ETWAS BIZARR

Mit einer Versicherung führe ich einen leicht bizarren Rechtsstreit. Meine Mandantin hatte einen Unfall. Sie war nicht schuld und holte ein Schadensgutachten ein. Der Gutachter stellte den Unfallschaden mit netto 634,12 € fest. Das sind brutto 735,58 €.

Die Versicherung meint, sie müsse die Gutachtenkosten von 220 € nicht zahlen. Denn der regulierte Schaden unterschreite die Bagatellgrenze von 715,81 € (früher: 1.400 DM). Ein Gutachten sei deshalb unvernünftig gewesen.

Die Bagatellgrenze ist nicht statisch. Außerdem kann der Geschädigte ja vor dem Gutachten nicht genau wissen, wie hoch der Schaden letztlich ausfallen wird. Sonst bräuchte er ja keinen Gutachter. Auf all das hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil schon hingewiesen.

Letzte Argumentationslinie der Gegegenseite ist also, dass bei Abrechnung auf Gutachtenbasis, wo ja an sich nur der Nettobetrag erstattet wird, auch nur dieser Nettobetrag zählt, wenn es um die Gutachtenkosten geht.

Ich habe versucht, dem Gericht das Gegenteil plausibel zu machen:

Die Beklagte übersieht außerdem, dass der tatsächliche Sachschaden die Bagatellgrenze übersteigt.

Geltend gemacht wurde bislang der Nettobetrag gemäß Gutachten (Abrechnung auf Gutachtenbasis).

Dies ändert aber nichts daran, dass als Schaden der Bruttobetrag zu Grunde zu legen ist. Es kommen also 16 % Umsatzsteuer = 101,46 € hinzu; der reine Sachschaden beträgt demnach tatsächlich 735,58 €. Er liegt damit über der vom BGH erwähnten und von der Beklagtenseite nicht in Abrede gestellten Bagatellgrenze von 715,81 €.

Zwar kann nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Umsatzsteuer nur verlangt werden, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung, ob er ein Gutachten einholt, muss der Geschädigte aber nicht gleichzeitig eine Entscheidung treffen, ob er den Wagen reparieren lässt oder nicht. Er hat vielmehr ein Wahlrecht, welches zeitlich zunächst nicht befristet ist.

Theoretisch hätte die Klägerin heute noch die Möglichkeit, eine fachgerechte Reparatur nachzuweisen und die Umsatzsteuer gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB nachzufordern. Die Beklagte müsste die Umsatzsteuer dann nachzahlen; der Regulierungsbetrag läge also definitiv über der Bagatellgrenze.

Die Frage der Erstattungsfähigkeit der Gutachtenkosten kann demnach nicht davon abhängen, ob die Klägerin das Fahrzeug reparieren lässt oder nicht. Denn dann könnte die Klägerin das Gutachten ja erst einholen, wenn sie ihr Wahlrecht abschließend ausübt. Damit wäre eine vernünftige Schadensfeststellung aber nicht möglich.

Da die Klägerin aber nicht zeitnah zum Unfall- und Begutachtungszeitpunkt zur Ausübung des Wahlrechts verpflichtet war, ist vorliegend vom Bruttoschaden auszugehen.

Verzichtet der Geschädigte– gegebenfalls lange nach Einholung des Gutachtens – auf den Nachweis einer fachgerechten Reparatur und macht er die Umsatzsteuer letztlich nicht geltend, entsteht dem Schädiger ja auch kein Schaden. Im Gegenteil. Er spart lediglich die Umsatzsteuer ein und wird somit entlastet. Ob er entlastet wird, ist aber die freie Entscheidung des Geschädigten.

Der zu Grunde zu legende Schaden ist also nicht identisch mit dem (bisherigen) Regulierungsbetrag. Er liegt vielmehr über der Bagatellgrenze. Die Beklagte muss die Gutachtenkosten erstatten.