Verbummelte Dokumente

Der Berliner Strafverteidiger Carsten R. Hoenig muss eine Entscheidung treffen. Das Gericht hat Anträge verbummelt, die er in einem Strafverfahren gestellt hat. Jetzt möchte der Richter die Unterlagen noch mal haben. Natürlich, um das Urteil fehlerfrei schreiben zu können.

Ähnliche Situationen gibt es, wenn Akten verloren gehen. Auch hier wird dann bei der Staatsanwaltschaft und Anwälten nachgefragt, ob diese ihre Unterlagen zur Verfügung stellen, damit die Akte rekonstruiert werden kann.

Bei so einer Anfrage sage ich nein. Denn mit der Aktenwiederherstellung trage ich dazu bei, dass eine Verurteilung meines Auftraggebers wahrscheinlicher wird. Das geht nicht, denn ich bin in erster Linie Vertreter seiner Interessen. Wer würde nicht zu seinem Verteidiger das Vertrauen verlieren und ihn zum Teufel wünschen, wenn dieser einfach mal nonchalant dabei hilft, die Verurteilung zu erleichtern oder gar erst zu ermöglichen?

Anders wäre es wahrscheinlich, wenn ich für den Verlust der Akte zumindest mitverantwortlich bin. Wenn die Akte zum Beispiel bei mir im Büro verlorengeht. Oder Fehler bei der Rücksendung nicht auszuschließen sind. Zum Glück musste ich diesen Fall noch nicht entscheiden…

Bei den Anträgen des Kollegen Hoenig liegt die Sache doch etwas anders. Es handelt sich um Dokumente, die von ihm stammen und die er dem Gericht aus freien Stücken überreicht hat. Dem Gericht jetzt hiervon Kopien vorzuenthalten, die sich ja normalerweise in der Akte des Verteidigers finden (sofern er die Anträge nicht im Gericht per Hand geschrieben hat), kann ja nur dem Wunsch entspringen, das Gericht möge ohne die Unterlagen formale Fehler machen. Mit der Konsequenz, dass der Verteidiger dann in der nächsten Instanz die Kopien doch vorlegt und behauptet, er habe doch was ganz anderes geschrieben.

Sozusagen ein bewusstes Hinwirken auf Fehler im Urteil. In dieser Konstellation kann ich mir gut vorstellen, dass die Rolle des Verteidigers als Organ der Rechtspflege den Interessen des Mandanten zumindest nicht nachstehen dürfte. Denn, um es zu wiederholen, es handelt sich ja um die eigenen Eingaben des Verteidigers, die er im Interesse des Mandanten vorgelegt hat. Das jetzt nicht erneut zu tun, wäre aus meiner Sicht nur zu rechtfertigen, wenn der eine oder andere Antrag sich im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung als „Eigentor“ erwiesen hat.