Keine Auslieferung in türkisches Lebenslang

Droht einem Beschuldigten in der Türkei eine „erschwerte“ lebenslange Freiheitsstrafe, darf er nicht ausgeliefert werden. Mit dieser Entscheidung korrigiert das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm. Die Hammer Richter sahen kein Problem darin, einen Türken trotz dieser Strafdrohung in die Heimat zurückzuschicken. Bei einem „erschwerten“ Lebenslang ist in der Türkei eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht möglich. Selbst eine Begnadigung kommt nur aus sehr begrenzten Gründen in Betracht.

Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, als Funktionär der PKK ein Bombenattentat angeordnet zu haben.

In seiner Entscheidung weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung angedrohte Strafen nicht grausam, unmenschlich oder
erniedrigend sein dürfen. Von großer Bedeutung sind vor allem mögliche
persönlichkeitszerstörende Wirkungen der Strafhaft, denen durch einen
menschenwürdigen Strafvollzug begegnet werden muss.

Dabei mildert jede Hoffnung auf eine möglicherweise vorzeitige Entlassung die mit der
Strafhaft verbundenen psychischen Belastungen ab. Gerade im Auslieferungsverkehr berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht allerdings, dass das Grundgesetz von der Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die Völkerrechtsordnung der
Staatengemeinschaft ausgeht. Dazu gehört, Strukturen und Inhalte fremder
Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich auch dann zu achten,
wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen
Auffassungen übereinstimmen.

Maßgeblich für die Beurteilung der „erschwerten“ lebenslangen Freiheitsstrafe im vorliegenden Fall ist, dass nur bei schweren Gebrechen oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Häftlings von einer weiteren Vollstreckung der Strafe bis zum Tod abgesehen werden kann. Dies verletzt unabdingbare Grundsätze der deutschen
Verfassungsordnung jedenfalls dann, wenn – wie hier – auch bei Vorliegen dieser Umstände die Wiedererlangung der Freiheit deswegen ungewiss bleibt, weil der Häftling nur auf den Gnadenweg hoffen kann.

Die zu erwartende Strafe nimmt einem Verurteilten jene Hoffnung auf ein
späteres selbstbestimmtes Leben in Freiheit, die den Vollzug der lebenslangen Strafe nach dem Verständnis der Würde der Person überhaupt erst erträglich macht. Das Oberlandesgericht hätte sich daher nicht darauf beschränken dürfen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer eine abstrakte Chance auf Wiedererlangung der Freiheit hat. Vielmehr kommt es in jedem Einzelfall auf eine Gesamtbeurteilung an. Diese Gesamtbeurteilung darf sich nicht der Einsicht verschließen, dass die „erschwerte“ lebenslange Freiheitsstrafe den Verurteilten günstigstenfalls darauf hoffen lässt, in Freiheit zu
sterben.

Über die Auslieferung muss nun neu entschieden werden.

Beschluss vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09