Ostfriese will keine Ostfriesenwitze im Radio hören

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt gegen den niedersächsischen Sender radio ffn wegen Volksverhetzung. Grund ist mindestens ein Ostfriesenwitz, den Moderator Timm „Doppel-M“ Busche in „Niedersachsens bester Morningshow mit ffn-Morgenmän Franky“ erzählt hat.

Die Anzeige wurde bei der Osnabrücker Polizei gestellt – natürlich von einem Ostfriesen. Seine Begründung: Durch den Witz, welcher genau ist noch unklar, seien die Ostfriesen als ethnische Minderheit diffamiert worden. Jetzt ermittelt laut radio ffn tatsächlich die Staatsanwaltschaft. 

Weil ffn-Moderatorin Lea Rosenboom aus Aurich stammt, präsentierte Timm „Doppel-M“ Busche jeden Morgen einen neuen Ostfriesenwitz, über den ffn-Morgenmän Franky, Lea und auch die – meisten – Hörer lachen konnten.

Hier die fünf  bisher erzählten Witze: 

• Warum haben Ostfriesen so einen platten Hinterkopf? Weil ihnen beim Wassertrinken immer der Klodeckel auf den Kopf fällt.

• Wie macht sich ein Ostfriese die Milch warm? Er zündet die Kuh an.

• Warum können Ostfriesen keine Eiswürfel machen? Die Frau, die das Rezept hatte
ist letztes Jahr gestorben.

• Wie fangen Ostfriesen Fliegen? Sie jagen sie auf den Heuboden und ziehen dann die
Leiter weg.

• Warum haben die Ostfriesen keine U-Boot-Flotte mehr? Ist am Tag der offenen Tür
untergegangen.

ffn-Programmdirektorin Ina Tenz meint: „Randgruppenwitze ecken immer an – vor allem bei den Randgruppen. Mit ein bisschen Humor erträgt sich’s leichter!“ Sie hofft nun, dass bei den zuständigen Strafverfolgern diese Eigenschaft nicht vollends verkümmert ist.

Wir schauen ihn an

Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann. Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Ziff. 4a).

Wir schauen ihn an. Wir können gar nicht anders, denn der mutmaßliche Doppelmörder von Krailling ist überall zu sehen. Sein Foto ist auf den Titelseiten der Boulevardblätter, in den Onlinemedien, in Krawallshows des Fernsehens ebenso wie in seriösen Nachrichtensendungen.

Seit gestern hat der Verdächtige für die ganze Welt ein Gesicht. Die Bilder sind keineswegs aus den Ermittlungsakten geleakt. Die bayerische Justiz hat sie vielmehr von sich aus an die Medien gegeben. Die hierfür Verantwortlichen zeigen damit offene Verachtung für die Unschuldsvermutung und die Persönlichkeitsrechte, die auch ein Beschuldigter hat.

Aus dem von den Behörden gespeisten Polizeipresseportal sind, so weit ich das sehen kann, die Bilder mittlerweile verschwunden. Die Müncher Polizei verbreitet das Fahndungsplakat mit den Fotos des Beschuldigten aber nach wie vor als hochauflösendes PDF, obwohl sie in der Pressemitteilung hervorhebt, es handele sich um eine räumlich eng begrenzte Fahndung. Spöttisch könnte man anmerken, das ebenfalls abgebildete Auto hat offensichtlich mehr Rechte als der Beschuldigte. Das Nummernschild des Wagens hat die Polizei nämlich anonymisiert.

Wie logisch das auch immer sein mag, der Schaden ist nicht mehr gut zu machen. Das zeigt schon ein Blick in Google News. Die qualitative Scheidelinie im Journalismus scheint lediglich noch zu sein, ob die Bilder direkt übernommen werden oder ob nur das Fahndungsplakat gezeigt wird (auf dem aber die Fotos ebenfalls gut zu erkennen sind).

Man kann Polizei, Staatsanwältin und der Richterin, welche die “Fahndung” letztlich abgenickt hat, natürlich bösen Willen unterstellen. Vielleicht war es ihnen wirklich ein klammheimliches Vergnügen den Mann bloßzustellen, vorzuverurteilen, ein Beweisergebnis zu zementieren. Möglicherweise (ich meine sogar: wahrscheinlich) waren die Beteiligten aber auch schlicht naiv und haben nicht erwogen, dass ihre Aktion zu einer medialen Hinrichtung führen wird. Ihr Verhalten entschuldigt das allerdings nicht.

Offiziell, das darf man nicht vergessen, handelt es “nur” um eine räumlich eng begrenzte Plakataktion. Eintausend Flyer mit den Fotos des Beschuldigten und seines Autos durfte die Polizei im Bereich des Tatorts aufhängen und in Haushalten verteilen. Doch schon diese Öffentlichkeitsfahndung findet kaum eine Stütze im Gesetz. Die Strafprozessordnung kennt eigentlich nur den Fall, dass nach einem flüchtigen Verdächtigen gefahndet wird.

Wenn das Gesetz nicht passt, kann es natürlich passend gemacht werden. Juristen nennen das “entsprechende Anwendung” der Vorschriften. Hierüber kann man sicher diskutieren, aber wohl kaum über die Verhältnismäßigkeit. Zumindest in letzterem Punkt hat die bayerische Justiz krass versagt.

Krailling ist nicht gerade als Moloch bekannt. Die Polizei war in der Lage, mit Hundertschaften eine kilometerlange Strecke abzusuchen. Nun sieht sie sich aber anscheinend außerstande, durch klassische Polizeiarbeit rund um den Tatort alle in Frage kommenden Zeugen zu erreichen? Das heißt, an Türen klopfen oder anrufen, mit möglichen Zeugen reden und ihnen bei Bedarf auch jene Fotos zeigen, die nun uns allen bekannt sind.

