Learning by doing

Manchmal ist es vielleicht doch keine gute Idee, ganz unerfahrene Richter mit bestimmten Aufgaben zu betrauen. Zum Beispiel mit Entscheidungen über die Freiheit anderer Menschen.

Mir war vor zwei Wochen der Haftbefehl eines Strafrichters, dessen Namen ich noch nie gehört hatte, auf den Tisch geflattert. Zum Glück war mein Mandant an dem fraglichen Tag nicht zu Hause. So musste er der freundlichen Einladung auf einen Knastaufenthalt nicht Folge leisten, welche Polizeibeamte bei ihm zu Hause aussprechen wollten.

Ich an seiner Stelle hätte mich auch nicht selbst gestellt. Denn der Haftbefehl war in jeder Hinsicht falsch begründet und – offensichtlich – sachlich nicht haltbar. Nachdem ein Gesprächsversuch mit dem Richter scheiterte, weil der für höflich vorgetragene Argumente wenig zugänglich war, legte ich gegen den Haftbefehl Beschwerde ein.

Postwendend schrieb mir der Richter folgendes:

Wird die Beschwerde zurückgenommen? Sie ist unzulässig, weil der Haftbefehl derzeit nicht vollzogen wird.

Welch bahnbrechende Erkenntnis! Ich habe schon gegen unzählige Haftbefehle Beschwerde eingelegt, denen sich meine Mandanten durch Abwesenheit widersetzten. Noch nie ist ein Richter auf die Idee gekommen, dass dieses Rechtsmittel unzulässig sein könnte. Wie auch? In der Strafprozessordnung ist eindeutig festgehalten, dass Beschwerden gegen Haftbefehle zulässig sind. Dass der Beschuldigte dafür in Haft sitzen muss, steht nirgends. Was man allerdings auch unschwer in jedem Standardkommentar zum Strafprozessrecht nachlesen kann.

Überdies: Dem betreffenden Richter steht es laut dem Gesetz gar nicht zu, über die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen seinen Haftbefehl zu entscheiden. Er hat nur die Möglichkeit, die eigene Entscheidung abzuändern. Oder er muss das Rechtsmittel an das Beschwerdegericht weiterleiten – und zwar innerhalb von drei Tagen. Die Frage, ob ich die Beschwerde zurücknehme, war also völlig deplatziert. Ebenso wie die unverhohlene Drohung, die Beschwerde als unzulässig zu behandeln.

Ab dem Zeitpunkt wollte ich echt kein Risiko mehr eingehen. Ich rief deshalb den Vorsitzenden des Beschwerdegerichts an und erzählte ihm von der Sache. Der ist ein sehr umgänglicher Mensch. Er war freundlicherweise bereit, seinen jungen Kollegen nachher in der Kantine mal ganz beläufig zu fragen, wie es denn insgesamt so läuft.

Am nächsten Tag wurde der Haftbefehl dann auf meine Beschwerde hin aufgehoben – und zwar durch den jungen Richter selbst.