Auf Verbescheidung wird verzichtet

Es heißt ja immer, Dienstaufsichtsbeschwerden seien form-, frist- und fruchtlos. Letzteres stimmt nur bedingt, wie ein kleines Erlebnis aus diesen Tagen zeigt.

Ich hatte der Staatsanwaltschaft geschrieben, Herr N. habe mich als Verteidiger beauftragt. Gleich in der Einleitung des Briefes fand sich folgender Satz:

Ordnungsgemäße Vollmacht versichere ich anwaltlich.

Die Staatsanwältin schickte mir aber nicht die Ermittlungsakte, sondern einen Textbaustein:

… wird um Übersendung der schriftlichen Vollmacht gebeten.

Ich fragte zurück, warum ich eine schriftliche Vollmacht vorlegen soll. Hierauf kam folgende Antwort:

Akteneinsicht wird nur an Verteidiger gewährt.

Äh, ja. Hatte ich nicht schon eingangs mitgeteilt, dass ich als Verteidiger für meinen Mandanten tätig bin? Und nicht als dessen Chiropraktiker. Ich versuchte es noch einmal. Mit dem Hinweis, dass schon gerne wissen möchte, warum man von mir als Anwalt eine schriftliche Vollmacht anfordert.

Die Antwort:

Es wird weiter um Vorlage einer schriftlichen Vollmacht gebeten.

Zum Hintergrund muss man wissen, dass die Frage, wann ein Rechtsanwalt im Strafverfahren eine Vollmacht vorlegen muss, eigentlich von den Gerichten geklärt ist. Die Pflicht erstreckt sich im Kern auf Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft Zweifel daran hat, dass der Anwalt tatsächlich einen Auftrag hat.

Diese Zweifel müssen einen nachvollziehbaren Hintergund haben. Etwa, wenn der Verdacht besteht, dass das Mandat nur vorgegaukelt wird, um für Finanzdienstleister an die Namen von Anlageopfern zu kommen, denen dann gleich neue lukrative „Offerten“ gemacht werden. So einen Fall hat kürzlich der thüringische Landesdatenschutzbeauftragte geschildert.

Ich bat also darum, mir mal zu sagen, was denn genau zu Zweifeln an meiner Bevollmächtigung führt. Wie nicht anders zu erwarten, kam der gleiche Textbaustein noch mal. Die Begründung der Dienstaufsichtsbeschwerde fiel entsprechend knapp aus. Schon nach drei Tagen hatte ich die Akte vorliegen. Verbunden mit der Anfrage:

Wird auf die Verbescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde Wert gelegt?

Ich bin nicht nachtragend und habe die Beschwerde zurückgenommen. So bleibt es der Staatsanwältin erspart, die Sache mit ihrem Vorgesetzten besprechen zu müssen. Dass der Protest fruchtlos war, kann man aber eher nicht sagen.

„Ich stelle mal laut“

Wenn ein Gesprächspartner sagt, er stelle das Telefon jetzt auf laut, kann das eine weitreichende juristische Bedeutung haben. Im Zweifel ist dann nämlich die Aussage eines Zeugen, der das Gespräch mithört, vor Gericht verwertbar. Dies hat das Oberlandesgericht Koblenz entschieden.

Zwischen den Parteien eines Rechtsstreits war unstreitig, dass der Kläger lediglich gesagt hatte, er stelle das Telefon jetzt auf laut. Von einem weiteren Anwesenden im Raum sagte er nichts. Das Landgericht Koblenz, die Vorinstanz, hielt eine Zeugenbefragung dieser Person deshalb für unzulässig.

Der Kläger habe mit seinem Hinweis lediglich auf eine „negative Veränderung der Gesprächsqualität durch deutlich stärker hörbare Umgebungsgeräusche“ hingewiesen, meinten die Richter. Nicht so ihre Kollegen am Oberlandesgericht. Diese verweisen auf den „unverkennbaren Aussagegehalt“ des Hinweises. Wer diese Ansage kommentarlos zur Kenntnis nehme, willige ein, dass ein Dritter mithört. Dass der Dritte namentlich benannt werde, sei nicht erforderlich.

Nun kann der Zeuge in dem Prozess gehört werden, was die Beweissituation des Klägers natürlich enorm verbessert (Aktenzeichen 5 U 849/13).

