Tempo führt nicht zu Überholverbot

Wer zu schnell überholt, trägt nicht schon deswegen Mitschuld an einem Unfall. Das Oberlandesgericht Hamm entschied jetzt, dass es vielmehr darauf ankommt, ob der Unfall gerade auch wegen des Tempoverstoßes geschehen ist.

Ein Motorradfahrer hatte in der Stadt ein Auto überholt. Dabei war er schneller als die erlaubten 50 Stundenkilometer. Das Motorrad krachte in ein Auto, das nach rechts aus der Ausfahrt eines Supermarktes auf die Straße bog. Ein Sachverständiger hatte unter anderem festgestellt, dass der Motorradfahrer nicht mit dem plötzlichn Anfahren des Autos rechnen musste. Außerdem hätte sich der Unfall auch ereignet, wenn das Motorrad langsamer gewesen wäre.

Ein Tempoverstoß als solcher begründet nach Auffassung der Richter demnach kein „faktisches Überholverbot“. Außerdem weist das Gericht darauf hin, Überholverbote schützten nur den nachfolgenden und den Gegenverkehr, nicht aber Autos, die von einem Parkplatz aus auf die Straße einbiegen.

Der Motorradfahrer bekommt jetzt vollen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 19.500 Euro (9 U 149/13).

Wieso

Heutiger selbstverfasster Lieblingssatz:

Es stellt sich die Frage, wieso meine Mandantin mit einer gestohlenen externen Festplatte in der Hose noch 20 Minuten durch den Media Markt laufen sollte.

Die ganze, reichlich absurde Geschichte erzähle ich, sobald das Verfahren erledigt ist.

Gegen Autoplay helfen keine Paragrafen

Auf Facebook spielen (Werbe-)Videos sich jetzt automatisch ab. Handynutzer mit Datentarif sind darüber nicht unbedingt glücklich, weil die Videos am Highspeed-Volumen knabbern. Aber auch nicht jeder Desktopnutzer möchte sofort mit laufenden Bildern konfrontiert werden.

Juristisch ist Facebook mit der neuen Präsentationsform auf der sicheren Seite. Wieso, das erläutert der Medienrechtler Karsten Gulden auf seiner Seite:

Bei den bewegten Bildern handelt es sich rechtlich um nichts anderes als um eine ganz normale (Werbe)Anzeigen. Solche gewöhnlichen Anzeigen sind in rechtlicher Hinsicht völlig unbedenklich – jedenfalls solange diese als Werbung deutlich erkennbar ist. … Durch die Anmeldung und das Einloggen bei Facebook werden die Nutzungsbedingungen der Plattform akzeptiert. Der Nutzer weiß also – oder sollte es zumindest wissen – dass auf der Plattform die Autoplay-Funktion genutzt wird.

Aber man muss auch nicht gleich an juristische Schritte denken. Facebook bietet nämlich die Möglichkeit, die Autoplay-Funktion abzuschalten. Wie das geht, steht hier.

Anwälte dürfen kostenlos beraten

Anwälte dürfen eine kostenlose Erstberatung bzw. Ersteinschätzung anbieten. Dies hat das Landgericht Essen im Fall von zwei Kanzleien entschieden, die Abmahnopfer in Fielesharing-Fällen vertreten.

Ein Anwaltsbüro hatte gegen das andere geklagt, weil die Juristen bundesweit mit kostenloser Erstberatung, auch telefonisch, warben. Das sei wettbewerbs- und standeswidrig, meinten die Kläger.

Das Landgericht Essen konnte beides nicht feststellen. Ein Wettbewerbsverstoß liege nicht vor, weil der Preis ein anerkanntes Mittel sei, um Kunden zu gewinnen. Auch Niedrig- bzw. Dumpingpreise seien in der vorliegenden Konstellation nicht untersagt.

Auch gegen die festen Regeln zur Anwaltsvergütung hätten die Anwälte nicht verstoßen. Das Vergütungsgesetz kenne bei der Erstberatung keine Mindestgebühr wie bei vielen anderen Anwaltsdienstleistungen.

