Facebook darf weiter anonyme Konten sperren

Facebook darf vorerst weiter die Konten von Nutzern sperren, die nicht ihre Klarnamen angeben. Das Unabhängige Landeszentrums für Datenschutz (ULD) hatte von Facebook gefordert, auch solche Konten zu tolerieren. Gegen die Bescheide hat Facebook geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig bestätigte nun, dass Facebook zunächst weiter Konten schließen darf, wenn der Nutzer seinen echten Namen verschweigt.

Das ULD hatte unter Verweis auf das deutsche Datenschutz- und Telemedienrecht Facebook USA und Facebook Irland aufgegeben, Nutzern die Angabe eines Pseudonyms zu ermöglichen und Konten in diesen Fällen zu entsperren. Das Verwaltungsgericht hatte den Eilanträgen von Facebook hiergegen stattgegeben, weil deutsches Recht nach der Europäischen Datenschutzrichtlinie und dem Bundesdatenschutzgesetz auf die Verarbeitung der Facebook-Nutzerdaten nicht anwendbar sei. Vielmehr gelte ausschließlich irisches Datenschutzrecht, weil sich Facebooks Server und Firmensitz in Irland befinden.

Nach Auffassung der Richter orientiert sich die datenschutzrechtliche Verantwortung am Ort des Firmensitzes. Dementsprechend sei irisches Datenschutzrecht anwendbar. Das ULD habe in dem Verfahren aber nicht darlegen können, dass auch nach irischem Recht anonyme Konten möglich sein müssen.

Dass Facebook für die Vermarktung seines Angebots eine deutsche Tochterfirma betreibt, spiele keine Rolle. Dieses Unternehmen sei nur für Anzeigenakquise und Marketing zuständig (Beschlüsse vom 22. April 2013, Aktenzeichen 4 MB 10/13 und 11/13).

Gefährliche Verteidiger

Nachdem sich das Oberlandesgericht München im noch nicht mal begonnenen NSU-Prozess schon mit der Platzvergabe an die Auslandspresse vergriffen hat, droht schon eine weitere Eskalation. Der Vorsitzende des Strafsenats hat angeordnet, dass die Verteidiger von Beate Zschäpe vor jeder Verhandlung körperlich durchsucht werden. Andere Verfahrensbeteiligte, etwa Justizbedienstete, Staatsanwälte und selbstverständlich auch die Richter, sind davon ausgenommen.

Der Gerichtsvorsitzende Manfred Götzl begründet die besonderen Körperkontrollen mit der Gefahr, die Anwälte könnten Waffen oder Sprengstoff in den Gerichtssaal schmuggeln. Wieso Götzl ausgerechnet so eine Gefahr bei den Verteidigern herleitet, geht aus seiner Anordnung nicht hervor.

Die Anwälte sehen darin eine “offene Diskriminierung” und werden sicher alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um sich gegen das Prozedere zu wehren. Völlig zu Recht, denn eine Durchsuchung vor jedem Betreten des Verhandlungssaals greift tief in die Berufs- und Freiheitsrechte jedes Anwalts ein. Das gilt umso mehr, als es offenbar nicht ausreichen soll, wenn die Verteidiger durch einen Metalldetektor gehen. Sie sollen offenbar abgetastet werden oder sich gar ausziehen müssen. Das wäre ganz einfach entwürdigend.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Gericht einen konkreten Verdacht gegen die Verteidiger hegt. Das würde mich schon deshalb wundern, weil es sich um Juristen handelt, die in Gerichtssälen bisher nicht durch unseriöses Handeln aufgefallen sind. Auch der Anwaltskollege Detlef Burhoff, in seinem ersten Leben Richter am Oberlandesgericht Hamm, kennt die Betroffenen zum Teil persönlich und teilt meine Einschätzung.