Der Eichhörnchen-Fall

Wer für ein Tier scharf bremst, kann an einem Auffahrunfall Mitschuld tragen. Im Fall eines Eichhörnchens buchte das Amtsgericht München einem Tierretter 25 % aufs Haftungskonto.

Zwar hatte der Auffahrende die größte Schuld, wie so oft bei Auffahrunfällen. Hier gilt laut dem Gericht die Vermutung: Wer auffährt, hat Schuld.

Auch im vorliegenden Fall habe der Hintermann diese Vermutung nicht entkräften können. Zwar hatte er behauptet, das Eichhörnchen habe brav am Straßenrand gesessen. Der scharf bremsende Vordermann beteuerte dagegen, das Eichhörnchen sei über die Straße geflitzt.

Das Gericht konnte nicht klären, wer die Wahrheit sagt. Deshalb blieb nichts anderes, als die Haftung nach normalen Grundsätzen zu verteilen. Den Auffahrenden traf deswegen die Hauptschuld, während sich der Tierfreund mit der „Betriebsgefahr“ seines Auto einbringen musste.

Immerhin, so das Gericht, habe er für ein Kleintier gebremst. Der Unfall sei damit zu vermeiden gewesen, auch wenn dies zu Lasten des Eichhörnchens gegangen wäre (Aktenzeichen 331 C 16026/13).

Sind Sie zufrieden?

Telefonische Kundenbefragungen über die Zufriedenheit mit den Leistungen eines Anbieters sind Werbeanrufe, die nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Kunden zulässig sind. Das gilt auch dann, wenn der Anruf anlässlich einer Kundenreklamation erfolgt. Das hat das Oberlandesgericht Köln nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen ein Unternehmen entschieden, das unter anderem Telefoninterviews im Auftrag Deutsche Telekom führt.

Ein Telekom-Kunde hatte Störungen seines Anschlusses gemeldet, die anschließend behoben wurden. Eine Woche später erhielt er einen Anruf der Firma, die ihn über seine Zufriedenheit mit den Leistungen der Telekom befragen wollte.

Die Richter schlossen sich der Auffassung des vzbv an, dass es sich dabei um einen unzulässigen Werbeanruf handelte. Aufgrund der Beweisaufnahme des Bonner Landgerichts stehe fest, dass der Anruf nicht in erster Linie der Kontrolle dienen sollte, ob die vom Kunden beanstandeten Störungen inzwischen behoben wurden.

Vielmehr sollte mit dem Anruf vor allem die Zufriedenheit des Kunden mit den Serviceleistungen der Deutschen Telekom erfragt werden. Solche telefonischen Kundenbefragungen hätten Werbecharakter. Denn sie dienten dazu, Kunden zu binden und die Chancen auf den künftigen Absatz von Waren und Dienstleistungen zu erhöhen. Fehlt die ausdrückliche Einwilligung des Kunden, stellen solche Anrufe eine unzumutbare Belästigung dar. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Aktenzeichen 6 U 222/12).

In großer Sorge

Die deutschen Innenminister sind in großer Sorge. Um die deutschen Handy-und Tabletnutzer. Die werden nämlich, unbestritten, schon mal um ihr kostbares Hab und Gut gebracht. Die Lage ist offenbar so dramatisch, dass die Innenminister gleich an eine staatliche Lösung denken – die zentrale Wegfahrsperre für alle mobilen Endgeräte.

Die Innenminister beklagen in einer Beschlussvorlage (Tagesordnungspunkt 34) die „erheblichen Folgen für die Opfer“ eines Handyklaus. Sie formulieren als Ziel, diese Folgen „deutlich zu reduzieren“.

Nicht etwa durch psychologische Nachbetreuung von fürs Leben geschockten Menschen, die kurzzeitig auf ihren wichtigsten Gebrauchsgegenstand verzichten müssen. Oder präventiven Kurse in den Schulen, ob das Handy in der Jackentasche oder auf dem Cafétisch richtig aufbewahrt ist.

Vielmehr gehen die Innenminister gleich in die Vollen. In Frage komme, so heiß es, „die Unbrauchbarmachung oder erhebliche Erschwerung der Nachnutzung des Beutegutes“. Ansatzpunkt könne dabei die gerätebezogene IMEI-Nummer sein. Wir reden also über die staatliche, jedenfalls staatlich angeordnete Fernsperrung des Geräts.

Eine eigene Arbeitsgruppe soll untersuchen, ob ein zentrales IMEI-Register mit der Möglichkeit der totalen Gerätesperrung aus der Ferne funktionieren könnte.