Ganz Krailling soll traumatisiert sein. Nur die Polizei hält es offenbar für möglich, dass jemand mit Bezug zum Ort noch nichts von dem Doppelmord erfahren hat. Was erhofften sich die Behörden also von den Plakaten? Dass ein Kraillinger, den sie – hoffentlich -  ohnehin schon befragt haben, was er in der Tatnacht gemacht und vielleicht beobachtet hat, an der Bushaltestelle das Plakat liest und es ihm wie Schuppen von den Augen fällt?

So sehr ich mich bemühe, ich kann noch nicht einmal erkennen, dass die Plakataktion ein geeignetes Mittel war. Noch weniger ist sie erforderlich. Zumindest so lange die Polizei nicht belegt, dass sie mit konventioneller Arbeit nicht weitergekommen ist.

Dass man offensichtlich wenig über die Erforderlichkeit (zweite Stufe jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung) nachgedacht hat, zeigt eine von der Süddeutschen zitierte Äußerung des Ermittlungsleiters. Dieser betont, die Täterschaft des Verdächtigen sei “sehr sicher”. Dann sagt er: “Wir versuchen alles, um das Bild abzurunden." 

Das klingt, als sei die Fahndung nur etwas Kolorit. Ein Spielchen am Rande. Selbst wenn die Motive tatsächlich ernster sein sollten (weil die Beweislage vielleicht doch nicht so gut ist), lässt das ernste Zweifel daran aufkommen, ob überhaupt jemand in der Entscheidungskette die Rechte des Beschuldigten auf die Waagschale gelegt hat.

Auch für diesen Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung. Nun kennt ihn Deutschland. Das macht ihm, unabhängig von einer späteren Verurteilung oder einem Freispruch, sein weiteres Leben schon jetzt kaputt. Das gilt übrigens auch für seine aktuelle Situation in der Untersuchungshaft. Auch dort wird Zeitung gelesen…

Der Beschuldigte hat trotz des Tatverdachts auch seine Persönlichkeitsrechte nicht abgegeben. Diese werden schon durch die Plakaktion mit Füßen getreten. Letztlich aber auf mir bislang kaum vorstellbare Weise durch die zumindest grob fahrlässige Weitergabe des Materials an alle Medien, und das sogar noch ohne nennenswerten Versuch, die Verwendung durch Sperrhinweise zu reglementieren.

Dabei würde es doch schon reichen, wenn sich Polizei und Justiz an die Vorschriften halten. Die wichtigste in diesem Zusammenhang steht am Anfang dieses Beitrags. Sie sollte zumindest künftig nicht in Vergessenheit geraten.

Im Fall Krailling ist alles zu spät.

Amtsrichter widerspricht dem BGH

Die Justiz hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung traditionell hinterher. Beim Internet, das unser aller Leben verändert hat, gilt keine Ausnahme. Lange Zeit urteilten zu viele Richter über Sachverhalte mit Bezug zur virtuellen Welt, ohne diese grundlegend oder auch nur ansatzweise verstanden zu haben.

Doch die Zeiten ändern sich. Eingefleischte Online-Abstinenzler sind auch unter Richtern nicht mehr die Regel, sondern absolute Mangelware. Der juristische Nachwuchs gehört ohnehin meist schon zu denen, für die online sein selbstverständlich ist. Es dürfte schwer sein, heute einen Richter unter 40 zu finden, der nicht zumindest privat E-Mails schreibt (und es auch im Dienst gern täte, wenn er es vernünftig dürfte), im Internet surft, online bestellt und vielleicht gar Mitglied eines sozialen Netzwerks ist.

Nun scheint auch die Zeit anzubrechen, in denen waschechte Digital Natives beginnen, Recht zu sprechen. Bei einem aktuellen Urteil des Amtsgerichts Meldorf (Schleswig-Holstein) wette ich zum Beispiel einen Latte aus der Behördenkantine, dass der Autor erst groß geworden ist, als die digitale Revolution schon über Taschenrechner von Texas Instruments hinausgekommen war.

An sich geht es, wie meist am Amtsgericht, um einen unspektakulären Fall. Ein Provider will die Kündigung eines Vertrages nicht akzeptieren und blockiert den Internetanschluss des Kunden. Dieser wehrt sich und will vom Gericht festgestellt wissen, dass er rechtzeitig gekündgt hat und somit kein Vertragsverhältnis mehr besteht.

Zu seiner Verteidigung legte der Provider auch Monate alte Verbindungsdaten vor. Damit wollte er beweisen, dass der Kunde den Internetanschluss weiter genutzt hat und sich somit nicht an seine eigene Kündigung hielt.

Der Richter hat sich gefragt, ob er die Verbindungsdaten überhaupt als Beweis zulassen darf. Er antwortet mit nein:

Die beklagtenseits vorgelegten Verbindungsdaten sind als Beweismittel ohnehin nicht verwertbar, weil die Beklagte nach § 97 Abs. 3 S. 3 TKG zu deren Speicherung nicht über das Verbindungsende hinaus berechtigt war und das vermögensrechtliche Beweisinteresse der Beklagten nicht das Interesse des Klägers an der Vertraulichkeit seiner Internetnutzung überwiegt.

Dabei widerspricht er auch dem Bundesgerichtshof. Das oberste Zivilgericht erlaubt eine befristete Speicherung von Verbindungsdaten aus “technischen Gründen”. Dazu der Amtsrichter:

Soweit der Bundesgerichtshof aus § 100 Abs. 1 TKG die mögliche Befugnis von Internet-Zugangsanbietern zur anlasslosen und generellen Vorratsspeicherung sämtlicher zugewiesener IP-Adressen und Verbindungszeiten ableiten will (Urteil vom 13.01.2011 zum Az. III ZR 146/10), überzeugt dies nicht.

