Kleines Schreiben, gewisse Wirkung

Heute mal ein kleines Beispiel, wie sich mit einer proaktiven Herangehensweise auch mal Gerichtsverhandlungen verhindern lassen. Nicht mit Blick auf eine Entlastung der Justiz, sondern im Interesse des Mandanten. In diesem Fall geht es ein junges Mädchen, das mit seiner Schwester bei Primark einkaufen wollte, ohne zu bezahlen. Wert der Waren: jeweils um die 50 Euro.

Aus meinem Schreiben an das Gericht:

Ich beantrage, das Verfahren nach § 47 JGG einzustellen.

Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 1 JGG liegen vor.

Es handelt sich um einen kleineren Ladendiebstahl. Es ist kein Schaden entstanden, da meine Mandantin am Ausgang angehalten wurde. Die hypothetische Beute bewegte sich zwar etwas über der Geringwertigkeitsgrenze. Da laut der Anklage jedoch kein gemeinschaftliches Handeln vorliegt, ist jeder der Angeklagten nur der Wert der selbst eingesteckten Waren zuzurechnen (Schönke/Schröder, StGB, § 248a Rn. 15).

Bei einem Diebesgut knapp über der Geringwertigkeitsgrenze spräche auch bei einem Erwachsenen alles dafür, das Verfahren nach § 153 StPO einzustellen.

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 JGG vor.

Der Vater meiner Mandantin hat mit dieser schon „deutliche“ Worte geredet und ihr klar gemacht, welche strafrechtlichen Konsequenzen so ein Fehlverhalten hat und warum es wichtig ist, sich auch mit Blick auf die eigene Zukunft an die Gesetze zu halten.

Auch ich als Verteidiger habe mit der Angeklagten entsprechend geredet und ebenfalls deutlich gemacht, dass sie sich unbedingt straffrei führen muss, um sich Zukunftsperspektiven in unserer Gesellschaft zu erhalten. Ich habe den Eindruck, diese „Botschaft“ ist auch angekommen.

Vor diesem Hintergrund ist es vertretbar, das Verfahren, wie angeregt, einzustellen.

Ich bitte höflich um Prüfung dieses Antrags und hoffe auf eine positive Entscheidung.

Heute kam der Beschluss des Gerichts:

Das Verfahren wird nach § 47 JGG eingestellt.

Nach Aktenlage scheint eine Ahndung entbehrlich, weil die Schuld der Angeschuldigten als gering anzusehen ist und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht besteht.

Klappt nicht immer. Aber durchaus so oft, dass man es in geeigneten Fällen versuchen sollte.

ARD darf Geiselnahme von Gladbeck verfilmen

Vor 28 Jahren ereignete sich das Gladbecker Geiseldrama. Die ARD möchte die Ereignisse jetzt verfilmen, wogegen sich einer der beiden Täter, Hans-Jürgen R., juristisch wehrt. Bislang allerdings erfolglos.

Das Oberlandesgericht Köln wies einen Prozesskostenhilfeantrag R.s ab. Der Verurteilte habe schon nicht glaubhaft gemacht, in welcher Weise er in dem geplanten Film dargestellt werden soll. Somit sei eine drohende konkrete Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht feststellbar.

Unabhängig davon wiege das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht schwerer als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Es handele sich um eine spektakuläre, in der Geschichte Deutschlands einzigartige Straftat. Diese sei untrennbar mit der Person des Täters verbunden.

Der Täter selbst habe außerdem den Fall in Erinnerung gerufen, als er sich vor kurzem über seinen Anwalt zur gegen ihn verhängten Sicherungsverwahrung geäußert habe (Aktenzeichen 15 W 42/16).

Der mögliche Mitwisser von München

Der Amokläufer von München war möglicherweise nicht ganz so alleine, wie es zunächst den Anschein hatte. Gegen einen 16-jährigen Bekannten des Täters wird ermittelt, unter anderem wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten. Der junge Mann soll den Täter von einem Klinikaufenthalt kennen und mit ihm engen Kontakt gehabt haben. Wahrscheinlich haben sich die beiden direkt vor dem Amoklauf sogar noch am oder in der Nähe des Tatortes getroffen, berichtet etwa die Süddeutsche Zeitung.

