Der „Dummschwätzer“ im Allgemeinen und im Besonderen

Ein Stadtrat hatte einen anderen Stadtrat während einer Sitzung als „Dummschwätzer“ bezeichnet.
Das Amtsgericht Dortmund verurteilte ihn dafür wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60 Euro. Das Oberlandesgericht Hamm fand das Urteil in Ordnung.

Anders das Bundesverfassungsgericht: Wird jemand als „Dummschwätzer“ bezeichnet, könne das vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt sein (Az: 1 BvR 1318/07). Auszug:

Die Äußerung ist durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteil anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts.

Aber Achtung, „Dummschwätzer“ ist nun nicht als Schimpfwort freigegeben. Das Bundesverfassungsgericht machte deutlich, dass es genau auf den jeweiligen Fall und den Kontext ankommt. Wenn man in einem Streitgespräch die nach persönlicher Ansicht dummen Aussagen des anderes so bewerten will, fällt „Dummschwätzer“ unter die Meinungsfreiheit. Ganz allgemein einen anderen als „Dummschwätzer“ zu bezeichnen wäre indes unzulässige Schmähkritik. Auszug:

Wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen.

Das Amtsgericht habe sich bei seiner Verurteilung zu wenig mit dem Anlass und dem Kontext der Äußerung beschäftigt. Deshalb hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil auf und verwies die Sache an das Amtsgericht zurück.

Neujahr, x-fach

Heute nacht kann ich zum ersten Mal ein x-faches Neujahr feiern. Flug LH 783 geht um 23.55 Uhr von Bangkok nach Frankfurt. Da sich die Zeit während des Aufenthalts an Bord um sechs Stunden zurückdreht, dürfte das neue Jahr gleich einige Male anbrechen.

Ich bin jedoch nicht so vermessen, auf sonderlich ausgelassne Stimmung zu hoffen. Partylaune und Lufthansa passen nach meiner Erfahrung eher nicht zusammen.

Allen Lesern, ob und wie auch immer sie feiern, wünsche ich schon jetzt einen guten Rutsch ins Jahr 2009.

Strafantrag auch ohne Unterschrift

Unsere eh chronisch überlastete Justiz hat einen Fall mehr zu verkraften. Einen ganz speziellen, durch den inzwischen viele Gedanken schillern. Es ging und geht um die Frage: Muss ein schriftlich gestellter Strafantrag auch eine Unterschrift haben?

Ja sicher, hatte der Düsseldorfer Amtsrichter Hans-Werner Telle-Hetfeld im Frühjahr klar gesagt. Und damit einen Prozess platzen lassen, in dem ein Rechtsanwalt aus Wuppertal der üblen Nachrede angeklagt worden war. Es sind fünf Berufsrichter im Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG), die sich von Anwalt Jochen Thielmann wohl in ihrer Ehre verletzt fühlen – der sollte deshalb insgesamt 9.000 Euro Geldstrafe zahlen.

Er hatte den – inzwischen zu Lebenslänglich verurteilten – „Kofferbomber“ Youssef Mohamad E. H. verteidigt. Und dessen Richtern unter anderem vorgeworfen, sie argumentierten bei der rechtlichen Beurteilung „rein ergebnisorientiert“. Der Senat habe das Ziel, den Angeklagten zu verurteilen. Damit hatte er nicht nur den Staatsschutzsenat gegen sich, sondern sofort auch den Ankläger, einen Vertreter des Generalbundesanwalts. Der meinte, der Verteidiger habe „erkennbar“ den Senat „des Verbrechens der Rechtsbeugung bezichtigt“.

Und er informierte Anne-Josè Paul, die Präsidentin des OLG, die es tatsächlich fertig brachte, deshalb Straf-Antrag zu stellen. Allerdings ohne das, was das Lexikon „ein schriftliches Bekenntnis zum Inhalt einer Urkunde“ nennt – eben ohne ihren eigenhändigen Namenszug. Der sei auch überflüssig, meinte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Álso zog sie mit ihrer Revision vor einen anderen Senat des OLG. Und der urteilte kürzlich, sowas ist Rechtsprechung, der Strafantrag der OLG-Präsidenten sei selbstverständlich ohne deren Unterschrift erlaubt.

