Rechte? Welche Rechte?

Nach der Strafprozessordnung ist alles so einfach:

Bei Beginn der ersten Vernehmung ist … der Beschuldigte darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen…

Schauen wir mal, wie das in der täglichen Praxis läuft. Etwa in einer Verkehrsstrafsache. In der Anzeige der Polizei lesen wir folgendes:

Nachdem das Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, haben die Beamten das Fahrzeug verlassen und sich zu dem Fahrer begeben. Der Fahrer teilte gegenüber den Beamten mit, er sei kurz zuvor während der Fahrt eingenickt. Sein Fahrzeug sei gegen den Randstein gestoßen. Er habe Alkohol konsumiert.

Aha, spätestens jetzt war höchste Zeit für die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung über das Schweigerecht. Denn der Anfangsverdacht einer Straftat war unzweifelhaft spätestens in dem Augenblick gegeben, in dem der Autofahrer was von Alkohol sagte. Dann lesen wir weiter:

Nach Eintreffen der Kollegen wurde der Fahrzeugführer erneut zum Vorfall befragt. Gegenüber den Beamten bestätigte er die zuvor gemachten Angaben. Der spätere Beschuldigte wirkte auf die eingesetzten Beamten orientiert.

Jetzt war der Autofahrer schon zwei Mal befragt worden. Belehrung? Aber nicht doch. Vielmehr geschah folgendes:

Aufgrund seiner Aussage und des Alkoholgeruchs in der Atemluft des Fahrzeugführers, wurde bei diesem ein freiwilliger Atemalkoholtest durchgeführt. Dieser ergab einen Atemalkoholwert von 0,47 mg/l.

Zwei Befragungen, zwei Mal die Angabe des Beschuldigten, er habe Alkohol getrunken, ein „freiwilliger“ Atemalkoholtest. Die Ermittlungen waren in diesem Augenblick sozusagen abgeschlossen, der Beschuldigte hatte tatkräftig an seiner Überführung mitgewirkt (obwohl er gar nichts hätte sagen oder tun müssen).

Nun fiel den Beamten immerhin ein, dass da noch was fehlte:

Aufgrund dessen wurde der Fahrzeugführer entsprechend belehrt und erneut zum Sachverhalt befragt. Auch nach erfolgter Belehrung bestätigte er die zuvor gemachten Angaben.

Ja, so macht die vom Gesetz vorgeschriebene Belehrung natürlich viel Sinn. Am schönsten finde ich, dass der Polizist an einer Stelle vom „späteren Beschuldigten“ fabuliert. Dem kann man wohl entnehmen, dass er der Meinung ist, den Zeitpunkt selbst bestimmen zu können, wann er jemand zum Beschuldigten macht.

Dass dieser selbstgewählte Zeitpunkt nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, ist dem Beamten möglicherweise gar nicht bekannt. Das ist noch die harmloseste Interpretation. Ebenso ist es möglich, dass er genau weiß, wann ein Beschuldigter nach dem Gesetz zu belehren ist. Und dass es ihn schlicht nicht interessiert, wie so vielen seiner Kollegen auch.