Alles, nur kein Betrug

Im Wirtschaftsleben ist es ja fast schon üblich geworden, Streitigkeiten nicht nur zivilrechtlich auszutragen. Vielmehr muss auch gleich noch Strafanzeige erstattet werden. Wofür wir Strafveteidiger uns natürlich ausdrücklich bedanken. Gar nicht selten wird der größte Humbug behauptet. Und bedauerlicherweise fallen Staatsanwälte sogar darauf rein, was ihnen Anwälte so schreiben, die mal nebenher jeden zivilrechtlichen Pups mit einer Strafanzeige verstärken.

Bei dem aktuellen Fall, über den ich erzählen möchte, rettet mich an sich nur die Hoffnung, dass die fragliche Anklage hoffentlich von Juristenazubi geschrieben wurde und dem verantwortlichen Staatsanwalt nur Zeit oder Lust zum Lesen fehlten.

Es geht um folgendes: Ein Bauherr zahlte an einen Bauunternehmer immer die vollen Rechnungsbeträge, obwohl für einige Zeiträume gesetzlich vorgesehene Freistellungsbescheinigungen (noch) nicht vorlagen. Der Bauherr wusste, dass er wegen der fehlenden Bescheinigungen an sich einen Teil des Geldes einbehalten kann. Er machte es aber nicht. Wahrscheinlich, weil er davon ausging, es gehe schon alles gut. Oder weil er keine Diskussionen wollte. Ebenso war dem Bauherren bekannt, dass er möglicherweise gegenüber dem Finanzamt in eine Zweithaftung rutscht, wenn er trotz fehlender Bescheinigungen den vollen Rechnungsbetrag bezahlt.

Genau das passierte dann auch. Das Finanzamt wollte noch mal Geld. Was den Bauherren schäumen ließ wie Henckell Trocken. In seiner Strafanzeige ließ er seinen Anwalt erklären, der Unternehmer habe ihm doch mehrfach zugesagt, dass er die Bescheinigungen nachreicht, sobald er sie vom Finanzamt bekommt. Was dann leider nicht passierte.

Das reichte wiederum der Staatsanwaltschaft für eine Anklage. Wegen Betruges. Dumm nur, dass Betrug eine Täuschung voraussetzt. Und zwar eine über Tatsachen, die gegenwärtig sind. Was möglicherweise in der Zukunft passiert, ist in diesem Sinne keine Tatsache, sondern höchstens eine Erwartung oder Aussicht.

So einfach ist das, und damit hat sich die Anklage schon im ersten Prüfungsschritt erledigt. Es kämen dann noch etliche weitere rechtliche Aspekte, wegen denen ein Betrug ebenfalls ausscheidet. Nur wenige Stichworte: Kausalität zwischen Täuschung, Irrtum und Vermögensverfügung. Stoffgleichheit zwischen Vermögensverfügung und Schaden. Und das alles selbst dann, wenn man den Sachverhalt sklavisch exakt so zu Grunde legt, wie ihn die Anklageschrift darstellt.

In dem Fall schicke ich dem Mandanten ausnahmsweise mal keine Vorschussrechnung für die vier kurzen Absätze, die ich nun ans Gericht geschrieben habe. Es ist ja jetzt schon klar, dass diese Anklage hier zu Ende ist und am Ende die Staatskasse zahlt.

Mein Anwalt weiß mehr als ich

Ein neuer Mandant wurde bisher von einem anderen Rechtsanwalt vertreten. Doch zwischen Anwalt und Mandant kam es zu einem Streit. Ursache des Ärgers: Der bisherige Anwalt hatte zwar Einsicht in die Strafakte genommen. Er weigerte sich aber kategorisch, dem Mandanten eine Kopie der Akte zu geben. Das wiederum wollte der Mandant sich nicht gefallen lassen…

Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass dies wirklich der tragende Grund für den Streit war. Also telefonierte ich erst mal – der Mandant war einverstanden – mit dem bisherigen Anwalt. Doch was der Mandant über die Ursache des Konflikts erzählte, traf zu. „Ich gebe den Mandanten grundsätzlich keine Kopien von Ermittlungsakten“, sagte mir der Anwaltskollege. „Ich bespreche den Inhalt der Akte mit dem Mandanten, er darf in meiner Gegenwart auch mal die wichtigsten Stellen lesen, aber eine Kopie gibt es bei mir grundsätzlich nicht.“

Eine richtige Begründung für diese Praxis wollte mir der Kollege nicht geben. Außer natürlich, dass er das schon immer so macht. Seitdem er als Anwalt zugelassen ist, was immerhin 15 Jahre sind. Was er ansonsten sagte, klang so, als wolle er er sich ein gewisses Herrschaftswissen gegenüber dem eigenen Auftraggeber sichern. Nach dem Motto: Ich bin der Anwalt, lass mich arbeiten, stell‘ am besten gar keine Fragen. Damit war er bei dem aktuellen Mandanten aber an den falschen geraten.