Mahl ehrlich: Glaubt das jemand? Nach meinem Empfinden geht es hier um was anderes. Nämlich um den Aufbau eines Datenbestandes, der jedes Mobiltelefon zu jeder Zeit sekundenschnell persönlich zuordnungsfähig, auffindbar, steuerbar und (ja, auch) sperrbar macht. Das ist in dieser Form heute noch nicht möglich, wäre aber wie so manches andere ein feuchter Traum vieler Ermittler.

Um das herzensgute Anliegen umsetzen zu können, müsste die Verlustmeldung letztlich vom Handybesitzer kommen und – schon zur Vermeidung von Missbrauch – zeitnah verifizierbar sein. Mit anderen Worten: Ohne eine direkte Verknüpfung von Kundendaten mit den IMEI-Nummern bei der staatlichen Sperrstelle ginge es es offensichtlich nicht.

Dadurch entstünde eine ganz neue Datenbasis, um die Nutzung mobiler Endgeräte über automatische Zugriffe zu kontrollieren. Dass die ebenso erforderliche Schnittstelle tatsächlich nur für Diebstahlssperrungen genutzt würde, kann ich mir nicht vorstellen. Schon die bloße Existenz der Zugriffsmöglichkeit würde andere Begehrlichkeiten wecken. Auch das haben die kurzen Erfahrungen mit der Vorratsdatenspeicherung gelehrt.

Noch merkwürdiger wird die Argumentation der Innenminister, wenn man sich vor Augen führt, dass es längst ähnlich wirksame Sperrmöglichkeiten für mobile Endgeräte gibt. Und zwar zur Genüge. Praktisch jede Security-App – ich nutze etwa AVG Antiviurs Security – bietet diesen Service, und zwar schon in der kostenlosen Variante.

Natürlich holt sich nicht jeder so eine App. Aber rechtfertigt dies eine staatlich verordnete Wegfahrsperre für alle mit kompletter Zwangsregistrierung und Datenstriptease? Nein, das tut es nicht, von den exorbitanten Kosten so einer weiteren Behörde ganz abgesehen. Und dabei gibt es noch nicht einmal irgendwelche Kenntnisse darüber, ob eine wirksame – die Betonung liegt auf wirksame – Sperre überhaupt Handydiebstähle zurückgehen lassen würde.

Nach meiner Meinung ist die plötzliche Sorge ums Wohl deutscher Handynutzer vorgeschoben. Nur, wenn das eigentliche Ziel offen ausgesprochen würde, wäre das Projekt mit einiger Sicherheit schon jetzt am Ende. Das allerdings wäre zweifellos das Beste.

Bericht zum Thema

Wasserwerfer hier und dort

Die sächsische Polizei hat ein WM-Tippspiel gestoppt, mit dem sie PR in eigener Sache machen wollte. Zu gewinnen gab es, trara, eine Fahrt im Wasserwerfer.

„Tipp den Weltmeister und fahr ’ne Runde Wasserwerfer! So einen Preis habt ihr garantiert noch nicht gewonnen.“ So lauteten die Kernsätze für das Gewinnspiel auf Facebook.

Die Reaktionen der Leser fielen eher negativ aus. Beispielkommentar:

Wurde jemals mit einem Wasserwerfer ein Verbrechen aufgeklärt? Wozu sind die nochmal gut? Achja, in Stuttgart wurden friedlichen Demonstranten die Augen raus geschossen. Das ist keine Polizeiarbeit, das Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung, die eigentlich durch die Polizei geschützt werden sollte.

Gut, im Brasilien tötet die Polizei einfach unbequeme Menschen (auch Kinder), da ist ein Wasserwerfer noch human.

Das ist eher noch ein harmloses Statement. Offenbar wurden harschere Meinungsäußerungen großflächig gelöscht. Allerdings gibt sich die Polizei nach außen nun durchaus zerknirscht. So heißt es in einem Statement:

Die Gewalt, die gegen die brasilianischen Demonstranten eingesetzt wird, erschreckt uns zutiefst. Wir haben als Polizei Sachsen die Idee gehabt, unsere Community ein Gewinnspiel anzubieten, bei dem man nicht zum hundertsten Mal eine Tasse und ein Schlüsselband gewinnen kann.

