Land muss für übertriebenen Polizeieinsatz zahlen

Wegen eines übertriebenen Polizeieinsatzes muss das Land Nordrhein-Westfalen Schadensersatz leisten und 30.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Das Oberlandesgericht Köln gab einem Fliesenleger Recht, der noch heute unter den Folgen des Zugriffs leidet.

Der heute 56-jährige Frührentner Josef H. war aufgrund von Äußerungen aus der Nachbarschaft in den Verdacht geraten, Handgranaten und scharfe Waffen zu besitzen. Zur Vollstreckung eines daraufhin erlassenen Durchsuchungsbeschlusses zog die Siegburger Polizei ein Sondereinsatzkommando (SEK) hinzu, das einen Zugriff auf den Kläger in seinem Lieferwagen plante, der am 08.12.2000 durchgeführt wurde.

Das Fahrzeug wurde von 2 Zivilfahrzeugen der Polizei gestoppt, auf der Fahrer- und Beifahrerseite wurden die Scheiben eingeschlagen. Der Handwerker wurde von mehreren SEK-Beamten aus dem Lieferwagen herausgezogen, auf dem Boden fixiert und gefesselt. Er erlitt infolge des Einsatzes diverse Verletzungen wie Prellungen und Schürfwunden, auch ergab sich der Verdacht auf Rippenbruch.

Bei der an den Polizeieinsatz anschließenden Durchsuchung des Hauses wurden keine Handgranaten gefunden. Im Prozess hat der Geschädigte insbesondere behauptet, seine vielfältigen Verletzungen seien auf den Polizeieinsatz zurückzuführen. Dabei sei es zu einem Gewaltausbruch der Beamten gekommen, die mit Schlagstöcken und Karatetritten auf ihn eingewirkt hätten, obwohl er nur seine Hände schützend vor das Gesicht gehalten habe.

Das Land hat den Gewaltausbruch bestritten und behauptet, es sei nur die zur sicheren und zügigen Festnahme notwendige und angemessene Gewalt ausgeübt worden. Auch bei der Planung des Polizeieinsatzes sei es nicht zu Fehlern gekommen; der Zugriff auf der Straße sei wegen des Überraschungsmomentes vorzugswürdig gewesen.

Das Oberlandesgericht bejaht im Urteil einen sogenannten Amtshaftungsanspruch des Geschädigten gegen den Staat, weil das Land schon bei der Planung des Eingriffs und die Entscheidung zum Zugriff im Fahrzeug schuldhaft seine Amtspflicht zur fehlerfreien Ermessensausübung verletzt habe. Bei der Entscheidung, wie der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Siegburg konkret auszuführen sei, sei gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden, der dazu zwinge, stets das mildeste Eingriffsmittel anzuwenden.

Von den Planern des Einsatzes hätte berücksichtigt werden müssen, dass der bis zum Zugriff vorliegende Verdacht gegen Josef H. erkennbar nur ein äußerst vager und dürftiger gewesen sei: Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses seien nur Angaben „vom Hörensagen“ unter Nachbarn gewesen, die auch nicht ansatzweise verifiziert worden waren. Mit Hilfe der Durchsuchung habe erst herausgefunden werden sollen, ob H. tatsächlich über Handgranaten und Schusswaffen verfügte.

Bei dieser Sachlage sei ein besonders besonnenes Vorgehen zur Verhütung vermeidbarer Belastungen geboten gewesen. Die Entscheidung der Einsatzkräfte für einen Zugriff im Auto sei diesen Anforderungen nicht gerecht geworden, ein solcher sei auch ohne die vom Geschädigten behaupteten Gewaltexzesse als „überfallartig“ anzusehen.

Selbst bei lehrbuchartiger und vorschriftsmäßiger Durchführung eines solchen Einsatzes bestehe ein hohes Verletzungsrisiko für den Beschuldigten. Angesichts der nur unspezifizierten Verdächtigungen gegenüber dem Fliesenlegermeister hätte die Polizei nach Auffassung des Senats vielmehr abgestuft vorgehen können und müssen: Gerade weil sich die Handgranaten – wenn überhaupt – im Wohnhaus befinden sollten, hätte zunächst eine Durchsuchung des Wohnhauses in Abwesenheit des Klägers als mildestem und ungefährlichem Mittel nahe gelegen. Das weitere Vorgehen hätte sich dann je nach dem Ergebnis dieser Maßnahme ergeben können.

Das Gericht hat in seinem Urteil offengelassen, ob es zu den vom Geschädigten behaupteten Schlägen und Tritten gekommen ist, weil es für seine Entscheidung auf diese Frage nicht mehr ankam, da der sich Polizeieinsatz schon aus den oben genannten Gründen als ermessensfehlerhaft herausgestellt hatte. Zudem hatte ein medizinischer Sachverständiger im Verfahren ausgeführt, die objektiv vorliegenden Verletzungen hätten auch bei ordnungsgemäßer Durchführung des Zugriffs durch das Herausziehen des Beschuldigten aus dem Fahrzeug entstehen können.

Da das Landgericht Bonn hinsichtlich der noch offenen materiellen Schäden zunächst nur zum Grund des Anspruchs entschieden hat, ist das weitere Verfahren zur Höhe des Schadenersatzes dort fortzusetzen. Insoweit verlangt der Kläger noch Ersatz von Verdienstausfallschäden, Kosten für Haushaltshilfen und sonstigen krankheitsbedingten Mehraufwand, die er in der Klage auf insgesamt über 125.000,- Euro beziffert hat und die sich in der Zwischenzeit noch deutlich erhöht haben sollen.