Der Betroffene fragte sich völlig zu Recht, wie er seinen Anwalt informieren und mit ihm gemeinsam eine Strategie entwickeln soll, wenn er gar nicht exakt weiß, was gegen ihn vorliegt. Dazu müsste er ja die Ermittlungsakte kennen. Denn nur aus dem Akteninhalt von Seite 1 bis zum Ende ergibt sich der Tatvorwurf.

Ich nehme vorweg, die beiden fanden nicht mehr zusammen. Ich habe das Mandat also übernommen und bin so vorgegangen, wie ich es regelmäßig tue. Ich besorgte die Ermittlungsakte. Der Mandant kriegte von mir eine Kopie aller Unterlagen. So konnte er selbst lesen, was was ihm zur Last gelegt wird und welche Beweismittel es gibt. Anschließend konnten wir auf Augenhöhe besprechen, wie wir ihn rausholen.

Ab und zu gibt es aber tatsächlich Fälle, in denen komplette Offenheit gegenüber dem Mandanten sich nicht verwirklichen lässt. Das kann zum Beispiel dann sein, wenn ich begründeten Anlass zur Sorge haben muss, dass der Mandant die Informationen missbrauchen wird. Um Zeugen zu bedrohen etwa. Oder für Verdunkelung.

Besonders heikel ist es, wenn sich aus der Akte ergibt, dass gegen den Mandanten ein Haftbefehl besteht. Oder dass eine Durchsuchung ansteht. Dann muss ich abwägen. Ich frage dann, ob ich die Informationen auf „ordentlichem“ Wege erhalten habe. Kann man mir keine Trickserei vorwerfen, gehen im Zweifel die Interessen des Mandanten vor.

Aber solche Probleme stellen sich echt nur in ein, zwei Prozent der Fälle. Ansonsten kriegt der Mandant alle Unterlagen, die ich erhalte. Ich persönlich würde es ja auch befremdlich finden, wenn mich mein eigener Anwalt teilweise im Dunkeln lassen würde. Der einzige Strafverteidiger, den ich bisher in meinem Leben brauchte, hat es aber zum Glück so gehalten wie ich.

Erdogan 0 : Döpfner 2

Für den türkischen Staatspräsidenten läuft es juristisch in Deutschland nicht komplett rund. Das Oberlandesgericht Köln hat wie schon die Vorinstanz seinen Antrag zurückgewiesen, gegen den Vorstandsvorsitzenden des Springer Verlags, Mathias Döpfner, eine einstweilige Verfügung zu erlassen.

Döpfner hatte auf der Internetseite der Zeitung „Die Welt“ seine Solidarität mit Jan Böhmermanns „Schmähgedicht“ bekundet und in einem „PS“ erklärt, er wolle sich „vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen.“

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts, die der des Landgerichts entspricht, ist der „offene Brief“ des Antragsgegners als eine von Art. 5 GG geschützte zulässige Meinungsäußerung zu werten. Es handele sich bei dem Brief zuvorderst um eine Stellungnahme zur rechtlichen Zulässigkeit des Beitrags von Jan Böhmermann in dessen Sendung „Neo Magazin Royale“. Dass der Antragsgegner den Beitrag von Jan Böhmermann gutheiße, sei vom Grundgesetz als zulässige Meinungsäußerung geschützt.

Auch das „PS“ des Briefes führe nicht zu einem Unterlassungsanspruch. Im Presserecht könne das „Zu-Eigen-Machen“ einer fremden Äußerung zwar zu einer erhöhten Verantwortlichkeit führen. Ein solcher Fall sei hier aber nicht gegeben. Denn auch das Post Scriptum sei Teil der Auseinandersetzung um die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Meinungs- und Kunstfreiheit sowie um die Diskussion hierüber im Anschluss an das „Gedicht“ von Herrn Böhmermann. Gegen ein „Zu-Eigen-Machen“ im presserechtlichen Sinne spreche schon, dass der Antragsgegner das Gedicht in seiner satirischen Einkleidung nicht wiederholt habe. Vielmehr gehe es dem Antragsgegner erkennbar darum kundzutun, dass er das Gedicht in der von Herrn Böhmermann vorgetragenen Form für Satire und damit für zulässig halte. Dass der Antragsgegner das Gedicht ohne satirische Einkleidung für zulässig halte, sei dagegen weder behauptet noch ersichtlich.