Das ist nicht nur mutig, sondern auch plausibel. Der Richter liefert hierfür eine eingehende Begründung, die sich hier nachlesen lässt. Nicht das Ergebnis der Entscheidung berührt mich. Es ist vielmehr die Kompetenz für die Fragen der digitalen Welt, der man hier an einem, das ist nicht abschätzig gemeint, Provinzgericht begegnet.

Die absehbare weitere Verbreitung solchen Sachverstandes darf uns optimistisch stimmen.   

“Noch kein Grund, Sie zu verdächtigen”

Mal angenommen, Sie sind demnächst in Hamburg. Sie machen eine Stadtrundfahrt, besuchen alle Sehenswürdigkeiten, fahren in verschiedenste Restaurants und betreiben nachts intensives Barhopping. Wenige Tage nach Ihrer Rückkehr stehen zwei Polizisten vor der Tür und möchten mit Ihnen “sprechen”. Wenn Sie fragen, um was es geht, werden die Beamten wahrscheinlich was von “Vorermittlungen” murmeln und fragen, ob sie nicht reinkommen können. Am Wohnzimmertisch lässt sich das doch alles viel besser besprechen.

Sie lassen die Polizisten also rein und merken gleich, dass sie aufmerksam Ihre Wohnung mustern. Während ein Beamter Ihnen beherzt folgt, bleibt der andere vor der Putzkammer, deren Tür etwas offensteht, kurz stehen, damit er besser hineinsehen kann. Sie denken: Sucht der nach einem Geldkoffer? Oder einem Zugang zum geheimen Bombenlabor? “So einen Tischgrill habe ich auch”, lacht der Polizist und kommt schließlich nach. Na bitte, Sie sind erleichtert. Es handelt sich doch nicht um eine verkappte Hausdurchsuchung.

Wenn es die Beamten geschickt anstellen, werden sie beim zweiten Kaffee jede Menge von Ihnen wissen. Sie aber immer noch nicht, um was es geht. Wo Sie arbeiten, haben Sie ja noch gern erzählt. Auch, dass Frau und Kinder derzeit woanders wohnen, Sie den Unterhalt aber pünktlich überweisen. Als die Polizisten aber nach Hamburg fragen, kommt Ihnen das doch etwas seltsam vor.

“Woher wissen Sie denn, dass ich in Hamburg war?” Auf diese Frage werden Sie keine konkrete Antwort erhalten. Höchstens den Hinweis, dass es da halt Ermittlungen gibt und Sie aufgefallen sind. Aufgefallen? Sie werden nachdenklich und überlegen, ob es eine gute Idee war, die Herren rein zu lassen.

“Ihr Mobiltelefon war in verschiedene Funkzellen eingebucht”, sagt ein Polizist. Nun geht Ihr Puls aber doch deutlich nach oben. Sie legen erstmals etwas Schärfe in Ihre Stimme: “Ist es nicht normal, dass das eigene Handy in Hamburger Funkzellen eingebucht ist, wenn man ein paar Tage Urlaub in Hamburg macht?”

Die Polizisten merken, dass Sie nun auf Verweigerungskurs gehen. Einer hebt die Hände. “Immer mit der Ruhe, es handelt sich, wie gesagt, um Vorermittlungen. Und eigentlich haben wir auch noch gar keinen Grund, Sie zu verdächtigen.” Sein Kollege sagt sogar, dass er das auch etwas fragwürdig findet, was die Hamburger Kollegen da abziehen. “Es könnte ja jeden von uns treffen. Ich könnte ja auch verdächtig, äh, ich meine natürlich, Gegenstand von Vorermittlungen sein.” Der andere ergänzt fast flehentlich: “Wir machen nur unseren Job.”

Bei Ihnen kommt nur die zweimalige Erwähnung eines Wortes an. Verdacht, hallt es in Ihrem Hinterkopf. Ein guter Grund, die Arme vor der Brust zu verschränken. “Entweder Sie sagen mir jetzt endlich, was Sache ist. Oder ich möchte mich nicht weiter unterhalten. Das ist ja wohl mein gutes Recht, oder?” Die Beamten schauen sich an. “Okay, okay”, wiegelt der eine ab, “es geht um folgendes…”

“… In Hamburg sollen reihenweise Autos in Brand gesteckt werden. Ich weiß nicht, ob die Kollegen sich auch mal auf die Lauer legen oder mehr Streife fahren. Wäre ja vielleicht eine gute Idee, so gute alte Polizeiarbeit. Jedenfalls finden sie die Täter nicht. Und deshalb haben sie jetzt die Idee gehabt, mal nachzuschauen, welche Handys so in die Hamburger Funknetze eingebucht sind. Da läuft dann eine Software drüber. Ihr Anschluss ist dabei halt aufgefallen.”

Genaues wissen die Beamten auch nicht. Oder Sie dürfen es Ihnen zumindest nicht sagen. “Wahrscheinlich waren Sie halt mal in eine Funkzelle in der Nähe eingebucht, als ein Auto ausbrannte. Oder die Hamburger Kollegen finden es komisch, dass Sie nachts um halb drei mal zu Fuß, dann wieder mit einem Auto oder Taxi unterwegs sind. Das kann man nämlich an der Geschwindigkeit erkennen, mit der die Funkzellen wechselten. Wen genau die Kollegen überprüft haben wollen, wissen wir auch nicht. Allein wir hier in Musterstadt müssen heute noch zwei Bürger besuchen.”