Die Staatsanwaltschaft will den Jugendlichen in Haft nehmen. Sie befürchtet Verdunkelungsgefahr, obwohl sich der 16-Jährige wohl zunächst selbst an die Polizei gewandt hatte. Diese aktuellen Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf den weithin unbekannten Tatbestand der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB). Hier deshalb mal eine kurze Übersicht, um was es dabei eigentlich geht.

Die gute Nachricht vorweg: Es gibt keine generelle Anzeigepflicht für geplante Straftaten. Bei den weitaus meisten Delikten droht einem nichts, wenn man trotz Kenntnis von der geplanten Straftat untätig bleibt. Vielmehr gilt die Anzeigepflicht durchweg nur für besonders schwere und meist gemeingefährliche Straftaten. Diese Delikte sind im § 138 StGB in Katalogform aufgeführt. Ich übernehme die Kurzfassung aus der Wikipedia. Danach sind folgende Delikte anzeigepflichtig:

Vorbereitung eines Angriffskrieges
Hochverrat
Landesverrat
Geld- oder Wertpapierfälschung
Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen
eine Straftat gegen die persönliche Freiheit
Krimineller Menschenhandel
Menschenraub
Verschleppung
Erpresserischer Menschenraub
Geiselnahme
Raub oder räuberische Erpressung
eine gemeingefährliche Straftat
Brandstiftung
Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie
Missbrauch ionisierender Strahlen
Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens
Herbeiführen einer Überschwemmung
Gemeingefährliche Vergiftung
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

Kurz gesagt, es wird bei allem ab Raub aufwärts kritisch. Die weitaus meisten Delikte der in Frage kommenden Tatbestände sind gemeingefährlich oder bedrohen die Staatssicherheit. So ist zum Beispiel interessanterweise Geldfälschung eine Straftat, die man bei Kenntnis anzeigen muss. Sexualstraftaten wie schwerer Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung dagegen nicht. Gleiches gilt zum Beispiel für alle Betäubungsmitteldelikte.

Wichtig zu wissen ist, dass Zeugnisverweigerungsrechte die Anzeigepflicht nicht automatisch stechen. Man kann sich also später nicht darauf berufen, dass man zum Beispiel wegen Verwandtschaft, Ehe der Verlöbnis den Täter doch nicht mit einer Aussage belasten muss. Allerdings nimmt das Gesetz teilweise Rücksicht auf solche Näheverhältnisse. Bei Angehörigen gilt die Offenbarungspflicht nach § 139 StGB nur für ganz wenige Delikte, darunter Mord, Völkermord, Menschenraub, Geiselnahmen und Terrorangriffe auf den Luft- oder Seeverkehr.

Nur einer einzigen Personengruppe steht übrigens das Recht zu, selbst bei den schlimmsten Tatplanungen zu schweigen: Seelsorgern. Alles, was jene in dieser Eigenschaft erfahren, müssen sie nicht preisgeben. Da sind Ärzte, Anwälte und Therapeuten schlechter gestellt. Die dürfen ebenfalls nicht „wegsehen“, sofern schwere Straftaten wie Mord, Völkermord etc. geplant werden.

Nicht strafbar machen sich Gehilfen oder Mittäter. Wer also mit dem Täter in irgendeiner Form unter einer Decke steckt, kann nicht noch zusätzlich wegen der Nichtanzeige einer geplanten Straftat belangt werden. Auch das mögliche Opfer einer geplanten Straftat, also der Bedrohte, muss sich nicht offenbaren. Es wäre also nicht zulässsig, das potentielle Opfer eines Mordkompletts zu bestrafen, bloß weil es nicht von sich aus die Ermittlungsbehörden eingeschaltet hat.

Wer sich nicht zu einer Anzeige aufrafft, obwohl er dazu verpflichtet ist, kann auch auf anderem Wege Straffreiheit erlangen. Nämlich indem er die Tat selbst verhindert. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass ein Eingeweihter den Täter selbst (mit Gewalt) im letzten Moment aufhält. Scheitert eine Tat aus anderen Gründen, reicht es auch aus, wenn sich der Betreffende zumindest bemüht hat, den Erfolg noch abzuwenden.