Eine andere rechtliche Bewertung folgt auch nicht daraus, dass der offene Brief das Wort „Ziegenficker“ enthalte. Denn mit dem Begriff habe der Antragsgegner lediglich eine Passage des Gedichts in Bezug genommen und nicht den Antragsteller bezeichnet (Aktenzeichen 15 W 32/16).

Berliner Schöffen sollen Angeklagten fürchten

Am Amtsgericht Tiergarten in Berlin soll letzte Woche ein Prozessauftakt geplatzt sein, weil das Gericht keine Schöffen fand. Wie die B.Z. berichtet, soll es keine Schöffen gegeben haben, die im Prozess gegen den Angeklagten Mohamed „Momo“ A. tätig werden wollten.

Mohamed A. soll eine große Nummer auf dem örtlichen Straßenstrich sein. Ihm wird vorgeworfen, auf der Bülowstraße in Schöneberg von Prostituierten ein wöchentliches „Standgeld“ von 120,00 Euro erpresst zu haben. Die Anklage spricht davon, A. habe eine „milieuspezifische Drohkulisse“ aufgebaut. Er gelte als „Herr der Straße“.

Angesichts der bekannten Situation in Berlin ist es schon nachvollziehbar, dass Schöffen, die ja meist selbst in der Gegend wohnen, eher nur ungern über Mohamed A. urteilen wollen. In der Tat sieht das Gerichtsverfassungsgesetz sogar vor, dass Schöffen ihren Dienst verweigern dürfen, wenn ihnen das Richteramt nicht zugemutet werden kann (§ 54 GVG). Die große Frage ist halt nur, wie weit das abstrakte Risiko reicht, welches ehrenamtliche Richter notgedrungen auf sich nehmen müssen. Wenn man einem Schöffen erlaubt, sich wegen möglicher Gefährlichkeit des Angeklagten wegzuducken, wird man das anderen auch nicht verwehren können. Womit das System dann schnell gesprengt wäre.

Sofern der Bericht zutrifft, werden die Verteidiger Mohamed A.s jedenfalls dankbar auf den Zug aufspringen. Das System zur Schöffenwahl ist schon kompliziert genug, auch bei der konkreten Auswahl der ehrenamtlichen Richter für die einzelnen Sitzungstage werden gerne Fehler gemacht. Wenn jetzt noch munter der Stab wegen fehlenden Mutes an sich zuständiger Schöffen weitergereicht wird und das Gericht dies duldet, dürfte allein das ausreichend Stoff für einige Verhandlungstage und die nächsten Instanzen bieten.

Vom Bild, das die Berliner Justiz abgibt, gar nicht zu reden.

„Kommen Sie ein paar Minuten früher“

Da ist beim Gericht einiges schiefgelaufen.

Erst mal wurde ich als Verteidiger des Angeklagten nicht korrekt geladen. Die Ladung zum Hauptverhandlungstermin am Donnerstag dieser Woche erhielt ich erst heute, also weit außerhalb der Wochenfrist nach § 217 StPO. Und das, obwohl ich mich schon vor rund vier Wochen schriftlich beim Gericht gemeldet hatte.

Ebenso alt war mein Akteneinsichtsgesuch. Ohne Kenntnis der Ermittlungsakte kann ich meine Arbeit nicht machen. Deswegen war ich auch so frei, zwischendurch daran zu erinnern, dass man mir doch bitte die Akte mal zusendet. Ist nicht passiert.

Blöd, aber ebenso ist es verständlich, wenn Richter ihre einmal festgesetzten Termine retten wollen. Da hört man etwa folgendes: „Kein Problem, Sie kommen einfach ein paar Minuten früher ins Gericht. Dann gucken Sie halt mal in die Akte rein.“ So geht das aber keinesfalls, denn so lässt sich – zumindest bei kleineren Sachen – der Akteninhalt vielleicht gerade noch mit dem Mandanten besprechen. Aber nicht eine Verteidigungsstrategie ausarbeiten.

