Optisch unauffällig

Wahrscheinlich geschah es im Eifer des Gefechts, und der gegnerische Anwalt hatte sich einfach im Gestrüpp der geltend gemachten Ansprüche verwickelt. Für seine Mandanten machte er auch allerhand geltend: Schadensersatz wegen zerstochener Autoreifen, die Kosten einer Videoüberwachung und Unterlassungsansprüche. Da kann man leicht den Überblick verlieren.

Fest steht, dass der Beklagte, mein Mandant, die Autoreifen zerstochen hat. Er schuldet also Schadensersatz. Was mich allerdings wunderte war der Umstand, dass in der Klageschrift die “Eheleute” Paul und Paula Müller gemeinsam die Kosten für neue Reifen und Montage verlangten. Ich entgegnete hierauf etwas, das naheliegt. Dass bei einem ordentlichen deutschen Ehepaar (das habe ich nicht wörtlich so geschrieben) der Ehemann allein Eigentümer und Halter der Familienkutsche ist. Somit ist die Ehefrau juristisch gar nicht in der Position, den Schaden einzuklagen.

Treffer. Der gegnerische Anwalt zeigte sich dennoch kreativ. Dem Gericht erklärte er, die Klägerin sei zwar nicht Eigentümerin oder Halterin. Aber immerhin stehe sie im Versicherungsvertrag als “berechtigte Nutzerin”. Zudem sei die Reparatur aus der Haushaltskasse bezahlt worden. Es handele sich also juristisch um ein “ehebezogenes Geschäft”, so dass die Ehefrau den Betrag sehr wohl einklagen dürfe. Fast trotzig ergänzte der Anwalt, seine Mandantin habe die Sache auch leidvoll gespürt, denn das Geld habe der Familie für Essen, Anschaffungen und Unternehmungen gefehlt.

Wer mehr als zwei Semester Jura studiert hat, kennt den Wert dieser Argumente. Er entspricht ungefähr dem des Euro in einem halben Jahr. Es war in der Sache also kaum mehr als ein geordneter Rückzug. Auch der Richter sagte, es sei immer am besten, wenn Leute nur Ansprüche auch einklagen, die ihnen auch zustehen.

Zum Glück für die andere Seite ging es nicht nur um die etwas verunglückte Klageerhebung. Wir konnten das Thema letztlich dadurch abhaken, dass wir uns auf ein Gesamtpaket einigten. Der unvermeidliche Abschlag wegen der meinem Mandanten zustehenden Verfahrenskosten – er hätte den Prozess gegen die Ehefrau ja in diesem Punkt gewonnen – wurde an anderer Stelle optisch unauffällig verpackt.

Bewährung gegen totales Internetverbot?

Ein komplettes Internetverbot als gerichtliche Weisung – darf es so was geben? Ich verteidige ja häufiger Mandanten, denen Sexualdelikte zur Last gelegt werden. Auch, wenn es um (online bezogene) Kinderpornografie geht. Bislang ist mir aber noch kein Gericht begegnet, das auf den Gedanken gekommen ist, dem Angeklagten nur dann Bewährung zu gewähren, wenn er einen bestimmten Zeitraum offline lebt. Allerdings scheint es so was tatsächlich zu geben.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat schon im Jahr 2010 die gerichtliche Weisung bestätigt, wonach ein Verurteilter vier Jahre jede Nutzung des Internets unterlassen muss und insbesondere keine Internet-Cafés betreten darf. Neulich hatte ich über einen Fahndungserfolg der Tuttlinger Polizei berichtet, die einen wegen Besitzes von Kinderpornografie verurteilten Mann in der City mit einem Smartphone erwischte. Nach der Polizeimeldung hatte er ebenfalls die Weisung, während seiner Bewährungszeit nicht online zu gehen.

Bei einem Termin an einem ostdeutschen Amtsgericht wurde ich heute auch erstmals mit so einer Idee konfrontiert. Normalerweise, erklärte der Staatsanwalt (nicht das Gericht), verlange er bei Bewährungsstrafen wegen des Besitzes von Kinderpornografie immer ein “zweijähriges totales Internetverbot, außerdem die freiwillige Herausgabe aller Computer und Smartphones des Angeklagten”. Das sei auch nichts anderes, als wenn ein Lkw-Fahrer besoffen erwischt wird. “Der ist dann halt den Führerschein los – auch wenn es ihm den Job kostet.”

Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, bis der Staatsanwalt “ausnahmsweise” von der Idee Abstand nahm und sich, wie übrigens auch der Richter, ansonsten als Mensch mit Augenmaß erwies. Dennoch denke ich seitdem darüber nach, ob ein Internetverbot als Weisung im Rahmen der Bewährung tatsächlich vertretbar ist.

