Einladung zur Willkür

Die heute in der Regierung verabredete Neuregelung der Sicherungsverwahrung bezeichnet der Innenminister als „politische Lösung“. Eine juristische, gar sorgfältig am Grundgesetz orientierte kann kann es nicht sein, wenn ich folgendes Teilvorhaben lese:

Die Sicherungsverwahrung soll künftig auch für Ersttäter angeordnet werden können.

Bislang kommt die Sicherungsverwahrung frühestens ins Spiel, wenn jemand bereits mehrere Vorstrafen hat. Bei leichteren Delikten bedarf es zweier Vorstrafen, bei schweren Straftaten kann auch eine Vorstrafe reichen. Zwischen der aktuellen Tat und der letzten Verurteilung dürfen im Regelfall außerdem höchstens fünf Jahre liegen.

Eine Sicherungsverwahrung aus dem Stand heraus gibt es bislang nur für unentdeckte Serientäter, die sofort mit mehreren Verurteilungen (eine davon mindestens zu drei Jahren) einsteigen. Praktische Anwendung dieser Vorschrift: nahe null.

Wie man unschwer erkennen kann, hat der Gesetzgeber einige Hürden aufgestellt, bevor Menschen – möglicherweise lebenslang – weggesperrt werden können, nachdem sie ihre Strafe verbüßt haben. Es geht, wohlgemerkt, bei der Sicherungsverwahrung nicht um Bestrafung für begangene Taten. Sondern darum, die Gesellschaft vor als gefährlich eingestuften Verurteilten künftig zu schützen.

Dazu schauen Psychiater in die Köpfe der Betroffenen und geben eine Prognose darüber ab, ob sie gefährlich sind und künftig Straftaten begehen werden. Das ganze hat also was von Wahrsagerei, wenn auch mit wissenschaftlichem Anstrich. Wie überall im Leben, reicht die Qualität solcher Prognosen, unabhängig vom Ergebnis, von höchster, wenn auch immer noch extrem fehleranfälliger Güte bis zu grottigem Gefasel Marke AstroTV.

Schon wegen der an sich von Menschen nicht lösbaren Aufgabe, künftiges Verhalten anderer mit akzeptabler Zuverlässigkeit vorauszusagen, gibt es guten Grund, die Sicherungsverwahrung nicht zum Alltagsinstrument verkommen zu lassen. Jeder zu Unrecht Sicherungsverwahrte erlebt das schreiendste Unrecht, das ihm der Staat überhaupt antun kann – jedenfalls seit Abschaffung der Todesstrafe.

Nicht ohne Grund hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland den Vorwurf gemacht, hier ein wenig realitätsblind zu sein. Auch wenn die Sicherungsverwahrung bei uns als Prophylaxe bemäntelt wird, bleibt sie für den Betroffenen eine Strafe.

Nachdem man schon die Sicherungsverwahrung für Jugendliche eingeführt hat, will man jetzt also auch schon Gefährlichkeitsprognosen für Ersttäter wagen. Es könnte dann also bei jemanden, der erstmals vor Gericht steht, zu einer Freiheitsstrafe von, sagen wir, fünfeinhalb Jahren kommen, kombiniert mit einem faktischen Lebenslang namens „Sicherungsverwahrung“ aufgrund plausibel klingender Gefährlichkeitsprognose.

Das ist schauerlich. Zumal der nächste Schritt dann auch nicht mehr weit sein dürfte. Was ist denn mit Verdächtigen, die vielleicht nicht überführt werden konnten und einen Freispruch zweiter Klasse erhalten? Sollte da nicht auch mal ein Psychiater drüber schauen? Von da wäre es dann auch nur noch ein Hops, die Sicherungsverwahrung von der Strafverfolgung aufs Tätigkeitsfeld Gefahrenabwehr zu übertragen.

Den nächsten Gedanken kann man schon formulieren: Ist die beste Prophylaxe nicht das vorbeugende Wegschließen? Bevor überhaupt jemand zu Schaden gekommen ist, und sei es nur die Deutsche Bank? (Ja, es gibt nach geltender Rechtslage auch Sicherungsverwahrung für Vermögensdelikte.)

Ich nehme an, die Idee des Wegsperrens für Ersttäter wird aus zwei Quellen genährt. Einmal ist es der Wunsch des „Volkes“, (Sexual-)Straftäter als Monster zu sehen, für die Menschenrechte und Verfahrensregeln nicht zu gelten brauchen. Eine Sicht der Dinge, die uns ethisch ins Frühmittelalter zurückkatapultieren würde. Wem’s gefällt…

Zum anderen kommt wohl eine neue Idee der Politik ins Spiel, die in Wirklichkeit eine alte, drängende Forderung aus der Praxis ist: Danach soll die Sicherungsverwahrung aus den Gefängnissen herausgelöst und humaner gestaltet werden. Davon sollte man sich aber nicht benebeln lassen. Eingesperrt bleibt Freiheitsentzug, daran ändern auch das Türschild mit der Aufschrift „Wohngruppe“ und das Notebook mit Internetzugang nichts.

Wen das nicht erweicht, der sollte zumindest an die Missbrauchsmöglichkeiten denken. Sicherungsverwahrung für Ersttäter lädt zur Willkür ein. Nicht nur bei politisch angehauchten Verfahren. Sie wäre auch ein treffliches Mittel zur Geständniserpressung.

Ich glaube nicht daran, dass unsere Richter durchweg so gut sind, um der Versuchung eines so ungeheuerlichen Machtmittels geschlossen zu widerstehen. Man darf es ihnen deshalb nicht in die Hände geben.