Wenn das Gericht aber nur eine theoretische Gefahr dafür sieht, dass Anwälte sich als Waffenschmuggler betätigen, ist die Anordnung gegenüber den Verteidigern überzogen. Auch andere Prozessbeteiligte, die nicht kontrolliert werden, könnten ebenso gut Waffen schmuggeln. Was ist etwa mit der Möglichkeit, dass Dritte einen Gerichtsmitarbeiter oder einen Staatsanwalt zu so einer Aktion nötigen? Viel unwahrscheinlicher, als dass ein Rechtsanwalt sein Leben verpfuscht, ist das auch nicht.

Es wird sicher spannend, ob und wie das Bundesverfassungsgericht diese Marschrichtung korrigiert, auch wenn es in der Vergangenheit durchaus, wenn auch in anderer Konstellation, liberal mit solchen Anordnungen umging. Sollte derartiges in so einer krassen Form akzeptiert werden, wäre das ein fatales Signal an andere Gerichte. Strafverteidiger könnten dann offen gedemütigt und diskriminiert werden. Das wäre für mich gegebenenfalls ein Grund, bei so was in dieser Rolle nicht mehr mitzuspielen.

Nachtrag: Ich habe den Text wegen eines sachlichen Fehlers nachträglich geändert.

Telekom schafft die Internetflatrate ab

Die Telekom schafft die Internetflatrate ab. Wer ab dem 2. Mai einen DSL-Vertrag bei der Telekom bucht, muss mit Volumenbegrenzungen leben. Ab bestimmten Datenmengen wird die Leitung laut Telekom auf 384 KBit/s gedrosselt. Normales Surfen ist mit so einer Geschwindigkeit eine Qual.

Die neuen Volumentarife orientieren sich an der Geschwindigkeit des Anschlusses. Die Telekom hat folgende Staffelung bekanntgegeben:

Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 16 Mbit/s: 75 GB
Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 50 Mbit/s: 200 GB
Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 100 Mbit/s: 300 GB
Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 200 Mbit/s: 400 GB

Wenn sie mit voller Geschwindigkeit mehr Daten verbrauchen wollen, sollen Kunden künftig gesondert in die Tasche greifen. Was die Telekom für höhere Datenvolumen berechnet, will das Unternehmen erst später mitteilen.

Gleichzeitig verabschiedet sich die Telekom auch offiziell vom Grundsatz der Netzneutralität. So wird das hauseigene Internetfernsehen nicht auf das Datenvolumen angerechnet und stets mit voller Leistung zur Verfügung gestellt.

Gleiches gilt auch für die Hotspots, welche die Telekom über Kundenanschlüsse zur Verfügung stellt (WLAN TO GO). Öffnet ein Kunde seinen Hotspot für andere Nutzer, kann es nach einer Drosselung künftig passieren, dass die Gäste viel schneller surfen als ihr Gastgeber.

Bei Diensten wie Youtube oder Videoplattformen zieht sich die Telekom auf den Standpunkt zurück, sie schulde nur ein Angebot nach dem “Best-Effort”-Prinzip, das heißt die Übertragung könne nur so schnell sein, wie es die Kapazität des Netzes hergebe.

In ihrer Mitteilung erweckt die Telekom den Eindruck, es seien nicht allzu viele Nutzer von den Volumengrenzen betroffen. Der Durchschnittsverbrauch eines Internetanschlusses liege bei 15 bis 20 Gigabyte im Monat. Somit klingt die neue Anfangsgrenz von 75 GB nach einem beträchtlichen Puffer. So viel Spielraum ist das aber gar nicht, insbesondere für den Fall, dass der Kunde HD-Filme online von legalen unabhängigen Plattformen bezieht. Ein HD-Film ist nämlich etwa 10 GB groß.

