Eine Frage der Rutschigkeit

Nun ist sie in Kraft, die sogenannte Winterreifenpflicht. Wahrscheinlich könnten Bundestag und Bundesrat schon viele Fehler vermeiden, wenn sie in ihre Beratungspapiere ab und zu reinschrieben, wie die Vorschrift am Ende eigentlich lauten soll. Stattdessen ist immer nur die Rede davon, welche Satzteile gestrichen und welche Worte eingefügt werden. Zum Schluss verstehen das nur noch Leute, die Textpuzzle mögen und zufällig zwei Stunden Zeit haben.

Aber womöglich ist die Konfusion ja gewollt. Im Fall der Winterreifenpflicht erblickte nun folgendes Satzungetüm das Licht der Welt:

Bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte darf ein Kraftfahrzeug nur mit Reifen gefahren werden, welche die in Anhang II Nummer 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und über ihre Montage (ABl. L 129 vom 14.5.1992, S. 95), die zuletzt durch die Richtlinie 2005/11/EG (ABl. L 46 vom 17.2.2005, S. 42) geändert worden ist, beschriebenen Eigenschaften erfüllen (M+S-Reifen).

Über das Schlupfloch M+S-Reifen habe ich bereits vor einigen Tagen geschrieben. Aber auch der erste Satzteil wirft reichlich Fragen auf, die künftige Verkehrssünder sicher gerne stellen werden, wenn sie damit vielleicht Punkten in Flensburg sparen.

Zunächst fällt auf, wie viele Varianten der Glätte die Vorschrift kennt. Gibt es wirklich einen juristischen Unterschied zwischen Glatteis, Eisglätte und Reifglätte? Also sozusagen in der Rutschigkeit.

Meteorologisch sind das verschiedene paar Schuhe, da gibt es keine Frage. Bei Glatteis gefriert frischer Niederschlag, wenn er auf den Boden trifft. Eisglätte ist gegeben, wenn auf der Straße schon vorhandenes Wasser (Pfützen) gefriert. Reifglätte entsteht, wenn die Temperatur des Straßenbelags unter dem Taupunkt liegt und somit Luftfeuchtigkeit anfriert. Entweder hatte der Verfasser des Textes wirklich Angst, dass ein Richter sagt, eine Straße ist nur dann glatt und somit gefährlich, wenn genau geklärt ist, wieso sie glatt geworden ist. Oder er hat einfach mal die einschlägige Auflistung aus der Wikipedia abgepinnt, ohne die Erläuterungen richtig zu lesen.

Für letzteres spricht, dass neben Schneematsch nur die Schneeglätte erwähnt wird. Schneeglätte liegt aber nur vor, wenn vorhandener Schnee durch den Druck von Fahrzeugen zusammengepresst wurde und deshalb besonders glatt ist. Der findige Verkehrssünder wird daraus schließen, dass frisch gefallener, noch nicht von Autos zusammengedrückter Schnee nicht nur häufig vorkommt, sondern eben auch keine Schneeglätte ist. Womit in diesem Fall die Winterreifenpflicht nicht gilt.

Man wird, gerade mit einer Rechtsschutzversicherung im Rücken, auch darüber sinnnieren können, warum bei so viel Detailversessenheit Blitzeis (gefrierender Regen) und Eisregen nicht erwähnt werden. Unschädlich ist das nur für den Fall, dass beide Wetterphänomene vom Oberbegriff Glatteis umfasst sind. Ob das der Fall ist, kann eigentlich nur ein Sachverständiger entscheiden. Bevor sie sich das antun, stellen viele Bußgeldrichter das Verfahren lieber ein.