Sie nippen am Kaffe und erinnern sich daran, was Sie neulich über DNA-Massentests gelesen haben. Wie die Polizei in Mordfällen etliche hundert Personen mehr oder weniger auf gut Glück bittet, ihre DNA abzugeben, nur weil sie in ein bestimmtes Raster passen. Männlich, über 25, kein Asiate oder Schwarzafrikaner. Oder so ähnlich. Sie haben sogar noch geschmunzelt. Stilvoller kann man ja wohl kaum im Nebel stochern.

Natürlich, so hieß es in der Zeitung, seien die Tests freiwillig. Merkwürdig fanden Sie aber, dass die Polizei dann Leute “besucht”, die ihre Speichelprobe nicht freiwillig abgeben. Ist ja auch eine Art Zwang, haben Sie gedacht. Sie fanden es etwas scheinheilig, erst von Freiwilligkeit zu reden und Menschen, die von ihren Rechten Gebrauch machen, dann durch die Hintertür zu verdächtigen.

Sie überlegten kurz, wie Sie sich verhalten würden. Zu einem Ergebnis sind Sie nicht gekommen. Ist ja auch viel zu unwahrscheinlich, dass einem selbst so was passiert…

Während Sie die Beamten anschauen, kriegen Sie ein flaues Gefühl im Magen. Jetzt, genau in diesem Augenblick, hat es mich erwischt, denken Sie. Und dann werden Sie böse. “Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass ich als Bürger von der Polizei besucht werde, bloß weil ich ein Handy in der Jackentasche habe? Da muss es doch noch was anderes geben.” “Nein”, sagt einer der Polizisten. “So weit wir wissen, sind wir nur hier, weil Sie sich mit Ihrem angeschalteten Mobiltelefon in Hamburg aufgehalten haben.”

Sein Kollege tippt auf den Wohnzimmertisch. “Wissen Sie was, wir sind doch sowieso fertig. Ich meine, Sie sind doch kein Chaot, oder?” Er meint es vielleicht nicht so, aber Sie kriegen die Frage nun wirklich in den falschen Hals. “Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich jetzt gar nichts mehr sage.” “Haben wir”, lacht der Beamte und geht mit seinem Kollegen Richtung Wohnungstür. “Sie können davon ausgehen, dass unser Bericht nichts Negatives enthält.”

Die beiden verschwinden im Treppenhaus, und Sie denken über den letzten Satz nach. Ein Bericht? Die gesamte Befragung geht jetzt also nach Hamburg zur Auswertung und “weiteren Veranlassung”. Da steht wahrscheinlich auch drin, dass Ihre Wohnung aufgeräumt ist, Sie in Trennung leben, aber ansonsten nicht viel dafür spricht, dass Sie Autos anzünden. Allerdings stehe in Ihrem Buchregal schon linke Literatur (“erinnert werden können Werke von Böll und Solschenizyn, zudem alternative Reiseführer”).

Auch wenn nichts weiter passiert, wollen Sie jetzt zu gegebener Zeit die Hamburger Polizei fragen, welche persönlichen Daten über Sie gespeichert sind. Außerdem nehmen Sie sich fest vor, aus dem heutigen Erlebnis eine Konsequenz zu ziehen. Sie werden künftig in solchen Situationen hart bleiben und jede Mitwirkung verweigern. Sie finden nämlich, dass Sie sich nicht kontrollieren lassen müssen, so lange es keinen vernünftigen Verdacht gegen Sie gibt. Vielleicht werden Sie künftig sogar von Ihrem Recht Gebrauch machen, auch als Zeuge gar nicht mit der Polizei zu reden. Auch wenn Ihre Aussage vielleicht wichtig wäre. Aber wer sagt Ihnen, dass man Ihnen nicht aus einer Kleinigkeit einen Strick dreht? Sie werden es jedenfalls aufmerksam beobachten, dieses Gefühl des Misstrauens, das man ganz natürlich gegen jeden hegt, der einem selbst mit Misstrauen begegnet.

Dass es bald mal wieder Besuch von der Polizei gibt, ist für Sie ja auch keineswegs ausgeschlossen. War ja schön in Hamburg. Sie fahren wohl auch künftig hin. Ihr Handy werden Sie wohl eingeschaltet lassen müssen. Denn was passiert wohl, wenn Sie in Hamburg unterwegs sind und bei einer nächtlichen Kontrolle nach einem Autobrand stellt die Polizei fest, Ihr Handy ist ausgeschaltet?

Bericht zu den Überwachungsplänen der Polizei im Hamburger Abendblatt (Link über Google News, da Bezahlschranke)

Bericht in der Welt

Fürsorgliche Seiten

Staatsanwälte entdecken mitunter ihre fürsorglichen Seiten. So ist es ein beliebtes Spiel, zum Glück aber nur bei einer deutlichen Minderheit der Staatsanwälte, Verteidigern eine Besuchserlaubnis für Untersuchungsgefangene zu versagen. Mit der Begründung, der Beschuldigte habe doch schon einen (Pflicht-)Verteidiger und es sei nicht ersichtlich, dass er den Besuch des Anwalts wünscht.

Mit etwas Hartnäckigkeit und der Bereitschaft, mal ein, zwei Etagen höher zu telefonieren, kriegt man als Anwalt den Sprechschein meistens schon. Immerhin ahnen wohl auch die eifrigsten Freunde dieses zeitaufwendigen und nervenzehrenden Spektakels, dass es für einen Rechtsstaat am Ende oft recht merkwürdig aussieht, wenn ausgerechnet der Staatsanwalt bestimmt, welche Verteidiger vorgelassen werden.