Ich griff heute morgen also zum Telefonhörer, um mit der Richterin über die Probleme zu sprechen. Da ich die Dame nicht kannte, rechnete ich natürlich damit, dass wir uns die Wolle bekommen. Sachlich natürlich, nicht im Ton. Doch ganz das Gegenteil war der Fall. „So macht eine Verhandlung keinen Sinn“, sagte die Richterin ohne großartiges Hin und Her. „Schauen wir mal, ob wir einen Termin im August finden.“

Das gelang uns dann auch. Insgesamt eine sehr angenehme Erfahrung. Bleibt nur zu hoffen, dass insbesondere die Akteneinsicht diesmal etwas schneller geht.

Nur die Polizei darf Polizei heißen

Wo Polizei drauf steht, muss auch Polizei drin sein. Deshalb darf ein Anbieter von Anti-Gewalt- und Opferschutz-Seminaren nicht länger Domains mit den Begriffen „Polizei-Jugendschutz“ verwenden. Der Begriff Polizei sei exklusiv für den Bund und die Länder geschützt, urteilt das Oberlandesgericht Hamm.

Mit der Verwendung des Begriffs „Polizei“ erwecke der Seminaranbieter den falschen Eindruck, sein Angebot stehe im Zusammenhang mit der Arbeit der echten Polizei. Die Polizei NRW betreibt selbst ein Portal mit dem Namen „Jugendschutz – Polizei Nordrhein-Westfalen“.

Am umfassenden Namensschutz für das Wort Polizei hat das Oberlandesgericht keinen Zweifel. Der Begriff Polizei stehe für eine Behörde, die öffentliche Polizeigewalt ausübe. Wer das nicht tue, dürfe den Begriff auch nicht ohne Genehmigung verwenden. Der Seminaranbieter muss sein Angebot umbenennen. Außerdem muss er alle seine Domains rausgeben, in denen das Wort Polizei vorkommt (Aktenzeichen 12 U 126/15).

2 x Post im Verwaltungsrecht

In der Tagespost meines Büros waren heute Schreiben in zwei völlig verschiedenen Angelegenheiten, die zum Verwaltungsrecht gehören. Was beide Briefe gemeinsam haben? Sie sind schon auf den ersten Blick voller rechtlicher Fehler. Diese Fehler stechen sogar mir ins Auge, obwohl ich als Strafverteidiger nicht unbedingt jeden Tag tief ins Verwaltungsverfahrensrecht eintauche.

Im ersten Brief geht es um darum, dass sich ein städtisches Amt nicht mehr an eine Zusage halten will. Die Leistung war wirksam bewilligt, und zwar durch einen förmlichen Bescheid. Das nennt man einen begünstigenden Verwaltungsakt. Anscheinend gab es dann behördenintern irgendwelche Probleme. Mein Mandant erhielt einen Anruf, dass er nicht mit der Leistung rechnen kann. Als er sich damit nicht zufrieden gab und telefonisch nachhakte, meldete sich jemand von der Bezirksregierung, also der Aufsichtsbehörde, per Mail und teilte mit, es seien leider keine „finanziellen Kapazitäten“ mehr da.

Auf unseren freundlichen Hinweis, dass man einen begünstigenden Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG zurücknehmen kann und das auch durch die zuständige Behörde geschehen muss, kam ein nichtssagendes Schreiben. Immerhin vom zuständigen Amt. Darin wird behauptet, der Antrag sei „zu spät“ gestellt worden. Was aber jedenfalls nichts daran ändert, dass der Antrag positiv beschieden wurde. Mit keinem Wort wird erklärt, was für Fristen überhaupt versäumt worden sein sollen. Aber anscheinend handelt es sich sowieso nur um behördeninterne Vorgaben, die den Bürger sowieso nicht interessieren müssen.

Der Brief ist noch nicht mal als Rücknahme tituliert, eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlt auch. Nicht jedoch eine Floskel, man betrachte die Angelegenheit nun als „erledigt“ und wünsche dem Antragsteller alles Gute. Ich glaube, den Gefallen wird unser Mandant der Behörde nicht machen.

Der zweite Brief kommt von einem Polizeipräsidium. Es geht darum, dass Datenträger „nach Polizeirecht“ sichergestellt werden, weil diese möglicherweise strafbare Inhalte enthalten. Interessant, denn das Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen wurde eingestellt. Und zwar mangels Tatverdachts. Die Datenträger sind nämlich verschlüsselt. Sie konnten nicht geknackt werden. Es ist also völlig offen, was drauf ist.