Allerdings bedeutet das Urteil nicht, dass Anwälte kostenlose Ersteinschätzungen geben müssen (Aktenzeichen 4 O 226/13).

Direkt bezahlt

Die Verurteilung der Amtsdirektorin Gudrun L. wegen Vorteilsannahme ist rechtskräftig. Der Angeklagten, die eine Baubehörde in Brandenburg leitet, war vorgeworfen worden, sich als Amtsträgerin der Vorteilsannahme schuldig gemacht zu haben. Sie hatte eine Weihnachtsfeier ihres Amtes von einem Unternehmer finanzieren lassen, der der an der Vergabe weiterer Aufträge zur Sanierung von Mülldeponien interessiert war.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hatte die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 100,00 € verurteilt. Auch das Landgericht hatte das Urteil bestätigt. Nun entschied der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in letzter Instanz, dass tatsächlich eine Vorteilsannahme vorgelegen hat.

Laut den Gerichten hatte der Unternehmer die Weihnachtsfeier nur finanziert, um bei der Vergabe noch ausstehender Aufträge vorrangig berücksichtigt zu werden. Gefeiert hatten die Amtsdirektorin und ihre Mitarbeiter in einer Gaststätte. Einschließlich eines „kabarettistischen Rahmenprogramms“ kostete die Feier 750,00 Euro. Das Geld zahlte der Unternehmer direkt an den Wirt (Aktenzeichen (1) 53 Ss 39/14 (21/14).

Kaugummi

Die Bundesregierung will nicht nur Nacktbilder von Kindern verbieten, sondern auch von Erwachsenen. Selbst wenn diese nicht pornografisch sind. Aber noch viel mehr: Auch Bilder, die andere Personen lediglich „bloßstellen“, sollen künftig strafbar sein.

In der Süddeutschen Zeitung findet Heribert Prantl deutliche Worte zu diesen Plänen:

Das geht zu weit; diese neuen Vorschriften verstoßen gegen das Bestimmtheitsgebot. Wann sind Bilder „bloßstellend“? Wenn man darauf sieht, wie sich einer zwischen den Beinen kratzt? Wenn die Hose offen ist? Wenn jemand sich in der Nase bohrt? Wer „bloßstellend“ als Tatbestandsmerkmal ins Strafgesetzbuch schreibt, stellt das Strafrecht bloß; er macht es zum gesellschaftspolitischen Kaugummi.

Zum Artikel.

Lernresistent

Frau F. erschien auf der Polizeiwache, um einen Phishing-Fall zu melden. Ihr Kreditkartenkonto war mit knapp 1.300 Euro belastet worden. Sie hatte wohl ihre Zugangsdaten auf einer gefaketen Bankseite eingegeben. Dann war ein Unbekannter auf Shoppingtour gegangen.

Ins Vernehmungsprotokoll nahm der Polizeibeamte, wie üblich, Name, Vorname, Adresse, Geburtsdatum und Familienstand auf. Weiter unten steht folgendes:

… Für dieses Konto bin ich auch im Besitz einer Mastercard. Die Nummer auf der Mastercard lautet: 548346010330XXXX*. Sie ist gültig bis 05/16, die dreistellige PIN auf der Rückseite lautet: 957. Mein Mastercard Secure Code für Online-Transaktionen lautete Friedolin28. Diesen habe ich später in Pausbacke31 geändert. Ich nutze die Karte auch nach dem Vorfall weiter.

Lernresistent, würde ich sagen.

*Die Kartennummer habe ich abgekürzt.

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Schwarzarbeit: Lukrativ, aber auch riskant

Einem Handwerker oder Dienstleister, der auch nur einen Teil seiner Leistungen schwarz erbringt, steht gar kein Lohn zu. Der Bundesgerichtshof stellte jetzt fest, dass Auftraggeber von Schwarzarbeitern jede Zahlung verweigern dürfen – auch wenn sie die Leistung dankend entgegengenommen haben.

Damit ändert das Gericht seine bisherige Rechtsprechung, wohl auch wegen zwischenzeitlicher Gesetzesverschärfungen. In dem entschiedenen Fall hatte ein Elektriker für Installationsarbeiten 13.800 € mit dem Auftraggeber vereinbart – und 5.000 € außerhalb der Bücher. Die Auftraggeber zahlten nicht. Zu Recht, so die Richter, denn das gesetzliche Verbot von Schwarzarbeit mache den gesamten Vertrag unwirksam.