In welche Richtung man überlegen muss, verrät der maßgebliche Paragraf 56c Strafgesetzbuch. Darin heißt es zu den zulässigen Weisungen:

Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

Ich finde, das spricht für sich. Der Staatsanwalt war allerdings der Meinung, dass jemand, der an seinem Arbeitsplatz (oder sogar außerhalb der Arbeitszeiten) Mails schreiben oder online gehen muss, halt Pech hat. Dann müsse er halt kündigen – so wie der Führerscheinverlust wegen Alkohol einen Kraftfahrer regelmäßig arbeislos macht. Wir haben auch darüber gesprochen, wie etwa ein Selbständiger so ein Internetverbot bewerkstelligen könnte. Die weitaus meisten Freiberufler wären mit Sicherheit beruflich weg vom Fenster, wenn sie nicht online gehen können.

Dagegen mutet die Frage, ob ein Internetverbot heutzutage privat ebenfalls unzumutbar sein könnte, fast schon nebensächlich an.

Ich warte mit Interesse auf den Tag, an dem einem meiner Mandanten so eine Weisung gegeben wird. Kampflos würde ich sie nicht akzeptieren. Denn, ich wiederhole mich, schon das Gesetz selbst untersagt so ein weitgehendes Verbot.

“Tatort Internet” bringt Bewegung ins Presserecht

Gegen einen Pressebericht zu klagen, der noch gar nicht erschienen und noch nicht mal in Arbeit ist, erschien bislang als aussichtsloses Unterfangen. Da gar nicht klar sein kann, was genau berichtet wird, tun sich Gerichte seit jeher schwer mit vorbeugenden Unterlassungsansprüchen. Zu Recht, denn vorsorgliche Eingriffe riechen nach Zensur. Bewegung in die Sache bringt jetzt ausgerechnet ein seit Anfang an umstrittenes Fernsehformat: “Tatort Internet”. In der Sendung gaben sich volljährige Darstellerinnen als Kinder und Jugendliche aus, um mögliche Kindesmissbraucher vor laufender Kamera zu überführen.

Obwohl überhaupt keine Kinder involviert waren, ließ es sich die Staatsanwaltschaft München I nicht nehmen, zwei in der Sendung vorgeführte Männer wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern anzuklagen. Der zweite Mann sah mit Schrecken, wie eine Münchner Boulevardzeitung über den ersten Prozess berichtete: Der dortige Angeklagte wurde mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen benannt. Außerdem zeigte das Blatt ein verpixeltes Foto von ihm, das im Gericht aufgenommen war. Im Artikel selbst waren Wohnort, Beruf und Alter des Angeklagten erwähnt.

Das wollte der zweite Angeklagte nicht erleben. Deshalb erwirkte er eine einstweilige Verfügung gegen das Boulevardblatt, mit der das Landgericht München I der Redaktion verbot, ähnlich wie über das erste Verfahren zu berichten. Nachdem der Strafprozess zwischenzeitlich stattgefunden hatte, mussten die Gerichte jetzt nur noch über die Kosten des Verfahrens entscheiden.

Sowohl das Landgericht München I als auch das Oberlandesgericht München meinten, die Zeitung hätte den Prozess aller Voraussicht nach verloren. Deshalb habe sie die Kosten zu übernehmen. Das Oberlandesgericht München betont zwar, an die sogenannte “Erstbegehungsgefahr” seien hohe Anforderungen zu stellen. Diese seien aber erfüllt.

Durch den ersten Fall sei absehbar gewesen, wie die Zeitung auch über den zweiten Prozess berichten würde. Dabei habe sich das Blatt unzulässig verhalten, denn der erste Angeklagte sei zumindest für seinen Bekanntenkreis (und alle, die etwas online recherchieren können) identifizierbar gewesen. Wieso die Berichterstattung nun moderater hätte ausfallen können, habe die Zeitung im Prozess nicht überzeugend darlegen können.

Als Ausflüchte wertet das Oberlandesgericht die Behauptung der Zeitung, sie habe von dem zweiten Prozess gar nichts gewusst. Das Gericht verweist auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung, in dem der anstehende Prozess erwähnt werde. Dass die Reporter der Boulevardzeitung andere Lokalblätter nicht lesen, wollten die Richter nicht glauben. Ebenso wenig, dass an dem Blatt die üblichen Terminshinweise des Amtsgerichts München einfach so vorüber gehen.

Eine identifizierende Berichterstattung habe also im Raum gestanden. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass die einstweilige Verfügung Bestand gehabt hätte.