Dennoch meint die Polizei jetzt, sie dürfe die Datenträger behalten, weil es als „möglich“ erscheint, dass halt doch strafbare Inhalte auf den Festplatten sind. Weil das nicht „ausschließbar“ sei, müssten die Datenträger nicht zurückgegeben werden, weil sie ja ansonsten sofort wieder beschlagnahmt werden könnten. Dummerweise wird in dem Bescheid mit keinem Wort begründet, aufgrund welcher Tatsachen der Polizeibeamte meint, die Datenträger könnten illegale Daten enthalten. Nicht mal die kriminalistische Erfahrung wird bemüht, die sich ja sonst als Notanker bewährt.

Abgesehen von der fehlenden Begründung schafft es der Hauptkommissar auch nicht, die sofortige Vollziehbarkeit anzuordnen. Den Satz hat er schlicht vergessen, obwohl er ihn anscheinend schreiben wollte, wie man mit etwas gutem Willen zwischen den Zeilen rauslesen kann.

Ach ja, auch hier fehlt die Rechtsbehelfsbelehrung.

Und ich denke immer, die Sitten verrohen nur an den Strafgerichten.

Rechenfehler des Gerichts: Mordprozess muss wiederholt werden

Das Landgericht Köln muss einen umfangreichen Mordprozess komplett neu aufrollen. Wegen Schludrigkeit. Oder eines peinlichen Rechenfehlers. Jedenfalls haben die Richter die Frist nicht eingehalten, innerhalb der sie das Urteil zu Papier bringen müssen.

Wie lange sich ein Gericht nach der Urteilsverkündung mit dem schriftlichen Urteil Zeit lassen darf, ist in § 275 StPO geregelt. Die Vorschrift hat ihre Tücken, wie der aktuelle Fall zeigt. Das Urteil wurde am 25. August 2015 nach 30 Hauptverhandlungstagen verkündet. An diesem Tag begann die sogenannte Urteilsabsetzungsfrist. Diese verlängert sich in Abschnitten, je länger die Verhandlung gedauert hat.

Fertig war das Urteil am 23. November 2015. Allerdings endete die Frist bereits am 10. November 2015. Vermutlich haben die Richter das Gesetz falsch gelesen. Dort heißt es nämlich, die Frist verlängert sich bei längeren Prozessen „für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen“ um weitere zwei Wochen. Bei 30 Hauptverhandlungstagen hat allerdings der Abschnitt noch nicht begonnen, der weitere zwei Wochen einbringt. Das wäre erst der Fall gewesen, wenn die Verhandlung 31 Tage gedauert hätte (Aktenzeichen 2 StR 157/16).

Lebenslang für versuchten Mord?

Lebenslang. Das fordert der Generalbundesanwalt für das Messer-Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Politikerin hat den Angriff mit viel Glück knapp überlebt. Somit ist der Angreifer lediglich wegen versuchten Mordes angeklagt. Ihn trotzdem mit der Höchststrafe zu belegen, geht das überhaupt?

Gut, die Antwort ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die oberste Anklagebehörde Deutschlands so eine Bestrafung ernsthaft in öffentlicher Hauptverhandlung fordert. Alles andere wäre ja nur peinlich. Ich will aber trotzdem kurz erläutern, wieso versuchter Mord bestraft werden kann wie vollendeter Mord.

Wichtigster Grund: Das Strafgesetzbuch ist – für manchen sicher überraschend – keineswegs so formuliert, dass der Versuch einer Straftat immer milder zu bestrafen ist als eine vollendete Tat.

Der maßgebliche Paragraf (§ 23 StGB) spricht nur davon, dass der Versuch milder bestraft werden kann. So viel steht also fest: Ein Muss ist ein Strafrabatt keinesfalls. Allerdings gibt es über diese (zwingende) Wortauslegung des Gesetzes schon keine Wahrheiten mehr. Denn wie das Wörtchen „kann“ in der Praxis auszugestalten ist, darüber gehen die Meinungen seit jeher weit auseinander und füllen ganze Bibliotheken.

Deshalb nur kurz meine persönliche Meinung. Gerade weil es um versuchten Mord geht, halte ich die Forderung der Bundesanwaltschaft für übertrieben ambitioniert. Lebenslang, so wie es im Gesetz steht, ist ja schon bei vollendetem Mord kein lebenslang. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass lebenslang nur mit der Maßgabe gelten kann, dass dem Verurteilten doch noch eine realistische Chance auf Entlassung bleibt. Was in der Praxis bedeutet, dass spätestens nach 15 bis 20 Jahren regelmäßig eine Entlassung ernsthaft zu prüfen ist.