Nutzer im heise forum haben auch bereits ausgerechnet, wie lange ein Tekom-Kunde künftig unter Volllast über seinen Anschluss surfen kann:

DSL 16.000: ca. 10,4 Stunden bzw. 1,4% der Länge eines Monats
VDSL 50: ca. 8.9 Stunden bzw. 1,24% der Länge eines Monats
VDSL 100: ca. 6.7 Stunden bzw. 0.93% der Länge eines Monats
VDSL 200: ca. 4.4 Stunden bzw. 0.61% der Länge eines Monats

Die Telekom beteuert, die Einschränkungen würden voraussichtlich erst 2016 technisch umgesetzt. Außerdem komme es darauf an, wie sich die Auslastung der Netze entwickle. Allerdings gelten die neuen Tarife ab dem 2. Mai für alle Neuverträge. Der Telekom steht es also frei, die neuen Obergrenzen auch früher durchzusetzen.

Reisepass: Fingerabdruckpflicht bleibt fraglich

Auch wenn das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen die Fingerabdruckpflicht im biometrischen Reisepass aus formalen Gründen zurückgewiesen hat, kämpfen Betroffene nach wie vor juristisch weiter.

Ein Kläger hat nun einen Zwischenerfolg errungen. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht ließ seine Berufung gegen ein Urteil zu, in dem die erste Instanz keine Probleme mit der Fingerabdruckpflicht hatte (Beschluss vom 11. April 2013, Aktenzeichen 3 A 778/11).

Die Richter am Sächsischen Oberverwaltungsgericht führen in ihrer Zulassungsentscheidung aus, dass sehr wohl Bedenken gegen die Fingerabdruckpflicht in Reisepässen bestehen. So habe der Kläger plausibel dargelegt, dass die angestrebte “Sicherheit” durch die neuen Reisepässe fraglich sei. Missbrauch, insbesondere durch das Hacken der RFID-Chips oder simplen Datenklau bei ausländischen Behörden, sei denkbar. Deshalb sei zweifelhaft, ob die Reisepässe tatsächlich so sicher sind wie behauptet.

Bringe der neue Reisepass aber keinen Sicherheitsgewinn, seien die damit verbundenen Grundrechtseingriffe womöglich nicht vertretbar. Immerhin, so hat auch das Verfassungsgericht geurteilt, schränke die Fingerabdruckpflicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erheblich ein. Auf europäischer Ebene tangiere der neue Reisepass  das Grundrecht auf Privatsphäre ein, welches einen effektiven Schutz persönlicher Daten gebiete.

Dem Kläger, einem Wirtschaftsinformatiker aus Radebeul, teilt das Gericht außerdem mit, dass das Verfahren möglicherweise bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ausgesetz wird. Beim Europäischen Gerichtshof liegt seit geraumer Zeit eine Vorlage des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, das ebenfalls Zweifel an der Fingerabdruckpflicht hat.

Verloren zwischen Postfach und Postnummer

Das sollen lauter Zufälle sein? Oder steckt nicht doch ein Geflecht schlapper Pflichterfüllungen dahinter? Das fragt ein Kunde aus dem Düsseldorfer Norden erstens sich, zweitens die Elektronikfirma Medion in Essen und, wie kann es anders auch sein, unsere Deutsche Post. Es wird, nach aller Erfahrung, kein Einzelfall sein.

Der Kunde hatte ein simples Kabel bei Medion bestellt. Die bemühten ihre Datenbank und schickten das Kabel, obwohl ihnen die neue Kunden-Anschrift bekannt war, an die alte. Die Post forschte nicht weiter, beförderte das Kabel zurück an Medion. Die Firma bat um Nachsicht, brachte es noch mal auf den Weg, nun korrekt ans geschäftliche Postfach des Kunden in der Postfiliale Kaiserswerth adressiert. Doch die Post muckte.

Sie notierte: „Die Sendung wurde fehlgeleitet und konnte nicht zugestellt werden.” Die Begründung dafür ließ sie offen. Auf Nachfrage des Kunden zuckte in der Postzweigstelle Kaiserswerth ein netter Mitarbeiter mit den Schultern. Auch bei Medion zeigte sich leichte Nervosität.