Sehr interessant fand ich jetzt die Argumentation eines echten Hardliners. Der setzte sogar ein hochoffzielles Schreiben auf, mit dem er einem Anwalt den Besuch bei einem möglichen Mandanten verweigerte. Hierbei griff er zunächst zur Standardbegründung, wonach der Beschuldigte nicht um einem Besuch gebeten habe.

Meist gibt es eben diese Bitte übrigens schon. Nur findet sie wegen Telefon- und Internetverbots in der Haft sowie endloser Brieflaufzeiten, bedingt durch richterliche Postzensur, vielleicht nicht so schnell “offizielles” Gehör, wie das in so eiligen Verfahren wünschenswert wäre.

Der Staatsanwalt verwies auch darauf, beim Beschuldigten sei einen Tag zuvor ein Nokia-Handy nebst Ladegerät in der Zelle gefunden worden. Die Auswertung der Ruflisten habe ergeben, dass der Beschuldigte mit dem Anwalt, der ihn gern besuchen würde, telefoniert hat. Punkt.

Mir fehlt da jetzt ein wenig die logische Stringenz. Einschieben sollte ich, dass dem Kollegen wohl kaum ein Vorwurf zu machen ist – auch wenn das Schreiben des Staatsanwalts sehr danach klingt.

Jeder Verteidiger bekommt Anrufe von Beschuldigten aus der Untersuchungshaft. Selbst dann, wenn er noch nicht mandatiert ist. Auch in Gefängnissen arbeiten nämlich Menschen, die einen Blick für die Realitäten bewahrt haben. Vollzugsbeamte, aber insbesondere Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger gestatten es immer mal wieder, dass ein Inhaftierter ihren Anschluss oder ihr Handy nutzt. Auch, um Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen.

Der Verteidiger musste also gar nicht wissen, dass ihn sein potenzieller Mandant über ein illegales Handy aus der Zelle anruft. Die bloße Tatsache des Anrufs belegt aber doch letztlich eher, dass der Beschuldigte Interesse daran hatte, dem Anwalt ein Mandat zu erteilen. Vielleicht hätte der Staatsanwalt da einen Tick weiter denken sollen.

Sein Vorgesetzter hat genau das übrigens gemacht. Der Anwalt beschwerte sich eine Etage höher und bekam die Besuchserlaubnis direkt vom Abteilungsleiter.

Knast als Strafe fürs Schulschwänzen

Eine hessische Mutter muss für sechs Monate ins Gefängnis. Sie hat ihren Sohn über längere Zeiträume nicht zur Schule geschickt. Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte jetzt das Urteil der Vorinstanzen, die wegen der Hartnäckigkeit der Frau die gesetzliche Höchststrafe verhängten.

Die alleinerziehende Mutter hatte ihren minderjährigen schulpflichtigen Sohn im Zeitraum November 2008 bis Februar 2009 an insgesamt 37 einzelnen Tagen nicht zur Schule geschickt. Der Sohn stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Wissensstand eines Sonderschülers der 4. Klasse, obwohl er altersgemäß die 9. Klasse hätte besuchen müssen.

Schon seit 2004 hatte das Kind die meiste Zeit in der Schule gefehlt. Die Angeklagte war erst zu Geldstrafen, im September 2008 dann zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Ihr Verhalten habe sie aber nicht geändert, befand das Oberlandesgericht.

Der 2. Strafsenat will den Fall nicht als Bagatelle gewertet wissen. Die allgemeine Schulpflicht diene dem Schutz des Kindes. Sie sichere sein Recht auf Bildung und die Heranbildung zu einem verantwortlichen Staatsbürger. Dieser Schutz werde durch durch die allgemeine Schulpflicht gewährt. Insoweit sei das Erziehungsrecht der Eltern eingeschränkt.

Auch Gegner der Schulpflicht (oder Menschen mit einer Egal-Haltung) müssten deshalb aktiv dafür sorgen, dass ihre Kinder in die Schule gehen. Versagten die Eltern ihrem Kind die Teilnahme am Unterricht, liege hierin ein aktiver Verstoß gegen die Schulpflicht.

Die Mutter habe Hilfsangebote nicht angeommen. Auch der teilweise Sorgerechtsentzug habe nichts bewirkt. Deshalb sei die sechsmonatige Freiheitsstrafe, das Maximum laut Hessicher Schulordnung, durchaus angemessen.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 18. März 2011, Aktenzeichen 2 Ss 413/10

Gericht kippt Handyklauseln

Ein Mobilfunkunternehmen darf sich in den Geschäftsbedingungen für Prepaid-Verträge nicht die Möglichkeit zu unbegrenzten Preiserhöhungen offen halten. Das hat das Landgericht Kiel nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen klarmobil entschieden. Außerdem kippte das Gericht auch noch weitere kundenunfreundliche Klauseln des Telefonanbieters.

Klarmobil hatte sich vorbehalten, die Preise nachträglich durch eine Mitteilung an den Kunden zu ändern. Die Klausel gebe dem Unternehmen die Möglichkeit zu einer einseitigen und unbegrenzten Preiserhöhung, monierten die Richter. In der Klausel sei weder ein Grund für mögliche Preisänderungen genannt, noch sei der Umfang der zulässigen Preiserhöhungen begrenzt. Das sei für den Kunden nicht zumutbar, die Klausel somit unzulässig.

Das Landgericht beanstandete noch mehr Kleingedrucktes.