Lebenslang ist also schon bei vollendetem Mord eine Straffolge knapp am Rande der Illegalität. Schon von daher wird man mit einem lebenslang extrem vorsichtig sein müssen, wenn es nur bei einem Versuch geblieben ist. Folgerichtig weisen die Bundesanwälte auch vehement darauf hin, dass Reker wohl nur mit extrem viel Glück überlebt hat. Je näher sie die Tat an einen geglückten Mord rücken und je weniger das Verhalten des Täters zum Überleben des Opfers beigetragen hat, desto plausibler könnte es sein, den Angeklagten faktisch so zu behandeln, als sei sein Opfer gestorben.

Mir klingt das allerdings zu einseitig und viel zu hypothetisch. Henriette Reker hat glücklicherweise überlebt, also hat sich nun mal tatsächlich zum Glück ein weit geringeres Unrecht verwirklicht. Diese Umstände zu Lasten des Angeklagten völlig auszublenden, halte ich für mehr als fragwürdig.

Immerhin muss man auch mal sehen, wohin sich der Strafrahmen verschieben würde, wenn man den Versuch, wie vom Gesetz ausdrücklich zugelassen, milder bestraft. Dann stünde (§ 49 StGB) nicht mehr lebenslang zur Debatte, sondern eine Freiheitsstrafe von 3 bis 15 Jahren. Das ist nicht unbedingt ein Spielraum, der es Richtern schwer machen sollte, auch im Fall Reker eine angemessene Strafe zu finden.

„Aufhebung des Termins“

Schreiben eines Landgerichts, das mich heute erreicht:

… brauchen Sie zum Hauptverhandlungstermin am Montag, 20. Juni 2016, nicht zu erscheinen. Grund: Aufhebung des Termins.

Positiv ist aus Sicht eines Verteidigers ist schon mal, dass man vom Gericht über den geplatzten Termin informiert wird. Oft genug kommt es vor, dass solche Mitteilungen vergessen werden. Oder erst nach dem eigentlichen Termin ankommen, weil weder Richter noch Gerichtsmitarbeiter an die hausinternen Bearbeitungszeiten denken. Auch hier war es knapp: Das Schreiben datiert vom 10. Juni, frankiert wurde es aber erst am 15. Juni. Morgen ist Freitag. Es hätte also auch nicht viel gefehlt, damit ich ahnungslos geblieben werden.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich zumindest bei auswärtigen Verhandlungen mittlerweile oft noch mal am Tag vorher beim Gericht anrufe und frage, ob es wirklich beim Termin bleibt. Die meisten Geschäftsstellen kennen das Problem und reagieren freundlich. Und wenn’s mal eine pampige Antwort gibt mit dem Inhalt, so lange wir nichts hören würden, bleibe es selbstverständlich beim Termin, muss ich halt damit leben.

Aber zurück zum Brief des Gerichts. Eine kurze Begründung für eine Absage, noch dazu für eine so kurzfristige, ist nirgends vorgeschrieben. Als Akt der Höflichkeit würde ich es aber schon empfinden zu erfahren, warum am kommenden Montag denn jetzt nicht verhandelt wird. Für einen Satz hätte die Zeit ja sicher gereicht. Siehe die Nonsense-Begründung „Aufhebung des Termins“.

Aber gut, dann frage ich halt telefonisch nach und gehe einer – mutmaßlich – unschuldigen Justizmitarbeiterin auf den Keks. Sie haben es ja nicht anders gewollt.

Merkwürdiges Hobby

Ab und zu begegne ich Staatsanwälten mit einem merkwürdigen Hobby. Zugegeben, es werden immer weniger. Aber es gibt sie noch immer. Diese Staatsanwälte reagieren auf Akteneinsichtsgesuche von Verteidigern nicht mit Akteneinsicht oder einer sonst sinnvollen Mitteilung. Sondern mit der Anforderung einer schriftlichen Vollmacht.

Hier mal so ein typischer Briefwechsel, gerade wieder mit einem Strafverfolger in Tübingen geführt.

Ich: … melde ich mich als Verteidiger von Herrn A. … Ich beantrage Akteneinsicht.

Staatsanwalt: … bitte ich zunächst um Vorlage einer schriftlichen Vollmacht.