Zum dritten Mal wurde das Kabel auf den Weg gebracht. Die Firme verspricht einen „erstklassigen Service“ für alle ihre Produkte. O ja! Hat sie denn nicht mit der Sturheit der Deutschen Post gerechnet. Die stellte lapidar fest: „Rücksendung eingeleitet“. Denn: „Der Empfänger ist unbekannt“. Der Kunde schrie auf, fasste sich an den Kopf und rief die Post an.

Dort ließ ihn eine Dame streng wissen: „Wir stellen keine Pakete an ein Postfach zu!“ Auch nicht, wenn in der Filiale der Post eine Tür weiter Mitarbeiter Kunden bedienen. Das sei einfach so. Punktum. Und die Firma Medion, die wisse das auch. Warum die also ein – nicht sonderlich dickes – Kabel per Paket an ein Postfach schicke, das sei schleierhaft. Der Kunde, inzwischen ein bisschen zermürbt, blieb tapfer.

Er schaute sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Post an. Und siehe da. Der Kunde, einerseits, hatte wie vereinbart der Post seine private Hausanschrift offenbart. Und an die, dazu hat sich die Post anderseits verpflichtet, werden dann größere Sendungen, ausdrücklich auch „Pakete“ zugestellt. Diese juristische Betrachtung ließ der Kunde aber erst mal beiseite.

Weil die Postfiliale Kaiserswerth telefonisch für die Kundschaft nicht erreichbar ist, machte er sich auf den Weg dorthin. „Ob das Paket nicht vielleicht doch…“, fragte er. Der nette Mitarbeiter versuchte per Telefon (doch, doch da stehen tatsächlich mehrere funktionierende Apparate) einen Rat einzuholen, bekam aber keine Verbindung zu seiner Zentrale und tat, was er in solchen Fällen tut. Er zuckte mit den Schultern.

Neben ihm, auf dem Tresen, entdeckte der Kunde einen Prospekt der Deutschen Post. „Ab sofort Pakete in Ihrer Wunschfiliale abholen“, so wird es versprochen. Und: „Lassen Sie Ihre Pakete direkt in eine Filiale Ihrer Wahl schicken, um sie dort abzuholen“.

Mehr noch: „Bei Ihrer nächsten Bestellung geben Sie anstelle Ihrer Straße und Hausnummer Ihre persönliche PostNummer sowie die Nummer der gewünschten Filiale an“. Wer jetzt den vernünftigen Vergleich zu einem Postfach zieht, liegt zwar mit dieser Vermutung sehr nahe an der Wahrheit. Aber irgendwie völlig schief. Es wird womöglich, wir ahnen es, ein reiner Zufall sein. (pbd)

Energieintensiver Anbau

Eine Stromrechnung in ungewöhnlicher Höhe muss ein Mann bezahlen, der sich in Gelsenkirchen eine Wohnung gemietet hatte. In die Wohnung zogen in erster Linie nur Marihuana-Pflanzen ein. Die Lampen der Plantage betrieb der Mann mit geklautem Strom – und muss jetzt teuer dafür bezahlen.

Nachdem die Zimmerplantage aufgeflogen war, schätzte der zuständige Energieversorger aus Essen den Schaden auf 50.000 Euro. Genau ließ sich der Stromverbrauch für die Lampen und Klimaanlagen nicht ermitteln, weil der Mieter den Stromzähler überbrückt hatte.

Deshalb machte das Energieunternehmen von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch, den Stromverbrauch zu schätzen. Und zwar für den gesamten Zeitraum von Juli 2007 bis August 2009, als die Polizei die Plantage entdeckte.

Das Oberlandesgericht Hamm hatte mit der Schätzung kein Problem. Wer sich illegal am Stromnetz bediene, müsse nachweisen, dass die Schätzung unrichtig ist. Das ist dem Betroffenen aber nach Auffassung der Richter nicht gelungen.

Sie gingen davon aus, dass der Mann seit seinem Einzug im Jahr 2007 die Plantage betrieb. Sie gewährten ihm lediglich einen “Rabatt” auf zwei Monate nach seinem Einzug, weil er in dieser Zeit die Plantage eingerichtet habe.