So darf Klarmobil von seinen Kunden nach einer Kündigung nicht mehr 6 Euro für die Auszahlung eines Restguthabens verlangen. Nach Auffassung der Richter sind Mobilfunkunternehmen zur Erstattung des Restguthabens gesetzlich verpflichtet. Daher sei es unzulässig, die damit verbundenen Aufwendungen auf den Kunden abzuwälzen. Durch die Gebühr werde zum das jederzeitige Kündigungsrecht des Kunden entwertet.

Als unzulässig sahen die Richter auch die Mahnkosten von 9,95 Euro an, die Kunden pro Mahnung zahlen sollten. Die Klausel erfasse auch die erste Mahnung, die den Kunden erst in Verzug setzt. Dafür dürfen Unternehmen aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes generell keine Kosten verlangen.

Klarmobil verlangte außerdem eine Pauschale von 19,95 Euro, falls eine Lastschrift von der Bank nicht eingelöst wird. Auch diese Gebühr ist nach dem Urteil unwirksam. Die Richter gingen davon aus, dass die Pauschale allgemeinen Verwaltungsaufwand durch erhöhte Personalkosten enthält. Das sei unzulässig, jedoch habe das Unternehmen genau dies einem Kunden in einer E-Mail mitgeteilt.

LG Kiel, Urteil vom 17.03.2011, Aktenzeichen 18 O 243/10

Ein Staatsanwalt kann an der Kasse abgeholt werden

Nach der Festnahme eines Mandanten fragte ich die Polizeibeamtin nach dem zuständigen Staatsanwalt. Wäre ja möglich, dass ich mit dem was aushandeln konnte. Sie antwortete:

Es besteht schon ein Haftbefehl, deswegen führen wir den Beschuldigten morgen direkt dem Haftrichter vor.

Okay, okay. Ich wollte mich nicht unnötig ins Prozedere einmischen. Den Staatsanwalt konnte ich mit einem Anruf auch alleine rausfinden; immerhin hatte ich das Aktenzeichen. Weder der Staatsanwalt noch sein Vertreter waren noch im Büro. Umgekehrt wäre überraschender gewesen. Es war deutlich nach 17 Uhr.

Ich begab mich also am nächsten Morgen zur Vorführung am Amtsgericht. Wenige Tage später erhielt ich dann auch Akteneinsicht und las vergnügt, dass es mit der vielbeschworenen Harmonie zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei nicht immer zum Besten steht.

Der Staatsanwalt hatte einen kernigen Aktenvermerk zu Papier gebracht. Ich fasse zusammen: Erst vier Tage nach der Aktion (es lag ein Wochenende dazwischen) habe er von der Festnahme erfahren – und zwar “aus der Lokalpresse”. Niemand bei der Polizei habe es für nötig gehalten, ihn in Kenntnis zu setzen. Kein Anruf. Kein Fax. Keine Mail. Er selbst habe, nachdem er die Zeitungsmeldung gelesen habe,  trotz etlicher Versuche auch niemanden bei der Polizei erreicht. Erst die Haftrichterin habe ihm dann Klarheit verschaffen können, wie es in seinem Fall steht. Da er rein gar nichts wusste, habe er auch die Personenfahndung nicht sofort löschen lassen können, wie es Vorschrift ist.

Ich schätze mal, das läuft für die Polizistin auf einen Anschiss hinaus. Wer jetzt denkt, vielleicht hätte ich mich doch einmischen und verlauten lassen sollen, dass der Staatsanwalt als “Herr des Verfahrens” immer als erster zu informieren ist, liegt leider daneben. Ich wette eine Erwähnung in der Lokalpresse, ich hätte mir nur ein schnippisches “Glauben Sie, ich weiß nicht, wie das läuft?” eingehandelt.

Messerscharfe Schlüsse

Aus einer Anzeige:

An Hand der GPS-Daten zeigte sich, dass sich das Fahrzeug des J. nachts zur Tatzeit manchmal direkt vor Tatobjekten, manchmal in unmittelbarer Nähe zu Einbruchstandorten aufgehalten hat. Bei der Vielzahl der Fälle noch an Zufall zu glauben, wäre phantastisch. Die Häufigkeit impliziert eine Täterschaft des J.

Messerscharfe Schlüsse. Wenn man als richtig unterstellt, dass sich in Deutschland nur der Halter ans Steuer eines Wagen setzen darf und sich jeder daran hält.

Lügner

In Berlin beerdigte letzte Woche die christlich-liberale Koalition eine Erblast. Sie verabschiedete sich von Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornografie. Letztlich siegte in Berlin die Einsicht, Löschen ist besser als Sperren. Eine gewichtige Rolle spielte wohl auch die Überlegung, dass wir mit der geplanten Sperrinfrastruktur eine Technik eingesetzt hätte, der sich bislang nur Länder wie China und Iran bedienen.

An anderen, den Ministerpräsidenten der Länder nämlich, scheinen diese Erkenntnisse abzuperlen. Aber vielleicht hoffen sie auch nur, dass beim Gekungel um Staatsverträge, das tradtionell hinter verschlossenen Türen stattfindet, die Öffentlichkeit weniger genau hinschaut – obwohl die Länderchefs es seit dem Debakel um den Jugendmedienschutzsstaatsvertrag eigentlich besser wissen müssten.

Netzsperren soll es nach dem Willen der Ministerpräsidenten schon sehr bald geben. Die Politiker wollen den Deutschen den Onlinezugang zu “illegalen” Glücksspielangebeoten kappen, indem sie das Fernmeldegeheimnis einschränken. Damit sollen Provider künftig verpflichtet werden, auf Zuruf staatlicher Stellen “unerlaubte Glücksspielangebote” für das deutsche Internet zu blockieren. Diese Maßnahmen ergeben sich sich aus dem aktuellsten Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages (Stand: 4. April 2011), der mir vorliegt.