Künftig kann es also leichter möglich sein, auch einmal vor einem Pressebericht die Veröffentlichung bestimmter Tatsachen untersagen zu lassen. Dabei kann es helfen, wenn sich das verklagte Medium schon ähnlich gelagerte Fehltritte geleistet hat.

Link zum Beschluss

Zum gleichen Thema ein Beitrag auf Internet-Law

OLG Köln verbilligt Fotoklau

Fotoklau wird etwas billiger – zumindest im Gerichtsbezirk Köln. Das Oberlandesgericht Köln hat nun festgelegt, dass der Streitwert bei privat oder im Bereich von Kleingewerben unrechtmäßig veröffentlichten Fotos 3.000 Euro beträgt. Bislang ging man in Köln von 6.000 Euro aus.

Das Oberlandesgericht trägt damit nach der technischen Entwicklung Rechnung. Insbesondere verweist es auf die Tatsache, dass heute jedermann im Internet publizieren (und verkaufen) kann. Deshalb sei die Zahl der Veröffentlichungen gestiegen, was zur Folge habe, dass einzelne Verstöße gegen das Urheberrecht heute geringer wögen.

Auch im Vergleich zu Filesharing-Abmahnungen und anderen Verfahren mit Onlinebezug sei ein Gegenstandswert von 3.000 Euro angemessen. Der neue Streitwert gilt insbesondere auch bei Bildern, die unrechtmäßig für ebay-Angebote verwendet werden.

Durch die Reduzierung des Streitwerts werden Anwalts- und Gerichtskosten deutlich günstiger. Außerdem finden die Prozesse jetzt in erster Instanz vor dem Amtsgericht statt. Dort muss man nicht unbedingt einen Anwalt beauftragen.

Link zum Beschluss

Professor: Wulff hat sich strafbar gemacht

In einem 9-seitigen Aufsatz geht der Staats- und Verwaltungsrechtler Hans Herbert von Arnim der Frage nach, ob sich Bundespräsident Christian Wulff strafbar gemacht und gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen hat. Von Arnim beschäftigt sich lediglich mit dem Darlehen über 500.000 Euro, das Wulff von der Ehefrau des mit ihm befreundeten Unternehmers Geerkens erhalten hat, nicht aber mit anderen Vorwürfen gegen den Bundespräsidenten.

Das Ergebnis der Betrachtung fällt eindeutig aus. Wulff hat sich laut von Arnim wohl wegen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme im Amt strafbar gemacht. Die Gegenleistung Wulffs für das Darlehen sieht von Arnim schon darin, dass Geerkens den damaligen Ministerpräsidenten auf Auslandsreisen begleiten durfte. Als Mitglied der Wirtschaftsdelegation habe er so leicht und bevorzugt Kontakte knüpfen können. Außerdem konstatiert von Arnim, Wulff habe gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen.

Nach Auffassung des Juristen müsste sich Wulff also als Angeklagter vor einem Strafgericht verantworten. Und, zusätzlich, vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof.

Der Aufsatz ist hier nachzulesen.

Lehrer liebt ungestraft 14-jährige Schülerin

Für Schlagzeilen sorgt heute der Fall eines 32-jährigen Lehrers, der mit einer 14 Jahre alten Schülerin eine sexuelle Beziehung hatte. Trotzdem sprach ihn das Oberlandesgericht Koblenz jetzt frei.

Die Begründung des Gerichts beruht im wesentlichen darauf, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern nur bis zu einem Alter von 14 Jahren möglich ist. Einvernehmlicher Sex mit über 14-Jährigen ist nur dann strafbar, wenn ein Obhutsverhältnis besteht oder finanzielle Zuwendungen erfolgen.

Das Oberlandesgericht konnte nicht erkennen, dass es sich bei dem Mädchen um eine “Schutzbefohlene” des Pädagogen handelte. Dieser war in ihrer Klasse nämlich nur als Vertretungslehrer tätig gewesen.

Ich habe vor einiger Zeit zusammengefasst, wie das Strafrecht sexuelle Kontakte mit Jugendlichen behandelt. Hier noch mal die Übersicht:

Personen bis 14 Jahre

Sexualkontakte mit Personen bis 14 Jahren sind stets strafbar. Dies gilt auch dann, wenn das Opfer mit dem Kontakt einverstanden war oder ihn vielleicht sogar gesucht hat. Das Gesetz will die Entwicklung sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit schützen, indem es Sex bis zum Alter von 14 Jahren stets unter Strafe stellt.