Die Polizei und ein Sachverständiger bestätigten, dass die Hanfaufzucht tatsächlich ungefähr die berechnete Energiemenge benötigte.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 7. Dezember 2012, Aktenzeichen 19 U 69/11

Wo bleibt die Staatsanwältin?

Man kann Staatsanwaltschaften ja viel vorwerfen – aber pünktlich ist das Personal schon. Jedenfalls bei Gericht. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit dem Gericht und anderen Beteiligten mal auf einen Staatsanwalt warten musste – die um ein paar Minuten verlängerte Kaffeepause vielleicht ausgenommen.

Aber irgendwann ist immer das erste Mal. Heute war es so weit. Richter, Schöffen, Protokollführer, Angeklagter, ich als Verteidiger. Alle da. Nur die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht. Immerhin hatte der Protokollführer des Gerichts eine Liste der zum Dienst eingeteilten Strafverfolger. Er konnte also – nach Ablauf des akademischen Viertels – gleich mal bei der Behörde anrufen.

Witzigerweise war es die Staatsanwaltschaft, die den Prozess überhaupt wollte. Mein Mandant war in erster Instanz freigesprochen worden. Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

Da könnte man natürlich fragen, ob nicht gleiches Recht für alle gelten sollte. Die Berufung eines Angeklagten verwirft das Gericht nämlich normalerweise, wenn er nicht pünktlich zum Termin erscheint und sich nicht ausreichend entschuldigt hat. Aber Gleichbehandlung gibt es in diesem Punkt nicht. Die Strafprozessordnung sieht nur vor, dass die Berufung eines säumigen Angeklagten verworfen werden kann. Im Falle des fehlenden Staatsanwalts ist das nicht möglich.

Nach einer dreiviertel Stunde stürmte die zuständige Staatsanwältin dann in den Gerichtssaal. Sie hatte sich, sagte sie, an der offiziellen Terminsliste ihrer Behörde orientiert. Dort war unser Termin eine Stunde später eingetragen. “Ich saß noch im Büro”, lachte sie. “Und dachte, dann arbeite ich vor dieser Sache noch gemütlich ein paar Akten weg.”

Immerhin: Nach der Beweisaufnahme hat die Staatsanwältin die Berufung zurückgenommen. Das hatte sicher direkt nichts mit ihrer Verspätung zu tun. Vielmehr war nach einigen Zeugenaussagen klar, dass der frühere Freispruch in Ordnung ging. Angesichts dieses erfreulichen Ergebnisses war das morgendliche Warten dann auch halb so schlimm.

Auch Flüchtige dürfen telefonieren

Wer auf der Flucht ist, kann sich später nicht beschweren, dass ihn gerichtliche Schreiben nicht erreicht haben. Ein Angeklagter hatte bei Gericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, weil er die schriftliche Begründung eines gegen ihn ergangenen Urteils nach eigenen Angaben nicht erhalten hatte. Nach den Feststellungen des Gericht war er allerdings flüchtig, als ihm das Urteil zugeschickt werden sollte.

Die eigentliche Zustellung war ohnehin an seinen Verteidiger erfolgt, weil dieser dem Gericht eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatte. Das Gericht wollte dem Angeklagten allerdings – wozu es grundsätzlich verpflichtet ist – formlos eine Abschrift zukommen lassen. Die Übersendung per Post scheiterte jedoch daran, dass  der Angeklagte aus der Jugendhaftanstalt geflüchtet war. Logischerweise hatte er dem Gericht keine neue Anschrift mitgeteilt.

Das Dilemma wäre wohl gar nicht entstanden, wenn sich der Angeklagte zumindest mal bei seinem Anwalt gemeldet hätte. Oder dem Anwalt eine Kontaktmöglichkeit gegeben hätte, sofern sich was in seinem Fall ereignet. Der Anwalt hätte ihm dann sagen können, dass Post für ihn gekommen ist.