Schon an der Selbstverständlichkeit, mit der die Ministerpräsidenten Netzsperren für Glücksspielseiten verhängen wollen, zeigt sich die Ehrlichkeit der Entscheidungsträger. Nicht wenige von denen, die jetzt hinter verschlossener Tür am Glücksspielstaatsvertrag feilen, haben in der Diskussion um Stoppschilder versichert, so etwas sei überhaupt nur bei Kinderpornografie denkbar. Keinesfalls würde die Internetzensur auf andere Gebiete ausgeweitet, schon gar nicht aus sozialpolitischen (Suchtprävention)  oder fiskalischen Gründen (Sicherung der Lottereinnahmen für den Staat).

Lügner.

Nach dem aktuellsten Entwurf, der wohl auch zur Abstimmung gestellt wird, sollen die Maßnahmen wie folgt eingeführt werden:

Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann … insbesondere Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses wird insoweit eingeschränkt (§ 9 Abs. 1 Ziff. 4).

Tritt diese Regelung in Kraft, erhalten Behörden erstmals in Deutschland die Möglichkeit, missliebige Seiten durch bloßen Anweisung an die Provider aus dem deutschen Internet verschwinden zu lassen.

Gut, könnte man sagen, immerhin werden betroffenen Seitenbetreiber doch erst mal Widerspruch einlegen und klagen können. Das dürfen sie, aber an der sofortigen Sperrverpflichtung ändert sich nichts. Denn, auch das steht im Entwurf, “Widerspruch und Klage gegen diese Anordnungen haben keine aufschiebende Wirkung”. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Sperren sofort wirksam werden und erst dann wieder aufgehoben werden, wenn ein Gericht sie aufhebt. Was mitunter monate-, wenn nicht jahrelang dauern kann.

Wie die Provider den “Zugang” zu Internetseiten untersagen sollen, ist im Entwurf des Vertrages nicht geregelt. Es kommen also all jene Verfahren in Betracht, die auch beim Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie im Gespräch waren. Die Palette reicht somit von Stoppschildern bis zur Sperrung ganzer IP-Adressenbereiche.

Offenbar sind massive Sperrungen geplant. Der federführende Staatssekretär Rainer Robra aus Sachsen-Anhalt hat nach Berichten geäußert, es könnten bis zu 90 % der in Deutschland erreichbaren Glücksspielangebote geblockt werden.

Die meisten Angebote sind in ihren Heimatländern legal. Bei uns sind sie nur unzulässig, weil sich der Staat an sein Glücksspielmonopol klammert und – offensichtlich um jeden Preis – nicht mal teilweise auf Lotterieeinnahmen verzichten will. Schon wegen der aus ausländischer Sicht absurd strengen deutschen Rechtslage ist nicht damit zu rechnen, dass ein Anbieter seine Seite freiwillig in Deutschland unzugänglich macht. Glücksspielangebote machen einen beträchtlichen Teil des Internets aus. Es dürfte sich also um abertausende Seiten handeln, welche die Behörden in Deutschland blocken wollen. Die hierfür aufzubauende Infrastruktur dürfte weitaus mächtiger und dementsprechend fehleranfälliger ausfallen, als es bei den auf Kinderpornografie beschränkten Sperren der Fall gewesen wäre.

Zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages gehört ein Diskussionspapier, “Eckpunkte” genannt. Überraschenderweise findet sich hierin kein Wort zu den einschneidenden Plänen. Entweder sind sich die Ministerpräsidenten also zutiefst einig über die Einführung einer Internetzensur. Nicht ganz von der Hand zu weisen dürfte aber auch die Möglichkeit sein, dass man die Öffentlichkeit nach Verabschiedung des Vertrags einfach vor vollendete Tatsachen stellen wollte.

Für die Glücksspiel-Sperren sollen künftig die Länderbehörden zuständig sein. Der Entwurf sieht lediglich die Möglichkeit vor, dass sich Länder gegenseitig zur Anordnung der Sperren ermächtigen dürfen. Ob und inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, ist offen.

Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Zugangserschwerungesetz. Hier liefen alle Zuständigkeiten beim Bundeskriminalamt zusammen. Künftig wird es also 16 (!) Behörden geben, die in eigener Regie Internetzensur betreiben können.

Websperren sind übrigens nicht das einzige Mittel, das sich die Ministerpräsidenten ausgeguckt haben. Der Vertragsentwurf sieht auch vor, dass Banken und Kreditkartenfirmen auf Zuruf die Weiterleitung von Zahlungen verboten wird. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für Wetteinsätze, sondern auch für Gewinne.

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Keine Privatfahndung via Facebook

Per Videokamera und Steckbrief auf Facebook fahndete ein Restaurantbesitzer nach einem Brötchendieb. Der Täter konnte ermittelt werden, doch jetzt hat der Detektiv in eigener Sache selbst Ärger. Der Datenschutzbeauftragte stellt ihm ein Bußgeld in Aussicht.

Längere Zeit ärgerte sich der Düsseldorfer Gastronom, dass die morgendliche Brötchenlieferung von der Türschwelle verschwand. Schließlich, berichtet der WDR, brachte er eine Kamera an. Die filmte prompt einen mutmaßlichen Dieb (ob er tatsächlich auch früher schon Brötchen geklaut hat, ist auf jeden Fall offen). Das Video stellte der Restaurantbesitzer auf die Homepage des Lokals und auf seine Facebook-Seite.

Der Fahndungserfolg ließ nicht lange auf sich warten. Das Video wurde eifrig geklickt, und jemand lieferte auch Namen und Adresse einer Person, die darauf zu sehen sein soll.