Auch 14-jährige oder ältere Jugendliche, die zum Beispiel etwas mit  Zwölf- oder 13-Jährigen anfangen, machen sich strafbar. Sind die Partner dagegen beide unter 14 Jahren alt, können beide nicht belangt werden – sie sind bis zu ihrem 14. Geburtstag strafunmündig. Das bedeutet, dass sie grundsätzlich strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Personen bis 16 Jahre

Menschen ab 14 Jahren sind Sexualkontakte gestattet.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Etwa, wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Wer sich ab diesem Alter mit 14- bis 16-Jährigen einlässt, kann sich strafbar machen. Allerdings ist dies nur der Fall, wenn der Betreffende “die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt”. An diese Ausnutzung stellen Gerichte übrigens keine hohen Anforderungen. Es reicht nach meiner Erfahrung schon aus, wenn der über 21-jährige Beschuldigte mit seinem tollen Auto geprotzt hat oder übertrieben seinen Charme spielen ließ.  

Das Gesetz versucht die bis zu 16-Jährigen auch dadurch zu schützen, indem es die “Schaffung von Gelegenheiten” unter Strafe stellt. Wer also zum Beispiel einem 15-Jährigen seine Wohnung für Sexualkontakte mit Dritten (das kann auch die gleichaltrige Freundin sein) zur Verfügung stellt, macht sich strafbar. Ein anderer Fall wäre die Party, bei welcher der Gastgeber es duldet, dass sich unter 16-Jährige in ein Schlafzimmer im Obergeschoss zurückziehen.

Nur Sorgeberechtigte dürfen “Gelegenheiten” verschaffen. Wenn also Eltern ihrer 15-jährigen Tochter erlauben, dass ihr Freund in der Wohnung übernachtet, ist das nicht strafbar. Ausnahme: Die Eltern verletzen dadurch “gröblich” ihre Erziehungspflicht.

Personen ab 16 Jahre

Mit Jugendlichen ab 16 Jahren sind einvernehmliche Sexualkontakte gestattet, auch wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Über 16-Jährige hält das Strafgesetzbuch grundsätzlich für in der Lage, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ohne Einschränkung wahrzunehmen.

Sexuelle Kontakte gegen Entgelt bzw. in einem besonderen Näheverhältnis

“Einvernehmlich” sind Sexualkontakte allerdings dann nicht mehr, wenn Volljährige für Sex mit 14- bis 18-Jährigen zahlen. Hierbei muss nicht unbedingt Bargeld fließen. Es reicht aus, irgendwelche geldwerten Vorteile für Sex in Aussicht zu stellen – das kann auch eine Kinokarte sein.

Besondere Regelungen gelten auch für Ausbilder, Pfleger und Heimpersonal. Sie dürfen keinesfalls Sexualkontakte mit unter 16-Jährigen aufnehmen, die ihnen beruflich “anvertraut” sind. Bei 16-18-Jährigen sind solche Kontakte untersagt, wenn der Betreffende das bestehende Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt.

Duz-Verbot für Verteidiger

Der Berliner Rechtsanwalt Carsten Hoenig verteidigt einen befreundeten Rechtsanwalt. In der Hauptverhandlung begab sich folgendes:

Die Richterin begann in eisigem Ton, die Personalien abzufragen. Ich hatte dann noch ergänzende Fragen an den Mandanten zur Person – es gab ein paar Probleme mit der wirksamen Zustellung des Strafbefehls und der Ladung zum Hauptverhandlungstermin.

“Seit wann wohnst Du dort und seit wann bist Du dort behördlich angemeldet?”

Bevor der Mandant antworten konnte, richtete sich die Richterin an mich:

“Herr Verteidiger. Können Sie bitte den Angeklagten Siezen, wie es sich hier bei Gericht gehört?!”

Hoenig räumt ein, er sei zunächst sprachlos gewesen. Ich glaube, das wäre mir auch passiert, so absonderlich ist die Auffassung der Richterin zu dem, was sich vor Gericht gehört.

Dem Verteidiger vorschreiben zu wollen, in welcher Höflichkeitsform er mit seinem Mandanten kommuniziert, geht deutlich über die gängigen Empfindlichkeiten hinaus. Ein Evergreen ist zum Beispiel das Verlangen, dass kein Prozessbeteiligter eine Kopfbedeckung trägt. Obwohl es mittlerweile glücklicherweise genug Richter gibt, die über so was stehen. (Vielleicht sind sie auch nur vor dem Umstand resigniert, dass in gewissen Zeugenkreisen die Kappe heutzutage angewachsen ist.)