Wenn ein Verteidiger mit einem flüchtigen Mandanten spricht, ist das absolut legal. Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, die Behörden zu informieren, wenn sein Mandant mit ihm Kontakt aufnimmt. Er muss auch keine “Spuren” für die Ermittler dokumentieren, etwa im Display angezeigte Rufnummern. Im Gegenteil: Ein Verteidiger beginge sogar Parteiverrat, wenn er den Aufenthaltsort seines Mandanten von sich aus preisgibt, zumindest so lange dieser nicht damit einverstanden ist.

Dabei hat ein Anwalt noch nicht mal eine großartige Sonderrolle. Auch sonst ist kein Bürger verpflichtet, flüchtige Personen zu melden. Gemeldet werden muss nur, wenn schwere Straftaten drohen, nicht wenn sie möglicherweise schon begangen wurden. Wer allerdings nur weiß, wo sich ein Gesuchter aufhält, muss nichts melden. Auch nicht auf Nachfrage, da – worauf ich ja gerne hinweise – ohnehin kein Zeuge mit der Polizei sprechen muss. Auch wenn Polizeibeamte gern das Gegenteil behaupten.

Strafbar ist es allerdings, wenn man gewissen Grenzen überschreitet. Wer einem Gefangen etwa bei sich wohnen lässt, ihm sein Auto leiht oder mit Geld unterstützt, riskiert Strafverfolgung. Zum Beispiel wegen Strafvereitelung. Diese Grenze gilt übrigens auch für Strafverteidiger. Deshalb habe ich es neulich auch mal abgelehnt, einen stattlichen Betrag per Western Union an ein sonniges Plätzchen zu überweisen.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 22. Februar 2013, Aktenzeichen  (4) 161 Ss 38/13 (41/13)

Rechtsanwalt Detlef Burhoff zum gleichen Thema

Informatiker wollen keine Bestandsdatenauskunft

Der Präsidiumsarbeitskreis „Datenschutz und IT-Sicherheit“ der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) betrachtet die geplante Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) mit großer Sorge. Die Gesellschaft für Informatik ist ein Fachverband, in der vorwiegend Informatiker aus Forschung und Lehre, Wirtschaft und Verwaltung zusammengeschlossen sind. Sollte die Novellierung, auch als Bestandsdatenauskunft bekannt, wie geplant umgesetzt werden, führt sie laut GI zu einer beträchtlichen Erweiterung der Befugnisse der Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden, die über die Telefonie hinaus weit in das Internet hineinreicht. Am 18. April berät der Innenausschuss des Bundesrates erneut über die Änderungen des TKG und die Neuregelung der Bestandsdatenauskunft.

„Der Grundgedanke des Telekommunikationsgeheimnisses liegt bislang darin, den Austausch von Informationen so zu schützen, als ob er von Angesicht zu Angesicht stattfinden würde, d. h. die Nachrichten von Unbefugten nicht zur Kenntnis genommen werden können“, sagte Hartmut Pohl, Sprecher des Arbeitskreises.

Die geplante Neuregelung würde den Behörden allerdings internetweite Zugriffsmöglichkeiten gestatten, die deutlich über das bisher für den engeren Bereich der Telekommunikation Zulässige hinausgehen. Dies lässt sich, so die Gesellschaft für Informatik, an einigen Punkten verdeutlichen:

Der Begriff der Telekommunikation soll erstmals so sehr ausgedehnt werden, dass er sich nicht mehr nur auf die herkömmliche Telefonie bezieht, sondern auf jeden interaktiven Datenaustausch im Internet. Damit sollen Aktivitäten im Internet durch das Telekommunikationsgesetz erfasst werden. In Bezug auf Bestandsdaten bedeutet dies, dass Telekommunikationsanbieter nicht nur die Daten aus den Verträgen mit ihren Kunden sowie PINs und PUKs für SIM-Karten (Handys, Smartphones) herausgeben müssen, sondern auch gespeicherte Zugangsdaten (Passwörter) für E-Mail- oder Cloud-Accounts.