Ich: … bitte ich höflich um Mitteilung, auf welcher rechtlichen Grundlage und aus welchem sachlichen Grund Sie von mir eine schriftliche Vollmacht haben möchten, gleichwohl ich meine Bevollmächtigung anwaltlich versichert habe. Wegen der Rechtslage verweise ich beispielsweise auf die nachfolgend zitierten Gerichtsentscheidungen …

Ich: … komme ich zurück auf mein letztes Schreiben, auf das ich zu meiner Überraschung bisher ohne Antwort geblieben bin. Und leider auch ohne Akteneinsicht. Sollte Akteneinsicht auch weiterhin nicht gewährt werden, bitte ich um Mitteilung der Hinderungsgründe. Sollte ich das Schweigen der Staatsanwaltschaft so verstehen müssen, dass mir ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht keine Akteneinsicht gewährt wird, bitte ich darum, mir dies ebenfalls schriftlich zu bestätigen. Ich werde dann gerne prüfen, wie ich hierauf zu reagieren habe.

Staatsanwalt: … erhalten Sie in der Anlage die Ermittlungsakte zur Einsicht.

Die vorsichtige Andeutung, man könnte ja mal die Vorgesetzten einschalten, hilft eigentlich immer. Wobei am Ende nichts bleibt, von unnötigem Aufwand und Zeitverlust abgesehen.

Die Polizei prüft…

Die Polizei beklagt ja gerne Überlastung. Ein ganz klein wenig kann es aber womöglich auch daran liegen, dass die Prioriäten nicht immer richtig gesetzt werden. Als Beispiel dieses Ereignis aus dem Sächsischen Polizeibericht:

Plötzlich stand ein Mitschüler (12) neben dem Mädchen (11) und verdrehte ihr den Arm. Er zog ihren Rucksack vom Rücken und stopfte ihn in einen Mülleimer. Dazu grinste er provozierend und rief immer wieder schadenfroh den Namen der Fünftklässlerin. Dann eskalierte die Situation.

Der 12-Jährige, der Freude dabei empfand, das Mädchen zu ärgern, steigerte sich in das Geschehen hinein. Er entleerte den Inhalt des Rucksacks in den Müll, nahm ihr Portmonee weg, warf das Telefon zu Boden. Auf die Bitten der 11-Jährigen, die Sachen zurückzugeben, ging er nicht ein. Im Gegenteil. Letztlich zerrte er sie zu Boden, trat und schlug so heftig nach ihr, bis die Nase zu bluten begann und sie Prellungen erlitt.

In besonders erniedrigender Weise spuckte er das Mädchen an. Dann erst „trollte“ er sich und verschwand mit ihrer Essenkarte und einigen Cent-Münzen. Die Polizei prüft den Sachverhalt wegen Körperverletzung, Diebstahl und Beleidigung.

Statt groß zu „prüfen“ und den Aktenumfang schwellen zu lassen, sollten die zuständigen Polizeibeamten lieber den Staatsanwalt anrufen. Oder ihm gleich die Unterlagen faxen. Denn dem Staatsanwalt, dem „Herrn des Verfahrens“, dem die Polizei zuarbeitet, bleibt bei so einem Sachverhalt nur eine Entscheidung. Er muss das Verfahren „mangels Tatverdachts“ einstellen. Und zwar sofort, ohne wenn und aber.

Das liegt ganz einfach daran, dass 12-Jährige nicht strafmündig sind (§ 19 StGB). Es liegt also ein sogenanntes Verfahrenshindernis vor, welches zwingend zu einer Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts führt (§ 170 StPO). Dieses Verfahrenshindernis muss in jedem Stadium berücksichtigt werden.

Da eine Bestrafung des Jungen ausscheidet, bleiben nur Maßnahmen des Jugendamtes oder des Familiengerichts. Aber damit hat die Polizei dann nichts mehr zu tun. Sie könnte sich somit anderen Dingen widmen.

Der Richter wählt die Formulierungen

Aus dem Protokoll einer Zeugenvernehmung:

Die Vernehmungsniederschrift ist in meinem Beisein laut diktiert worden. Ich bin mit den seitens des mich vernehmenden Richters gewählten Formulierungen meiner Aussage einverstanden. Inhaltlich ist alles zutreffend diktiert.

Offensichtlich ist es zu viel verlangt, dass der Richter einfach das ins Protokoll diktiert, was der Zeuge wirklich gesagt hat. So ganz ohne eigene „Formulierungen“.