Einen authentischen Einsatz sächsischer Wasserwerfer gegen einheimische Demonstranten, die aber im Gegensatz zu den armen Brasilianern garantiert zu 100 Prozent alleine schuld daran sein werden, wenn sie von der Straße gespült werden, hätte der Gewinner allerdings nicht miterleben dürfen. Die Fahrt sollte auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei in Leipzig stattfinden.

Die Polizei überlegt sich jetzt einen anderen Preis.

Legal Highs womöglich doch nicht illegal

Jahrelang haben deutsche Staatsanwaltschaften und Gerichte die Verkäufer von Legal Highs verfolgt. Und zwar auf der Grundlage des Arzneimittelrechts. Nun zeichnet sich ab, dass dies rechtswidrig war. Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hält es nämlich schon für unzulässig, synthetische Cannabinoide als Arzneimittel einzustufen.

Hintergrund des Ganzen ist ein juristisches Dilemma. Jedenfalls eines aus Sicht der Strafverfolger. Die vielen hundert, relativ neuen Varianten synthetisch hergestellter Cannabinoide, welche durchaus ähnlich wie Marihuana wirken, fallen zunächst nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Das liegt daran, dass bei uns nur als Betäubungsmittel gilt, was ausdrücklich verboten ist. Steht der Stoff nicht auf der schwarzen Liste, kann sein Hersteller, Verkäufer oder Konsument nicht nach dem Betäubungsmittelgesetz bestraft werden. Aus Sicht vieler, die etwas gegen Cannabinoide haben, ein unhaltbarer Zustand.

Statt jedoch auf eine eventuelle Gesetzesänderung hinzuwirken und bis dahin abzuwarten, verfielen vermeintlich findige Staatsanwälte, angefeuert durch einen besonders emsigen Strafverfolger, der seit längerem in Fachaufsätzen, Kommentaren und Interviews für sein Anliegen trommelt, auf einen Ausweg. Sie definierten Legal Highs einfach als Arzneimittel. Somit konnte das Arzneimittelgesetz angewendet werden. Es sieht praktischerweise ebenfalls „passende“ Strafen vor.

Allerdings ist diese Auslegung des Arzneimittelbegriffs juritisch höchst gewagt – wie jetzt auch das Plädoyer des Generalanwalts zeigt. Arzneimittel sind nach der maßgeblichen EU-Richtlinie nämlich nur Substanzen, die einen therapeutischen Nutzen haben. Ganz lebensnah weist das Gutachten darauf hin, dass niemand Legal Highs konsumiert, um gesund zu werden oder zu bleiben. Vielmehr strebten die Nutzer „Entspannungszwecke“ an.

Ausdrücklich warnt das Plädoyer davor, Begriffe wie den des Arzneimittels unzulässig weit auszulegen. Oder ihn gar zu „verzerren“. Ein unverhohlener Angriff auf das juristisch gewagte Vorgehen der deutschen Behörden. Die Stellungnahme des Generalanwalts ist ein wichtiges Signal dafür, wie der Europäische Gerichtshof letztendlich die Sache sieht. In der Regel folgt das Gericht dem Generalanwalt (von Ausnahmen wie dem Google-Urteil abgesehen).

Ergeht ein entsprechendes Urteil, stünden die laufenden Strafverfahren wegen Legal Highs vor dem Aus. Das Nachsehen hätten aber alle, die bereits verurteilt sind. Eine Entscheidung aus Luxemburg führt nicht dazu, dass rechtskräftige Urteile revidiert werden müssen.

Schlussantrag des Generanwalts

Wulffs Ankläger geben auf

Das Urteil gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff ist rechtskräftig. Eigentlich sollte man sagen, das Urteil zu Gunsten des früheren Präsidenten Christian Wulff ist rechtskräftig. Wulff war angeklagt, er habe sich zu seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident bei einem Besuch rund ums Münchner Oktoberfest Vorteile im Wert von 753,90 Euro gewähren lassen. Wulff wurde vom Landgericht Hannover freigesprochen. Nun hat die Staatsanwaltschaft Hannover für die Rechtskraft des Urteils gesorgt. Sie zog ihre Revision gegen den Freispruch zurück.

Die Anklagebehörde bestätigte, sie habe nun nach eingehender Prüfung des 76-seitigen Urteils keine ausreichenden Fehler gefunden, die das Urteil anfechtbar machen. Optisch wirkt der Zeitpunkt der Entscheidung fast etwas wie eine Wiedergutmachung gegenüber Wulff. Hat dieser doch erst am Dienstag sein neues Buch Ganz oben Ganz unten vorgestellt, in dem er die für ihn katastrophalen Auswirkungen der Ermittlungen gegen ihn schildert. Immerhin verlor Wulff darüber sein Amt als Bundespräsident.