Über solche Accounts finden sich allerdings häufig auch Zugangsdaten zu Facebook, LinkedIn, Xing oder Twitter. Falls ein Telekommunikationsanbieter Zugangsdaten zu Smartphones seiner Kunden gespeichert hat – etwa für automatisierte BackUp- oder Update-Dienste – müssen auch solche Zugriffsdaten herausgegeben werden. Damit kann praktisch auf alle vom Nutzer im Internet gespeicherten Daten zugegriffen werden, ohne dass im TKG eine klare Grenze definiert wird.

Darüber hinaus sollen Telekommunikationsunternehmen in Vorbereitung auf Auskunftsersuchen berechtigt und verpflichtet werden, Verkehrsdaten auszuwerten. Da eine Auswertung auch die Speicherung impliziert, bleibt bei der Formulierung unklar, inwieweit und wie lange Verkehrsdaten gespeichert und abrufbar gemacht werden müssen.

Möglicherweise handelt es sich bei dieser Neuregelung um eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür. Auch bleibt völlig offen, was mit „sämtliche unternehmensinternen Datenquellen zu berücksichtigen“ gemeint ist.

Diese weitgehende automatisierte Offenbarungspflicht aller im Netz oder in einer Cloud stattfindenden Aktivitäten ist nicht nur der Ermittlung bei Schwerkriminalität vorbehalten, sondern auch für einfache Ordnungswidrigkeiten vorgesehen. Gleichzeitig wird teilweise auf einen richterlichen Vorbehalt verzichtet und den Dienstanbietern verboten, ihre Kunden über Datenweitergabe an diverse Ermittlungsbehörden zu informieren.

Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden müssten natürlich die Möglichkeit haben, unter engen Voraussetzungen und nur in Ausnahmefällen auf diese Telekommunikationsdaten zuzugreifen, so Pohl. „Mit den geplanten Änderungen wird das Telekommunikationsgeheimnis allerdings nicht nur im Kern ausgehöhlt, sondern auch das Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (sog. Computergrundrecht) massiv verletzt“, sagte Pohl. Der Arbeitskreis fordert daher die Bundesländer auf, am 3. Mai im Bundesrat gegen das geplante Gesetz zu stimmen.

Freiwillige Vorratsdatenspeicherung

Was wir von intelligenten Strom- und Wasserzählern schon kennen, soll demnächst auch beim Autofahren Einzug halten. Es geht um die konkrete Erfassung des Fahrverhaltens. Wer sich möglicherweise auf so was einlässt, soll nach Vorstellungen von Autoversicherungen Preisvorteile genießen. Laut Spiegel online will Telefonanbieter (O2) eine entsprechende Technik an Versicherungskonzerne verkaufen.

Auch wenn Rabatte auf dem ersten Blick verlockend sind, würden das geplante Angebot zu einer faktischen Dauerüberwachung von Autofahrern führen. Es soll nämlich per Mobilfunk erfasst werden, wer wie lange in welchem Tempo fährt, bremst und  lange nachts unterwegs ist. Über ein Punktesystem soll das Fahrverhalten der Kunden bewertet werden und so “individuelle” Tarife ermöglichen. Über eine App, so die Pläne von Telefonica, sollen Autofahrer auch eine direkte Rückmeldung zu ihrem Fahrverhalten bekommen.

Das System ist schlechterdings kaum denkbar, ohne dass riesige Datenmengen über Autofahrer angehäuft werden. Insbesondere kann das Fahrverhalten- beim Tempo angefangen – ja nur konkret bewertet werden, wenn die Versicherung genau weiß, wo sich das Auto befindet. Es dürfte also schlechterdings ausgeschlossen sein, dass eben keine umfassenden Bewegungsprofile entstehen – auch wenn Telefonica das Gegenteil behauptet.