Der Handwerker kann noch nicht einmal seine erbrachten Leistungen zurückverlangen. Oder zumindest Wertersatz für eingebaute Sachen. Auch diese Ansprüche sind laut dem Gericht ausgeschlossen. Nur so könne der Zweck des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes wirksam erreicht werden.

Nicht entscheiden musste das Gericht die Frage, ob der Auftraggeber sogar bereits gezahltes Schwarzgeld zurückverlangen kann. Auch das kommt bei der neuen juristischen Bewertung in Frage. Schwarzarbeiter müssten somit immer fürchten, wieder nachträglich um ihren Lohn erleichtert zu werden (Aktenzeichen VII ZR 241/13).

Kanzlei Urmann erscheint nicht vor Gericht

Das Amtsgericht Potsdam hat gegen die Abmahn-Firma „The Archive AG“ Versäumnisurteile erlassen. Es ging um die Abmahnungen wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen auf dem Porno-Portal Redtube.

Gegen die Abmahnungen haben mehrere Betroffene Feststellungsklagen erhoben. Eine dieser Klagen sollte gestern vor dem Amtsgericht Potsdam verhandelt werden, berichtet die Urheberrechtskanzlei ANKA auf ihrer Webseite. Von der „The Archive“ AG sei aber niemand zum Verhandlungstermin erschienen. Auch die Prozessbevollmächtigten aus der Anwaltskanzlei Urmann ließ sich nicht blicken.

Das Gericht erließ deshalb auf Antrag des Kläger-Anwalts Alexander Hufendiek ein Versäumnisurteil. Darin wird festgestellt, dass die Abmahnungen rechtswidrig waren und der Abmahnfirma keine Ansprüche gegen Redtube-Nutzer zustehen.

Polizist sagt gegen eigenen Kollegen aus

Die Saarbrücker Polizei muss sich mit schweren Vorwürfen auseinandersetzen. Ein Kommissar soll einen Mann misshandelt und mit seiner Dienstwaffe bedroht haben. Möglicherweise hat der Beamte sogar den Abzug seiner (ungeladenen) Waffe gedrückt und so eine Scheinhinrichtung durchgeführt.

Auslöser war an sich keine großartige Sache, berichtet die Saarbrücker Zeitung. Es gab Streit vor einer Saarbrücker Diskothek. Die Beamten wollten einen renitenten 29-Jährigen erst zur Wache mitnehmen. Dann entschieden sie sich aber, ihn bei einem Bekannten in Obhut zu geben.

Vor Ort habe sich dann herausgestellt, dass es den Bekannten nicht gibt. Nach einer weiteren kurzen Wegstrecke habe der Kommissar seinen Kollegen am Steuer des Polizeiwagens aufgefordert, das Auto anzuhalten. Er habe dem Betroffenen eine Dose Pfefferspray fast komplett ins Gesicht gesprüht. Dann habe er dem auf dem Bauch liegenden Mann in den Rücken getreten. Anschließend habe er seine Dienstwaffe gezogen und durchgeladen. Ob er die – ungeladene – Waffe auch abdrückte, darüber soll es unterschiedliche Schilderungen geben.

Interessant an dem Fall ist, dass der Kollege des 29-jährigen Kommissars den Beamten wohl schwer belastet. Er soll umfassend ausgesagt haben, und zwar Dinge, welche die Darstellung des Opfers wohl plausibel machen. Außerdem soll die Polizei die leere Pfefferspraydose sichergestellt haben. Außerdem sei ein Fußabdruck auf der Jacke des Opfers gefunden worden.

Der Kommissar wurde vorläufig vom Dienst suspendiert und erhielt Hausverbot für die Polizeiwache. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Wie man die Polizei ablenkt

Viele glauben ja, die Polizei macht DNA-Analysen nur bei schweren Straftaten. Das ist jedoch nicht der Fall. Heute hatte ich eine Ermittlungsakte auf dem Tisch, in dem die Ermittler insgesamt zehn Zigarettenkippen aufwendig vom Landeskriminalamt untersuchen ließen. In der Hoffnung, so einem oder mehreren Einbrechern auf die Spur zu kommen.

