Die fremde Verhältnismäßigkeit

Weit mehr als ein Jahr hat das Amtsgericht Dresden offenbar gegrübelt, wie es sich zu der Abfrage von mehr als einer Million Mobilfunk-Standortdaten bei einer Demonstration im Februar 2011 stellt. Nun hat das Gericht, welches die großflächige Handy-Überwachung der Dresdner Innenstadt auch selbst angeordnet hat, entschieden: Die Maßnahme sei rechtmäßig gewesen.

Bislang ist nur eine Pressemitteilung der sächsischen Justiz bekannt, die interessanterweise am Freitagabend – zwei Tage nach dem Beschluss – herausgegeben wurde. Betroffene Antragsteller sollen, so die taz, erst aus der Presse von der Entscheidung erfahren haben.

Der dürftige Inhalt der Erklärung lässt darauf schließen, dass sich das Amtsgericht Dresden streng ans Gesetz gehalten, aber bei der entscheidenden Frage die Augen verschlossen hat. Die Strafprozessordnung lässt eine Funkzellenabfrage bei Straftaten von “erheblicher Bedeutung” zu, wenn sonstige Fahndungsmaßnahmen aussichtslos oder wesentlich erschwert sind.

Nun hatte die sächsische Polizei am Demonstrationstag wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung durch mutmaßlich gewaltbereite Demonstranten ermittelt, außerdem wegen gefährlicher Körperverletzung. Ob und wie konkret der Tatverdacht war, ist bis heute nicht klar. Jedenfalls ist gerade die Bildung einer kriminellen Vereinigung ein beliebtes Instrument, um eine Sache auf gehobenes Kriminalitätsniveau zu hieven – gerade wenn man auf Ermittlerseite ansonsten kaum was in der Hand hat.

Dass die Daten dann auch in zahlreiche Ermittlungsakten gelangt sind, die mit den auslösenden Verfahren gar nichts zu tun haben, spricht in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache. Die taz schreibt von 45 leichteren Fällen, in die Ergebnisse der Funkzellenabfrage eingeflossen sein sollen.

Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Abfrage theoretisch vorgelegen hätten, gibt es immer noch ein Korrektiv. Das ist die Verhältnismäßigkeit. Bei der Funkzellenabfrage in Dresden sind ja nicht nur über eine Million Standortdaten verarbeitet worden, es waren auch abertausende Menschen davon betroffen. Jeder mit Mobiltelefon, der am Demonstrationstag  unterwegs war (oder daheim vor dem Fernseher saß), wurde standortmäßig erfasst. Darunter auch Ärzte, Priester, Anwälte und Journalisten.

Hier muss gefragt werden, ob der mögliche Erfolg einer Fahndung noch mit dieser Unzahl beeinträchtigter Bürger- und Datenschutzrechte in Einklang zu bringen ist. Für mich lautet die Antwort ganz klar nein. Das Amtsgericht Dresden hat dagegen erklärt, die Funkzellenabfrage sei noch der mildeste Eingriff in die Rechtspositionen Dritter gewesen.

Was, so könnte man dem entgegenhalten, hätte die Polizei denn sonst an dem Tag mit allen Handynutzern in Dresden veranstalten können? Die Stadt in Gewahrsam nehmen, jedermann Fingerabdrücke abnehmen, gleich mal alle Handys abhören, Alibis verlangen? Das anklingende Argument, der Handynutzer spüre es nicht, wenn seine Handydaten abgefragt werden und er habe auch nichts zu befürchten, wenn er nichts zu verbergen hat, greift hier doch offensichtlich etwas kurz.

Wenn man nicht zumindest über die Verhältnismäßigkeit Grenzen für Fahndungsmaßnahmen setzt, verkommen diese zu Standardinstrumenten. Denn genutzt werden alle technischen Möglichkeiten, sobald sie vorhanden sind. Die einzige Hürde kann die Juristische sein. Die Grenzen müssen Richter setzen. In Dresden hat jemand diese Chance erst mal verspielt.  

(via netzolitik.org)