Das größte juristische Problem bei der Bewertung solcher Fälle ist natürlich die Frage, wann man von einer konkret geplanten Tat „glaubhaft“ erfahren hat. Dazu reicht es nämlich nach der Rechtsprechung nicht, wenn man einige Details kennt und ansonsten viel „ahnt“, sondern es bedarf schon genauer Kenntnis. Außerdem gibt es nach hinten eine zeitliche Grenze. Wenn die Tat im Zeitpunkt, in dem man davon erfährt, ohnehin nicht mehr verhindert werden kann, gibt es auch keine Offenbarungspflicht.

Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, kann die Strafe happig ausfallen. Das Gesetz droht Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren an. Wesentlich besser sieht es schon aus, wenn jemand die Anzeige nur „leichtfertig“ unterlassen hat. Dann ist die Freiheitsstrafe maximal ein Jahr.

Selbst wenn es letztlich gar nicht zu einer Tat und womöglich noch nicht einmal zu einem Versuch kommt, ist der mögliche Mitwisser nicht ganz von der Angel. Das Gesetz sieht für diesen Fall nur die Möglichkeit vor, von der Strafe abzusehen. Zwingend vorgeschrieben ist das aber nicht.

Mit dem Auto gegen den Macheten-Mann

Bei dem tödlichen Messerangriff gestern in Reutlingen hat ein Autofahrer den mutmaßlichen Täter gestoppt, indem er den Mann absichtlich anfuhr. Zu dem Zeitpunkt befand sich der 21-Jährige wohl mit der Machete in der Hand auf der Flucht. Dabei soll er kurz zuvor noch zwei Personen in einem anderen Auto attackiert und diese verletzt haben.

Beherzt handelte der Autofahrer auf jeden Fall, als er den 21-Jährigen stoppte. Aber war es auch juristisch richtig, was er da tat? Oder handelt er sich jetzt selbst eine Strafe ein? Eine vorsätzliche Körperverletzung hat der Autofahrer wohl begangen, aber diese kann gerechtfertigt sein. In Frage kommen im wesentlichen zwei Vorschriften.

1. Notwehr, § 32 StGB: „Notwehr ist die Verteidigung, die geboten ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.“

Neben der Notwehr gibt es auch die sogenannte Nothilfe, das heißt das Einschreiten für einen Dritten. Man muss also nicht selbst angegriffen werden, sondern darf auch anderen zur Hilfe kommen.

Genau das dürfte hier passiert sein. Die Kernfrage ist aber, ob es sich hier noch um einen „gegenwärtigen“ Angriff handelte. Auch wenn der Täter mit der Machete in der Hand weglief, fehlte es in dem Augenblick – so weit wir wissen – an weiteren Personen, die in diesem Augenblick noch konkret bedroht wurden.

Tendenziell steht es also eher schlecht um einen „gegenwärtigen“ Angriff. Eine Notwehrlage ist also nicht eindeutig.

2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr … eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr … abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen … das geschützte Interesse wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Wie der Notwehrparagraf verlangt auch spricht § 34 StGB eine „gegenwärtige“ Situation. Allerdings ist dort nicht von einem Angriff die Rede, sondern von einer Gefahr. Das ist ein gewichtiger Unterschied, gerade in diesem Fall. Hier lag nämlich eine nicht zu leugnende Gefahr vor, wenn der Täter weiter mit der Machete in der Hand seine Flucht fortsetzte. Die greifbare fortbestehende Gefahr für Leib und Leben Dritter rechtfertigte es nach meiner Meinung auch grundsätzlich, den Mann anzufahren.

Allerdings macht schon der gewundene Gesetzestext deutlich, auf welches Risiko sich man beim Handeln einlässt. Die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein. Dem Handelnden wird also abverlangt, dass er sich vorher überlegt, ob ihm ein milderes Mittel zur Verfügung steht. Zu dem müsste er dann auch greifen. Dann muss die Tat auch noch ein „angemessenes Mittel“ sein, um die Gefahr abzuwenden. Das heißt, man muss – möglicherweise in Sekundenbruchteilen – abwägen, welche Rechtsgüter höher einzuschätzen sind.

Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Einen nach außen unbewaffneten Verdächtigen, den man aus einer Fahndung bei Aktenzeichen XY ungelöst erkennt, wird man kaum an- oder gar überfahren dürfen, wenn er vor einem die Straße überquert. Dazwischen gibt es aber in jedem dieser Fälle eine riesige Grauzone. Und ein entsprechendes juristisches Risiko für Menschen, die in schwierigen Situationen helfen wollen. Dieses Risiko umfasst auch die Fehlbewertung einer Situation. Wer sich vertut, handelt dann meist auf eigenes Risiko. Helfen kann dann nur noch die Vorschrift über den entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB), die aber noch viel komplexere Hürden mit sich bringt.

Es wäre also jetzt nicht verwunderlich, wenn die Justiz gegen den Autofahrer erst mal ermittelt. Allerdings meine ich, dass er am Ende wohl zumindest rechtfertigenden Notstand für sich reklamieren kann. Auf eventuellen Anwaltskosten bliebe er aber trotzdem sitzen, denn die würden ihm auch im Falle einer Einstellung wegen fehlenden Tatverdachts nicht erstattet.

Nachtrag: Die Reutlinger Polizei spricht von einem ganz normalen Verkehrsunfall. Der BMW-Fahrer sei abgelenkt gewesen und habe den Verdächtigen deshalb angefahren. Laut Spiegel Online hatte aber vorher sogar schon ein Polizeisprecher bestätigt, der Autofahrer habe den Vorfall beobachtet.

Bestellerprinzip ist verfassungsgemäß

Die deutschen Wohnungsmakler müssen mit dem Bestellerprinzip leben.

Dieses Prinzip besagt, dass Wohnungseigentümer den Makler selbst bezahlen müssen, wenn sie einen Wohnungsvermittler beauftragen. Die Courtage darf nicht – wie seit jeher üblich – auf den künftigen Mieter abgewälzt werden. Das Bundesverfassungsgericht billigt das letztes Jahr eingeführte Bestellerprinzip in einem aktuellen Beschluss. Es sei ein zulässiges Mittel, um „sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten“ auf dem Wohnungsmarkt entgegenzuwirken.

Nach Auffassung des Gerichts beschränkt das Gesetz zwar die Berufsfreiheit der Makler und die Vertragsfreiheit der Hauseigentümer ein. Jedoch sei dies gerechtfertigt. Makler würden auch nicht mit einem „Berufsverbot“ belegt, denn sie könnten weiter Wohnungen im Auftrag der Eigentümer vermitteln, die dann aber auch zahlen müssen. Außerdem hätten Makler die Möglichkeit, sich von Mietern gezielt für die Wohnungssuche beauftragen zu lassen.

Keine Probleme hat das Verfassungsgericht auch mit der neu eingeführten Textform für Maklerverträge. Diese diene der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, heißt es in dem Beschluss (Aktenzeichen 1 BvR 1015/15).

Ein Fax für die Amtsapotheke

Vorhin rief mich der Leiter eines Amtes im Süddeutschen an. Persönlich. Das wunderte mich schon, denn normalerweise schreiben wir uns allenfalls hochachtungsvolle Briefe. Es gab da in der Vergangenheit einige Prozessen, die der Herr schmerzlich gegen meine Mandanten verloren hat. Er, denn das Schicksal seine Behörde nimmt er offensichtlich sehr persönlich.

Heute aber wollte er seinen Triumph auskosten. „Ich habe heute Ihr Widerspruchsschreiben in dieser Sache Meyer erhalten“, sagte er. „Das ist ja schön“, sagte ich. „Ja, aber der Brief ist zu spät. Die Widerspruchsfrist lief gestern ab.“ Schon möglich, erklärte ich ihm. „Deshalb haben wir den Widerspruch ja gestern nachmittag schon vorab gefaxt.“ Er gab sich erstaunt. „Wohin denn?“ „Direkt in Ihr Amt.“

Tja, obwohl mir der Sendebericht vorliegt, war bei meinem Freund nichts angekommen. Das Fax muss sich also auf dem Übertragungsweg ätherisiert haben. Aber Scherz beiseite. Ich glaubte ihm kein Wort, ließ ihm aber das Vergnügen mir zu erklären, was ich als Anwalt so natürlich nicht weiß. Ich könne jetzt ja einen Wiedereinsetzungsantrag wegen der versäumten Frist stellen. Aber ob dem stattgegeben werde, na ja, da sei man ja in seinem Land bekanntlich sehr streng.

