Die Sechs-Uhr-Frage

Ich hatte morgens um zehn Uhr einen Verhandlungstermin in der Dom- und Kaiserstadt Fritzlar. Die liegt in Nordhessen, also ein schönes Stück von meinem Büro entfernt. Wie so oft, stand ich vor der Wahl, ob ich in aller Herrgottsfrühe aufstehe und mich zur Rushhour über Autobahnen quäle. Oder ob ich – hier auf Kosten der Staatskasse, weil ich Pflichtverteidiger war – die Vorzüge eines deutschen Mittelklassehotels auf mich nehme.

Ich entschloss mich zu letzterem. Was dem Rechtspfleger am Amtsgericht, der über meinen Kostenerstattungsantrag zu entscheiden hatte, so nicht gefiel. Er wollte mir die Übernachtungskosten streichen. Begründung: Fritzlar sei von Düsseldorf aus 2,5 Fahrtstunden entfernt. Außerdem billigte er mir einen Zeitpuffer von einer Stunde zu. Das hätte zur Folge gehabt, dass ich mich um 6.30 Uhr auf die Reise hätte begeben müssen. Die meisten Gerichte halten es für zumutbar, wenn die Dienstreise eines Anwalts frühestens um sechs Uhr beginnt. An sich ein Fall für Amnesty International, ich weiß. Ist aber so.

Allerdings wollte ich mir die Möglichkeit nicht nehmen lassen, meine Gegenargumente vorzutragen. So beträgt die Fahrtzeit von Düsseldorf nach Fritzlar eher zweidreiviertel Stunden. Das sagte jedenfalls der von mir befragte Routenplaner. Außerdem hielt ich einen Zeitpuffer von mindestens zwei Stunden für angemessen. Immerhin musste ich durch den Berufsverkehr.

Noch ein Argument: Ich wollte ja auch ganz gern vor dem Termin noch mal mit meinem Mandanten, der in Fritzlar wohnt, persönlich sprechen. Auch das hätte etwas gedauert, so unkompliziert waren die Vorwürfe nun auch wieder nicht. Alles ins allem hätte ich also doch vor sechs Uhr losfahren müssen.

Solche Stellungnahmen kosten nicht nur Arbeitzeit. Sie sind oft auch vergeblich. Rechtspfleger neigen oft zur Strenge, aber sie haben ja auch die Kostenprüfer der Staatskasse im Nacken. Deshalb muss man sein Glück dann eher über den Rechtsweg versuchen. Doch was soll ich sagen? Der Rechtspfleger billigte mir die Übernachtungskosten zu. Das hat mich dann doch gefreut. Nicht nur wegen des Geldes, sondern weil die letzte Entscheidung durch einen Richter überflüssig wurde. Der kann seine Zeit sicher produktiver verwenden.