendes Studium erfolgreich beendet, dafür gönnte sie sich für den Rest der Woche noch zwei Urlaubstage, die der Arbeitgeber genehmigte. Am Montag kam die Frau aber nicht pünktlich zur Arbeit. Vielmehr sandte sie um 12.04 Uhr, zwei Stunden nach ihrem Arbeitsbeginn, eine E-Mail aus Mallorca. Unter dem Betreff „Spontan-Urlaub“ teilte sie mit, ihr Vater habe ihr zur bestanden Prüfung einige sonnige Tage geschenkt. Sie in der folgenden Woche wieder ins Büro.

Der Arbeitgeber fand das weniger lustig und sprach eine Kündigung aus. Die Richter am Landesarbeitsgericht wiesen darauf hin, die eigenmächtige Inanspruchnahme von Urlaub sei ein Kündigungsgrund, der an sich nicht nur eine fristgerechte, sondern sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Spätestens ab Dienstag, als sie eine Rückreise endgültig ablehnte, habe die Klägerin ernsthaft zu erkennen gegeben, dass sie an dem eigenmächtig genommenen Urlaub festhalte und nicht zur Arbeit kommen werde. Damit habe sie falsche Prioritäten gesetzt und ihre vertragliche Pflicht zur Arbeit beharrlich verletzt.

Die Klägerin hatte dennoch Glück im Unglück. Es gab unter anderem Zweifel, ob der Betriebsrat wirksam angehört worden war. Deshalb einigte man sich vor Gericht auf eine fristgerechte Kündigung; eine Abfindung von einem knappen Monatsgehalt (4.000,00 €) erhält die Klägerin auch (Aktenzeichen 8 Sa 87/18).

Kurz mal über den Tisch?

Die Sitzordnung im Saal bestimmt das Gericht. Das will ich gar nicht bestreiten. In einem größeren Verfahren mit etlichen Angeklagten hatten mein Mandant und ich bislang die Ehre, dass wir in der ersten Reihe Platz nehmen durften. Das Vergnügen war aber anscheinend etwas einseitig, denn die Richter fühlten sich mitunter von meinem Mandanten gestört.

Aus meiner Sicht hielt sich das Belästigungspotenzial allerdings im zulässigen Rahmen. Gut, der Mandant schnaubte schon mal vernehmlich, wenn sich das Gericht – aus seiner Sicht – mal wieder einen Klops erlaubte. Ein paar Mal kam von ihm auch eine deutliche Bemerkung, aber nichts, was einen aus der Fassung bringen müsste. Anders bei diesem Gericht: Es folgte dann irgendwann die „Drohung“, man könne die Sitzordnung ja auch ändern und meinen Mandanten weiter nach hinten verbannen.

Darauf passierte einige Verhandlungstage nichts. Ich ging eigentlich davon aus, die Sache sei vielleicht auch deswegen erledigt, weil mein Mandant sich auf die Rüffel der Vorsitzenden hin schon einsichtig zeigte. Während dieser Zeit fiel er jedenfalls keinesfalls aus der Rolle.

Umso überraschter war ich, als ich einige Zeit später vor Verhandlungsbeginn meinen angestammten Platz von einem anderen Verteidiger eingenommen fand. Die Papierschildchen mit den Namen der Verfahrensbeteiligten, welche die Wachtmeister jeden Morgen aufstellten, sprachen ebenfalls eine klare Sprache. Ab sofort sollten wir hinten sitzen.

Ich rätselte schon ein wenig, wieso es jetzt dazu gekommen war. So richtig musste ich aber nicht. Nach der Mittagspause an dem Verhandlungstag erhielt ich von meinem Sekretariat das PDF eines Faxes, welches das Gericht gerade in mein Büro geschickt hatte. Es war die schriftliche Ablehnung eines Antrags auf Haftentlassung. Diesen hatte ich für den Mandanten gestellt, weil der nun schon geraume Zeit in Untersuchungshaft schmort. Nach meiner Meinung zu Unrecht.

Nun gut, das Gericht hätte mir die Entscheidung natürlich auch persönlich aushändigen können. Ich war ja da – und zwar noch bis in den Nachmittag. Über Stil kann man halt streiten. Allerdings war jetzt natürlich klar, wieso die Verbannung nach hinten genau an diesem Verhandlungstag begann. Dem Gericht war bewusst, dass ich wohl noch im Laufe des Tages von dem Fax erfahre. Da wollte man anscheinend lieber auf Nummer sicher gehen und Abstand schaffen für den Fall, dass mein seeeeehr kräftiger Mandant etwas in Richtung Richterbank unternimmt, bevor die im Saal postierten Wachtmeister eingreifen können.

Dieser Gedanke ist allerdings schon reichlich absurd, für so was ist mein Mandant ein Quentchen zu schlau. Letztlich sagt der Ablauf aus meiner Sicht weniger über den Mandanten, dafür umso mehr über die Befindlichkeiten auf der Richterbank. Ich weiß nicht, ob ich mir als Richter so eine Blöße geben würde.