Ich ließ ihm seinen kleinen Triumph. Weil die Frist so knapp war und ich schon Ungemach ahnte, habe ich das Fax nämlich nicht nur an sein Amt schicken lassen. Sondern auch noch an an die Zentrale und eine Nebenstelle, die ich mir aus dem Telefonbuch gesucht habe. Ich glaube, die Amtsapotheke. Von dort werden meinem Freund die Faxeingänge sicher noch auf dem Dienstweg zugeleitet. Schön mit dem richtigen Eingangsstempel versehen. Und ein Faxjournal haben die anderen Nebenstellen ja auch. So lang, um daran was drehen zu können, ist auch der Arm eines Amtsleiters nicht.

Würde mich wundern, wenn er in nächster Zeit öfter anruft.

Julia geht es nicht gut

In einem Ermittlungsverfahren hat die angebliche Geschädigte ausgesagt. Sie ist 16 Jahre alt, und ihre Mutter meint, sie werde von einem Verehrer gestalkt – ganz im Gegensatz zur jungen Frau selbst. Die hält das Ganze eher für einen normalen Onlinekontakt, wie man ihn als junger Mensch heute halt so hat.

Die erste Vernehmung bei einem Polizeikommissar war entsprechend unergiebig. Da musste dann eine Spezialistin ran, nämlich die Polizeioberkommissarin M. Die notiert erst mal pflichtbewusst, dass es der Zeugin zum Zeitpunkt der Vernehmung nach eigenen Angaben gar nicht gut geht. Doch statt die Vernehmung abzubrechen, geht es wie folgt weiter:

Julia bricht in Tränen aus. Ihr wird auf Nachfrage, ob er (Zusatz: der angebliche Stalker) nicht doch ehrlich sei und alles nicht stimmen würde, was die Polizei und die Mutter behaupten würden, nochmals erklärt, dass es sich bei dem Torsten um einen polizeibekannten Straftäter handeln würde. Die Geschichten, die er ihr erzählt hat, seien unwahr. Daraufhin weint Julia noch heftiger.

So was nennt sich dann Wahrheitsfindung. Bei so einer sensiblen und unvoreingenommenen Herangehensweise frage ich mich natürlich auf keinen Fall, ob es auch Stalker in Uniform gibt.

Richter abgelenkt, Prozess vorbei

Ein schon fast sieben Jahre dauerndes Verfahren ist am Kieler Landgericht geplatzt wie eine Seifenblase. Es geht um den Millionenbetrug mit Flirt-SMS. Grund ist, dass zwei Richter während der Vernehmung einer Zeugin prozessfremde Unterlagen studiert haben sollen. Das hat ein Verteidiger gesehen und einen Befangenheitsantrag gestellt, berichtet der NDR.

Der Bundesgerichtshof hat vor einem Jahr entschieden, dass Richter dem Prozessgeschehen ihre volle Aufmerksamkeit widmen müssen. In dem Fall hatte eine Richterin während der Verhandlung gesimst, um eine Betreuung für ihr Kind zu organisieren. Schon kurzfristige, sachliche Ablenkung reicht demnach aus, um Richter befangen zu machen.

Wie der aktuelle Fall in Kiel zeigt, kann es sich für Angeklagte lohnen, wenn sie das Geschehen auf der Richterbank genau im Auge haben.

Für eines hat es gereicht

Das Gericht hat mich

a) nicht rechtzeitig als Verteidiger zum Verhandlungstermin geladen;

b) bislang keine Akteneinsicht gewährt, damit ich mich mal in die Sache einarbeiten kann.

Aber für eines hat es schon gereicht. Nämlich eine umfassend begründete Ablehnung meines Antrags, mich dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Kein Wunder, dass bei dieser Prioritätensetzung der Verhandlungstermin ins Wasser fällt. Wenn’s dann mal weiter geht, ist es sicher draußen schon bitterkalt.