Das ergibt sich schon, attestiert der dreiköpfige 1. Strafsenat seiner Chefin, aus deren Briefkopf. Und dem Zusatz: „Maschinell erstellt, ohne Unterschrift gültig“. So ähnlich habe „schon das Reichsgericht“ (1879 – 1945) entschieden: „Daran ist festzuhalten“. Jetzt muss ein weiterer Richter in Düsseldorf erneut verhandeln. Dabei ist es völlig egal, zu welchem Urteil er kommt – der Fall kann noch einmal aufgerollt werden. (pbd)

„Netbook“ als Marke geschützt

Udo Vetter hat sein Netbook mit in den Urlaub genommen. Aber mit was kommt er zurück?

Über diese Frage sollte er jetzt mal tüchtig am Strand grübeln. Denn geht es nach dem Willen der Firma Psion PLC, dann dürfen nur Computer der Firma Psion PLC Netbook genannt werden, schließlich hat Psion PLC als einstiger Pionier bei Mini-Notebooks die Markenrechte an dem Begriff Netbook.

Zwar produziert Psion schon längst keine Netbooks mehr, aber die Markenrechte sollen verteidigt werden. Deshalb hat eine Londoner Anwaltskanzlei laut mehreren Medienberichten, etwa bei Heise. de, Abmahnungen an Internetseiten-Betreiber verschickt, die den Begriff Netbook verwenden.
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Den Berichten zufolge ist die Abmahnung nicht kostenpflichtig, außerdem haben die Internetseiten-Betreiber eine Frist bis Ende März 2009 bekommen, ihre Seiten zu ändern.

Unklar ist mir, welchen Vorteil sich Psion davon verspricht. Vielleicht steckt dahinter einfach nur der Frust, vor Jahren die richtige Idee gehabt zu haben, die nun für andere Hersteller zu einem Riesengeschäft geworden ist. Für mich die noch spannendere Frage: Wie wird Netbook-Fan Udo Vetter reagieren? Dass er in weiteren Postings zu seinem treuen Begleiter jetzt nur noch von einem „Ultramobilen Internetzugangsgerät“ spricht, halte ich für eher unwahrscheinlich.

Denkbar erscheint mir, dass er einfach weiter bei Netbook bleibt, weil es zur journalistischen Freiheit gehört, Dingen einen Namen zu geben.

Nachtrag 29.12.
Die Anwaltskanzlei hat inzwischen eine Klarstellung veröffentlicht. Demnach seien Abmahnungsadressaten jene Webseiten gewesen, die den Begriff Netbook geschäftlich nutzen. Zwar wäre es Psion lieb, wenn Journalisten und Blogger einen anderen Gattungsbegriff benutzen würden; Klagen gegen Journalisten und Blogger seien aber nicht beabsichtigt.

Wörtlich:

Journalists and bloggers obviously have to use some term to refer to the new class of ultra-low cost portables – we’d rather they didn’t use ‘netbook’ now that they’re aware of Psion’s registered trade marks, and we hope that they too will transition to whatever term becomes the legitimate generic. But are we about to start a wave of lawsuits against journalists and bloggers? The answer is an emphatic ‘no’.

Dank an den Leser für den Link!

Frohe Weihnachten

Ich wünsche allen Lesern frohe Weihnachten. Dieser Gruß kommt auch aus dem Maschinenraum, wo Florian Holzhauer nun schon lange Jahre stets präsent ist und mit unglaublich viel Feinarbeit für die Erreichbarkeit des law blog sorgt.

Frohe Weihnachten auch von Andreas Kunze, der für Urlaubsvertretungen sorgt, und dem pbd (Pressebüro Düsseldorf), dessen Beiträge zu Justizthemen in NRW hier veröffentlicht werden dürfen.

Sein gutes Geld

Sogar in der Überweisung, mit der er die ihm auferlegten Gerichtskosten bezahlt, kartet ein gewisser Herr noch nach:

Mein gutes Geld für die Rechtsanwälte, die … betrügen.

Ist gar kein Fall von mir, sondern von meiner Kollegin. Ich habe ihr geraten, mal nicht wie übliche eine dicke Haut zu zeigen, sondern Strafanzeige wegen Beleidigung zu erstatten.

Ich hatte nämlich mal das Vergnügen, den Betreffenden in einer Gerichtsverhandlung zu erleben. Das war unterste Schublade. Solche Leute hören ohnehin nur auf, wenn sie was vor den Bug bekommen. Je früher, desto besser.