Für das von der Berliner Richterin reklamierte Duz-Verbot zwischen Verteidiger und Mandant gibt es – natürlich – keine gesetzliche Grundlage. Und ebenso wenig einen verbindlichen Brauch, auf den man sich berufen könnte. 

Das Ansinnen ist deshalb schon ein ziemlicher Affront. Aber auf diesen hat der Kollege dann ja doch noch richtig reagiert, indem er die Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragte, sicherlich, um einen Befangenheitsantrag zu stellen.

Majestätsbeleidigung in Schland

Das Social Web kostet die Affäre um den Bundespräsidenten weidlich aus: Wulff-Witze, Wulff-Karikaturen und vor allem Fotomontagen schwappen seit Wochen durch Facebook, Google+, Twitter, Blogs und die Leserkommentare der Nachrichtenportale. Nicht alles ist gelungen, vieles liegt deutlich unter der Gürtellinie oder ist zumindest von der Wortwahl schwer zu verdauen. Nur wenige scheinen zu wissen, dass Wulff dank seines Amtes exklusiv ein schneidiges Schwert in der Hand hat, um seinen Ruf auf juristischem Wege zu verteidigen: den Straftatbestand “Verunglimpfung des Bundespräsidenten”.

Für das ZDF-Blog “Hyperland” habe ich aufgeschrieben, was es damit auf sich auf sich hat.

Ungefragt ins mobile Internet

Vor kurzem haben wir an einen Mobilfunkanbieter geschrieben. Grund war ein ziemlich krasser Fall von Falschberatung. Das las sich so:

Für unseren Mandanten widersprechen wir der Berechnung von jeweils 243,70 € netto in den Rechnungen vom 7. November 2011 für beide oben genannte Rufnummern. Die jeweils genannten Kosten für „Internet/E-Mail“ können Sie unserem Mandanten nicht berechnen.

Unser Mandant hatte die Verträge am 11. Oktober 2011 gekündigt. Am 14. Oktober 2011 fragte Ihr Unternehmen telefonisch, ob die Verträge nicht in einen günstigeren Tarif umgestellt werden könnten. Telefonisch wurde unser Mandant dann entsprechend beraten; er folgte der Tarifempfehlung.

Bei dieser Beratung gab es keinerlei Hinweis darauf, dass der empfohlene Tarif keine Freiposten für die Internetnutzung enthält. Ihren Mitarbeitern hätte leicht auffallen können, dass die Handys unseres Mandanten internetfähig sind und auch eigenständig Daten abrufen. Von daher verbot es sich von vornherein, unserem Mandanten einen derartigen Tarif zu geben. Unser Mandant wurde auch mit keinem Wort darüber aufgeklärt, dass die Internetnutzung nicht im Preis enthalten ist.

An sich wäre dies nicht problematisch gewesen, da unser Mandant und seine Ehefrau selbst mit dem Handy nicht online gehen. Allerdings haben Sie unserem Mandanten damals subventionierte Geräte verkauft, welche automatisch und ungefragt Software aktualisieren. Laut Einzelverbindungsnachweis sind die nunmehrigen Internetkosten von jeweils 243,70 € netto ausschließlich zur Aktualisierung des „Navigators“ entstanden. Beim Navigator handelt es sich nach unserer Kenntnis um eine von Ihrem Unternehmen aufgespielte Navigationssoftware.

Unser Mandant ist also falsch beraten worden. Für diesen Fall ist mittlerweile gerichtlich geklärt, dass der Kostenforderung ein aufrechenbarer Anspruch gegenüber steht. Wir verweisen insoweit auf das Urteil des Landgerichts Münster vom 18. Januar 2011 (6 S 93/10).

Aus vorgenannten Gründen bitten wir Sie, die Forderungen auszubuchen. Bitte bestätigen Sie dies. Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass unsere Mandanten die Internetgebühren auf keinen Fall bezahlen werden. Es bringt also nichts, weitere Abbuchungen zu versuchen oder die Sache an ein Inkassobüro abzugeben.

Vielmehr wäre dann eine gerichtliche Klärung erforderlich.

Heute kam die Antwort. Das Unternehmen bedauert die Sache und schreibt dem Kundenkonto 650,00 Euro gut. Mittlerweile sind auch die Verträge in einen akzeptablen Tarif umgestellt, bei dem ein paar hundert MB Internetnutzung inklusive sind.

Der redselige Strafverteidiger

ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt berichtet hier mit nicht zu überlesender Hochachtung von einem Rechtsanwalt, der ungefragt mit heiklen Informationen über Beate Zschäpe aufwartet. Der Strafverteidiger will die Terrorverdächtige womöglich letztes Jahr in einem Gerichtssaal gesehen und mit ihr gesprochen haben. Sie soll ihm nach einer Visitenkarte gefragt und dabei gesagt haben, sie brauche einen Anwalt.

