Optisch unauffällig

Wahrscheinlich geschah es im Eifer des Gefechts, und der gegnerische Anwalt hatte sich einfach im Gestrüpp der geltend gemachten Ansprüche verwickelt. Für seine Mandanten machte er auch allerhand geltend: Schadensersatz wegen zerstochener Autoreifen, die Kosten einer Videoüberwachung und Unterlassungsansprüche. Da kann man leicht den Überblick verlieren.

Fest steht, dass der Beklagte, mein Mandant, die Autoreifen zerstochen hat. Er schuldet also Schadensersatz. Was mich allerdings wunderte war der Umstand, dass in der Klageschrift die “Eheleute” Paul und Paula Müller gemeinsam die Kosten für neue Reifen und Montage verlangten. Ich entgegnete hierauf etwas, das naheliegt. Dass bei einem ordentlichen deutschen Ehepaar (das habe ich nicht wörtlich so geschrieben) der Ehemann allein Eigentümer und Halter der Familienkutsche ist. Somit ist die Ehefrau juristisch gar nicht in der Position, den Schaden einzuklagen.

Treffer. Der gegnerische Anwalt zeigte sich dennoch kreativ. Dem Gericht erklärte er, die Klägerin sei zwar nicht Eigentümerin oder Halterin. Aber immerhin stehe sie im Versicherungsvertrag als “berechtigte Nutzerin”. Zudem sei die Reparatur aus der Haushaltskasse bezahlt worden. Es handele sich also juristisch um ein “ehebezogenes Geschäft”, so dass die Ehefrau den Betrag sehr wohl einklagen dürfe. Fast trotzig ergänzte der Anwalt, seine Mandantin habe die Sache auch leidvoll gespürt, denn das Geld habe der Familie für Essen, Anschaffungen und Unternehmungen gefehlt.

Wer mehr als zwei Semester Jura studiert hat, kennt den Wert dieser Argumente. Er entspricht ungefähr dem des Euro in einem halben Jahr. Es war in der Sache also kaum mehr als ein geordneter Rückzug. Auch der Richter sagte, es sei immer am besten, wenn Leute nur Ansprüche auch einklagen, die ihnen auch zustehen.

Zum Glück für die andere Seite ging es nicht nur um die etwas verunglückte Klageerhebung. Wir konnten das Thema letztlich dadurch abhaken, dass wir uns auf ein Gesamtpaket einigten. Der unvermeidliche Abschlag wegen der meinem Mandanten zustehenden Verfahrenskosten – er hätte den Prozess gegen die Ehefrau ja in diesem Punkt gewonnen – wurde an anderer Stelle optisch unauffällig verpackt.