Zwangseskorte für einen Zeugen

Mit ihren Forderungen nach Zivilcourage der Bürger sind die Behörden schnell zur Hand. Wer sich allerdings mal als Zeuge gemeldet hat und vor Gericht aussagen musste, hat sicher viel Geduld und Sitzfleisch gebraucht. Ich kenne so manchen Zeugen, der allein aufgrund dieser Erfahrung sagt hat: nie wieder. Das allerdings ist eher ein kleinerer Servicemangel im Vergleich zu dem, was sich eine Richterin in Gelsenkirchen geleistet haben soll.

Ein Zeuge, von Beruf Bundesbeamter, hatte darum gebeten, zu einem Gerichtstermin nicht erscheinen zu müssen. Er hatte in einem Drogeriemarkt beobachtet, wie ein Mann seine Begleiterin schlug. Der Zeuge sorgte sich allerdings, der polizeibekannte Angeklagte könne ihm nachstellen. Den Antrag lehnte die zuständige Richterin schriftlich ab. Das ist in der Sache nachvollziehbar. Die Strafprozessordnung legt halt nun mal Wert darauf, dass Zeugen im Regelfalls persönlich aussagen.

Der Zeuge kriegte den ablehnenden Bescheid per Post. Als guter Staatsbürger war er natürlich bereit, dann eben vor Gericht zu erscheinen. Doch am Morgen des Prozesstages erlebte er eine unangenehme Überraschung. Zwei Polizisten wollten in von zu Hause abholen und in den Verhandlungssaal eskortieren.

Anscheinend hatte die Richterin rein vorsorglich die Polizei beauftragt, um das Erscheinen des Zeugen zu „sichern“. Allerdings gibt es für so eine Maßnahme keine Rechtsgrundlage. Zwangsmittel gegen Zeugen sind – schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – erst zulässig, wenn der Zeuge tatsächlich mindestens einmal unentschuldigt nicht zum Gerichtstermin erscheint.

Der Beamte fühlt sich diskriminiert und bloßgestellt. Er will sich gegen die geplante Zwangsvorführung per Dienstaufsichtsbeschwerde wehren. Zu tatsächlichem Zwang und einer möglichen Nötigung oder gar Freiheitsberaubung ist es zum Glück nicht gekommen. Die Kripobeamten haben vor Ort wohl selbst gemerkt, dass der Zeuge auch ohne staatlichen Druck zum Gericht fahren wird. Der Mann wird beim nächsten Mal sicher besonders überlegen, ob er sich freiwillig als Zeuge zur Verfügung stellt.

Bericht in der WAZ