Meine Hochachtung für den auskunftsfreudigen Kollegen hält sich in Grenzen. Nach Schmidts Schilderung sprach die Frau, die Zschäpe gewesen sein soll, den Strafverteidiger in seiner Eigenschaft als Anwalt an. Auch wenn sie sich später nicht mehr bei ihm gemeldet hat und es somit nicht zu einem Mandat gekommen ist, unterliegt dieser Vorgang bereits der anwaltlichen Schweigepflicht. Auch Anbahnungsgespräche, und seien sie noch so unverbindlich, sind bereits ein heikler Vorgang, über den ein Anwalt nur mit Einverständnis seines Mandanten Auskunft geben darf.

Unabhängig vom Berufsrecht stellt sich auch die Frage, ob sich der Verteidiger durch seine Auskünfte sogar strafbar macht. § 203 Strafgesetzbuch untersagt es Privatgeheimnisse auszuplaudern, die einem “als Rechtsanwalt … sonst bekannt geworden sind”. Das Strafgesetz knüpft nur daran an, dass der Anwalt was in seiner beruflichen Eigenschaft erfahren hat; ein Mandat ist gar nicht erforderlich.

Zschäpes mögliche Anwesenheit in einem Gerichtssaal ist ein Privatgeheimnis. Denn dazu gehören personenbezogene Informationen jeder Art, sofern der Betroffene ein Interesse an ihrer Geheimhaltung hat. Da Beate Zschäpe derzeit selbst nichts sagt, wird sie kaum wollen, dass der Rechtsanwalt den Ermittlern brisante Interna aus ihrem Leben ausplaudert.

Der Anwalt sagt laut Schmidt, er wolle sich nicht profilieren, sondern wenn, dann nur helfen. Das klingt ziemlich selbstvergessen.

Gut möglich, dass er selbst bald Hilfe braucht.

Die fürsorgliche Richterin

Bußgeldsachen sind Massenware. Ich kann es gut verstehen, dass mancher Richter vor den Aktenbergen kapituliert und in eine Abwehrmentalität verfällt. Ziel: eine Hauptverhandlung möglichst vermeiden.

Um gerade Verkehrssünder zu einer Einspruchsrücknahme zu bewegen, erteilen diese genervten Richter im Vorfeld gerne Hinweise. Zum Beispiel, dass die Radarfalle dem Gericht hinreichend bekannt ist und diverse Sachverständige in letzter Zeit bestätigt haben, die Anlage sei technisch in Ordnung.

Eine für mich neue Prozessvermeidungsstrategie wendet eine Bußgeldrichterin am Amtsgericht Euskirchen an. Sie schreibt mir, nachdem ich gegen den Bußgeldbescheid wegen einer Temposünde Einspruch eingelegt habe:

… beabsichtigt das Gericht bei der Frage der Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Messung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Da hierdurch erhebliche Kosten verursacht werden, die im Fall einer Verurteilung von dem Betroffenen zu tragen sind, wird rechtliches Gehör gewährt.

Das klingt nur vordergündig nett. Gemessen wurde nämlich an einem stationären Blitzer, der ausweislich des Messprotokolls in der betreffenden Woche immerhin 243 Temposünder überführte. Man darf also mit Fug und Recht vermuten, dass der Richterin schon mal der eine oder andere Fall vorgelegen hat, in dem die Anlage eine Rolle spielt.

Interessanterweise verrät die Richterin in ihrem Brief nicht, wieso sie von sich aus – also quasi von Amts wegen – so große Zweifel an der Messung hat, dass ein Sachverständiger sich die Sache ansehen soll. Ich habe für meinen Mandanten bislang jedenfalls noch nicht gesagt, warum wir das Bußgeld anfechten. Es könnte zum Beispiel auch sein, dass er nicht der Fahrer ist.

Die Zweifel des Gerichts sind also hausgemacht – wenn sie denn überhaupt echt sind. Ich bezweifle das. Denn dann läge es ja nahe, dass die Richterin auch gleich erklärt, was sie stutzig gemacht hat. Ich ließe mich doppelt gern belehren, da ich, ehrlich gesagt, in der Akte nichts gefunden habe, was an der Korrektheit der Messung zweifeln lässt.

Bislang klingt das Schreiben also nach einer ziemlich durchsichtigen Drohgebärde. So ein Gutachten kostet schnell mal ein-, zweitausend Euro. Ein Betroffener ohne Rechtsschutzversicherung dürfte da sofort in die Knie gehen. Und genau das wird wohl beabsichtigt sein.