NRW-Justiz schafft die Kostenmarken ab – ein Fall für Sammler

Kaufen, lecken, kleben – ganze Generationen haben so die Kosten für Zahlungsbefehle (die heutigen Mahnbescheide), für Klageschriften oder Anträge bezahlt. Denn klebte erstmal die entsprechende Gerichts- später: Justizkostenmarke fest auf der ersten Seite der Akte, dann war auch für immer der Nachweis für die nötige Vorauszahlung der Gebühren erbracht. Das galt für Anwälte und deren Gehilfen ebenso wie für nach Recht suchende Bürger und Geschäftsleute. Auch für Menschen, die aus der Kirche austreten und lediglich eine amtliche Beglaubigung ihrer Unterschrift oder eine Abschrift haben wollten.

Damit ist es bald vorbei. Die nordrhein-westfälische Justiz hat zwar noch rund 400.000 dieser bunten Marken. Wenn die aber ausverkauft sind, könnten sie bei spezialisierten Sammlern zu Raritäten werden: Der Gebührenstempler löst die Papier-Wertzeichen ab, beschafft werden keine mehr. Sie entstanden in der Berliner Bundesdruckerei. Niemand hat dort festgehalten, wie viele für wie viel Geld jemals in die Gerichtskassen der Bundesländer geliefert worden sind. Diese Marke mit der gummierten Rückseite war Mittel zum Zweck, sie taucht kaum in Statistiken auf. Selbst das Internet-Lexikon „wikipedia“ bietet mal gerade 46 läppische Einträge. Und doch sind in NRW jährlich für bis zu zehn Millionen Euro verkauft worden – im vorigen Jahr waren es noch 483 000 Marken der unterschiedlichsten Werte zwischen fünf Cent und 200 Euro.

Schon 1949/51, in den Kindertagen der Bundesrepublik, hatten sich die Bundesländer auf eigene Marken geeinigt, die dennoch bundesweit anerkannt wurde. Nach der Wiedervereinigung zogen auch die neuen Länder mit. Die wahrhaft neue Zeit kam Anfang 2002 mit der Währungsumstellung auf den Euro. Ab da gab es auch den neuen offiziellen Begriff „Justizkostenmarke“ und ein verändertes Gesicht. Die edle Justitia mit den berühmten verbundenen Augen und der Gerechtigkeit signalisierenden Waage rückte in den Mittelpunkt. Genau deshalb bietet der Abschied von der Justizkostenmarke bei aller Trauer nun einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Läutet er doch das Ende einer höchst unschicklichen Maßnahme ein. Niemand wird sich nämlich künftig noch veranlasst sehen, eine Gebühr zu entrichten – um danach einer sichtbehinderten Dame den Rücken abzuschlecken. (pbd)

Do not disturb

Als ich heute vom Strand zurückkam, hätte ich mich gefreut, wenn die Putzdamen so gründlich mein Zimmer gefeudelt hätten wie sonst auch. Nur, es war überhaupt nichts gemacht.

Allerdings spricht das nicht gegen die Qualität des Hotels. Denn das „Please make up room“ – Schild hing mit der anderen Seite nach vorne an der Türklinke. „Please do not disturb“ – dieser Wunsch wird natürlich streng beachtet.

Entweder wohnen Scherzbolde auf dem Flur. Oder ich habe überraschend schnell die typische geistige Fallhöhe erreicht, die Folge von wolkenlosem Himmel, 32 Grad im Schatten und Müßiggang ist.

Wobei für Letzteres ja irgendwie auch dieser Beitrag spricht.

Rätsel auf der gelben Tonne

Am Frankfurter Flughafen, vor der Personenkontrolle, werden von den Fluggästen juristische Grundkenntnisse erwartet. Wer zu viele Flüssigkeiten oder unerlaubte Gegenstände bei sich trägt, darf diese in einer gelben Tonne entsorgen. Diese ist so beschriftet:

Eigentumsaufgabe nach § 959 BGB.

081217b

Wenn das als „Allgemeine Geschäftsbedingung“ gemeint ist, Glückwunsch an den Verfasser. Besser kann man wohl nicht an seiner Zielgruppe vorbeischreiben.

Keine Bearbeitung

„Bitte beachten Sie, dass Kündigungen und Widerrufe, die Sie an diese Adresse schicken, nicht bearbeitet werden und keine Rechtsgültigkeit haben.“

Als Absender zeigt das E-Mail-Programm den „Web.de-Kundenservice“ an. Scheint eher ein Kunden-Abwehrservice zu sein.