Zudem stellen sich weitere Fragen. Wer stimmt einer Nutzung der erhobenen Daten zu? Praktisch kann das ja nur der Halter des Fahrzeuges machen, sofern nicht gleich nur dann losfährt, wenn sich der einzelne Fahrer online legitimimert. Andere Fahrer des Wagens würden also möglicherweise gegen ihren Willen erfasst. Außerdem hätten neben den Versicherungen auch der Halter gegebenenfalls die Möglichkeit, Ziele jedes Fahrers nachzuverfolgen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar spricht deshalb schon von “freiwilliger Vorratsdatenspeicherung”. Das ist sicher nicht übertrieben. Denn lückenlose Bewegungsprofile wären dann per Knopfdruck erhältlich. Wobei einem klar sein muss, dass solche Daten letztlich auch Behörden zur Verfügung stehen.

Hotelbuchung: “Gelbe Seiten” müssen klarer werben

Auch wenn das gedruckte Telefonbuch eher ein Auslaufmodell ist, genießen Seiten wie “Das Örtliche” oder die “Gelben Seiten” im Internet großes Renommee. Sie sind jeden Monat gut für Millionen Klicks. Bei der Vermarktung ihrer Werbeflächen muss die Telekom jetzt allerdings einen Rückschlag hinnehmen.

Das Landgericht Frankfurt am Main untersagte der Telekom, die Adresseinträge einzelner Hotels direkt mit dem Buchungsportal HRS zu verlinken. Die Werbetochter des Konzerns hatte die jeweiligen Buttons mit “online buchen” beziehungsweise “Hotelbuchung” betitelt. Die Anfragenden landeten aber nicht bei den Hotels, sondern bei HRS.

Nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt täuscht dies den Verbraucher. Wer bei einer Internetrecherche im Örtlichen oder den Gelben Seiten nach Hoteleinträgen suche, erwarte beim Button “online buchen” oder “Hotelbuchung” direkt auf der Buchungsseite des Hotels zu landen – und nicht bei einem Buchungsportal. Der durchschnittliche Nutzer des “Örtlichen” oder der “Gelben Seiten” erkenne nach der Weiterleitung auch nicht sofort, dass er ein Buchungsportal vor sich hat. Deshalb müsse er klar und deutlich aufgeklärt werden, so die Richter in ihrem Urteil vom 20. Februar 2013.

Frühes Schaffen ist nun juristisch bewältigt

Das Urteil gegen den bekannten Abofallenbetreiber und Abmahner Michael B. ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof verwarf jetzt die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Osnabrück. Dort war B. zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte Firmen, Kommunen und Parteien in den Jahren 2004 und 2005 wegen angeblich unerwünscht zugesandter e-cards abgemahnt. Es ging also um eine relativ frühe Phase des Schaffens von Michael B.

Neben Michael B. saß auch der in Abmahnkreisen bekannte Anwalt Bernhard S. auf der Anklagebank. Er beteiligte sich laut Landgericht Osnabrück an B.s Betrügereien, indem er in dessen Auftrag die Abmahnungen verschickte. Beide hatten dabei wider besseres Wissen behauptet, B. habe über den Service der Abgemahnten unverlangt e-cards erhalten. Tatsächlich hatten B. und S. die e-cards selbst verschickt.

Die verlangten Abmahngebühren von jeweils 592,90 Euro teilten sich B. und S. in 38 Fällen. Außerdem klagten sie erfolgreich Vertragsstrafen ein, da viele Empfänger Unterlassungserklärungen abgegeben hatten. Alleine die CDU hat nach Angaben des Landgerichts Osnabrück 15.000 Euro als Vertragsstrafe gezahlt. Auch wegen des hohen Schadens müssen B. und S. noch gerichtliche Auflagen von 120.000 und 12.000 Euro erfüllen.

Wegen der Abofallen ist B. später vom Landgericht Frankfurt noch zu einer weiteren Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Die Revision gegen dieses Urteil ist noch nicht entschieden.