Ich antworte jetzt erst mal höflich und frage, welche sachlichen Gründe das Gericht zu so großer Fürsorge bewegen, dass gleich ein Sachverständiger eingeschaltet werden soll. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, könnte das nächste Schreiben aber ein Befangenheitsantrag sein.

Was ist ein geschlossener Raum?

Es kommt vor, dass Gefangene sich nackt ausziehen müssen und dann “durchsucht” werden. Für die Aktion sind gewisse Mindeststandards zu beachten, die in den Strafvollzugsgesetzen der Länder geregelt sind. Für Hessen stellt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nun in einem Beschluss klar, dass eine Nacktkontrolle nur in einem geschlossenen Raum stattfinden darf, in dem sich keine anderen Gefangenen aufhalten.

Zum Streit war es gekommen, weil ein hessisches Gefängnis nach Besuchen Nacktkontrollen durchführte, hierbei nach Auffassung eines Gefangenen aber nicht die Vorgaben des Gesetzes beachtete. Die Haftanstalt kontrollierte Gefangene regelmäßig in einem Raum im Bereich der Innenpforte, dessen Ausgang mit einem Vorhang versehen war, der während der Durchsuchung zugezogen wurde. Darüber hinaus war eine Schamwand aufgebaut, hinter der sich der Gefangene entkleiden konnte.

Der Kontrollraum besaß einen weiteren Durchgang zu einem Nebenraum, in dem Automaten aufgestellt sind, aus denen Gefangene nach Besuchen Genussmittel erwerben können. Dieser Durchgang war weder mit einem Vorhang noch einer Tür versehen. 

So eine räumliche Situation ist kein “geschlossener Raum”, wie ihn das hessische Strafvollzugsgesetz für solche Maßnahmen vorschreibt. Das befand schon das Landgericht Gießen, welches kurz und knapp urteilte, ein geschlossener Raum setze nach dem Wortsinn voraus, dass er mit Türen versehen sei. Vorhänge oder andere Abtrennungen reichten deshalb nicht.

Der Gefängnisleiter war der Meinung, damit überspanne das Gericht die Anforderungen. Jedoch stellt auch das Oberlandesgericht Frankfurt sich auf den Standpunkt, ein geschlossener Raum müsse eine Tür haben. Nur dort seien Durchsuchungen nackter Gefangener zulässig, und auch nur dann, wenn keine anderen Inhaftierten sich im Raum befinden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. November 2011, Aktenzeichen 3 Ws 836/11.

Mobilfunk: Keine Strafen für Nichttelefonierer

Im harten Preiskampf verwenden Mobilfunkanbieter viel Energie darauf, beim Kunden verdeckt abzukassieren. Etliche dieser Versuche scheitern allerdings vor Gericht. So musste sich das Landgericht Kiel jetzt mit der Frage beschäftigen, ob eine rückwirkende Nichtnutzungsgebühr von 4,95 Euro pro Monat und ein Pfand für die SIM-Karte zulässig sind.

Mit der Nichtnutzungsgebühr hatte es der Anbieter auf besonders sparsame Kunden abgesehen. Die Klausel lautete:

Wird in 3 aufeinander folgenden Monaten kein Anruf getätigt bzw. keine SMS versendet, wird dem Kunden eine Nichtnutzungsgebühr in Höhe von € 4,95 monatlich in Rechnung gestellt.

Mit dieser faktischen Strafe fürs Nichttelefonieren konnten sich die Richter nicht anfreunden. Die Klausel verkehre das Prinzip, dass man nur dann bezahlt, wenn man auch anruft oder simst, in sein Gegenteil. Das benachteilige den Kunden über Gebühr; überdies müsse niemand mit so einer Regelung im Kleingedruckten rechnen.

Auch einem Pfand von 9,95 Euro, welches bei Nichtrückgabe der SIM-Karte bis 14 Tage nach Vertragsende fällig werden sollte, erteilte das Landgericht Kiel eine Abfuhr. Hierbei handele es sich um einen pauschalierten Schadensersatz. Dieser sei aber allenfalls dann zulässig, wenn der Kunde einen geringeren Schaden nachweisen könne.

Die Richter weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Schaden für die Mobilfunkfirma wahrscheinlich sowieso unter 9,95 Euro liege, denn eine gebrauchte SIM-Karte sei nach Vertragsende praktisch wertlos. Außerdem müsste die Klausel eine Aussage darüber treffen, ob das Pfand auch nach Ablauf von 14 Tagen erstattet wird, wenn der Kunde die SIM-Karte doch noch einschickt.