Dezent unter der Grenze

Ein Bundespolizist aus Hannover ist zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Ihm wurde der Besitz kinderpornografischer Schriften, unerlaubter Waffenbesitz und das unerlaubte Verbreiten der Fotos von einem festgenommenen Flüchtling vorgeworfen.

Die Ermittlungen gegen den Beamten waren wegen Foltervorwürfen angerollt. Diese Vorwürfe haben sich in der Verhandlung jedoch nicht bestätigt, berichtet die FAZ.

Auffällig an dem Urteil ist jedenfalls, dass das Strafmaß dezent unter einer für den Mann kritischen Grenze bleibt. Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr würde er als Beamter zwingend seinen Job verlieren. Auch unter der Jahresgrenze ist eine Entlassung möglich. Sie muss aber im Einzelfall geprüft und sorgfältig abgewogen werden.

Polizisten mit Strippern verwechselt

In Rheinland-Pfalz wurden echte Polizisten mit Strippern verwechselt.

Aber lest selbst, was dazu im offiziellen Polizeibericht steht:

Am 17.07.2015 wurde gegen 00:15 Polizeibeamte der Polizeiinspektion Bendorf zu einer Ruhestörung gerufen. Vor Ort wurde ein 50. Geburtstag mit Livemusik gefeiert. Bei Erreichen des Festzeltes wurden die eingesetzten Beamten „bejubelt“, da man dachte, es würde sich um Stripper handeln.

Mehrere Versuche den ca. 10 angeheiteten Damen zu erklären, dass es sich um einen „richtigen“ polizeilichen Einsatz handelt, waren völlig erfolglos. Nachdem ein Bild der „Stripper“ gefertigt und diese mehrfach umarmt wurden, musste zwecks telefonischer Erreichbarkeit nach der Handynummer des Geburtstagskindes gefragt werden. Dies steigerte die Belustigung der Damen ins Unermessliche.

Die Verursacherin wurde gebeten, die Lautstärke der Musik etwas zu reduzieren. In diesem Moment wurde von den Gästen der im Hintergrund stehende Streifenwagen wahrgenommen und mit Schrecken festgestellt, dass es sich tatsächlich um die richtige Polizei handelt.

Der gesamte Einsatz wurde von beiden Seiten mit Humor genommen und die Musiklautstärke letztlich auch reduziert. Happy Birthday!

Bannstrahl trifft kleinen Amtsrichter

Diskriminierung behinderter Menschen ist auch auf eher subtile Art und Weise möglich. Das zeigt ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, dessen Bannstrahl nun wahrscheinlich eher unvermittelt einen kleinen Amtsrichter im beschaulichen Bretten trifft.

Ein Rollstuhlfahrer war von einem Auto angefahren worden, als er einen Zebrastreifen überquerte. Das Amtsgericht Bretten kürzte dem Mann das Schmerzensgeld um ein Drittel. Begründung: Der Rollstuhl hatte einen Beckengurt. Wenn der Rollstuhlfahrer den Beckengurt angelegt hätte, wäre er nicht aus dem Rollstuhl gefallen und hätte sich nicht so sehr verletzt.

Allerdings dient so ein Beckengurt nur zur Sicherung, wenn der Rollstuhl mit seinem Besitzer im Auto transportiert wird. Eine Anschnallpflicht außerhalb von Autos gibt es nicht, und viele Rollstühle haben auch gar nicht solche Gurte. Grund genug für das Verfassungsgericht, hier das Amtsgericht der unzulässigen Benachteiligung eines behinderten Menschen zu schelten.

Aus der Begründung:

Das Amtsgericht ist in der angegriffenen Entscheidung aufgrund des bloßen Vorhandenseins eines Beckengurts am Rollstuhl des Beschwerdeführers von höheren Sorgfaltsanforderungen bei der eigenständigen Teilnahme am Straßenverkehr ausgegangen, als sie an Verkehrsteilnehmer ohne Behinderung oder an Verkehrsteilnehmer mit Behinderung gestellt werden, die – erlaubterweise – lediglich einen nicht mit Beckengurt ausgestatteten Rollstuhl eigenständig nutzen.

Dies ist mit dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG unvereinbar und erweist sich hier nicht nur als Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall, sondern deutet zugleich auf eine generelle Vernachlässigung der Bedeutung des Verbots der Benachteiligung behinderter Menschen für die Beurteilung eines Mitverschuldens und damit auf einen geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen hin.