Besser wird das Ganze auch nicht dadurch, dass hier nicht irgendein Richter arbeitete. Sondern der Ermittlungsrichter in Strafsachen. Der sollte ja eigentlich besonders darauf achten, ein authentisches Protokoll zu erstellen. (Und, ganz abgesehen davon, auch wissen, dass er weder dem Zeugen noch dem Verfahren insgesamt einen Gefallen mit dem Eindruck tut, dass da gar nicht der Zeuge gesprochen hat.)

Ich sehne wirklich den Tag herbei, an dem Ton- und vielleicht sogar Bildaufnahmen Pflicht werden.

Weitgehende Machtlosigkeit

Die Polizei in Münster hat es offensichtlich mit einer Frau zu tun, die ihre Rechte kennt. Jedenfalls weigerte sich die Betroffene standhaft, ihre Personalien anzugeben. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung machte sie unermüdlich Faxen, so dass etwas ungewöhnliche Fotos für die „Verbrecherkartei“ entstanden. Nach zwölf Stunden musste die Frau entlassen werden, weil die gesetzlich zulässige Höchstgrenze erreicht war. Wer die Frau ist, weiß die Polizei immer noch nicht.

Ähnlich wie beim Fall der Frau ohne Namen, die sogar ihre Fingerkuppen anritzte, um keine Fingerabdrücke abgeben zu müssen, scheint die Betroffen in Münster jedenfalls ziemlich gut die Grenzen zu kennen, innerhalb derer die Ermittlungsbehörden agieren.

Zunächst mal ist es nicht strafbar, der Polizei den eigenen Namen oder die Adresse zu verschweigen. Wird man darauf hin festgehalten, tickt die Uhr für die Behörden. Länger als 12 Stunden darf im Regelfall niemand auf einer Wache festgehalten werden, wenn es nur um seine Personalien geht. Untersuchungshaft ist nur möglich, wenn ein dringender Tatverdacht besteht und ein Haftgrund vorliegt. Den dringenden Tatverdacht verneinte die Staatsanwaltschaft jedoch, so dass der Haftgrund der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nicht zum Zuge kommen konnte.

Allerdings kann es ein Bußgeld kosten, wenn man gegenüber Behörden den eigenen Namen verschweigt (§ 111 OWiG). Bis zu 1.000 Euro sind dann fällig. Genau diesen Weg geht man jetzt im Fall der Widerspenstigen aus Münster. Ihre Polizeifotos wurden für eine „Öffentlichkeitsfahndung“ freigegeben.

Ob das verhältnismäßig ist, ist die eine Frage. Die andere Frage lautet, ob es wirklich im Sinne der Behörden ist, wenn ihre weitgehende Machtlosigkeit bei renitenten Personalienverweigerern ein öffentliches Thema wird. Nicht ganz ausgeschlossen, dass das alles am Ende Nachahmer provoziert, die ihre zwölf Stunden einfach absitzen. So richtig bekannt dürfte die Rechtslage bislang jedenfalls den Wenigsten sein.

Berichte in den Westfälischen Nachrichten: (1) (2)

Manchmal geht es schnell

Im Gericht kulminierte eine längere Auseinandersetzung zwischen mir und der Richterin in folgendem Dialog:

Herr Verteidiger, die Sache dauert jetzt schon anderthalb Jahre. Seit anderthalb Jahren höre ich mal dieses und mal jenes von Ihnen. Sie geben nur das zu, was ohnehin nachgewiesen werden kann. Ansonsten hängen Sie die Nase in den Wind und drehen die Sache immer geschickt so, wie es für Ihren Mandanten gerade am günstigsten ist.

Eine schöne Stellenbeschreibung. Das ist genau mein Job, seit 21 Jahren.

Die Reaktion war eher verhalten. Dennoch hatte ich ab dem Punkt das Gefühl, Richterin und Staatsanwalt waren ab sofort an der Fortführung des Verfahrens nicht mehr sonderlich interessiert. Vermutlich, weil ihnen schwante, dass die Sache noch munter eine lange Zeit so weitergehen kann – wenn der blöde Anwalt sich noch nicht mal für seine Arbeit schämt.

Das Verfahren war, auch für mich überraschend, nach drei Minuten eingestellt. Der Mandant ist damit nicht vorbestraft, er muss nur eine erträgliche Geldauflage leisten.

Genau so lautete das intern vorgegebene Ziel.