Allerdings dürfte es sich beim Zeitpunkt nicht unbedingt um versteckte Schützenhilfe leisten. Vielmehr lief die gesetzliche Revisionsbegründungsfrist in der Nacht auf Freitag ab. Deshalb zogen die Ankläger zurück, denn ansonsten hätte wäre die Revision ohne Sachprüfung als unzulässig verworfen worden.

Früherer Beitrag im law blog: Hannoveraner Zirkusspiele

Dauerbaustelle – wer zahlt?

Baustellen sind nervig. Für einen Tankstellenbesitzer in Sachsen-Anhalt auch teuer. Denn wegen einer fünfmonatigen Sperrung der B 184 wegen Brückenarbeiten machte er deutlich schlechtere Geschäfte. Trotzdem kriegt er vom Land Sachsen-Anhalt kein Geld.

Vor Gericht hatte der Tankstellenbetreiber 60.000 Euro eingeklagt. Für fünf Monate war seine Tankstelle in Greppin zwar erreichbar, lag wegen der Totalsperrung im weiteren Verlauf aber in einer Sackgasse.

Das Bundesfernstraßengesetz (§ 8a Absatz 5) sieht zwar eine Entschädigung bei längeren Bauarbeiten vor. Voraussetzung ist aber, dass die wirtschaftliche Existenz des Betriebes bedroht ist.

Hierfür muss nach Auffassung des Landgerichts Magdeburg Zahlungsunfähigkeit und damit letztlich die Pleite drohen. Das konnte der Tankstellenbetreiber aber nicht belegen. Vielmehr habe er, so das Gericht, nach den vorgelegten Unterlagen ausreichendes Betriebskapital und Barmittel gehabt.

Das Oberlandesgericht Naumburg hat die Entscheidung jetzt bestätigt (Aktenzeichen 6 U 33/13).

Was für Anfänger

Es geht um einen Streit zwischen jungen Leuten. SMS gingen hin und her, der Ton wurde bösartig. Am Ende gab es konkrete Stalking- und Diebstahlsvorwürfe. Diese richteten sich gegen meinen Mandanten. Vieles davon wirkt konstruiert, womöglich sogar ausgedacht. Dagegen wollte mein Mandant sich wehren und forderte seine Kontrahentin auf, ihre aus seiner Sicht falschen Angaben bei der Polizei richtigzustellen. Was ihm eine Anklage einbrachte, und zwar eine sehr merkwürdige.

Stein des Anstoßes war diese SMS meines Mandanten:

Besitz doch bitte die Courage und melde dich bei Frau P. und sag, dass du gezwungener Weise eine Falschaussage gemacht hast, sonst muss ich dich wegen Verleumdung verklagen und das ist eine Straftat! Will ich nicht tun, aber…

Für die Staatsanwältin ein klarer Fall von Nötigung. Zum Glück hat sie schon zwei Staatsexamen, denn mit dieser Meinung wäre sie ansonsten schon in der Anfängerübung an der Uni gescheitert. Warum, das erklärt der zuständige Richter am Amtsgericht. In einem kurzen Beschluss, mit dem er die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt. Auszug:

Die Rechtswidrigkeit der Drohung entfällt, wenn der Täter mit einer der Sachlage entsprechenden Strafanzeige droht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Angeschuldigte hat die Zeugin J. in seiner Kurzmitteilung aufgefordert, eine aus seiner Sicht falsche Aussage richtig zu stellen. Die damit verbundene Androhung der Erstattung einer Strafanzeige wegen dieser falschen Aussage ist nicht verwerflich.

Die Kosten trägt die Staatskasse.

Urlaub ist seit heute vererbbar

Der Europäische Gerichtshof hat ein wichtiges Urteil für Arbeitnehmer gefällt. Genauer: für deren Hinterbliebene. Laut der Entscheidung erlöschen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers nicht durch dessen Tod. Vielmehr können Erben sich den Urlaub auszahlen lassen.

Die Entscheidung stellt die bisherige Rechtspraxis in Deutschland auf den Kopf. Bislang haben die deutschen Gerichte durchweg eisern an der Maxime festgehalten, dass der Tod des Arbeitnehmers noch offene Urlaubsansprüche erlöschen lässt. So hat etwa das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 12. März 2013 diesen Standpunkt ausdrücklich weiter vertreten. Das alles gilt nun nicht mehr.