Geklagt hatten die Verbraucherzentralen.

Landgericht Kiel, Urteil vom 29. November 2011, Aktenzeichen 2 O 136/11

Urlaub kann nicht angespart werden

Langzeiterkrankte Arbeitnehmer müssen sich darauf einrichten, dass ihre Urlaubsansprüche schneller verfallen. Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ist dies spätestens 15 Monate nach Ablauf des Jahres der Fall, in dem die Urlaubsansprüche entstanden sind. Die süddeutschen Richter ziehen damit die Konsequenz aus einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Das Bundesarbeitsgericht hatte noch 2009 entschieden, dass bei einer Dauererkrankung Urlaubsansprüche nicht schon im März des Folgejahres verfallen, sofern der Urlaub bis dahin nicht genommen werden konnte. Dadurch war es für arbeitsunfähig Erkrankte möglich geworden, Urlaub über mehrere Jahre anzusparen. Im Falle des späteren Ausscheidens aus der Firma hatten sie dann zum Beispiel einen Abgeltungsanspruch.

Der Europäische Gerichtshof meint jedoch in einem im Herbst letzten Jahres verkündeten Urteil, eine gesetzliche Obergrenze von 15 Monaten sei bei krankheitsbedingt nicht genommenem Urlaub europarechtlich in Ordnung. Genau diese zeitliche Grenze sieht die geltende Fassung des Bundesurlaubsgesetzes auch vor.

Die Richter am Landesarbeitsgericht Baden Württemberg folgten nun dieser Ansicht. Ein Mann war nach langer Erkrankung aus seiner Firma ausgeschieden. Für seinen während dreier Jahre nicht genommenen Urlaub verlangte er eine Abgeltung. Das Landesarbeitsgericht sprach ihm wegen der 15-Monats-Grenze aber nur das Geld für ein Jahr zu.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Dezember 2011, Aktenzeichen 10 Sa 19/11

Wulff und die Verschwiegenheit

Für seinen Mandanten muss sich ein Anwalt auch mal nach der Decke strecken. Muss er aber auch Unsinn erzählen? Diese Frage stellte ich mir heute morgen, als ich die jüngste Erklärung des Kollegen Gernot Lehr las.

Rechtsanwalt Lehr vertritt den ersten Mann in unserem Staate und bemühte sich in dieser Eigenschaft, eine Zusage des Bundespräsidenten im Fernsehinterview mit ARD und ZDF zu relativieren. Wulff hatte dort in Aussicht gestellt, er werde alle 400 Fragen herausgeben, die ihm im Rahmen der Kreditaffäre gestellt wurden. Und natürlich die Antworten, welche er samt uns sonders über seinen Anwalt Gernot Lehr geben ließ.

So viel Transparanz soll nach Lehrs Worten nun doch nicht sein. Der Anwalt erklärte laut Tagesspiegel:

Der im Mandantenauftrag geführte Schriftverkehr zwischen Anwälten und Dritten fällt unter die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht.

Die Aussage ist natürlich richtig. Aber sie ist nicht mal ansatzweise geeignet, die Nichtveröffentlichung der Fragen und Antworten zu begründen.

Die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts gilt einzig und allein gegenüber dem Mandanten, nicht gegenüber Dritten. Lehr kann tatsächlich nichts veröffentlichen, wenn Christian Wulff es nicht will. Stimmt Wulff aber der Veröffentlichung zu, hat sich das Argument Verschwiegenheitspflicht damit erledigt.

Der Mandant entscheidet ganz allein, ob und in welchem Umfang er seinen Anwalt an der Schweigepflicht festhält. Christian Wulff könnte also ganz einfach zu Rechtsanwalt Lehr sagen, dass er mit der Veröffentlichung der Fragen und Antworten einverstanden ist – so wie er das im Fernsehen angekündigt hat. Ab diesem Moment wäre die Verschwiegenheitspflicht kein Thema mehr. (Ebenso wenig wie der Persönlichkeitsschutz der Anfragenden, denn deren Namen könnte man ja weglassen.)

Ich finde es schon bedenklich, dass Wulffs Anwalt hier ernsthaft den Eindruck erwecken zu versucht, es bestünden nicht ausräumbare juristische Probleme aus dem Mandatsverhältnis, welche die von seinem Mandanten angekündigten Transparenzoffensive verhindern. Wenn der Kollege Lehr sich argumentativ etwas zu weit nach der Decke streckt, fällt dies letztlich auch auf Christian Wulff zurück. Aber womöglich ist der nach der Mailbox-Geschichte ja schon weitgehend schmerzbefreit.