Das Amtsgericht Bretten muss jetzt neu entscheiden (1 BvR 742/16).

Missbrauch muss Missbrauch sein

Kann man jemanden sexuell missbrauchen, der sich „missbrauchen“ lassen will? Auf diese Frage spitzte sich ein Fall zu, über den der Bundesgerichtshof nun entschieden hat. Einem Psychiater, der oft als Gerichtssachverständiger auftrat, war vorgeworfen worden, eine seiner Patientinnen sexuell missbraucht zu haben.

Bei der Frau handelt es sich um eine dem Psychiater bekannte Richterin am Landgericht, die später als Staatsanwältin arbeitete. Während ihrer Zeit als Richterin hatte sie ein Verhältnis zu einem anderen verheirateten Richter. Dieser Richter war wiederum ein guter Freund des Psychiaters. Nach ihrer Versetzung zur Staatsanwaltschaft wollte die ehemals alkoholabhängige Frau an Beruhigungsmittel kommen. Wegen ihrer Krankheitsgeschichte fürchtete sie aber, diese Mittel nicht mehr von ihrem Hausarzt zu bekommen.

Deshalb ließ sich die Staatsanwältin auf eigene Initiative mit dem Angeklagten ein, der ihr schon früher erfolglos Avancen gemacht hatte. Außerdem wollte sie mit dem Verhältnis ihre frühere Affäre, den Richter, ärgern. Es kam dann zu einem mehrmonatigen Verhältnis, in dessen Rahmen der Angeklagte der Staatsanwältin auch Blankorezepte ausstellte und sie medizinisch beriet.

Das Landgericht München verurteilte den Arzt wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses (§ 174c StGB) zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten.

Der Bundesgerichtshof wertet die Sache anders. Das Gericht weist darauf hin, das Tatbestandsmerkmal „Missbrauch“ habe eine eigenständige Bedeutung. Hier sei es so, dass die Frau sich bereits außerhalb des Behandlungsverhältnisses entschlossen hatte, den Angeklagten für sich zu instrumentalisieren. Aufgrund ihrer Stellung und Persönlichkeit sei die Betroffene dem Angeklagten auch „auf Augenhöhe“ begegnet. Ihr Verhalten sei somit kein Missbrauch, sondern Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung.

Das Gericht spricht selbst von einem „atypischen Fall“. Das Ergebnis ist ein Freispruch (Aktenzeichen 1 StR 24/16).

Strafbar! Strafbar! (Oder doch nicht?)

Aus dem Polizeibericht für Bamberg:

Am frühen Samstagmorgen sollte eine Person am Schönleinsplatz kontrolliert werden. Der 29-jährige Student verweigerte die Personalienangabe und begann damit, die Zivilpolizisten zu filmen. Er wurde belehrt, dass dies so nicht erlaubt ist und eine Straftat darstellt, dennoch machte der Mann unbeeindruckt weiter.

Als nun sein Handy sichergestellt werden sollte, leistete der Mann Widerstand, sodass er festgenommen werden musste.

Die Strafanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wird erstellt.

Schon erstaunlich, dass die Legende vom Fotografierverbot von Polizisten nicht nur fröhlich lebt. Sondern dass sie es sogar in den offiziellen Polizeibericht schafft.

Vielleicht kann sich der Student am Ende ja sogar erfolgreich auf § 113 Abs. 4 StGB berufen. Danach ist ein Widerstand gegen Vollsteckungsbeamte nicht rechtswidrig, wenn die Diensthandlung selbst rechtswidrig ist. Normalerweise ist mit diesem Rechtfertigungsgrund eigentlich wenig zu reißen. Denn die Gerichte lesen noch so viele zusätzliche Anforderungen in die Vorschrift hinein, dass sie in der Praxis kaum greift.

Aber andererseits ist schon krass, dass Beamte von einer Strafbarkeit ausgehen, die es so schlicht und einfach nicht gibt. Wäre sicher interessant, wie weit sich ein Staatsanwalt und ein Richter am Ende argumentativ verbiegen würden, um diese krasse Fehlleistung noch durchzuwinken.