Es ging um einen alltäglichen Bürodiebstahl. Der oder die Täter hatten eine Firmentür aufgehebelt, eine Geldkassette geknackt und ein paar hundert Euro mitgenommen. Die Zigarettenkippen fand die Polizei nicht direkt am Tatort, ja noch nicht einmal auf dem Betriebsgelände. Die Kippen lagen vielmehr links vor der Haustür der Firma. Auf dem ganz normalen Fußweg. Aber möglicherweise, so die Schlussfolgerung der Beamten, hatten die Einbrecher vor der Tür noch eine geraucht.

So kommt mein Mandant ins Spiel. Wegen einer anderen Sache hat er mal „freiwillig“ eine Speichelprobe abgegeben. Nun sind seine Daten im Zentralregister gespeichert. Was dann auch zu einem „Treffer“ führte. Auf Zigarettenkippe Nr. 9, die irgendwo vor dem Firmengebäude auf dem Fußweg lag, befand sich DNA meines Mandanten. Die anderen Kippen konnten keiner gespeicherten DNA zugeordnet werden.

Mein Mandant geriet natürlich gepflegt in Panik, als er den Anhörungsbogen der Polizei erhielt. Er sollte aussagen. „Verdacht auf schweren Diebstahl“, stand in dem Schreiben. Gut, die Verteidigungsstrategie ist in solchen Fällen nicht sonderlich kompliziert. In so einer Konstellation wäre jedes Wort eines zu viel. Denn mein Mandant muss mit Sicherheit nicht erklären, wie eine Zigarettenkippe von ihm auf den öffentlichen Gehweg gekommen ist. Noch dazu, wo er in der Gegend wohnt.

Der Fall zeigt aber, wie extensiv mittlerweile DNA untersucht wird. Und ich möchte nicht wissen, wie eingehend die Befragung dank diesem ach so unbestechlichen Beweismittel ausgefallen wäre, hätte sich mein Mandant alleine dem Verhör gestellt.

Eins noch. Wenn ich Einbrecher wäre, würde ich im Umfeld des Tatorts immer ein paar Zigarettenkippen von fremden Leuten deponieren. In diesem Fall hat sich die Polizei jedenfalls einzig und allein auf die vermeintlichen „Spuren“ gestürzt. Ist ja auch einfacher, als mal in der Nachbarschaft rumzufragen, ob jemand was gesehen oder gehört hat. Dass dies geschehen ist, steht nicht in der Akte.

Meine Mails gehören mir

Gestern hat der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt. Zumindest in ihrer jetzigen Form. In meiner aktuellen Kolumne für die Webseite der ARAG erkläre ich, warum Mails ebenso Schutz verdienen wie der gute alte Brief.

Zum Artikel.

Vorvermieterbescheinigung

Wer sich mit einer gefälschten „Vorvermieterbescheinigung“ eine Wohnung besorgt, muss mit fristloser Kündigung rechnen. Der Bundesgerichtshof sieht darin eine erhebliche Vertragsverletzung, die grundsätzlich zur sofortigen Beendigung des Mietverhältnisses führen kann.

Der Mietinteressent hatte eine Bestätigung seines Vorvermieters vorgelegt. Danach hatte der Mann seit 2003 eine Wohnung gemietet, die monatliche Miete von 695 Euro pünktlich gezahlt und sich ansonsten tadellos verhalten. Tatsächlich war die Bescheinigung eine Totalfälschung; der Mieter hatte nie in dem Objekt gewohnt.

Allerdings muss die Vorinstanz jetzt noch prüfen, ob die fristlose Kündigung verfristet war. Der Mieter behauptete nämlich, sein Vermieter habe mindestens drei Jahre von der Fälschung gewusst. Das widerspräche dem Grundsatz, dass eine fristlose Kündigung unverzüglich ausgesprochen werden muss (Aktenzeichen 307 S 55/12).