Der Staatsanwalt hat bald ein Notebook dabei

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Jedes Mal war es ein Alptraum für die Ankläger im Düsseldorfer Mannesmann-Prozess. In diesem großen Wirtschaftsstrafverfahren, bei dem es um illegale Millionen-Prämien nach der Übernahme von Mannesmann durch die britische Vodafone ging, blickten die Verteidiger kurz in ihre blinkenden Notebooks und sprachen ruckzuck von der Seite 1387 im Aktenband 34.

Die Staatsanwälte mussten dann in Berge von Papier abtauchen und mühsam nach dieser einen Seite blättern. Besonders schlimm: Im Zuschauerraum wurde grinsend über die primitive Suche getuschelt. So was soll vorbei sein. Die elektronische Akte kommt, jedenfalls erstmal im Kampf gegen die große Wirtschaftskriminalität. Das versprach gestern Justizministerin Müller-Piepenkötter (CDU).

Das Pilotprojekt, in dem Anzeigen, Aussagen und Schriftsätze digitalisiert werden, ist zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft angelaufen. Die Justiz hat, wenn auch spät, die rasante Entwicklung der modernen Informationstechnik erkannt. Nach einer Razzia etwa müssen die beschlagnahmten Beweismittel (die oft einen Lkw füllen) noch durchgesehen werden. Wo aber bislang in tagelanger Arbeit Papier-Kopie um Papier-Kopie gemacht werden musste, wird künftig jedes Blatt eingescannt.

Mit solch einer Daten-Sammlung wird es bequem und schnell, sagt Oberstaatsanwalt Peter Lichtenberg und führt es vor. Alle 5.000 Seiten in 27 Aktenbänden aus einem Anlagebetrugsverfahren liegen programmiert auf einem Rechner der Staatsanwaltschaft. Aus der Ferne sucht Lichtenberg nach einem Namen – und bekommt nach zwei Wimpernschlägen 692 Fundstellen angezeigt.

In der elektronischen Akte können Kriminalbeamte nach neuen Spuren suchen und Buchhalter gleichzeitig Konten auswerten. Bei einer Steigerung der großen Wirtschaftsstraftaten um 13 Prozent (von 2.500 im Jahr 2006 auf 2806/2007) ist das Zukunftsmusik für die landesweit 190 spezialisierten Strafverfolger. Und im nächsten Jahr auch landesweit Realität, verspricht die Justizministerin.

Sie meint, es ist „besorgniserregend“, dass die Verfolgung der Wirtschaftskriminalität „immer häufiger an Grenzen stößt“. Deswegen brauchen Staatsanwälte das dazu nötige Rüstzeug. Warum erst jetzt? „Irgendwann muss einer ja mal anfangen!“ ist Müller-Piepenkötters knappe Antwort. Die sie bekräftigt. Sie will sich politisch dafür einsetzen, dass die Gesetze geändert werden und es in Strafverfahren bundesweit kein Papier mehr gibt. Nur noch die elektronische Akte. Und die kommt bis dahin womöglich auch bei denen an, die sie brauchen, aber noch nicht haben. Bei den Richtern. (pbd)

Hintergrund: Umfangreiche Wirtschaftsstrafverfahren sind immer Teamarbeit. Staatsanwälte, Kriminalbeamte, Wirtschaftsreferenten und Buchhalter ermitteln. Kontobewegungen müssen ausgewertet werden, um Zahlungsflüsse darzustellen zu können; Kundendaten von Firmen, die im Betrugsverdacht stehen, sind möglichst lückenlos zu erfassen. Die Fülle der Daten wächst so schnell an, dass die Übersicht verloren gehen kann. Werden Akten aber elektronisch eingelesen, passen auf eine CD-ROM (700MB) rund 10.000 DIN-A4 Seiten in Schwarz/Weiß. Auf eine DVD passen etwa 60.000 Seiten. Diese Speicher haben zudem den Vorteil, dass mit einem entsprechenden Programm eine „Volltextsuche“ möglich ist: Auch komplizierte Begriffe werden schnell gefunden. Zudem können CDs und DVDs verschlüsselt an Rechtsanwälte verschickt werden. Deren Passwort übermittelt die Staatsanwaltschaft mit getrennter Post. (pbd)