Kfz-Versicherung als Urheberrechtsverletzer

Die Bilder von einem zerbeutelten Unfallauto sind vielleicht schnell gemacht, sicher auch nicht besonders hübsch anzuschauen – aber gleichwohl fallen sie unter den Schutz des Urheberrechts. Ein Sachverständiger als Fotograf kann daher Unterlassung und Schadenersatz verlangen, wenn die Kfz-Versicherung des Unfallverursachers die Bilder ohne ausdrückliche Genehmigung ins Internet stellt.
So hat es das Oberlandesgericht Hamburg entschieden (Az: 5 U 242/07). Vergeblich argumentierte die Versicherungsgesellschaft, sie habe die Arbeit des Sachverständigen bereits bezahlt, also könnte sie seine Bilder auch nach Belieben verwenden.

Beauftragt hatte den Sachverständigen der Geschädigte, der Besitzer eines Renault Twingo. Der Sachverständige machte sein Gutachten und schickte es samt drei Papierbildern an die gegnerische Versicherung, die ihn auch dafür bezahlte. Da den Versicherungsleuten aber der ermittelte Restwert zu hoch vorkam, stellten sie die Bilder des Unfallautos in die Online-Restwertbörse www.autoonline.de ein.
Erhofft war wohl, dass die Angebote dort einen geringeren Marktwert für das Unfallauto ergeben würden und die Versicherung den Geschädigten weniger zahlen müsste.

Der Sachverständige hatte jedoch für die Veröffentlichung kein Okay gegeben – und klagte. Die Kfz-Versicherung machte unter anderem geltend, der Sachverständige habe die Nutzungsrechte zumindest stillschweigend eingeräumt. Das OLG Hamburg sah das anders:

Auch der Umstand, dass der Kläger einen bestimmten Werklohn (hier in Höhe von € 534,96) verlangt und vollständig erhalten hat, besagt – entgegen der Auffassung der Beklagten – nichts über den Umfang der übertragenen Nutzungsrechte.

Mit dem Unterlassungsanspruch kam der Sachverständige deshalb durch, nicht so erfolgreich war jedoch sein Schadenersatzwunsch von insgesamt 80 Euro. Das OLG Hamburg strich den Betrag auf 20 Euro zusammen – denn da spielte nach Ansicht des Gerichtes schon eine Rolle, dass der Sachverständige bereits ein Honorar erhalten hatte.

So behandelt der Staat seine Kontrolleure

Ausweise von Prozessbesuchern werden also kopiert.

Vielleicht nicht überall, aber im Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der militanten gruppe in Berlin. So steht es in diesem Prozessbericht. Ich frage mich, was wohl passiert, wenn ein interessierter Zuschauer keinen Ausweis dabei hat. Und sich auch weigert, seine Personalien abzugeben.

Man braucht wahrscheinlich nicht lange zu raten. Er darf nicht rein. Vielleicht wird er danach sogar beschattet.

Das alles ist interessant, weil Urteile im Namen des Volkes ergehen. Damit das Volk auch überprüfen kann, welche Urteile in seinem Namen ergehen, sind Gerichtsverhandlungen grundsätzlich öffentlich. Jeder aus dem Volk darf sich in den Zuschauerraum setzen und zuhören. Er braucht dazu keinen Grund und keine Rechtfertigung.

Allerdings ist der Öffentlichkeitsgrundsatz merkwürdigerweise so aufgeweicht, dass ein Gericht tatsächlich anordnen darf, nur Zuschauer in den Gerichtssaal zu lassen, die sich ausweisen können. Der Bundesgerichtshof hat diese Praxis mal abgesegnet.

In Verfahren wie diesem liegt es auf der Hand, dass es mit der Kontrolle durch das Volk nicht weit her ist. Wer schaut sich so einen Prozess an, wenn er damit rechnen muss, sofort überprüft und vielleicht sogar überwacht zu werden, jedenfalls aber in Datenbanken des Bundeskriminalamtes zu landen? Das tun dann nur noch Menschen ausgeprägtem Solidaritätsgefühl. Oder mutige Zeitgenossen.

Als Verteidiger wäre es vielleicht eine Idee, mal dafür zu sorgen, dass Leute sich nicht ausweisen und dann vermutlich abgewiesen werden. So eine Praxis stinkt und verdient mit einer Revision angegriffen zu werden. Die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips, die gerügt werden könnte, ist ein absoluter Revisionsgrund. Sie verpflichtet zur Aufhebung des Urteils.

Außerdem schreit diese Praxis danach, in ihrer aktuellen Ausprägung vom Bundesverfassungsgericht überprüft zu werden. Immerhin zeigt sich der Rechtsstaat daran, wie er mit seinen Bürgern umgeht. Die in diesem Fall sogar Kontrollorgan sind.

Ich finde, der Staat geht mies mit seinen Kontrolleuren um.