Die Polizei soll den Gastronomen gelobt haben, doch der nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte mutmaßt gleich zwei Rechtsverstöße. Zum einen sei die Überwachung des Restauranteingangs und Bürgersteigs möglicherweise illegal. Wesentlich schwerer dürfte aber die Privatfahndung via Facebook wiegen. “"Eine solche Öffentlichkeitsfahndung ist der Polizei vorbehalten. Und selbst die braucht dafür einen Gerichtsbeschluss", zitiert der WDR den Datenschutzbeauftragten.

Den Einwand, dass viele die Privatfahndung wahrscheinlich super finden, kontert der Datenschutzbeauftragte laut WDR-Bericht gelassen. “Wie wir damit bei der Öffentlichkeit ankommen, das spielt für uns keine Rolle."

Ein Kollege zum gleichen Thema

Stellen Sie sich nicht so an

Die Polizei in Hannover berichtet von einem Fahndungserfolg. Zwölf Jahre nach der Tat konnte ein mutmaßlicher Vergewaltiger ermittelt werden. Ein DNA-Abgleich brachte die Ermittler auf die Spur des Mannes, der die Tat inzwischen gestanden haben soll.

Die Ermittlungen liefen so ab:

Ende Oktober vergangenen Jahres wurde der bis dahin unerkannte Tatverdächtige in anderer Sache rechtskräftig verurteilt, wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahren war ihm standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden. Sein genetischer Fingerabdruck führte zu einem Treffer in der bundesweit geführten DNA-Analyse-Datei.

Zum Fall möchte ich nichts sagen, sondern zur Informationspolitik der Polizei. Genau genommen nur zu einem Wort in der offiziellen Meldung: Dem Beschuldigten sei standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden, als gegen ihn ermittelt wurde. Das “standardmäßig” taucht heute auch in etlichen Zeitungsberichten über den Fall auf, unter anderem im Hamburger Abendblatt.

Ich weiß nicht, ob die Polizei selbst an das glaubt, was sie schreibt und was die Medien dankenswerterweise nachplappern. Möglicherweise nehmen Beamte heute tatsächlich an, eine DNA-Probe vom Beschuldigten sei ebenso selbstverständlich wie Maßnahmen, die tatsächlich die Regel sind. Fingerabdrücke zum Beispiel. Oder Fotos.

Jedenfalls vertieft die Formulierung beim Leser den Eindruck, den zu vermitteln sich Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften seit geraumer Zeit bemühen. Dass es geradezu 08/15 ist, einem Verdächtigen auf der Polizeiwache das Wattestäbchen in den Rachen zu schieben und ihm eine Speichelprobe zu entnehmen.

Wer möchte dem “Standard” widersprechen? Oder sich gar auflehnen, indem er zum Beispiel mal nach dem fragt, was er tatsächlich muss und was nicht. Statt Beschuldigten nämlich die Rechtslage fair zu erklären, werden ihnen heute gerne diverse Formulare vorgelegt. Darunter auch jenes, mit denen sie sich freiwillig mit einer Speichelprobe und dem späteren Eintrag in die DNA-Kartei einverstanden erklären.

Auf die Unterschrift wird dann genau mit der Einstellung gedrängt, die sich auch aus der Verwendung des Begriffs “standardmäßig” in der Polizeimeldung ergibt. Die Unterschrift wird als bloße Formalität dargestellt, nach dem Motto: Ihre Speichelprobe kriegen wir so oder so. Machen Sie es nicht unnötig kompliziert. Stellen Sie sich nicht so an.

Ich bin täglich überrascht, wie viele Beschuldigte einknicken. (Unabhängig von der großen Zahl derer, die Papiere unterschreiben, ohne sie gelesen zu haben.) Dumm nur, dass die suggerierte Rechtslage überhaupt nicht mit der tatsächlichen übereinstimmt. Auch heute sind DNA-Proben kein Standard, sondern die gesetzliche Ausnahme.

Das ergibt sich schon daraus, dass es für die Polizei neben der schriftlichen Einwilligung des Beschuldigten nur einen Weg gibt, an eine DNA-Probe zu kommen. Das ist die richterliche Anordnung. Der Richter wiederum sagt auch nicht “Standard” und nickt jeden Antrag ab. Vielmehr muss er ins Gesetz schauen und abklopfen, ob die Voraussetzungen für einen zustimmenden Beschluss erfüllt sind.

In der Strafprozessordnung ist dann auch keineswegs festgelegt, dass DNA-Proben standardmäßig zulässig sind – und nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden sollen. Im Gegenteil: Eine DNA-Probe bei einem Verdächtigen kommt nach richterlicher Anordnung nur in zwei Konstellationen in Frage.

Zunächst ist sie möglich, wenn die DNA mit Spurenmaterial abgeglichen werden soll. Solch fallbezogenes Material darf auch nicht einfach später in die zentrale DNA-Datenbank eingespeist werden. Bei so einer DNA-Probe hätte die Hannoveraner Polizei keinen Fahndungserfolg erzielen können – wenn sie sich selbst an Recht und Gesetz hält.

Womit wir bei der zweiten Möglichkeit wären – der Speicherung des genetischen Profils in der zentralen Datenbank. Hier muss der Richter (nicht die Polizei!) prüfen, ob tatsächliche Gründe die Vermutung zulassen, dass der Beschuldigte künftig Straftaten begehen wird. Nicht irgendwelche Straftaten übrigens. Sondern solche von “erheblicher Bedeutung” oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Mir ist schleierhaft, wie man bei solchen Hürden die DNA-Proben als “standardmäßig” bezeichnen kann. Es sei denn, man will Beschuldigte verschaukeln. Und das geltende Recht gleich ein bisschen mit.