Ein Haftbefehl zuviel

Heute Morgen hätte ich nicht viel darauf gewettet, dass mein Mandant um 14.30 Uhr ein freier Mann sein wird. Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Beispielsweise in Person einer Mitverteidigerin, die für ihren Mandanten, der noch heftiger in der Schusslinie stand, kluge Beweisanträge stellte und das Gericht damit dazu bewegte, ein Rechtsgespräch im stillen Kämmerlein zu führen.

Das gab eine ziemlich umfangreiche Debatte. Aber am Ende siegte die Einsicht, dass die letzte Chance aus dem Strafverfahren zuvor halt doch nur die vorletzte Chance insgesamt gewesen ist. Wir trafen eine Verständigung, die lautete: Geständnis gegen Bewährung. Die Freude währte allerdings nicht lange, denn die Wachtmeister murmelten was von „Überhaft“. Ein weiterer Haftbefehl? Das hätte ich eigentlich wissen müssen.

Auf dem Laufzettel stand neben dem Aktenzeichen des Jugendgerichts noch ein Aktenzeichen des Landgerichts. In der Rubrik Haftbefehl. Es sah also so aus, als ob es zwei Haftbefehle gibt. Nun hilft es nicht viel, einen Wachtmeister darauf hinzuweisen, dass das Aktenzeichen zu einer Beschwerdeentscheidung gehört. Das Landgericht hatte die Beschwerde gegen den Haftbefehl des Jugendgerichts zwar zurückgewiesen. Aber es hatte natürlich keinen eigenen, zweiten Haftbefehl erlassen.

Der Richter sah das genauso. Allerdings sah er auch keinen Grund, einen Haftbefehl aufzuheben, den es gar nicht gibt. Stattdessen schickte er einen der Justizangestellten los, um sich von einem der zuständigen Richter am Landgericht bestätigen zu lassen, dass seine Kammer in dieser Sache keinen Haftbefehl erlassen hat.

Am Freitagnachmittag ist das natürlich ein riskantes Manöver. Zumindest, wenn man von den Richtern keine Handynummer hat. Bis die Sache geklärt wird, sollte mein Mandant aber schnell noch mal ins Hausgefängnis. Zum Sachen abholen war ich einverstanden. Aber jetzt noch stundenlang brüten, bis jemand den Fehler aufgeklärt hat, das wäre für mich nicht in Frage gekommen.

Ich murmelte also was zurück. „Vorsicht, nicht dass das eine Freiheitsberaubung wird.“ Nach einigem Hin und Her war dann auch hier eine Lösung zu finden. Es ging auch ohne Auskunft des Richters, wenn die Justizvollzugsanstalt grünes Licht gibt. Dort war natürlich nichts von einem Haftbefehl des Landgerichts bekannt. Mein Mandant durfte also zügig raus.

Trotzdem bin ich froh, dass das Ganze nicht erst am späten Freitagnachmittag passiert ist. Ob dann auch noch jemand aufzutrieben gewesen wäre, der eine Auskunft gibt?