Vor dem Europäischen Gerichtshof hatte die Witwe eines Angestellten geklagt. Dieser war vor seinem Tod längere Zeit weitgehend arbeitsunfähig. Bis er starb, hatte er 140,5 Tage Resturlaub. Vor Gericht stritten sich die Witwe und der Arbeitgeber darum, ob der Resturlaub abzugelten ist. Das zuständige Landesarbeitsgericht verspürte ebenfalls Unbehagen an der bisherigen Rechtsprechung. Es legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof vor.

Der Europäische Gerichtshof findet klare Worte. Der Anspruch auf bezahlten Urlaub sei ein „besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts“. Der Anspruch auf Abgeltung des bezahlten Jahresurlaubs stelle die „praktische Wirksamkeit“ dieses wichtigen Anspruchs sicher.

Im Ergebnis sieht der Europäische Gerichtshof auch keinen Unterschied zu dem Fall, dass das Arbeitsverhältnis etwa durch Kündigung endet, bevor der Urlaub genommen werden kann. Auch hier hat das Gericht bereits geurteilt, dass der offene Urlaub ohne Ausnahme abzugelten ist.

Wenn der Arbeitnehmer stirbt, dürfen diese Rechte laut dem Urteil auch nicht durch formale Tricks umgangen werden. So sei die Urlaubsabgeltung nicht von einem Antrag des Arbeitnehmers abhängig, den dieser nach seinem Tod ja kaum stellen kann. Entsprechende Klauseln, stellt das Gericht klar, wären unwirksam. Das Urteil ist hier nachzulesen.

Blitzerfotos im Netz

Bußgeldstellen dürfen Blitzerfotos ins Netz stellen – aber nur für die Betroffenen. Ein Temposünder hatte gegen die Brandenburger Praxis geklagt, die Messfotos online zur Verfügung zu stellen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hält das aber für zulässig.

Sowohl für die Anfertigung der Bilder als auch die „elektronische Aktenführung“ gebe es ausreichende gesetzliche Grundlagen, befinden die Richter. Die Vertraulichkeit der Bilder sei gewahrt, denn jede Aufnahme sei nur mit einem individuellen Code abrufbar. Der Code werde nur dem Betroffenen selbst beziehungsweise dem Halter des Fahrzeugs zugesandt.

Das System sei auch ausreichend sicher. Die bloße Möglichkeit, dass jemand die Datenbank hackt, sei kein Argument (Aktenzeichen OVG 12 S 23.14).

Schuld sind immer andere

Manche Klagen sind wirklich kreativ. Wie die eines jungen Mannes, der nach einem Diskothekenbesuch eine Frau vergewaltigt hatte. Der Verurteilte wollte vor Gericht erreichen, dass sich der Inhaber der Diskothek an dem Schmerzensgeld beteiligt, das er seinem Opfer zahlen muss.

Der Kläger ist inzwischen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem muss er seinem Opfer Schadensersatz zahlen. Er argumentierte, der Türsteher und der Kassierer hätten ihn an dem betreffenden Abend unter Verstoß gegen Jugendschutzvorschriften in den Laden gelassen. Außerdem habe er in der Diskothek harten Alkohol bekommen. Ohne diese Umstände wäre die Tat nicht passiert.

Das Landgericht Osnabrück sieht schon gar keine juristische Anspruchsgrundlage gegen den Gastwirt. Das Jugendschutzrecht solle Jugendliche vor Alkoholschäden und Verwahrlosung schützen. Es liege aber nicht mehr im Schutzbereich des Gesetzes, Jugendliche an Straftaten unter Alkoholeinfluss abzuhalten.

Überdies habe das Strafgericht festgestellt, dass die Alkoholisierung des Klägers seine Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt hat. Die Osnabrücker Richter kreiden dem Kläger auch an, dass er die Tat bis heute nicht eingeräumt hat und aktuell noch Verfassungsbeschwerde erhebt. So lange er nicht mal zivilrechtlich selbst darlege, etwas mit der Sache zu tun zu haben und damit „geschädigt“ zu sein, müsse auch nicht über eine Haftung Dritter zu seinen Gunsten nachgedacht werden. (Aktenzeichen 9 O 2534/13).

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